eNewsletter Wegweiser Bürgergesellschaft 5/2020 (20.05.2020)
Inhalt
- Meldungen aus der Bürgergesellschaft
- Im Fokus: Migrantenselbstorganisationen und Zivilgesellschaft
- Publikationen und Veranstaltungen
Meldungen aus der Bürgergesellschaft
Schultheater und Demokratieförderung
»Glotzt nicht so romantisch!«: Unter diesem Brecht'schen Motto stellt ein aktuelles Diskussionspapier das demokratiefördernde Potential von Theaterarbeit an Schulen vor. Die Autor/innen schlagen vor, sie als einen wichtigen Baustein der Demokratiepädagogik zu begreifen und sie entsprechend bildungspolitisch aufzuwerten. Das Papier rückt die Frage in den Mittelpunkt, welches kulturelle Fundament ein demokratisches Miteinander benötigt, was Schultheater in dem Zusammenhang beitragen können und wie kulturelle Teilhabe auch als politische (Lern-)Erfahrung gedacht werden kann. Verschiedene Praxisbeispiele zeigen zudem, wie eine erfolgreiche demokratiefördernde Theaterarbeit gelingt und welcher Voraussetzungen sie bedarf.
Das Diskussionspapier im Wortlaut (PDF)
Digitaler Werkzeugkasten für Kulturfördervereine
Kulturfördervereine im ländlichen Raum und engagierte junge Menschen haben einen umfangreichen »Digitalen Werkzeugkasten für Kulturfördervereine« erarbeitet. Mit diesem Angebot stellen sie digitale Anwendungen zur Verfügung, die ehrenamtliche Kulturarbeit im ländlichen Raum erleichtert. Im Netz zeigen die Initiator/innen, welche digitalen Tools es gibt und wie sie sich praxisnah im Rahmen von Vereinsarbeit anwenden lassen. Gleichzeitig erzählen teilnehmende Kulturfördervereine in selbstgedrehten Videos, warum und wie sie sich bürgerschaftlich engagieren, und welchen Stellenwert ihre kulturelle Arbeit für das gesellschaftliche Leben in ihrer Region hat. Der Digitale Werkzeugkasten ist als Modellprojekt in Mecklenburg-Vorpommern gestartet und wird neben anderen durch den Dachverband der Kulturfördervereine in Deutschland umgesetzt.
Bürgerbeteiligung und Corona
Wie steht es um die Bürgerbeteiligung in Zeiten von Corona? Dieser Frage widmete sich das Berlin Institut für Partizipation in einer aktuellen Befragung, an der sich über 1.700 Akteure beteiligt haben. Die Umfrage zeigt, dass die Corona-Pandemie zu einer abrupten Unterbrechung laufender deliberativer Verfahren geführt hat. Dies hat nicht nur aktuelle Auswirkungen, sondern wird die Partizipation in Deutschland aufgrund abgesagter oder verschobener Beteiligungsverfahren auch in der nahen Zukunft negativ betreffen. In zahlreichen Bereichen könnte 2020 zu einem »verlorenen Jahr« für die Bürgerbeteiligung werden.
Die Studie im Wortlaut (PDF)
Zivilgesellschaft ist gemeinnützig: Neues Rechtsgutachten
Wenn sie wollen, haben Bundestag und Bundesrat erhebliche Spielräume, das bestehende Gemeinnützigkeitsrecht zu erweitern: das ist das zentrale Ergebnis eines Rechtsgutachtens, das die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) Anfang Mai 2020 veröffentlicht hat. Damit nimmt die kontroverse Diskussion um die nötige Reform des Gemeinnützigkeitsrechts weiter Fahrt auf. Das Rechtsgutachten hat die politische Betätigung gemeinnütziger Körperschaften untersucht. Demnach gibt es keine verfassungsrechtlichen Grenzen für die politische Betätigung gemeinnütziger Organisationen zugunsten ihrer Zwecke. Auch die Aufnahme politischer Willensbildung als eigener Zweck ins Gesetz ist möglich. Eine Gleichbehandlung zivilgesellschaftlicher Organisationen mit Parteien ist jedoch verfassungswidrig, da zwischen ihnen markante Unterschiede bestehen, etwa die Teilnahme an Wahlen. Das Gutachten kommt zu dem Schluss, dass die politische Betätigung zivilgesellschaftlicher Organisationen weit umfassender möglich ist, als bisher vom Gesetzgeber angenommen.
Das Rechtsgutachten im Wortlaut (PDF)
Studie: Verhältnis von Parteien und organisierter Zivilgesellschaft
Eine aktuelle Studie widmet sich dem ambivalenten Verhältnis von Parteien und organisierter Zivilgesellschaft in Deutschland. Zu Beginn der Bundesrepublik waren die Volksparteien tief in der Zivilgesellschaft verwurzelt. Heute tun sich Parteien und Zivilgesellschaft deutlich schwerer, gesellschaftliche Allianzen zu bilden; die Brücke zwischen den beiden Gruppen ist brüchig geworden. Was bedeutet das für die Demokratie und den gesellschaftlichen Zusammenhalt? Die Autor/innen empfehlen, die Beziehung zwischen den beiden Welten zu erneuern: die Einbindung der Zivilgesellschaft würde den Volksparteien die Möglichkeit eröffnen, sich wieder stärker in der Gesellschaft zu verwurzeln und die eigene gesellschaftliche Bindefähigkeit zu kräftigen. Umgekehrt würde eine enge Zusammenarbeit der organisierten Zivilgesellschaft erlauben, ihre Interessen und Positionen über die Parteien und deren Programmatik langfristig in die politische Landschaft einzubringen.
Die Studie im Wortlaut (PDF)
Studie: Integration von Geflüchteten in ländlichen Räumen
Bei Migration und Integration denken viele zunächst an städtische Phänomene. Mit dem verstärkten Zuzug von Geflüchteten in den letzten Jahren und der 2016 eingeführten Wohnsitzregelung erweitert sich jedoch der räumliche Fokus. Das Forschungszentrum des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) hat deswegen in einer Studie untersucht, wie die Integration von Geflüchteten auch in ländlichen Räumen gelingen kann. Die für eine Integration sowie einen längeren Verbleib in ländlichen Räumen entscheidenden Faktoren hat das Forschungsteam anhand von Interviews mit mehr als 60 Personen in sechs Landkreisen in Niedersachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen, Bayern, Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz identifiziert. Untersucht wurden zentrale Integrationsbereiche wie Wohnen, Bildung, der Zugang zum Arbeitsmarkt, die soziale Integration und das ehrenamtliche Engagement für Geflüchtete.
Die Studie im Wortlaut (PDF)
Im Fokus: Migrantenselbstorganisationen und Zivilgesellschaft
»Wir sind systemrelevant und jeden Schutz wert«: Die Corona-Krise aus feministisch-migrantischer Perspektive
Jede Krise verstärkt ohnehin schon bestehende gesellschaftliche Ungerechtigkeiten und macht diese sichtbarer. Alexandra Vogel, Pressesprecherin der Menschenrechtsorganisation DaMigra e.V., nimmt diese Entwicklung zum Anlass, die Corona-Krise aus einer feministischen und migrantischen Perspektive zu betrachten.
MigraMundi: Aktuelle Perspektiven auf Migrant/innen und Zivilgesellschaft
Der gemeinnützige Wiesbadener Verein MigraMundi fördert als Migrantenselbstorganisation seit zehn Jahren die gesellschaftliche Teilhabe von Migrantinnen und Migranten. Zsuzsanna Dobos de Prada wirft in ihrem Gastbeitrag einen aktuellen Blick auf die Arbeit und die Angebote des Vereins in Corona-Zeiten.
Einwanderungsgesellschaft mitgestalten: Das Projekt samo.fa
Die Unterstützung für Menschen mit Fluchtgeschichte und der Aufbau von Teilhabestrukturen sind seit 2016 Aufgaben des bundesweiten Projekts samo.fa. Dr. Andrés Otálvaro zeigt in seinem Gastbeitrag am Beispiel des Vereins, welchen Beitrag Aktive aus Migrantenorganisationen zur Gestaltung einer demokratischen Einwanderungsgesellschaft leisten.
ndo: Manifest für eine plurale postmigrantische Gesellschaft
Demokratie gibt es nur mit uns: Das ist die Kernaussage des Manifests für eine plurale postmigrantische Gesellschaft, das die »neuen deutschen organisationen« (ndo) im Februar 2020 veröffentlicht haben. ndo ist ein bundesweites Netzwerk von rund 100 Vereinen, Organisationen und Projekten, das sich für mehr Sichtbarkeit, Teilhabe und Chancengerechtigkeit engagiert. Mit dem Manifest machen sie deutlich, dass sich die Stärke einer Demokratie auch am Umgang mit ihren Minderheiten misst. Eine Lösung für das wahrgenommene Demokratieproblem liegt daher auch darin, Migrant/innen, Schwarzen Menschen und People of Color zuzuhören und ihre Erfahrungen und Bedarfe einzubeziehen. Das Manifest formuliert eine Reihe von Forderungen: eine Strategie gegen Rassismus, Rechtsextremismus und andere menschenverachtende Ideologien, ein verbrieftes Recht auf Teilhabe mithilfe eines Partizipationsgesetz sowie Reformen im Wahl- und Staatsangehörigkeitsrecht und im Bildungssystem.
Migrationshintergrund: Wieso, woher, wohin?
Der Begriff des »Migrationshintergrunds« ist umstritten. Im Alltag wird von Migrationshintergrund meistens dann gesprochen, wenn »Ausländer/innen« gemeint sind. Doch 52 Prozent der in Deutschland lebenden Personen mit Migrationshintergrund sind Deutsche, unter den Minderjährigen beträgt ihr Anteil sogar 70 Prozent. Dr. Anne-Kathrin Will, Wissenschaftlerin an der Berliner Humboldt-Universität, setzt sich in ihrem Gastbeitrag mit der Kategorie des Migrationshintergrunds auseinander und zeigt, welche Probleme und Herausforderungen mit dem Begriff verbunden sind.
Publikationen und Veranstaltungen
Publikation: Flüchtlingsaufnahme kontrovers – Einblicke in die Denkwelten und Tätigkeiten von Engagierten
Das Buch beschäftigt sich mit Motiven und Zielen von Engagierten im Rahmen der Flüchtlingsthematik. Die Autor/innen geben Einblicke in die Denkwelten und Tätigkeiten von Engagierten. Sie gehen der Frage nach, warum sich einige Menschen für die Unterstützung von Flüchtlingen engagieren, während andere sich für die Verschärfung der Flüchtlingspolitik einsetzen. Dazu wurden deutschlandweit Interviews mit Engagierten, die unterschiedliche Positionen vertreten, geführt. Die Ergebnisse werden in einem psychologischen Kontext betrachtet. Es wird deutlich, dass verschiedene Strategien für den Umgang mit Unsicherheiten im Zusammenhang mit der Flüchtlingsthematik verwendet werden. Die Befragten eint der Wunsch nach einem fairen Dialog, der allerdings durch negative Erfahrungen und Vorurteile erschwert wird. Neben den offensichtlichen Divergenzen zwischen den beiden gegenübergestellten Engagementorientierungen werden Ähnlichkeiten und auch Dialogmöglichkeiten aufgezeigt.
Christel Kumbruck/Maik Dulle/Marvin Vogt: Flüchtlingsaufnahme kontrovers. Einblicke in die Denkwelten und Tätigkeiten von Engagierten. Baden-Baden 2020, 232 S., 44,00 Euro, ISBN 978-3-8487-6362-7
Publikation: Die Kunst des Miteinander-Redens
Die Autoren analysieren den kommunikativen Klimawandel. Sie zeigen Auswege aus der Polarisierungsfalle und der populistischen Vereinfachungen und entwerfen eine Ethik des Miteinander-Redens, die Empathie und Wertschätzung mit der Bereitschaft zum Streit und zur klärenden Konfrontation verbindet. Anschaulich und mit vielen Beispielen führen sie vor, wie sich Diskussionen und Debatten verbessern lassen und wie die Kunst des Miteinander-Redens zu einer Schule der Demokratie und des guten Miteinander-Lebens werden könnte.
Bernhard Pörksen/Friedemann Schulz von Thun: Die Kunst des Miteinander-Redens. Über den Dialog in Gesellschaft und Politik. München 2020, 224 S., 20,00 Euro, ISBN 978-3-446-26590-5
Veranstaltungshinweise
Zur Zeit werden im Rahmen der aktuellen Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie viele Veranstaltungen abgesagt. Bitte infomieren Sie sich frühzeitig im Internet über die Angebote von zivilgesellschaftlichen Organisationen.
Gerne weisen wir auf digitale Veranstaltungsangebote hin:
15.-19. Juni 2020: Krisen | Zeit! Die Bedeutung von Politik und Kommunikation in Krisenzeiten
Socialsummit 2020 – Eine digitale Themenwoche von neues handeln.
23.-26. Juni 2020: Digitale Engagementkongresswoche 2020
Mit der digitalen Engagementkongresswoche 2020 bietet die NRW-Landesregierung eine Plattform für den landes- und bundesweiten Erfahrungsaustausch zu aktuellen Themen der Engagementförderung.
Webinare »Mittagspause« und »Nachmit-Talk« (fortlaufend)
Angebote der Digitalen Nachbarschaft für Vereine und Engagierte