eNewsletter Wegweiser Bürgergesellschaft 9/2015 (20.05.2015)
Inhalt
- Meldungen aus der Bürgergesellschaft
- Im Fokus: Aktuelle Studien II
- Publikationen und Veranstaltungen
Meldungen aus der Bürgergesellschaft
Netzwerkprogramm »Engagierte Stadt«
Das neue Förderprogramm »Engagierte Stadt« stellt keine Projekte in den Vordergrund, sondern lokale Kooperationen zur Weiterentwicklung von Engagementstrukturen in Städten und Gemeinden. Beworben haben sich über 270 Organisationen, davon wurden durch eine Jury nun 55 Städte und Gemeinden für die anstehende Konzeptphase ausgewählt. Die Organisationen entwickeln in den nächsten Monaten zusammen mit Kooperationspartnern vor Ort ein konkretes Konzept für die Weiterentwicklung der Engagementstruktur. Die im September dann endgültig angenommenen Kommunen werden für ihr jeweiliges Konzept bis 2017 gefördert und beratend unterstützt. Dieser innovative Ansatz in der Förderung des Bürgerengagements wird von der Bundesregierung gemeinsam mit fünf großen Stiftungen und einem Unternehmen umgesetzt – auch dies gilt als eine neue Form der Zusammenarbeit.
Engagement von Unternehmen und Stiftungen in der sozialen Quartiersentwicklung
Die soziale Quartiersentwicklung ist für die Bewältigung gesellschaftlicher Herausforderungen durch den demografischen und gesellschaftlichen Wandel von großer Bedeutung. Insbesondere regional tätige Unternehmen und Stiftungen können im Rahmen ihres sozialen Engagements wichtige Beiträge zur Verbesserung der Lebensbedingungen von Menschen in benachteiligten Stadtvierteln leisten. Bislang sind Unternehmen und Stiftungen in diesem Bereich aber kaum eingebunden. Welche Chancen aus einer besseren und systematischen Kooperation zwischen Unternehmen und Stiftungen und sowie den Kommunalverwaltungen und regionalen Akteuren entstehen und welche Rahmenbedingungen hierfür erfüllt sein müssen, thematisiert das Positionspapier des Beirates des Forschungsprogramms »Experimenteller Wohnungs- und Städtebau« des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung.
Baden Württemberg: Website für ehrenamtliche Flüchtlingshilfe
Angesichts der großen Hilfsbereitschaft und vielfältigen Initiativen im Engagement mit Geflüchteten hat das Land Baden-Württemberg nun eine eigene Online-Plattform zur Flüchtlingshilfe freigeschaltet. Sie dient der Unterstützung wie auch der Wertschätzung der Arbeit ehrenamtlich Aktiver in der Flüchtlingsarbeit. Neben Informationsangeboten und weiterführenden Kontaktdaten in Baden-Württemberg werden auch Arbeitshilfen erstellt und online verbreitet. Ein eigener Newsletter bietet monatlich aktuelle Neuigkeiten, Tipps für die Arbeit und das Engagement mit Geflüchteten oder Berichte über beispielhafte ehrenamtliche Projekte.
Act Now: Jugendliche fordern mehr Beteiligung
Mitte Mai stellten junge Erwachsene im Alter von 14 bis 18 Jahren die Ergebnisse des J7-Jugendgipfel in Berlin vor und übergaben ihr Positionspapier an Bundeskanzlerin Merkel. Der Gipfel ist offizieller Teil des Dialogs mit der Zivilgesellschaft anlässlich des Treffens der Staats- und Regierungschefs der führenden Industrienationen Anfang Juni in Deutschland. Ziel des Jugendgipfels ist es, jungen Menschen eine Stimme zu geben und der Öffentlichkeit und den Entscheidungsträgern die Meinung der nachwachsenden Generation zu den drängenden Zukunftsfragen nahe zu bringen. 54 Jugendliche haben dort die Resolution zur Initiative »Act Now: Youth Involvement« erarbeitet, die die Erwartungen an die führenden Industrienationen zur Lösung globaler Probleme formuliert. Zusätzlich zu den vier Themen, die beim G7-Treffen bereits auf der Tagsordnung stehen, haben die Jugendlichen aus insgesamt 19 Nationen dieses Thema selbst entwickelt: Sie fordern Maßnahmen, die die Jugendbeteiligung in Entwicklungs- und Industriestaaten stärken. Jungen Menschen soll die Möglichkeit gegeben werden, sich in politischen Prozessen Gehör zu verschaffen und Lösungsmöglichkeiten für soziale und politische Probleme zu entwickeln. Eine weltweite Kommunikationsinitiative, an der sich Kinder und Jugendliche beteiligen können, soll diese Ziele voranbringen.
TAB: Bürgerbeteiligung und Energiewende
Das Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB) beschäftigt sich in einer aktuellen Veröffentlichung mit verschiedenen relevanten technischen Aspekten sowie den Beteiligungsmöglichkeiten beim Umbau der Stromnetze vor dem Hintergrund der Energiewende in Deutschland. Dabei kommen nicht nur die konkreten technischen und gesellschaftspolitischen Herausforderungen des Netzausbaus zur Sprache. Ein Artikel befasst sich zum Beispiel mit der allgemeinen philosophischen Fundierung von Partizipation und bietet damit eine Grundlage für die Analyse ganz verschiedener Ausgangspositionen zum Thema. Die TAB-Projekte »Handlungsmöglichkeiten für Kommunikation und Beteiligung beim Stromnetzausbau« sowie »Moderne Stromnetze als Schlüsselelement einer nachhaltigen Energieversorgung«, die momentan zum Abschluss gebracht werden, stellen hier ihre Ergebnisse vor und bieten damit Einblicke, die nicht nur für Akteure aus den jeweiligen Themenbereichen interessant sind.
Im Fokus: Aktuelle Studien II
Smarte Partizipation?! Zum Verhältnis von Politik und Bürgerbeteiligung
Politische Entscheidungen können heute nicht mehr jenseits der Öffentlichkeit gefällt, Großprojekte nicht mehr ohne Einbindung der verschiedenen Anspruchsgruppen realisiert werden. Als Reaktion darauf suchen Politik und Wirtschaft nach neuen Wegen der politischen Steuerung und Kommunikation. Während Erstere sich darin versucht, einen neuen, dialog- und beteiligungsbasierten Politikstil zu etablieren, versuchen Behörden, Verbände und Unternehmen mit Leitfäden, Handbüchern und Richtlinien die existierenden formellen Beteiligungsverfahren im Rahmen von Planungs- und Zulassungsverfahren durch frühe und mehr Öffentlichkeitsbeteiligung zu verbessern. Die Entwicklungen im Infrastrukturbereich stehen im Fokus der von der DialogGesellschaft veröffentlichten Studie »Smarte Partizipation?! Warum es noch kein Erfolgsmodell für Beteiligung und Dialog gibt«. Doch wie weit möchten politische Entscheider/innen sich den Bürger/innen öffnen, wie viel Öffentlichkeitsbeteiligung wünschen sie sich oder wollen sie zulassen? Indre Zetzsche, Business Direktorin für den Bereich Dialogkommunikation und frühe Öffentlichkeitsbeteiligung bei Johanssen + Kretschmer, stellt in ihrem Gastbeitrag die wichtigsten Ergebnisse und Befunde der Studie vor.
Studie: Großprojekte in Deutschland
Öffentliche Großprojekte stehen zunehmend im kritischen Fokus der Bürgerinnen und Bürger. Vielerorts werden beispielsweise komplexe Infrastrukturprojekte bereits im Vorfeld kritisch auf ihre Sinnhaftigkeit und Kostenstruktur geprüft; aber auch nach Baubeginn entzünden sich Proteste der Bürgerinnen und Bürger allzu häufig an schlechter Planung und massiv gestiegenen Baukosten. Viel deutet darauf hin, dass in diesem Zusammenhang Bürgerbeteiligung eine wichtige Rolle spielen kann, um gemeinsam mit Politik, Verwaltung und Vorhabenträgern eine transparente und ressourcenschonende Planung und Umsetzung zu gewährleisten. Wieso das nötig ist, zeigt eine aktuelle Studie der Hertie School of Governance. Ein Team von Wissenschaftler/innen hat untersucht, wie sich die Kosten der von öffentlicher Hand geplanten Großprojekte in Deutschland entwickeln. Diese werden demnach im Durchschnitt 73 Prozent teurer als geplant. Dabei zeigen sich große Unterschiede zwischen den verschiedenen Infrastruktursektoren. Während sich Projekte in den Bereichen Verkehr und öffentliche Gebäude durchschnittlich um 33 bzw. 44 Prozent verteuern, schlagen Energieprojekte mit 136 und IT-Projekte gar mit 394 Prozent ihres angesetzten Budgets zu Buche. Der Sektor Rüstungsbeschaffung nimmt mit durchschnittlich 87 Prozent Kostensteigerung pro Projekt einen Platz im Mittelfeld ein. Die Forscher/innen erklären Fehlkalkulationen unter anderem mit Defiziten im Entscheidungs-, Planungs- und Steuerungsprozess. Die Studie hat 170 in Deutschland seit 1960 realisierte Großprojekte untersucht. Die Studie umfasst auch drei detaillierte Fallstudien: zum neuen Berliner Großflughafen, zur Hamburger Elbphilharmonie sowie zu fertiggestellten Offshore-Windparks.
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Studie: Wahlergebnisse sozial nicht mehr repräsentativ
Laut aktuellen Untersuchungen der Bertelsmann-Stiftung zur Wahlbeteiligung in Deutschland setzt sich der Negativtrend fort: Wahlergebnisse sind in Deutschland sozial nicht mehr repräsentativ. Nachdem sich bereits bei der Analyse der Wahlbeteiligung bei den Bundestagswahlen 2013 und den diesjährigen Bürgerschaftswahlen in Hamburg deutlich abzeichnete, dass bürgerliche Milieus in Wahlergebnissen überrepräsentiert sind, wird diese Entwicklung nun durch eine Studie zu den Wahlen in Bremen bestätigt: Je prekärer die Lebensverhältnisse in einem Ortsteil oder Wahlbezirk, desto geringer ist die Wahlbeteiligung. Die Wahlbeteiligung in Bremen 2015 war die niedrigste in einem westdeutschen Bundesland seit den ersten Landtagswahlen im Jahr 1946. Die sinkende Wahlbeteiligung in Deutschland geht messbar einher mit einer sozialen Spaltung der Wählerschaft. Dies wird besonders durch Sozialindikatoren wie Arbeitslosigkeit in den jeweiligen Ortsteilen deutlich. Außerdem erreichen alle Parteien in den Nichtwähler-Hochburgen im Vergleich zum Landesdurchschnitt nur noch 30 bis 60 Prozent der Stimmenanteile. Die Verankerung der Parteien in diesen Ortsteilen und ihr Zugang zu den dort lebenden Milieus erodiert. Gleichzeitig finden Bürgerinnen und Bürger, die in prekären Verhältnissen leben, in den Parlamenten immer weniger Gehör. Die Folge: Die Wahlbeteiligung wird sozial selektiver. Dies spiegelt sich letztlich auch in den Wahlergebnissen wider.
Studie: Darstellung von Migration und Integration in Schulbüchern
Bildungseinrichtungen sind zentrale Orte für gesellschaftliche Integration und Teilhabe. Den Bildungsraum Schule stellt die wachsende Heterogenität und Vielfalt in Klassenzimmern jedoch vor besondere Herausforderungen. Laut Mikrozensus von 2010 haben bereits 33 Prozent aller Kinder und Jugendlichen bis 15 Jahre einen Migrationshintergrund. Interkulturelle Bildung und Erziehung in der Schule spielen deshalb eine immer wichtigere Rolle. Aber auch die Inhalte von Schulbüchern müssen dieser Entwicklung gerecht werden. Doch wie geeignet sind die vorhandenen Schulbücher für die Umsetzung von »diversitätssensibler Bildung«? Dieser Frage geht eine Studie nach, die im Auftrag der Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration entstanden ist. Die Studie analysiert die Darstellung von Migration und Integration in ausgewählten aktuell zugelassenen Schulbüchern der gesellschaftswissenschaftlichen Fächer Sozialkunde, Politik, Geschichte und Geografie. Der Fokus der Studie liegt auf den Schwerpunkten »Diversity« und »Partizipation«. Die Untersuchung zeigt, dass in den analysierten Schulbüchern die Problematisierung von Migration gegenüber der Darstellung von Diversität als Normalfall überwiegt. Migration wird »primär als konfliktträchtig und krisenhaft« dargestellt; Ansätze eines differenzierten Umgangs mit dem Thema Migration lassen sich nach Ansicht der beteiligten Wissenschaftler/innen auch in Schulbüchern neuerer Generation kaum finden. Als Ausweg schlagen die Forscher/innen vor, die Themen Migration und Integration in »ausgewogener und multiperspektivischer Weise« aufzugreifen und Schulbücher zu produzieren, die »migrationsbedingte Vielfalt als Normalität widerspiegeln« und deren »Chancen für die Gesellschaft in den Mittelpunkt stellen«. Ferner sei es unerlässlich, dass Lehrerinnen und Lehrer »diversitätskompetent« agieren und lernen, medienkritisch mit Schulbüchern und anderen Unterrichtsmaterialien umzugehen.
Die Studie im Wortlaut (PDF)
Publikationen und Veranstaltungen
Publikation: Das Freiwillige Soziale Jahr im politischen Leben
Seit nunmehr 50 Jahren gibt es die Institution des Freiwilligen Sozialen Jahres in Deutschland. Jugendliche und junge erwachsene Schulabgänger können sich so in vielerlei Form engagieren. Eine besondere Variante des FSJ stellt das Freiwillige Soziale Jahr im politischen Leben (FSJ-P) dar. Der Autor untersucht dieses Format konsequent aus der Perspektive der Freiwilligen. Wie erleben sie diesen Dienst? Verändert er ihr Politikverständnis? Fördert er ihr bürgerschaftliches Engagement und vermittelt er ihnen weiterführende Kompetenzen?
Wersig, Tim: Für mich und für andere.Das Freiwillige Soziale Jahr im politischen Leben aus der Perspektive der Freiwilligen. Marburg 2015, 215 S., 19,95 Euro, ISBN 978-3-8288-3497-2
Publikation: Occupy in Deutschland
Plötzlich war sie mit ihren Zelten da: Die Occupy-Bewegung formierte sich 2011 scheinbar über Nacht, besetzte weltweit öffentliche Plätze und protestierte gegen Bankenmacht. Auch in Deutschland entstanden Occupy-Gruppen, die teils mehrmonatige Camps in den Stadtzentren errichteten. Von hier aus sollte sich ihr Protest entfalten – offen, basisdemokratisch, vielstimmig. Was bewegte die Aktivisten und wie blickten sie auf Politik, Staat und Gesellschaft? Wie organisierten sie sich? Und was könnte von Occupy bleiben? Anhand von Beobachtungen, Interviews und Diskussionsrunden mit Occupyern eröffnet der Autor in der Studie des Göttinger Instituts für Demokratieforschung einen materialreichen Blick auf das junge und kaum erforschte Protestphänomen.
Geiges, Lars: Occupy in Deutschland. Die Protestbewegung und ihre Akteure. Bielefeld 2014, 376 S., 33,99 Euro, ISBN 978-3-8376-2946-0
Veranstaltungshinweise
Zahlreiche Veranstaltungen sind im Veranstaltungskalender des Wegweisers Bürgergesellschaft zu finden. Besonders hinweisen möchten wir dieses Mal auf:
25.06.2015 in Mainz: Politik mit Bürgern - Politik für Bürger. Praxis und Perspektiven einer neuen Beteiligungskultur
Eine Fachtagung der Staatskanzlei Rheinland-Pfalz
03.-04.07.2015 in Magdeburg: Vorstandsarbeit mit Gewinn und Freude: Aufgaben und Zusammenarbeit von Vereinsvorständen
Ein Seminar der Stiftung Mitarbeit