Praxisbeispiel Universitätsstadt Gießen

Universitätsstadt Gießen

Das Bürgerpanel als Teil eines »Multichannel-Beteiligungskonzepts«

Im Zuge der Planungen der Landesgartenschau 2014 in Gießen fand ein intensiver Bürgerbeteiligungsprozess statt. Als dieser schon weit fortgeschritten war, sammelte sich eine breite Protestbewegung und initiierte zwei Bürgerbegehren gegen die Ausrichtung der Landesgartenschau.

Grundtenor: Das Event sei zu teuer und ein zu großer Eingriff in die Natur.

Zum Bürgerentscheid kam es zwar nicht, die Fristen waren bereits verstrichen. Allerdings blieb ein schaler Nachgeschmack: Wie sollte künftig erreicht werden, dass sich Bürger/innen rechtzeitig angesprochen fühlen und sich mehr Menschen beteiligen? Wie kann verhindert werden, dass sich die Stadtgesellschaft in wichtigen Fragen spaltet? Wie sollten angesichts dieser Erfahrungen künftig langfristige Planungen erfolgen?

Ein paar Erfahrungen zeigten, dass neue Wege gesucht werden mussten: Infolge der Debatte um die Bürgerbegehren zur Landesgartenschau war ein Online-Dialog-Forum eingerichtet, das rege genutzt wurde (7.600 Besuche, ca. 100.000 Seitenaufrufe, 1.100 Kommentare und 430 Fragen).

Dies markierte den ersten Schritt in eine neue Richtung der Beteiligung und Kommunikation. Verwaltung und Politik waren intensiv beteiligt, jede Frage wurde innerhalb von spätestens drei Tagen beantwortet. Besonders die Rolle der Bürger/innen bei den Planungen zur Landesgartenschau wurde intensiv und sehr kontrovers diskutiert.

An die Politik wurden gegensätzliche Forderungen laut: Einerseits »den durch Wahl erworbenen politischen Auftrag« umzusetzen und zu regieren, andererseits »endlich für echte Beteiligung« zu sorgen und die Bürger/innen direkt entscheiden zu lassen.

Tipp

Am Ende des Prozesses war sichtbar: Politik und Verwaltung wussten zu wenig darüber, was Bürger/innen in ihrer Gesamtheit erwarten und diese wissen nicht, was sie im Gegenzug erwarten können. Man kennt sich zu wenig.

Als die Stadt vor der Frage stand, ob sie sich – wie viele andere Städte – angesichts eines hartnäckigen Haushaltsdefizits einem ebenso harten Konsolidierungskurs unterwerfen sollte, um Landesmittel zur Entschuldung aus dem Hessischen Schutzschirmgesetz zu erhalten, wollte die Stadt neue Wege gehen. So sollte mit einem Bürgerpanel ein neues Beteiligungsmodell zur Anwendung kommen, das Bürger/innen aktiv anspricht und damit auch zu breiterer Beteiligung anregt.

Ziele

Informationen und Beteiligungsangebote sollten breiter angelegt werden, damit mehr Menschen erreicht werden.

Tipp

Ziele waren: mehr Transparenz und weniger Barrieren.

Beteiligung sollte nicht spalten und polarisieren, sondern den Zusammenhalt in der Gemeinschaft stärken. Bürgerbeteiligung sollte deshalb, so die Überzeugung, ein Dialog zwischen den Gruppen Politik, Verwaltung und Bürgerschaft werden.

Neues Beteiligungsverfahren

Im Falle der Diskussion um die Haushaltskonsolidierung kam ein Methodenmix aus einem Bürgerpanel – mit einer geschlossenen und einer offenen Befragung – in Kombination mit einem Online-Dialog zur Anwendung. Im Ergebnis ermöglichte dieser Mix eine für alle nachvollziehbare, offene Diskussion. Die Ergebnisse der Beteiligung wurden in Veranstaltungen, sowie online und per Newsletter kommuniziert.

Die Befragung erzielte eine hohe Beteiligungsquote (ca. 1.000 Bürger/innen) und ein repräsentatives Ergebnis. Rund 1.000 Einzelvorschläge für Einsparungen/Einnahmen gingen ein. Am Online-Dialog beteiligten sich 2.500 Besucherinnen und Besucher, es gab 11.600 Seitenaufrufe.

Die Wahl verschiedener Kanäle, einerseits repräsentative Befragung, andererseits offene Beteiligungs- und Diskussionsplattform, hat bewirkt, dass eine Gesamtschau möglich wurde:

Was ist den Menschen wichtig, was schützenswert, was entbehrlich?

Die Diskussionen um die Frage, wie die Stadt künftig sparen oder neue Einnahmen erzielen kann, wurde versachlicht und bereichert. Auf allen Ebenen des politischen Handels wurden die Befragungsergebnisse interessiert aufgenommen. In Teilen flossen diese in die folgenden Konsolidierungsschritte ein, in Teilen konnten die gewählten Vertreter/innen der Stadt der Mehrheit der Bürger/innen nicht folgen. Sie taten dies aber – und dies war neu – im Wissen darum und deshalb auch in großem Bemühen, Erklärungen zu geben und Rechenschaft abzulegen.

In den 2015 beschlossenen Leitlinien für eine strukturierte Bürgerbeteiligung und der Bürgerbeteiligungssatzung sieht Gießen vor, regelmäßig repräsentative Bürgerpanels durchzuführen.

Links

Bürgerbeteiligung und Leitlinien zur strukturierten Bürgerbeteiligung in Gießen: www.giessen.de/Rathaus_und_Service/Bürgerbeteiligunghttps://www.giessen.de/Rathaus_und_Service/B%c3%bcrgerbeteiligung
Beteiligungsportal giessen-direkt.de