Methodenbeschreibung

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Kurzcharakteristik

Systemisches Konsensieren ermöglicht Entscheidungen, die von allen Beteiligten unterstützt und getragen werden. Das Konzept wurde von den Systemanalytikern Erich Visotschnig und Siegfrid Schrotta entwickelt. Systemisches Konsensieren bezeichnet den systematischen Prozess, unter einer Vielzahl an Lösungsmöglichkeiten den Vorschlag auszuwählen, der den geringsten Widerstand (und äquivalent die höchste Übereinstimmung) auslöst. Neben neuen Vorschlägen wird auch der Status Quo die »Passivlösung« in die Abstimmung mitaufgenommen. Anders als bei der Mehrheitswahl, stimmen die Beteiligten nicht mit Ja, Nein oder Enthaltung ab, sondern mit dem Grad des eigenen empfundenen Widerstandes. Dieser wird auf einer Skala von 0 (=kein Widerstand) bis 10 (heftiger Widerstand) angeben. Anschließend werden die abgegebenen Stimmen für die einzelnen Lösungen summiert und ausgewertet.

Das Systemische Konsensieren wird oftmals mit dem »Weg des geringsten Widerstandes« gleichgesetzt. Dabei betrifft der Widerstand nicht die Ebene der Umsetzung einer Entscheidung. Im Systemischen Konsensieren befindet sich der Widerstand auf der Gefühlsebene der Beteiligten. Er wird in diesem Entscheidungsverfahren nicht negativ, sondern als wertzuschätzender Entscheidungsfaktor gesehen und respektiert. Es ist also durchaus möglich, dass die Umsetzung eines Vorhabens komplex und unbequem sein kann, weil sie nur einen geringen emotionalen Widerstand auslöst.

Erich und Volker Visotschnig stellen in ihrem Gastbeitrag die Methode und ihre Herausforderungen praxisnah vor.

Zum Gastbeitrag im eNewsletter Wegweiser Bürgergesellschaft 12/2020

Entscheidungsprozess im Systemischen Konsensieren

In der Praxis kommt es häufig vor, dass eine Entscheidung nur knapp mit Zustimmung gewinnt. Die Beteiligten, die gegenteilig abstimmten, distanzieren sich von der Entscheidung und sind nicht immer bereit sie mitumzusetzen. Über Gewinner/in und Verlierer/in wird häufig in diesen Abstimmungen entschieden. Dem wirkt das Systemische Konsensieren entgegen. Alle Beteiligten vereint die ablehnende Haltung des Widerstandes. Das Systemische Konsensieren gibt keine Antworten vor und erleichtert es den Beteiligten sich selbst auf dem Spektrum von 0 bis 10 Punkten wiederzufinden.

Zusammenfassend zeichnen sich die Entscheidungen des Systemischen Konsensierens durch folgende Besonderheiten aus:

  • sie wirken konfliktlösend
  • sie sind durch gleichberechtigte Beteiligte getroffen und
  • erzeugen die größte Zustimmung und Umsetzung in und durch die Beteiligten
  • sie aktivieren die Beteiligten über die Entscheidung hinaus auch zur Lösungssuche und
  • sind demokratisch legitimiert.
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Durch die sukzessive Suche nach dem gemeinsamen Nenner der Beteiligten, weist die Methode vielfach Parallelen zum »Konsensprozess« auf. Bei beiden Methoden werden ähnliche methodische Stufen durchlaufen bis die Entscheidung erfolgt. Im Konsensprozess entscheiden die Beteiligten jedoch durch vorformulierte Antworten von »Veto« bis hin zu »Vorbehaltlose Zustimmung«.

Seite 2: Methodische Stufen

Methodische Stufen des Systemischen Konsensierens

Schritt 1: Problem erkennen und definieren

Am Anfang wird ein Problem benannt und vorliegende Informationen mitgeteilt, damit alle Beteiligten den gleichen Kenntnisstand besitzen. Spezifisches Fachwissen wird bei dieser Methode nicht vorausgesetzt, da es um Gewinnung der unterschiedlichen Perspektiven und um Ermutigung zur kreativen Problemlösung der Beteiligten geht. Mit dem vorliegenden Grundwissen werden die Beteiligten aufgefordert einzeln Lösungen zu erarbeiten, die das Problem adressieren.

Schritt 2: Lösungen erarbeiten & Passivlösung hinzufügen

Jeder Lösungsvorschlag wird in die Abstimmung aufgenommen. Es wird an dieser Stelle weder kritisiert noch bewertet, was die Beteiligten erarbeitet haben. Gibt es inhaltlich übereinstimmende Lösungen, so werden diese zu einem Vorschlag zusammengefasst. An dieser Stelle wird auch die »Passivlösung« zur Abstimmung gestellt. Die Passivlösung beschreibt dabei den Status-Quo, also die Lösung das alles so bleibt wie es ist.

Bevor es zur Bewertung der Beteiligten kommt wird der Grenzwert festgesetzt. Dieser beschreibt, bis zu welchem Wert eine Lösung für die Beteiligten tragbar erscheint. Im Regelfall gibt das Ergebnis der Passivlösung den Wert automatisch vor und liegt zumeist zwischen den Punkten 0 und 4. Er kann aber auch von den Beteiligten selbst bestimmt werden. Anschließend werden die Lösungen zur Bewertung durch die Beteiligten freigegeben.

Schritt 3: Bewertung der Lösungen durch Beteiligte

Die Beteiligten bewerten jeden Vorschlag einzeln mit den Punkten 0-10. Dabei wählen sie die »0« für einen Vorschlag, dem sie zweifelsfrei zustimmen und »10« für einen Vorschlag, den sie vollumfänglich ablehnen, der also den größten Widerstand auslöst. Alle Werte zwischen 0 und 10 werden nach Bauchgefühl entschieden und auf einer Bewertungsmatrix festgehalten. (Abb. 1).

Schritt 4: Öffentliche Auswertung der Bewertungen

Im vorletzten Schritt werden die Bewertungsergebnisse für jeden Vorschlag und für alle Beteiligten sichtbar summiert und durch die Anzahl der Teilnehmenden geteilt dargestellt. Die Lösungsvorschläge, die in der erstellten »Rangliste« die höchste Anzahl an Punkten erreichen, werden direkt ausgeschlossen. Wurde der Grenzwert zuvor nicht selbst bestimmt, wird die Passivlösung betrachtet. Ihr Wert gibt nun an, welche Vorschläge ebenfalls nicht berücksichtigt werden. Als Beispiel: Die Passivlösung erhält einen Widerstandswert von 4 Punkten, dann werden alle Lösungen mit den Punkten 0-4 ebenfalls ausgeschlossen.

Schritt 5: Ergebnis ermitteln

Die Auswertung hat den gefühlsmäßigen Widerstand der Beteiligten zu den einzelnen Vorschlägen gezeigt. Die Lösung, die den geringsten Widerstandswert aufweist wird als Ergebnis festgehalten. Gelegentlich kann es bei der Auswertung vorkommen, dass zwei oder mehr Entscheidungen eine ähnlich geringe Punktanzahl aufweisen, dann wird unter ihnen erneut konsensiert.

Zudem kann es vorkommen, dass einige Beteiligte den gewählten Lösungsvorschlag negativ (10 Punkte) bewertet haben. An dieser Stelle sollte interveniert und den Beteiligten Raum gegeben werden ihren Widerstand zu äußern. Zumeist reicht es an dieser Stelle den Betroffenen, wenn ihr Widerstand wahrgenommen und respektiert wird.

Seite 3: Anwendungsbereiche / Organisation / Stärken und Schwächen

Anwendungsbereiche

Durch seine Flexibilität sowie Kompatibilität bietet das Systemische Konsensieren eine Anwendung in verschiedenen Kontexten und mit verschiedenen Altersgruppen. Beispielsweise im schulischen Bildungsbereich können Grundschülerinnen und Grundschüler durch die Methode abstimmen. Am besten eignet sich hierfür eine Bewertungsskala von 0-5 statt 0-10.

Es ist sowohl möglich die Abstimmung online via Videokonferenz-Software als auch in Präsenz durchzuführen.

Organisation, Anzahl der Teilnehmer/innen, Zeitraum

Für die Durchführung in Präsenz wird eine Tafel, Pinnwand oder Flip-Chart benötigt, die die Abstimmungsergebnisse für alle einsehbar macht. Bei einer anonymen Abstimmung bietet es sich an Abstimmungsmatrixen auf Papierzetteln vorzubereiten. Daneben werden Stifte benötigt und Papier, um die Vorschläge zu notieren und ebenfalls gut sichtbar für alle darzustellen.

Das Systemische Konsensieren kann mit einer beliebigen Anzahl Teilnehmerinnen und Teilnehmern durchgeführt werden. Die Dauer variiert je nach Gruppengröße.

Stärken und Schwächen

Pro Contra
  • Das Systemische Konsensieren bietet mehr Vielfalt und Ausdrucksmöglichkeit der eigenen Entscheidung
  • Konsens ist schneller erreichbar als in Diskussionsrunden
  • Es ist ergebnisoffen
  • Es ist sowohl Online und in Präsenz umsetzbar und
  • auf viele Anwendungsfelder- und Kontexte anzuwenden
  • Systemisches Konsensieren ermutigt zum Perspektivwechsel
  • Systemisches Konsensieren unterliegt der Suche nach dem Negativ-Konsens
  • Es eignet sich weniger für Entscheidungen, für die anschließend eine Einzelperson Verantwortung trägt
  • Es bedarf mehr Zeit als reine Abstimmungsprozesse
  • Systemisches Konsensieren führt unter Umständen nicht zur bestmöglichen Entscheidung für das bestehende Problem

Literatur

  • Paulus, G., Schrotta, S., & Visotschnig, E. (2011): Systemisches KONSENSIEREN: Der Schlüssel zum gemeinsamen Erfolg. Holzkirchen: Danke-Verlag.
  • Visotschnig, Erich (2018): Nicht über unsere Köpfe. Wie ein neues Wahlsystem die Demokratie retten kann. München 2018, oekom-Verlag 196 S., 20,00 Euro, ISBN 978-3-96238-021-2