eNewsletter Wegweiser Bürgergesellschaft 5/2022 (25.05.2022)
Inhalt
- Meldungen aus der Bürgergesellschaft
- Im Fokus: Politische Bildung
- Publikationen
- Veranstaltungen, Seminare, Tagungen
Meldungen aus der Bürgergesellschaft
Informalisierung der zivilgesellschaftlichen Selbstorganisation
Vereine, Stiftungen und andere formale, per Register erfasste Organisationen sind ein zentraler Ort zivilgesellschaftlichen Engagements. Allerdings findet Engagement seit jeher auch in nicht formalen Zusammenschlüssen von Engagierten statt. Klar ist: Informelles kollektives Handeln braucht in der Regel formelle Strukturen für nachhaltigen Erfolg. Vor diesem Hintergrund behandelt das im Mai 2022 veröffentlichte dritte Arbeitspapier des Forums Zivilgesellschaftsdaten (FZD) folgende Fragen: Welche begrifflichen Differenzierungen gilt es in der Engagementforschung und -förderung zu beachten? Welche Erkenntnisse können uns aktuelle Daten bereits liefern? Das Papier zeigt zudem: Das Potenzial repräsentativer Studien zum informellen Engagement wird bislang noch nicht ausgeschöpft. Eine Zweiteilung in informelle Gruppen und formelle Organisationen wird der Empirie nicht gerecht.
Das Arbeitspapier im Wortlaut (PDF)
Studie: Bürgerbudgets in Sachsen
Im Rahmen eines Bürgerbudgets stellen Kommunen öffentliche Mittel zur Verfügung, um zum Beispiel den Einwohner/innen eines Stadtteils oder Kindern und Jugendlichen eines Quartiers die Möglichkeit zu eröffnen, eigene, selbstbestimmte Projekte und Vorhaben umsetzen zu können. Mit der Einführung eines Bürgerbudgets verfolgen Kommunen in der Regel zwei Ziele: Zum einen geht es darum, bürgerschaftliches Engagement vor Ort zu stärken; zum anderen sollen Bürgerbudgets dabei helfen, die lokale Demokratie stärken, indem sie die repräsentative Demokratie um ein direktdemokratisches Verfahren ergänzen. Zudem fördern Bürgerbudgets kooperative Prozesse zwischen Verwaltung, Politik und Bürgerschaft. Eine aktuelle Studie hat nun den Stand der Bürgerbudgets im Freistaat Sachsen untersucht. Sie liefert praxisbezogene Hinweise für die weitere Förderung von Bürgerbudgets sowie insgesamt der lokalen Demokratie in Sachsen. Für die Studie befragt wurden (Ober-)Bürgermeister/innen, Mitarbeiter/innen aus Verwaltung und Kämmerei sowie die Fraktionsvorsitzenden der drei größten Fraktionen im jeweiligen Gemeinde- bzw. Stadtrat der 419 Kommunen in Sachsen.
Die Studie im Wortlaut (PDF)
Netzwerk Bürgerbeteiligung: Kommunale Leitlinien für Bürgerbeteiligung
Seit seiner Gründung trägt das von der Stiftung Mitarbeit initiierte Netzwerk Bürgerbeteiligung Regelungen und Handlungsempfehlungen zur kommunalen Bürgerbeteiligung zusammen und informiert über die Aktivitäten und Handlungsansätze in den verschiedenen Kommunen. Ob Bad Homburg oder Berlin, ob Chemnitz oder Konstanz, ob Regensburg oder Wuppertal: Mittlerweile werden bundesweit mehr als 100 Kommunen vorgestellt, die entweder über bereits fertiggestellte Leitlinien verfügen oder die den Prozess gestartet haben. Die onlinebasierte Sammlung wird stetig erweitert und aktualisiert.
Europäischer Demokratiepass: Leitfaden für aktive Bürgerbeteiligung
Im Rahmen der Bürgerforen der Konferenz um die Zukunft Europas wurde betont, dass EU-Bürgerinnen und Bürger stärker in die Aktivitäten der Europäische Union einbezogen werden sollen. Um den Menschen in Europa zur Partizipation und zur Ausübung ihrer demokratischen Rechte zu verhelfen, wurde deshalb der Europäische Demokratiepass veröffentlicht. Er dient als Informationsgeber und Wegweiser, wie Demokratie von unten innerhalb der Europäischen Union ausgeübt werden kann. Neben der Beteiligung zur Wahl des Europäischen Parlaments oder einer Beschwerdemeldung an den Europäischen Bürgerbeauftragten informiert der Demokratiepass auch über weitere Beteiligungsmöglichkeiten, zum Beispiel in Form eines Handbuchs zur Einrichtung einer Bürgerinitiative auf europäischer Ebene. Veröffentlicht wurde der europäische Demokratiepass vom Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss in 23 Amtssprachen.
MITWIRKEN: Crowdfunding-Wettbewerb gestartet
Insgesamt 31 Projekte werben derzeit auf der MITWIRKEN Crowdfunding-Plattform um digitale Spenden, mit denen sie ihre Ideen für gesellschaftlichen Zusammenhalt und gelebte Demokratie finanzieren möchten. Die 20 Projekte mit den meisten Stimmen erhalten zusätzlich zu dem gesammelten Geld insgesamt 200.000 Euro Preisgelder. Die Bewerbungsphase für den »MITWIRKEN Crowdfunding-Contest« der Gemeinnützigen Hertie-Stiftung, an der sich private Initiativen, gemeinnützige Vereine, Arbeitsgruppen von Wohlfahrtsorganisationen ebenso wie Social Start-Ups beteiligen konnten, endete im Herbst vergangenen Jahres. Mithilfe von Workshopangeboten entwarfen die ausgewählten Demokratieprojekte ihre Spenden-Kampagnen. Der »MITWIRKEN Crowdfunding-Contest« läuft noch bis zum 1. Juni 2022.
Youth 7: Abschlussdokument fordert widerstandsfähige Demokratien
Die Youth7 bringen als jugendpolitische Dialog- und Beteiligungsprozesse Delegierte aus den G7-Mitgliedstaaten, der Europäischen Union sowie aus Partnerländern zusammen. Gemeinsam diskutieren junge Erwachsene die aktuellen Themen der G7, das Programm der Präsidentschaft und eigene Schwerpunktthemen. Auf dem Gipfeltreffen vom 16. bis zum 20. Mai 2022 in Berlin verabschiedeten die Delegierten ihre seit März verhandelten Forderungen an den deutschen G7-Vorsitz. Entwickelt wurden politische Forderungen in vier Schwerpunktbereichen, zu denen auch die Gestaltung resilienter Demokratien zählt. Das Abschlussdokument mahnt unter anderem Bildung im digitalen Zeitalter, die Stärkung offener Gesellschaften und inklusive Bürgerbeteiligung an. Ein fünfter Schwerpunkt widmet sich aus aktuellem Anlass dem Thema »Jugend, Frieden & Sicherheit«. Mit der Umsetzung des »Youth7« wurde die Fachstelle für Internationale Jugendarbeit der Bundesrepublik Deutschland e.V. (IJAB) von der Bundesregierung beauftragt. Neben einem Jugendpolitischen Dialog finden sechs weitere Prozesse mit Vertreter/innen der Zivilgesellschaft statt: Business7, Civil7, Labour7, Science7, Think7 und Women7.
Das Abschlussdokument im Wortlaut (PDF)
Im Fokus: Politische Bildung
Lernorte der Politischen Bildung: Herausforderungen für die Zivilgesellschaft
Non-formale politische Bildung wird in Deutschland von »freien« Trägern der Zivilgesellschaft angeboten. Geleitet durch demokratietheoretische Überlegungen in Gesetzgebung und Bildungspolitik ist dabei die Zusammenarbeit zwischen staatlichen Institutionen und freien Trägern subsidiär und partnerschaftlich geregelt. Eine stärkere staatliche Top-Down-Steuerung mit einschlägigen Programmen, hohen finanziellen Anreizen und bestimmten gesetzlichen Vorhaben könnten diese Rahmenbedingungen dauerhaft verändern, analysiert Benedikt Widmaier in seinem Gastbeitrag.
Zivilgesellschaft als Lernort für Zivilcourage
Zivilcouragiertes Handeln von Bürgerinnen und Bürgern in Alltagssituationen ist ein wichtiger Grundpfeiler einer lebendigen Demokratie. Heutzutage setzen sich viele verschiedene gesellschaftliche Akteure für die Förderung von Zivilcourage ein und machen das vielfältige Engagement von Bürgerinnen und Bürgern sichtbar. Warum manche Menschen Zivilcourage zeigen und andere nicht, beschäftigt die Forschung seit Längerem. Daher wissen wir bereits, dass die Voraussetzungen für zivilcouragiertes Handeln vielfältig sind. Dazu zählen konkrete Kompetenzen zur Lösung von Konflikt- oder Gewaltsituationen, Mut und Selbstvertrauen, aber ebenso die Verinnerlichung grundlegender sozialer und demokratischer Werte, die in sozialen Kontexten entwickelt werden. In welchen sozialen Kontexten Zivilcourage gelernt wird, erläutert Peter Schubert in seinem Gastbeitrag.
Politische Bildung: Lernort und Bildungsraum Kommune
Kommune ist mehr als eine Verwaltungseinheit. Die Kommune ist nicht nur der Lebensraum der Bürger/innen, sondern auch Erfahrungs-, Begegnungs- und Lernort. Wenn man sich mit politischer Bildung und Beteiligung beschäftigen möchte, ist es daher unabdingbar, einen näheren Blick auf den Lernort Kommune zu werfen. Pavlos Wacker zeigt in seinem Gastbeitrag, wie eine lebensweltorientierte Form der politischen Bildung den Lernort Kommune insbesondere für Jugendliche und junge Erwachsene attraktiv machen kann.
Transformatives Lernen durch Engagement: Soziale Innovationen als Impulsgeber für Umweltbildung und nachhaltige Entwicklung
Energiewende, Ernährungswende, Mobilitätswende: unsere Gesellschaft steht vor vielen umfangreichen und strukturellen Transformationsprozessen. Transformative Bildung und transformatives Lernen sind dabei wichtige Bausteine, um nachhaltige Entwicklung zu stärken. In einem durch das Umweltbundesamt geförderten Projekt wurde untersucht, wie transformatives Lernen durch Engagement gelingen kann. Über die Methode des Service Learnings konnten Schüler/innen einerseits an praktischen Nachhaltigkeitsaktivitäten in ihrer Region teilhaben und andererseits diese Aktivitäten im Fachunterricht reflektieren. Dazu wurden im Projekt gemeinsam mit vier Schulen und zusammen mit weiteren sozialen Innovationsakteuren in einem partizipativen Prozess Lernwerkstätten entwickelt. Mandy Singer-Brodowski und Janina Taigel stellen in ihrem Gastbeitrag das Projekt und seine Ergebnisse vor.
Umfrage: Politische Bildung und Gemeinnützigkeit
Die Allianz »Rechtssicherheit für politische Willensbildung« ist ein Zusammenschluss von fast 200 Vereinen und Stiftungen, die sich gemeinsam für eine Weiterentwicklung des geltenden Gemeinnützigkeitsrechts einsetzen. Eine Baustelle ist dabei auch der Zweck der politischen Bildung, an den der Bundesfinanzhof bestimmte Kriterien und Anforderungen knüpft. Eine aktuelle wissenschaftliche Befragung der Hochschule Darmstadt erkundet nun, welche Auswirkungen die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs und die darauf fußenden Änderungen des Anwendungserlasses zur Abgabenordnung auf die politische Bildungsarbeit in der Bildungspraxis haben. Zur Teilnahme eingeladen sind alle, die hauptberuflich, freiberuflich oder ehrenamtlich für einen Träger tätig sind, der politische Bildungsarbeit leistet und der als gemeinnützig anerkannt ist, für den die Gemeinnützigkeit beantragt werden soll oder dessen Gemeinnützigkeit aberkannt wurde. Eine Teilnahme ist noch bis zum 31. Mai 2022 möglich.
Publikationen
Publikation: Die demokratische Regression
Die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts deutete auf einen Fortschritt in der weltweiten Ausbreitung der liberalen Demokratie hin. Doch die Entwicklung des vergangenen Jahrzehnts, so der kritische Befund der beiden Autoren, laufe dieser Erwartung zuwider: Autokratien seien auf dem Vormarsch, Meinungsfreiheit und Gewaltenteilung würden auch in vielen demokratischen Staaten zunehmend eingeschränkt. Im Zentrum dieser Entwicklung sehen die Autoren den Aufstieg autoritär-populistischer Parteien, der weder durch sozioökonomische noch durch kulturelle Faktoren allein zu erklären sei. Vor diesem Hintergrund richten die Autoren ihren Blick auf die politische Sphäre: Die mangelnde Berücksichtigung der Anliegen unterprivilegierter Bevölkerungsteile im parlamentarischen Entscheidungsprozess sowie die Übertragung von Kompetenzen auf Gremien, die keiner Mehrheitsfindung bedürfen, riefen ein weit verbreitetes Gefühl hervor, kaum mehr Einfluss auf politische Beschlüsse nehmen zu können. Diesen Zusammenhang als Problem anzuerkennen, das einer demokratischen Lösung bedürfe, sei zentral, um einen weiteren Rückschritt der Demokratie zu verhindern.
Armin Schäfer, Michael Zürn: Die demokratische Regression. Die politischen Ursachen des autoritären Populismus. Bonn 2022, Schriftenreihe der Bundeszentrale für politische Bildung Bd. 10736, ISBN 978-3-7425-0736-5
Publikation: Demenz im Quartier
Die Anzahl der Menschen mit Demenz in Deutschland nimmt stetig zu. Daraus folgen neue Anforderungen an Betreuungs- und Pflegekontexte, die gesamtgesellschaftliche Relevanz entfalten. Die Autorinnen und Autoren des Buchs befassen sich am Beispiel Hessens mit der Frage, wie es um die Demenz-Versorgung in unterschiedlichen Quartieren steht, wie stark ehrenamtliches Engagement ist, welche Unterstützungen und welche Versorgungslücken es gibt. Neben der sozialraumorientierten Betrachtung von dörflichen, kleinstädtischen und großstädtischen Kontexten thematisieren sie auch die Folgen der Corona-Pandemie und geben u.a. aus konvivialistischer Perspektive Einblicke in Problemlagen und Lösungsansätze.
Reimer Gronemeyer, Martina Ritter, Oliver Schultz, Jutta Träger (Hrsg.): Demenz im Quartier. Ehrenamt und Sozialraumorientierung für das Alter. Bielefeld 2022, 180 S., ISBN 978-3-8376-5795-1
Veranstaltungen, Seminare, Tagungen
Tagung: Netzwerk Bürgerbeteiligung – Netzwerktreffen 2022
Zur Feier des 11-jährigen Bestehens des Netzwerks Bürgerbeteiligung diskutieren die Netzwerkmitglieder und interessierte Gäste auf dem Jahrestreffen 2022 (24.6.2022 in Köln) über neue Aktivitäten und bestehende Initiativen rings um die Weiterentwicklung der Bürgerbeteiligung. Auf dem Programm stehen unter anderem kommunale Beteiligungsleitlinien, Ansätze zur Wirkungsforschung, Kinder- und Jugendbeteiligung, Bürgerräte, Klimaschutz & Demokratie sowie Initiativen zur Stärkung der Bürgerbeteiligung auf Landesebene.
Veranstaltung: UPJ-Jahrestagung 2022
Im Rahmen der UPJ-Jahrestagung 2022 (23.–24. Mai 2022 in Berlin) setzen sich die Teilnehmer/innen unter dem Motto »Nachhaltige Transformation in unsicheren Zeiten« mit der Frage auseinander, wie Unternehmen, Zivilgesellschaft sowie Politik und Verwaltung die gesellschaftliche Transformation sozial und ökologisch mitgestalten können, und welche Rolle dabei Kooperationen und Partnerschaften über Sektorengrenzen hinweg spielen können.