Praxisbeispiel Gut zusammen leben in Wien – die Wiener Charta

Das Vorzeigeprojekt Wiener Charta wurde von der Stadt Wien im März 2012 als europaweit erstes Projekt dieser Art ins Leben gerufen. Dabei stand das Zusammenleben in der Großstadt Wien im Mittelpunkt und wie man dieses verbessern kann. Das Bürger/innenbeteiligungsverfahren verband klassische Gesprächsrunden und Online-Beteiligungsformate und mündete nach sieben Monaten in der Erstellung der Wiener Charta.

Ziel des Dialogprozesses

Ziel des Projektes war es, möglichst viele Bürger/innen Wiens in den Diskurs zu den Fragestellungen »Wie wollen wir zusammenleben?« und »Was kann jede/r einzelne dafür tun, um das Zusammenleben in Wien zu verbessern?« aktiv einzubinden. Über den Charta-Prozess sollten die Menschen miteinander ins Gespräch kommen und damit Bewusstsein für soziale Themen und für das Gelingen eines konstruktiven Miteinanders geschaffen werden.

Offener Dialog rund um das Zusammenleben

Die Stadt Wien entschied sich bewusst dafür, die Themen für die Charta nicht vorzugeben. Die teilnehmenden Wiener/innen sollten selbst bestimmen, was für sie hinsichtlich eines guten Miteinanders in ihrer Stadt wichtig ist. Die Stadt stellte den Rahmen und die nötigen Ressourcen für die Bürger/innenplattform zur Verfügung. Die Website http://charta.wien.gv.at wurde eingerichtet, die das zentrale Informations- und Kommunikationsmedium für den Prozess sein sollte. Das Charta-Büro koordinierte alle Projekt­aktivitäten.

Um Transparenz, Offenheit und Glaubwürdigkeit des Charta-Prozesses zu stärken, wurde ein unabhängiger Beirat eingerichtet, der unter anderem die Einhaltung der Grundregeln der Charta garantierte und in strittigen Fragen konsultiert wurde. Die Mitglieder des Beirats spiegelten die Breite der Wiener Gesellschaft wider, kamen aus unterschiedlichen beruflichen Bereichen (Wirtschaft, Jugendarbeit, Journalismus, Hausbesorger/Betriebsrat, Soziales) und verfügten über große Lebens- und Berufserfahrung in Bezug auf das Zusammenleben unterschiedlicher gesellschaftlicher Gruppen.

Online und Offline – Phasen des Beteiligungsprozesses

Themensammlung: 19. März bis 1. April 2012

In der ersten Phase konnten alle Wiener/innen ihre Themen für ein besseres Zusammenleben online und per Telefon einbringen. Mitarbeiter/innen des Charta-Teams übertrugen die per Telefon eingebrachten Beiträge ins Forum der Online-Plattform. Auch auf unterschiedlichen Veranstaltungen wurden Vorschläge gesammelt, welche ebenfalls ins Online-Forum aufgenommen wurden. Die 1.848 Themen wurden vom Charta-Beirat zu drei Hauptthemen mit insgesamt sieben Unterthemen zusammengefasst. Wünsche an die Politik und/oder die Verwaltung waren nicht Teil der Charta. Es ging allein darum, wie die Wiener/innen in Zukunft zusammenleben wollen und was jede und jeder Einzelne dafür tun kann, um das Zusammenleben in Wien zu verbessern.

Charta-Gespräche: 13. April bis 14. Oktober 2012

Die Themen, die in der ersten Phase gesammelt worden waren, konnten in der zweiten Phase diskutiert werden. Überall in Wien fanden Charta-Gespräche statt – angestoßen und organisiert von Institutionen, Vereinen, Unternehmen und engagierten Einzelpersonen. 325 Unternehmen und Organisationen veranstalteten als Partner/innen die Charta-Gespräche mit jeweils 8-12 Personen. Interessierte meldeten sich zur Gesprächsinitiierung über die Website oder per Telefon, Raum und zwei externe Moderator/innen wurden von der Stadt Wien über das Charta-Büro bereitgestellt. Die Moderator/innen fassten anschließend die Gesprächsergebnisse zusammen und machten das Protokoll auf der Online-Plattform öffentlich zugänglich.

Online-Diskussion: 28. September bis 14. Oktober 2012

Zu allen gesammelten Themen und Gesprächsergebnissen der bis zu dem Zeitpunkt stattgefundenen Charta-Gespräche konnte online diskutiert werden. Die Ergebnisse online wie offline bildeten die Grundlage für den Charta-Text.

Veröffentlichung: 27. November 2012

Die Anliegen der Bürger/innen wurden in Hauptaussagen zusammengefasst und in die Wiener Charta aufgenommen, welche am 27. November 2012 veröffentlicht wurde. Der Charta-Text kann auf www.charta.wien.gv.at nachgelesen und als Plakat in 6 Sprachen heruntergeladen werden.

Resümee – die Charta leben

Rund 10.000 Wiener/innen haben sich an dem Projekt beteiligt und mehr als 12.500 Stunden in die Erarbeitung der Charta investiert. In 651 Charta-Gesprächen in allen Bezirken Wiens und mehr als 2.000 Online-Beiträgen wurde über das Zusammenleben in Wien diskutiert. Das daraus entstandene Plakat gibt Antworten auf Fragen des Zusammenlebens, über Haltungen, Verhaltensweisen und Werte, die in Wien gelebt werden.

»Respekt« fällt nicht vom Himmel, sondern muss sich im Alltag bewähren. Deshalb geht der Prozess weiter. Drei Jahre nach dem Prozess der Wiener Charta lud die Stadt Wien auf Initiative von Stadträtin Sandra Frauenberger wieder dazu ein, an Charta-Gesprächen teilzunehmen oder selbst ein Gespräch zu organisieren. In allen Bezirken Wiens fanden zwischen Mai und September 2015 insgesamt 23 Charta-Gespräche statt. Damit sich Neuankömmlinge in Wien besser zurechtfinden, wurden 2016 und 2017 Charta-Gespräche über das Zusammenleben in Wien in Flüchtlingsunterkünften organisiert.

Die Wiener Charta erhielt das »Best Practice Certificate« des »European Public Sector Award« (EPSA) für innovative Projekte der öffentlichen Verwaltungen auf EU-Ebene und von Frankreich den Prix Territoria Europe 2013, mit dem Innovation, Übertragbarkeit und effizienter Umgang mit Steuermitteln gewürdigt wurden.

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