eNewsletter Nr. 21/2012 (09.11.2012)
Inhalt
- Meldungen aus der Bürgergesellschaft
- Im Fokus: Studien zu Demokratie, Beteiligung und Engagement
- Publikationen und Veranstaltungen
Meldungen aus der Bürgergesellschaft
Handbuch für Bürgerbeteiligung
Das Bundesverkehrsministerium hat wie im Frühjahr angekündigt ein Handbuch für Bürgerbeteiligung bei großen Verkehrsprojekten vorgelegt. Das 100 Seiten starke Buch versteht sich als »Werkzeugkasten« für Akteure, die an Großprojekten beteiligt sind. Es soll nach dem Willen des Ministeriums Behörden und Vorhabenträgern als Leitfaden und den Bürgerinnen und Bürgern zur Information dienen. Das Handbuch stellt die bei Raumordnungs- und Planfeststellungsverfahren gesetzlich vorgeschriebenen Beteiligungsschritte dar und erläutert, wie diese gut durchgeführt und möglicherweise durch zusätzliche Maßnahmen sinnvoll ergänzt werden können. Das »Netzwerk Solidarische Mobilität«, ein bundesweiter Zusammenschluss von Bürgerinitiativen und Aktiven aus Umwelt-, Verkehrs- und Sozialverbänden, kritisiert in einer ersten Stellungnahme das vorliegende Handbuch. Nach Meinung des Netzwerks enthält es lediglich unverbindliche Empfehlungen ändere nichts an der üblichen Planungspraxis. Bürgerbeteiligung ohne Rechtsanspruch auf Transparenz und Mitwirkung sei »eine Farce«.
Kommunen und ihr Einfluss auf politische Orientierungen der Bürger/innen
Nach allgemeiner Auffassung hat das lokale Umfeld in Gemeinden und Kommunen positive Effekte auf die politischen Orientierungen seiner Bürgerinnen und Bürger. Weil die räumliche Nähe intensivere Kontakte mit Politiker/innen ermöglicht, mehr Möglichkeiten der Beteiligung bietet und eine größere Vertrautheit mit dem politischen Prozess erlaubt, trägt die lokale Ebene vermeintlich dazu bei, die Legitimität des politischen Systems zu stärken und das Vertrauen in die Demokratie zu fördern. Eine aktuelle Studie der Universität Mannheim kommt nun zu einem differenzierteren Ergebnis. Demnach haben Gemeinden kaum Einfluss auf die politischen Einstellungen ihrer Bürger/innen. Vielmehr würden die Orientierungen von individuellen Faktoren wie Bildung, Interesse und Alter geprägt. Dass der lokale Kontext auch in kleinen Gemeinden nur eine geringe Rolle spielt, ist für die Mannheimer Forscher eine wichtige Erkenntnis. Sie vermuten, dass sich bei fortschreitender Globalisierung und Europäisierung der Einfluss des lokalen Umfelds auf politische Orientierungen wahrscheinlich noch weiter verringern wird. Dennoch hat nach Meinung der Wissenschaftler die Gemeinde als »Schule der Demokratie« nicht ausgedient; die kommunalen Erfahrungen und Konsequenzen erlebter und mitgestalteter Lokalpolitik blieben für die Bürger/innen weiterhin wichtig, sollten aber nicht überschätzt werden.
RLP: Landesweite Bürgerinitiative zu Kommunalreform gegründet
In Rheinland-Pfalz hat sich eine landesweite Bürgerinitiative gegründet, die sich kritisch mit den Ergebnissen der rheinland-pfälzischen Kommunal- und Verwaltungsreform auseinander setzt. Ziel der Initiative ist es, dass die Wünsche der Gemeinden bei der anstehenden Kommunalreform berücksichtigt werden und es nicht zu Zwangsfusionen kommt. Zugleich sollen die in den Gemeinden durchgeführten Bürgerentscheide von der Landesregierung respektiert werden. Die Kommunal- und Verwaltungsreform gehört zu den politischen Schwerpunkten der rheinland-pfälzischen Landesregierung. Im Zuge der Reform hat das Land in den vergangenen Jahren bereits eine umfangreiche Bürgerbeteiligung mit Bürgerkonferenzen und Planungszellen durchgeführt. Das gesamte Verfahren wurde von der Universität Koblenz-Landau wissenschaftlich begleitet und bewertet.
Preis Politische Bildung 2013
Die besonderen Leistungen, die in der Politischen Bildung erbracht werden, hervorzuheben, sichtbar zu machen und zu würdigen, das ist die Idee des »Preises Politische Bildung«, der 2013 zum dritten Mal vergeben wird. Die diesjährige Ausschreibung prämiert Projekte und Veranstaltungen, die sich grundsätzlich mit dem Politikverständnis in der Gesellschaft wie in einzelnen gesellschaftlichen Gruppen befassen und dabei folgende Fragestellungen thematisieren: Welches Politikverständnis haben wir? In welchen Lebensbereichen spiegelt sich Politik wider? Gibt es Unterschiede in der Haltung zur Politik in den verschiedenen Generationen und/oder Lebenszusammenhängen? Wie kann durch politische Bildungsarbeit das Interesse an Politik gestärkt werden? Der Preis ist mit insgesamt 15.000 Euro dotiert und wird vom Bundesausschuss Politische Bildung vergeben. Bewerbungen sind bis zum 28. Februar 2013 möglich, die Auszeichnung der Preisträger erfolgt im Rahmen der Aktionstage Politische Bildung im Mai 2013.
AWO: Positionsbestimmung zum bürgerschaftlichen Engagement
Die Arbeiterwohlfahrt (AWO) basiert auf vielfältigen Formen des Engagements. Nach eigenen Angaben engagieren sich 375.000 Menschen als Mitglied oder unterstützen durch ihre Mitgliedschaft den im Jahr 1919 gegründeten Wohlfahrtsverband. Hinzu kommen viele Menschen, die sich unabhängig von einer Mitgliedschaft in der AWO konkret ehrenamtlich einbringen. Der AWO-Bundesausschuss hat vor diesem Hintergrund im Sommer eine Positionsbestimmung zum bürgerschaftlichen Engagement in der AWO als Ergebnis eines innerverbandlich breiten Diskussionsprozesses mit haupt- und ehrenamtlicher Beteiligung beschlossen, die jetzt veröffentlich wird. In dem Positionspapier würdigt die AWO bürgerschaftliches Engagement als demokratische Handlung und als Grundlage für eine funktionierende Zivilgesellschaft. Um bürgerschaftliches Engagement zu fördern, bedarf es aber guter Rahmenbedingungen. Dazu zählt das Positionspapier beispielsweise die rechtliche Ausweitung von Partizipationsmöglichkeiten zur Gestaltung bürgernaher Demokratie ebenso wie den Ausbau von engagementfreundlichen Infrastrukturen. Engagementförderung darf nach Ansicht der AWO aber nicht zur Verstärkung sozialer Ungleichheit führen. Mit dem Positionspapier will die AWO insgesamt die vielfältigen Formen des in der AWO stattfindenden Engagements darstellen und den Blick für unterschiedliche Zielgruppen öffnen. Die Positionsbestimmung soll zudem helfen, Diskussionen und Ansätze in der AWO zur Förderung von Engagement zu strukturieren.
Im Fokus: Studien zu Demokratie, Beteiligung und Engagement
Öffentlichkeitsbeteiligung und Umweltmediation bei Infrastrukturprojekten
Welche Ansatzpunkte für eine verbesserte Einbeziehung der Bürgerinnen und Bürger bei großen Infrastrukturprojekten gibt es? Diese Frage steht im Mittelpunkt einer Studie, die das Unabhängige Institut für Umweltfragen (UfU) im Auftrag der Bundestagsfraktion Die Linke erstellt hat. An vielen Beispielen lässt sich aufzeigen, dass die bestehenden formalen Beteiligungsprozesse in Planungsverfahren an ihre Grenzen stoßen. Offensichtlich reicht es den Bürgerinnen und Bürgern, zumindest bei der Planung von großen Infrastrukturprojekten, nicht mehr, ihre Entscheidungsrechte durch den Wahlakt abzugeben. Und danach durch eine als Öffentlichkeitsbeteiligung bezeichnete, aber letztlich im Kern als reine Informationsbeteiligung zu charakterisierende formale Bürgerbeteiligung nicht ernst genommen zu werden. Felicia Petersen, Rechtsanwältin, Mediatorin und eine der Autorinnen der Studie, beschreibt in ihrem Gastbeitrag praxisnahe Auswege aus diesem Dilemma.
Soziale Medien und Bürgergesellschaft
Welche Potentiale liegen für die organisierte Zivilgesellschaft in der Nutzung Sozialer Medien? Eine Studie des Centrum für Corporate Citizenship Deutschland (CCCD) zeigt: Social Media sind eindeutig eine große Chance für die Organisationen des Dritten Sektors. Sie bieten das Potenzial für mehr Vernetzung, mehr und bessere Kommunikation und mehr Transparenz. Mit ihnen lassen sich Stakeholder-Dialoge organisieren, Fundraising-Aktionen koordinieren, Kampagnen lancieren und neue Engagierte finden. Und sie schaffen mehr Chancen, den diskursiven Austausch mit anderen gesellschaftlichen Bereichen zu suchen. Vorraussetzung dafür ist jedoch – dies zeigen die Autoren der Studie, Serge Embacher und Alexandra Härtel, in ihrem Gastbeitrag – dass sich die Entscheidungsträger in Verbänden, Vereinen und sonstigen Organisationen mit Social Media und ihren Potenzialen stärker auseinandersetzen. Nur wer selbst die Chancen des medialen Umbruchs für die eigene Organisation erkannt hat, wird sich ernsthaft und dauerhaft für eine konsequente und strategische Nutzung Sozialer Medien einsetzen und auch entsprechende Ressourcen dafür einplanen.
Demokratie in Deutschland
Die demokratische Zustandsbeschreibung westlicher Demokratien ist durch eine Gleichzeitigkeit unterschiedlicher Entwicklungen geprägt. Den mannigfaltigen Krisensymptomen des demokratischen Systems in der Bundesrepublik stehen aber auch positive Befunde gegenüber: eine lebendige und überwiegend demokratisch gestimmte Zivilgesellschaft oder die große Bereitschaft zu bürgerschaftlichem Engagement und politischer Teilhabe. Diese widersprüchlichen Befunde werfen die Frage auf, ob sich tatsächlich gegenwärtig ein Formwandel der Demokratie vollzieht und ob dieser mit einem demokratischen Substanzverlust einhergeht. Vor diesem Hintergrund hat die Friedrich-Ebert-Stiftung eine Studie zur »Demokratie in Deutschland« veröffentlicht. Darin geben verschiedene Wissenschaftler/innen eine kritische Einordnung der deutschen Demokratie und diskutieren entlang diverser Politikfelder, beispielsweise zu den Themen Partizipation und Engagement, mögliche Handlungsempfehlungen und Alternativen. Ein Vorschlag: Durch eine engere Verzahnung von Staat und Zivilgesellschaft ließe sich zukünftig das Vertrauen in demokratische Entscheidungen verbessern. Dazu wäre es jedoch notwendig, mehr Menschen an Entscheidungen zu beteiligen und neue Kooperationsstrukturen zwischen Staat und Zivilgesellschaft zu schaffen.
Die Studie im Wortlaut (PDF)
Wahlbeteiligung und Wahlabstinenz
Bei der letzten Bundestagswahl war die Wahlbeteiligung mit 70,8% so gering wie niemals zuvor in der Geschichte der Bundesrepublik. Zum Vergleich: im Rekordjahr 1972 beteiligten sich noch 91,1% der Wähler/innen an der Abstimmung. In Nordrhein-Westfalen lag die Wahlbeteiligung bei der Landtagswahl im Mai 2012 bei 59,6%; im bevölkerungsreichsten Bundesland war die Gruppe der Nichtwähler in allen Wahljahren seit 1995 stärker als jede Partei. In Sachsen-Anhalt gingen 2011 nur etwas mehr als die Hälfte aller Wahlberechtigten zur Wahl, bei der Wahl fünf Jahre zuvor waren es lediglich 44,4%. Bei der Europawahl 2009 lag der gesamtdeutsche Durchschnitt mit 43,3 % sogar noch darunter, nie haben sich weniger Menschen an der Wahl zum Europäischen Parlament beteiligt. Diese Stichproben spiegeln einen langfristigen Trend: Auf allen föderalen Ebenen sinkt die Wahlbeteiligung seit ihrem Höhepunkt in den 1970er Jahren. Die Gründe für diesen Abwärtstrend sind allerdings umstritten. Eine aktuelle Studie der Konrad-Adenauer-Stiftung beleuchtet nun den »Mythos der ‚Partei’ der Nichtwähler«. Die Studie analysiert den Typus der Nichtwähler/innen und ihr Verhältnis zu Parteien und Demokratie. Ein überraschendes Ergebnis: in der Regel handelt es sich bei Wahlabstinenz um eine temporäre und nicht dauerhafte Entscheidung. Die These, dass Nichtwähler auch Wähler sind, wird dadurch gestützt, dass nur eine Minderheit von 23 Prozent der Nichtwähler laut Studie von sich behauptet, grundsätzlich nicht zu wählen. Dennoch: Nichtwähler unterscheiden sich deutlich von Wählern. Bei ihnen spielt die Wahl als Ergebnis des Gefühls einer Bürgerpflicht nachzukommen, eine geringere Rolle. Eine Distanz zur Politik und die Einschätzung, keinen Einfluss auf Politik zu haben, sind bei ihnen deutlich häufiger nachweisbar als klassische Protestmotive. Auch ist die Bindung an Parteien bei Nichtwählern schwach ausgeprägt.
Die Studie im Wortlaut (PDF)
Migrant/innen, Politik und Partizipation
Eine neue Studie des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) beleuchtet die politischen Einstellungen und die politische Partizipation von Migrant/innen in Deutschland. Demnach interessieren sich Migrantinnen und Migranten der zweiten Generation ebenso sehr für Politik wie Personen ohne Migrationshintergrund und schätzen ihre politische Kompetenz ähnlich hoch ein. Gleichzeitig identifizieren sich wahlberechtigte Migrant/innen mit den gleichen politischen Parteien wie Deutsche. Die Befunde zu »nicht-elektoralen Partizipationsformen« können die bestehende Annahme, dass Personen mit Migrationshintergrund weniger am politischen Leben teilhaben als Personen ohne Migrationshintergrund, nur teilweise bestätigen. Zudem arbeiten die Autorinnen der Studie heraus, dass Personen mit Migrationshintergrund und deutscher Staatsangehörigkeit außerhalb von Wahlen politisch aktiver sind als Personen mit ausländischer Staatsangehörigkeit. Die Studie ist der zehnte Teil der Reihe »Integrationsreport«, die speziell Daten zum Integrationsgeschehen in Deutschland zur Verfügung stellt.
Die Studie im Wortlaut (PDF)
Publikationen und Veranstaltungen
Publikation: Die Gemeinwohl-Ökonomie
Die gegenwärtigen ökologischen, sozialen und ökonomischen Krisen fordern mutige und entschlossene Visionen und Menschen, die sich an der Entwicklung einer sozial nachhaltigen Zukunft beteiligen. Die Bewegung für eine Gemeinwohl-Ökonomie versteht sich in diesem Sinne als Impulsgeber und Initiator für weit reichende Veränderungen. Auf wirtschaftlicher Ebene entwickelt die Bewegung konkret umsetzbare Alternativen für Unternehmen verschiedener Größe und Rechtsform. Auf politischer Ebene strebt die Bewegung für eine Gemeinwohl-Ökonomie rechtliche Veränderungen mit dem Ziel an, ein bedarfsgerechtes Leben für alle Menschen, Lebewesen und unseren Planeten Erde selbst zu ermöglichen. Auf gesellschaftlicher Ebene ist die Bewegung eine Initiative der Bewusstseinsbildung für Systemwandel, die auf dem gemeinsamen, wertschätzenden Tun möglichst vieler Menschen beruht. Das vorliegende Buch gibt einen leicht zu lesenden Einblick in das alternative Wirtschaftsmodell und macht Mut für ein am Gemeinwohl orientiertes Handeln.
Christian Felber: Die Gemeinwohl-Ökonomie. 2012, 208 S., 17,90 Euro, ISBN 978-3-552-06188-0
Publikation: Einwanderung – Bedrohung oder Zukunft?
Einwanderung als Bedrohung? Die Diskussionen zur erblichen Intelligenz ethnischer Gruppen hat alte Weltbilder in die gesellschaftliche Diskussion zurückgeholt, so auch die Angst vor dem Fremden. Die Debatte darüber nehmen die Autorinnen und Autoren zum Anlass, neben der Frage der Genetik auch die Mythen zu Kriminalität und Integrationsbereitschaft oder zur Schul- und Wirtschaftsleistung von Migrantinnen und Migranten kritisch zu beleuchten. Sie zeigen, dass das eigentliche Integrationsproblem nicht die Migrant/innen selbst sind, sondern der eindimensionale Standpunkt der Gesellschaft.
Andreas Heinz/Ulrike Kluge (Hg.): Einwanderung – Bedrohung oder Zukunft? Mythen und Fakten zur Integration. 2012, 331 S., 29,90 Euro ISBN 978-3-593397597
Veranstaltungshinweise
Zahlreiche Veranstaltungen sind im <link aktuelles termine-und-veranstaltungen _blank>Veranstaltungskalender des Wegweisers Bürgergesellschaft zu finden. Besonders hinweisen möchten wir dieses Mal auf:
• 27. – 28.11.2012 in Weimar: Wie geht es der Demokratie in Europa?
AdB-Fachtagung zu den Demokratiedefiziten in der EU
• 29.11.2012 in Frankfurt: Praxisforum gemeinnütziger Mittler für Corporate Citizenship
Eine Veranstaltung von UPJ – Bundesinitiative Unternehmen: Partner der Jugend