Methodenbeschreibung

Seite 1: Methode

Der Runde Tisch ist ein Beteiligungsverfahren, das sich bei seiner praktischen Ausgestaltung unterschiedlicher Methoden bedienen kann. Er steht für die gleichberechtigte Teilhabe der Beteiligten, die miteinander im Dialog eine von allen Seiten getragene Lösung finden. Im Idealfall ist sein Ergebnis von großer Verbindlichkeit, da alle Betroffenen aktiv beteiligt waren.

Spätestens seit den Umbrüchen in Osteuropa Ende der 1980er Jahre haben sich Runde Tische bei der Suche nach Lösungen für komplexe und/oder konfliktreiche gesellschaftliche Fragestellungen etabliert. Überall, wo heute ein umstrittenes Thema öffentliche Wahrnehmung erfährt, ist der Ruf nach einem Runden Tisch nicht weit. Ob in Institutionen, etwa zu Mobbing und Gewalt in einer Schule, oder auf lokaler bis hin zur nationalen Ebene, etwa bei der Aufarbeitung der Fälle von sexuellen Missbrauch in Deutschland, der Runde Tisch scheint dafür besonders geeignet zu sein.

Eher Organisationsform als Methode

Es handelt sich dabei weniger um eine Beteiligungsmethode im eigentlichen Sinn, sondern vielmehr um eine Organisationsform, die sich bei ihrer praktischen Ausgestaltung unterschiedlicher Methoden bedienen kann.

Die Faszination des Runden Tischs hängt wesentlich mit der bestechenden Einfachheit des verwendeten Bildes zusammen. Der Runde Tisch bietet für viele Platz. Keiner muss an einer unbequemen Ecke sitzen. Von jedem Platz aus kann alles überblickt und mit jedem ein direkter Blickkontakt aufgenommen werden. Und alle sind gleich, denn es gibt kein oben und unten, keine schmale Stirnseite für den Vorsitz und kein Podium. Damit steht der Runde Tisch für die gleichberechtigte Teilhabe der Beteiligten, die miteinander im Dialog eine von allen Seiten getragene Lösung finden.

Tipp

Im Idealfall ist sein Ergebnis von großer Verbindlichkeit, da alle Betroffenen aktiv beteiligt waren.

Soweit das Bild und die damit verbundenen Assoziationen. In der Praxis allerdings kommt mancher Runde Tisch über den bloßen Austausch der Standpunkte nicht hinaus. Allein auf die Kraft des Bildes und die Organisationsform zu vertrauen, reicht also nicht aus. Auch der Runde Tisch bedarf einer Struktur, die das Potenzial des Bildes zur Entfaltung bringt.

Anwendungsfelder

Ein Runder Tisch als Organisationsform macht überall dort Sinn, wo verschiedene Institutionen und Positionen zu einem Thema zusammengebracht werden sollen und die Gesamtheit der Teilnehmenden zu gemeinsamen Lösungen kommen soll.

Ein Runder Tisch kann daher zu (fast) allen Themen eingerichtet werden. Ob es um die Erarbeitung eines Leitbildes für eine nachhaltige Stadtentwicklung, ein Marketingkonzept für eine Region oder um ein neues Verkehrskonzept geht, ob die Sauberkeit in der Innenstadt oder konkrete Aktionen zur Gewaltprävention auf der Agenda stehen: Am Runden Tisch lassen sich diese und andere gesellschaftlich relevanten Themen bearbeiten.

Dennoch gibt es notwendige Einschränkungen, die weniger vom Thema selbst als vielmehr vom jeweiligen Kontext abhängen. Bei uni- oder bilateralen Konflikten bedarf es in der Regel keines Runden Tisches. Fehlt die Ergebnisoffenheit, weil vorher schon fest steht, was herauskommen muss, macht er ebenfalls wenig Sinn. Bei langwierigen und festgefahrenen Konflikten genügt es meist nicht, die Beteiligten an einen Tisch zu bekommen. Hier bedarf es Verfahren der Konfliktregulierung in Form der Mediation, die jedoch, wie beispielsweise beim Mediationsverfahren zum Ausbau des Frankfurter Flughafens, auch die Organisationsform des Runden Tischs (in diesem Fall in Gestalt des Regionalen Dialogforums) nutzen können (Wörner 2003).

Zielsetzung

Je nach Themen- und Aufgabenstellung kann der Runde Tisch unterschiedliche Ziele verfolgen.

Bei Energie-Tischen (Meister 2000) und Familien-Tischen (Wüst 2006) steht die Projektorientierung im Vordergrund. Ein auf 20 bis 30 Personen beschränkter Teilnehmerkreis ermittelt Projektideen, erarbeitet Umsetzungskonzepte und geht die ersten Schritte der Realisierung. Lokale Ressourcen werden mobilisiert, fachliche Kompetenzen gebündelt und vernetzt sowie durch neue Kooperationen innovative Lösungen gefunden.

In Lokalen Agenda 21-Prozessen sind Arbeitsauftrag, Themen und Akteure komplexer. An Agenda-Tischen gehen Leitbilderarbeitung und Projektorientierung Hand in Hand. Entscheidend ist, dass sich alle Teilnehmenden auf gemeinsame Ziele einigen und diese in Übereinstimmung mit den Zielsetzungen der Initiatoren stehen.

Initiiert ein kommunales Gremium einen Runden Tisch, um herauszufinden, welche Probleme es beim Thema Verkehr gibt und wie Lösungen aussehen könnten, erwartete es kein ausgearbeitetes Verkehrskonzept, über das nur noch abgestimmt werden muss.

Tipp

Letztlich geht es bei einem Runden Tisch immer darum, die (Fach-)Kompetenz aller Beteiligten in einen produktiven Dialog zu bringen.

Seite 2: Umsetzung

Teilnehmerauswahl und -ansprache

Weit verbreitet, aber wenig effektiv ist die öffentliche Einladung. Nur in wenigen Fällen schafft die Zufallszusammensetzung die notwendige Legitimation. Bei der Vorbereitung eines Runden Tisches sollte daher eine Analyse der für das jeweilige Thema relevanten Akteure am Anfang stehen. Neben der direkten Ansprache durch eine persönliche Einladung ist es bei einzelnen Akteursgruppen sinnvoll, vorbereitende Gespräche zu führen. So kann bereits im Vorfeld die Akzeptanz für den Prozess ermittelt werden. Auch lassen sich auf diesem Weg eventuelle Vorbehalte abbauen oder weitere wichtige Akteure ermitteln.

Wichtige Aspekte bei der Umsetzung

Es schadet einem Beteiligungsprozess sehr, wenn die Teilnehmenden das Gefühl haben, über den Austausch von Positionen nicht hinauszukommen. Zu den Erfolgsfaktoren von Beteiligungsprozessen allgemein gehört deshalb eine fachlich versierte und möglichst neutrale Begleitung. Dies gilt auch für den Runden Tisch.

Methodische Kompetenz bringt Ziel- und Ergebnisorientierung in den Prozess und hilft den Teilnehmenden, sich auf ihre Rolle als Expert/innen und damit auf die Inhalte zu konzentrieren. Nicht bewährt hat es sich, wenn einer der Prozessbeteiligten die Moderation übernimmt, da die Trennung zwischen eigener Position und neutraler Gestaltung des Prozesses meist nicht gelingt. In der Kommune vorhandene Kompetenzen lassen sich dabei aber durchaus nutzen, wenn die Personen über die notwendige Akzeptanz bei den Beteiligten verfügen, entsprechende Erfahrungen mit Dialogprozessen mitbringen und keine Eigeninteressen durchsetzen müssen.

Da der Runde Tisch sein Potenzial aus der Heterogenität der Teilnehmenden und der Unterschiedlichkeit ihrer Interessen zieht, sind Konflikte ganz natürlich und liefern vielfach die Energie für einen produktiven Prozess. Entscheidend dafür ist eine professionelle Bearbeitung, die von der fachlichen Begleitung ein entsprechendes Repertoire an Moderations-, aber auch Mediationstechniken und Prozesserfahrung verlangt.

Tipp

Für den Prozess und seine Ergebnisse ist es wichtig, dass es gelingt, zumindest die wichtigsten Akteure im jeweiligen Themenfeld zu mobilisieren.

Fehlen beim Thema Kinderbetreuung Fachkräfte und Träger von Betreuungseinrichtungen oder bei der Erarbeitung eines Verkehrskonzeptes Automobilclubs und Verkehrsbetriebe, wird die Verbindlichkeit der Ergebnisse nicht sonderlich groß, die Frustration bei den Beteiligten aber umso höher sein.

Über welche Legitimation verfügt der Runde Tisch?

Was passiert mit seinen Ergebnissen?

Diese und ähnliche Fragen stellen sich viele der Beteiligten zu Recht. So mancher Runde Tisch hat zwar gut und produktiv gearbeitet, musste dann aber feststellen, dass die politischen Gremien zwischenzeitlich Fakten geschaffen haben, durch die die Ergebnisse Makulatur wurden. Oder die Ergebnisse wurden in Ausschüssen so lange diskutiert und so umfassend überarbeitet, dass am Ende nur wenig von den ursprünglichen Ideen übrig geblieben war.

Am Anfang eines Runden Tisches sollte daher ein klares Bekenntnis der Entscheidungsgremien zu dem Prozess stehen. Dabei ist zu empfehlen, nicht nur die Zustimmung einzuholen, sondern Erwartungen und Befürchtungen der Entscheidungsträger/innen aufzunehmen.

In vielen Beteiligungsprozessen kommt es durch ungeklärte oder falsche Erwartungen bei den Entscheidungsträger/innen aber auch bei den Teilnehmenden des Prozesses zu vermeidbaren Konflikten.

Schon in den ersten Sitzungen sollte geklärt werden, wie sich Zusammenarbeit und Informationsaustausch zwischen Rundem Tisch, Politik und Verwaltung gestaltet und welche Bindungswirkung die Ergebnisse haben sollen. Dies beugt Missverständnissen vor und steigert die Qualität des Gesamtergebnisses.

Organisatorischer Rahmen

Auf den ersten Blick paradox, aber in der Praxis bewährt: Der Runde Tisch kommt meist ganz ohne Tische aus.

Es sollten ansprechende und großzügige Räumlichkeiten gewählt werden, die einen Wechsel zwischen Plenum und Kleingruppenarbeit ohne störende Umbauten ermöglichen.

Um die Kreativität und das Potenzial der Teilnehmenden nutzen zu können, sollten Moderationsmaterialien (Moderationswände, -koffer, und -papier) zur Verfügung stehen.

Pausengetränke und ein kleiner Imbiss sind eine gern angenommene Geste, die die Teilnehmer/innen ebenso zu schätzen wissen wie eine klare inhaltliche und zeitliche Struktur für die erfahrungsgemäß drei- bis vierstündigen Treffen.

Einladungen und Dokumentationen sollten den Teilnehmenden zeitnah mit allen relevanten Informationen zur Verfügung stehen. Dies mögen Banalitäten sein angesichts der Gewichtigkeit der Inhalte. Doch sind es oftmals gerade solche Kleinigkeiten, die das Klima des Prozesses nachhaltig beeinflussen können.

Damit sind auch schon einige Kostenfaktoren benannt: Räumlichkeiten, Verpflegung, Arbeitsmaterialien, Erstellung und Versand von Einladungen und Protokollen.

Soll der Prozess von professionellen Moderatoren begleitet werden, sollten dafür frühzeitig die Kosten ermittelt werden. Sind Moderatoren vorhanden, kann der Einbezug externer Fachleute zur Begleitung und Weiterqualifizierung der Moderatoren sinnvoll sein.

Runde Tische als Lernorte der Wissensgesellschaft

Die Anzahl Runder Tische ist nicht zwangsweise ein Gradmesser für mehr Demokratie. Im Gegenteil kann das Gefühl der Ohnmacht in Beteiligungsprozessen zukünftige Beteiligung schwächen und dem Vertrauen in die politischen Institutionen schaden. Daher sollte auch der Runde Tisch auf das Fundament einer soliden Vorbereitung gestellt werden.

Er ist weder ein Allheilmittel noch ist die Organisationsform selbst ein Garant für einen Erfolg. Bewusst eingesetzt und im Sinn der beschriebenen Anforderungen gestaltet, bietet er die Chance, die Qualität von Entscheidungen zu steigern sowie soziales Kapital aufzubauen und zu nutzen. Konflikte können durch die Stärkung einer Kultur des Dialogs besser reguliert und in manchen Fällen auch vermieden werden.

Der Erfolg dieser Beteiligungsform darf daher nicht nur an den erreichten Ergebnissen hinsichtlich des gestellten Themas gemessen werden, vielmehr müssen Beteiligungsprozesse auch als neue Lernorte verstanden werden (Gohl/Wüst 2008). Gerade im kommunalen Kontext ist es bei der Gestaltung der Familien- und Bildungspolitik unerlässlich, dass Betroffene zu Beteiligten werden (Seehausen/Wüst 2012).

Der Runde Tisch ist damit, ganz im Sinn des eingangs erläuterten Bildes, ein Ort der Begegnung, der direkten Kommunikation und des Lernens. Auf dem Weg in die Bürgergesellschaft ist er damit ein Möbelstück mit Zukunft.

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Literatur

  • Fischer, Annett/Hänisch, Dagmar/Pinkepank, Thorsten (1999): Energie-Tische zum Klimaschutz – Erfolg durch Zusammenarbeit. Berlin.
  • Gohl, Christopher/Wüst, Jürgen (2008): Beteiligung braucht Wissen – Beteiligung schafft Wissen. In: Vetter, Angelika (Hrsg.): Erfolgsfaktoren lokaler Bürgerbeteiligung. Wiesbaden, S. 259–280.
  • Meister, Hans-Peter/Pinkepank, Thorsten (2000): Kommunikation und Kooperation als Schlüsselstrategien für den Klimaschutz: Energie-Tische der »Bundesweiten Kampagne zur CO2-Vermeidung bei Kommunen und Verbrauchern«. In: Brickwedde, Fritz (Hrsg.): Energie im 21. Jahrhundert: Potentiale, Handlungsfelder, Strategien/5. Internationale Sommerakademie St. Marienthal. Osnabrück, S. 117–134.
  • Schmidpeter, René/Wüst, Jürgen (2005): Kommunale Familientische. Praxisleitfaden. Veröffentlichung des Bayerischen Staatsministeriums für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen, München.
  • Seehausen Harald/Wüst, Jürgen (2012): Familien- und Bildungspolitik als Gegenstand der Politikberatung: Erfolgsfaktoren auf dem Weg zur bildungsfreundlichen Kommune. In: Kalicki, Bernhard / Wehrmann, Ilse/Wüst, Jürgen (Hrsg.): Familien- und Bildungspolitik im Wandel. Eine Zwischenbilanz. Berlin, S. 89–97.
  • Wörner, Johann-Dietrich (Hrsg.) (2003): Das Beispiel Frankfurt Flughafen – Mediation und Dialog als institutionelle Chance. Dettelbach.
  • Wüst, Jürgen/Pfeiffer, Marc H. (2002): Konfliktmanagement in lokalen Beteiligungsprozessen. In: Haus, Michael (Hrsg.): Bürgergesellschaft, soziales Kapital und lokale Politik. Opladen, S. 167–187.
  • Wüst, Jürgen (2006): Der kommunale Familien-Tisch – von der Politik für Familien zur Politik mit Familien. In: Schmidt, Nora (Hrsg.), Handbuch kommunale Familienpolitik. Berlin, S. 128–133.