eNewsletter Nr. 5/2011 (18.03.2011)
Inhalt
- Meldungen aus der Bürgergesellschaft
- Im Fokus: Frauen, Demokratie und Beteiligung
- Publikationen und Veranstaltungen
Meldungen aus der Bürgergesellschaft
Deutscher Bundestag: Anhörung zum Bundesfreiwilligendienst
Die Bundesregierung hat Anfang Februar einen Gesetzentwurf zum geplanten Bundesfreiwilligendienst vorgelegt. Die Einrichtung eines solchen Bundesfreiwilligendienstes wird seitdem von zahlreichen Akteuren aus Politik und Zivilgesellschaft kontrovers diskutiert. Auch der Familienausschuss des Deutschen Bundestages befasste sich Mitte März in einer öffentlichen Anhörung mit dem Thema. Dabei begrüßten die geladenen Expert/innen zwar grundsätzlich den neuen Bundesfreiwilligendienst, äußerten aber zugleich Kritik am vorgelegten Gesetzentwurf. So lehnte eine Mehrheit der Expert/innen das Vorhaben der Regierung ab, die Organisation des Dienstes künftig dem Bundesamt für Zivildienst zuzuordnen. Als problematisch wurde zudem das Miteinander mit bisher bestehenden Freiwilligendiensten eingeschätzt; hier gelte es, Konkurrenzsituationen zu vermeiden. Auch die Regelung, wonach ein Kindergeldbezug während des Bundesfreiwilligendienstes nicht möglich ist, wurde bemängelt. Die Regierungsvorlage trage ferner nicht dazu bei, die Selbstorganisation der Zivilgesellschaft zu stärken und begünstige große Träger. Positiv bewertet wurde, dass der künftige Dienst offen für alle Altersgruppen sein soll. Auch die Festlegung, dass Freiwillige, die älter als 27 Jahre sind, sich wöchentlich für mindestens 20 Stunden verpflichten müssen, wurde befürwortet.
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Der Gesetzentwurf im Wortlaut (PDF)
BUND: Programm für mehr Bürgerbeteiligung
Bereits im Dezember 2010 ist ein Gesetzentwurf des Bundesinnenministeriums zur Vereinheitlichung und Beschleunigung von Planfeststellungsverfahren an die Öffentlichkeit gelangt. Das Gesetz regelt Genehmigungsverfahren, für die der Bund zuständig ist. Das betrifft vor allem die Planung und Genehmigung von Autobahnen, Bundesstraßen, Bergbauvorhaben, Flussausbauten, neuen Kanälen und Bahnstrecken auf Bundesebene. Der Gesetzentwurf sieht vor, den bisher verbindlich vorgeschriebenen öffentlichen Erörterungstermin in das Ermessen der jeweiligen Genehmigungsbehörde zu stellen. Gegen diese Regelung wendet sich nun die Kampagne des BUND. Er kritisiert die geplante Einschränkung der Beteiligungsrechte von Bürgerinnen und Bürgern und hat vor diesem Hintergrund ein 5-Punkte-Programm für mehr Bürgerbeteiligung vorgelegt. Darin fordert der Umweltverband bei Großprojekten eine frühzeitige, ergebnisoffene Bürgerbeteiligung mit offener Alternativenprüfung. Gleichzeitig müsse die Qualität der Bürgerbeteiligung während des behördlichen Genehmigungsverfahrens verbessert und die Bestellung von Ombudsleuten ermöglicht werden. Die BUND-Kampagne kann im Netz unterstützt werden.
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Der Gesetzentwurf im Wortlaut (PDF)
Die Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage von Bündnis90/Die Grünen zum Thema (PDF)
Kampagne gegen Monopole der Saatgutindustrie
Freies Saatgut ist die Grundlage für die Nahrungsmittelproduktion. Weltweit bauen zirka 70 % der Bäuerinnen und Bauern eigenes Saatgut an. Dies ist jedoch längst keine Selbstverständlichkeit mehr. Derzeit befindet sich die EU-Saatgutgesetzgebung in der Überarbeitung. Diesen Prozess versucht die Saatgutindustrie durch massive Lobbyarbeit zu ihren Gunsten zu beeinflussen. Internationale Konzerne sind bestrebt, sich durch die Kontrolle über Saatgut, Gentechnik, Patente auf Pflanzen und Tiere, sowie eine Einführung von Nachbaugebühren eine Vormachtstellung zu sichern. Gegen diese Form des Lobbyismus und die zunehmende Monopolisierung durch die Agrarindustrie setzt sich die Saatgut-Kampagne zur Wehr. Nachdem bereits eine Unterschriftensammlung an den Menschrechtsausschuss des EU-Parlaments übergeben wurde, starten Mitte April Aktionstage zum Thema in Brüssel. Mit Saatgut-Tauschbörsen, Demonstrationen und Vorträgen wollen die Aktivist/innen ihren Forderungen Nachdruck verleihen.
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Studie zur Mehrfachdiskriminierung von ethnischen Minderheiten und Migrant/innen
Die Agentur der Europäischen Union für Grundrechte (FRA) hat in einer Studie ihre Forschungsergebnisse zur Problematik der Mehrfachdiskriminierung veröffentlicht. Demzufolge sind Menschen, die »erkennbar« Minderheiten angehören, wie etwa Roma oder Menschen afrikanischer Herkunft, besonders stark gefährdet, Opfer von Mehrfachdiskriminierung zu werden. Mehrfachdiskriminierung bedeutet, aus mehreren Gründen gleichzeitig diskriminiert zu werden. Neben Alter und Religionszugehörigkeit stellen sozioökonomische Faktoren, wie Armut oder ein geringes Einkommen, weitere entscheidende Ursachen für Diskriminierung dar. Fast die Hälfte (46%) der Personen, die Diskriminierungen erleiden mussten, gehörten gleichzeitig zur einkommensschwächsten Gruppe ihres Landes. Aber auch das Geschlecht spielt eine große Rolle: So sind Frauen im Allgemeinen doppelt so stark gefährdet, Opfer von mehrfacher Diskriminierung zu werden wie Männer.
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Aktionstag für die Rechte von Flüchtlingen
Flüchtlinge haben in Deutschland nach wie vor einen schweren Stand. Neben Residenzpflicht und Arbeitsverbot gehört der erschwerte Zugang zu Bildung und zur Gesundheitsversorung zu ihren Belastungen. Zusätzlich sind sie im Alltag immer wieder Diskriminierungen ausgesetzt. Seit dem Rücknahmeabkommen zwischen Kosovo und Deutschland ist insbesondere die Volksgruppe der Roma von Abschiebungen bedroht. Die Abschiebepraxis trifft oft genug Familien, die bereits seit vielen Jahren in Deutschland leben. Für die Interessen der Flüchtlinge und eine Verbesserung deren Lebensbedingungen werden sich am 22. März diverse Initiativen mit einem bundesweiten Aktionstag einsetzen. Zu den Beteiligten gehören u.a. das Förderprojekt »Alle bleiben!« und die Karawane für die Rechte der Flüchtlinge und Migrant/innen.
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Im Fokus: Frauen, Demokratie und Beteiligung
Die unfertige Demokratie
Trotz aller Fortschritte in Politik und Gesellschaft: Von einer tatsächlichen Gleichstellung von Frauen und Männern kann heute immer noch keine Rede sein. Neben fehlenden gesetzlichen Regelungen stehen beispielsweise nach wie vor bestehende Rollenstereotype der gleichberechtigten Teilhabe von Frauen an der Gestaltung von verfasster Politik, zivilgesellschaftlichem Engagement und auf dem Arbeitsmarkt entgegen. Daraus folgt, dass Frauen allzu häufig ein schier unmöglicher Spagat zwischen Ehrenamt und Politik, Familie und Beruf abverlangt wird. Vor diesem Hintergrund erläutert Henny Engels, Geschäftsführerin des Deutschen Frauenrates, in ihrem Gastbeitrag die zentralen Herausforderungen, denen sich Zivilgesellschaft, Wirtschaft, Politik und Frauenverbände gleichermaßen stellen müssen. Für sie ist klar: unsere Demokratie ist solange unvollendet, wie Frauen nicht die gleichen Möglichkeiten wie Männer haben, ihre Gesellschaft und ihren Staat zu gestalten.
Frauen und Kommunalpolitik
Im Deutschen Bundestag hat sich der Anteil weiblicher Mandatsträgerinnen in den letzten Jahren kontinuierlich erhöht; derzeit sind 204 Frauen als MdBs aktiv, das sind 32,8 Prozent aller Abgeordneten. Diesem positiven Befund steht jedoch die ernüchternde Bilanz auf kommunalpolitischer Ebene entgegen. Hier sind durchschnittlich nur ein Viertel der kommunalen Parlamentssitze von Frauen besetzt, nur etwa 5 Prozent der Rathäuser und Landratsämter werden von Frauen geführt. Was muss also passieren, damit mehr Frauen in der Kommunalpolitik aktiv werden? Dr. Helga Lukoschat, Vorstandsvorsitzende und Geschäftsführerin der Europäischen Akademie für Frauen in Politik und Wirtschaft (EAF), und Uta Kletzing, Leiterin des Bereichs Politik und Verwaltung der EAF, stellen in ihrem Gastbeitrag die Erfolgsfaktoren und Stellschrauben des kommunalpolitischen Engagements von Frauen vor. Nach ihrer Ansicht bedarf es eines übergreifenden Ansatzes, der die unterschiedlichen Handlungsfelder – vom strukturellen Handlungsbedarf in den politischen und vorpolitischen Organisationen und hinsichtlich der Vereinbarkeit von Kommunalpolitik mit anderen Lebensbereichen über die Verbesserung von Daten- und Rechtsgrundlagen bis hin zur Mobilisierung von (Kommunal-) Politiker/innen und Multiplikator/innen für die Gewinnung und Stärkung von Kommunalpolitikerinnen – möglichst integrativ in den Blick nimmt.
Einfach nicht aufgepasst? Streit um die Besetzung einer Enquete-Kommission
Anfang Dezember 2010 hat der Deutsche Bundestag die Einsetzung einer Enquete-Kommission zum Thema »Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität« beschlossen, seit Mitte Januar hat die Kommission ihre Arbeit aufgenommen. Das Anliegen der Enquete-Kommission, das rein ökonomisch und quantitativ ausgerichtete Bruttoinlandsprodukt (BIP) als Messgröße weiterzuentwickeln und um ökologische, soziale und kulturelle Kriterien zu ergänzen, wird seit vielen Jahren nicht nur von Umweltverbänden und der Ökologiebewegung gefordert und unterstützt, sondern auch von Frauenbewegung- und verbänden und der feministischen Ökonomiekritik. Die Bekanntgabe der Kommissionsmitglieder und insbesondere der Sachverständigen zieht nun massive Kritik auf sich: so findet sich keine einzige Frau in einem Sachverständigengremium von 17 Personen. Dr. Alexandra Scheele, Soziologin an der Humboldt Universität Berlin, schildert in ihrem Gastbeitrag den aktuellen Verlauf der Debatte.
Lola für Lulu: Frauen für Demokratie
Das Projekt »Lola für Lulu« richtet sich gezielt an Mädchen und Frauen aus dem Landkreis Ludwigslust in Mecklenburg-Vorpommern. Das Projekt setzt sich in dem zwischen Elbe und Mecklenburgischer Seenplatte gelegenen Landkreis für geschlechtergerechte demokratische Kultur ein und unterstützt Mädchen und Frauen, die sich vor Ort für eine lebendige Demokratie und gegen Rechtsextremismus in dieser Region einsetzen. Die Praxiserfahrungen zeigen: Die überwiegende Mehrheit derjenigen, die sich gegen Rechtsextremismus engagieren, sind Frauen und Mädchen. Deshalb unterstützt das Projekt nicht nur diese Zielgruppe, sondern spricht auch Frauen und Mädchen an, die sich bisher nicht für diesen Bereich interessiert haben. Das Projekt hilft ihnen dabei, gemeinsam mit Gleichgesinnten aktiv zu werden. Anne-Rose Wergin, Leiterin des von der Amadeu Antonio Stiftung geförderten Projekts, stellt im Gespräch mit der Redaktion die Arbeit und die Schwerpunkte von »Lola für Lulu« vor.
Publikationen und Veranstaltungen
Publikation: Kritische Bürgerinnen und Bürger
Ist politische Kritik ein Potenzial oder eine Gefahr für die Weiterentwicklung von Demokratien? Welche Bürgerorientierungen sind ideal für demokratische Entwicklung? Die Autorin untersucht dieses Kernproblem der Demokratieforschung, wobei sie Kritik zweidimensional als Unzufriedenheit und als Kritikbereitschaft definiert. Die Publikation zeigt, dass die Verbreitung von Kritikbereitschaft positive Auswirkungen auf die demokratische Entwicklung hat, während das Ausmaß politischer (Un-)Zufriedenheit keine Effekte zeigt. Die Studie weist nach, dass kritikbereite Bürger/innen als Potenzial für demokratische Entwicklung zu werten sind.
Brigitte Geißel: Kritische Bürger – Gefahr oder Ressource für die Demokratie. 2011, 221 S., 29,90 Euro, ISBN 978-3-593393926
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Publikation: Vereine von Jugendlichen mit Migrationshintergrund
Jugendverbände sind wichtige Sozialisationsarenen für Jugendliche. Wie und wo aber engagieren sich Jugendliche mit Migrationshintergrund, die bisher in den anerkannten Jugendvereinen seltener vertreten sind? Die empirische Studie fragt erstmals nach der Bedeutung von Vereinen von Jugendlichen mit Migrationshintergrund (VJM). Sie untersucht anhand von drei Beispielen die Wünsche, Hoffnungen und Forderungen, die Jugendliche mit Migrationshintergrund mit den Vereinen, aber auch mit dem Leben in Deutschland verbinden. Dabei kann gezeigt werden, dass VJM Arenen der kontingenten Gleichzeitigkeit verschiedener Relevanz- und Bezugssysteme für die Jugendlichen sind. Durch die Synthese verschiedener Praxen der Anerkennung, die auf adoleszenzspezifischen und gleichzeitig migrations- bzw. diskriminierungsrelevanten Faktoren beruhen, können die Vereine den Jugendlichen Räume bereit stellen, die es ihnen ermöglichen, selbstbewusst in der Gesellschaft zu partizipieren.
Birgit Jagusch: Praxen der Anerkennung. »Das ist unser Geschenk an die Gesellschaft« – Vereine von Jugendlichen mit Migrationshintergrund. 2011, 472 Seiten, 49,80 Euro, ISBN 978-3-89974687-7
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Veranstaltungshinweise
Zahlreiche Veranstaltungen sind im Veranstaltungskalender des Wegweisers Bürgergesellschaft zu finden. Besonders hinweisen möchten wir dieses Mal auf:
• 07.-08.05.2011 in Halle: Integrationsförderung durch Elternvereine und Elternnetzwerke. Ein Beitrag von Migrantenorganisationen in Ost- und Westdeutschland
Eine Tagung des Bundesnetzwerkes Bürgerschaftliches Engagement (BBE)
• 27. - 28.05.2011 in Mülheim/Ruhr: Kommune gemeinsam gestalten – Beteiligungsprozesse zwischen Bürger/innen, Wirtschaft und Kommune initiieren, realisieren und managen
Ein Seminar der Stiftung MITARBEIT