Praxisbeispiel Aktiv im Kiez

Planning for Real im Sprengelkiez in Berlin-Wedding

»Planning for Real – bei uns heißt das ›Aktiv im Kiez‹«: Mit diesen Worten umschreiben Bewohner/innen des Sprengelkiezes in Berlin-Wedding ihr engagiertes Wirken für das eigene Wohnumfeld.

Der Sprengelkiez ist ein Wohngebiet mit überwiegender Altbausubstanz und niedrigem Wohnstandard, in dem rund 16.500 Einwohner/innen leben. Vielfalt ist Normalität, Bewohnerinnen und Bewohner aus vielen Kulturen und Ländern haben hier ihren Wohn- und Arbeitsort. Ein hoher Anteil der Bevölkerung ist erwerbslos und auf Transferleistungen angewiesen. Trotz geringer Kaufkraft gibt es im Stadtteil viele verschiedene Einzelhandelsgeschäfte, viele davon sind im gastronomischen Bereich angesiedelt.

In diesem Kiez begannen Bewohner/innen, Mitarbeiter/innen des Kommunalen Forum Wedding e.V., eine Studierendengruppe der TU Berlin und Kirchenmitglieder 1994 das erste Mal mit Hilfe des Planning for Real-Verfahrens in Deutschland zu arbeiten.

Für die erste Erprobung des Verfahrens gab es keinen offiziellen Auftrag. Die Initiator/innen verfolgten die selbst gesetzte Zielsetzung, mit anderen Bewohner/innen gemeinsam Entwicklungsmöglichkeiten für den Stadtteil auszuloten. Die Arbeit mit dem Verfahren wurde als Teil einer Nachbarschafts- und Gemeinwesenarbeit gesehen, die das Engagement der Bewohner/innen zur Veränderung ihres eigenen Umfeldes fördern sollte.

Unter dem Motto »Arbeitsplätze für mehr Lebensqualität im Stadtteil« wurde 1989 der Verein Kommunales Forum Wedding e.V. gegründet. Zielsetzung des Vereins ist es, die Zusammenarbeit zwi­schen Bewohner/innen, Vertreter/innen aus Politik und Verwaltung, dem lokalem Gewerbe und Einrichtungen im Bezirk zu fördern.

Aktiv im Kiez – Engagement der Bewohner/innen

Im Mittelpunkt des ersten gemeinsamen Treffens der Initiativgruppe standen das gegenseitige Kennenlernen und ein Austausch über die Themen im Stadtteil. Bereits bestehende Kontakte zu Bewohner/innen und zu Vertreter/innen verschiedener Einrichtungen im Bezirk erleichterten den Start und waren eine Grundvoraussetzung für die erfolgreiche Durchführung des Verfahrens.

Ein Teil der Anwesenden reagierte zu Beginn skeptisch auf die Idee, andere Bewohner/innen in den gemeinsamen Prozess mit einzubeziehen. Ein anderer Teil der Gruppe einigte sich jedoch rasch darauf, als nächsten Arbeitsschritt den Modellbau anzugehen. Diese Tatkraft zog den skeptischen Teil der Gruppe mit.

In der Folge wurden vier Wochen lang fast jeden zweiten Tag »öffentliche Bautermine« in der Kirche des Stadtteils angeboten. Ein Modell des Stadtteils nahm fortan bei allen Arbeitsschritten immer einen zentralen Platz ein. Zum Teil ist es vorgekommen, dass beim Modellbau Nachbar/innen »ihr« Modellstück mit nach Hause nahmen, um dort allein, in der Familie oder mit anderen Nachbar/innen weiterzubauen. Äußerungen von Bewohner/innen, die ihr Haus oder ihre Straße noch nicht im Modell vorfanden, wurden zum Anlass genommen, das Modell zu erweitern. Bis zum Schluss des Verfahrens (Aktionsplan) umfasste der Umfang des Modells ca. 3,5 x 5,5 Meter, im Maßstab von ca. 1:300.

Die einzelnen Modellteile mit einem Bollerwagen zum jeweiligen Präsentationsort im Stadtteil zu rollen, erzeugte große Aufmerksamkeit. An zehn verschiedenen Orten im Stadtteil wurde das Modell gezeigt. Mit seiner Größe war es ein konkreter Blickfang für alle vorbeigehenden Nachbar/innen.

Für die Initiativgruppe und die neu dazu gekommenen Bewohner/innen erforderte es jedoch auch Mut und Offenheit, sich mit dieser auf den ersten Blick ungewöhnlichen Arbeitsform öffentlich zu präsentieren. Das Modell bot viele Anknüpfungspunkte für ein gemeinsames Gespräch mit Interessierten. Viele erzählten, wie lange sie schon im Kiez wohnten und was sich seitdem verändert hatte. Nach einiger Zeit wurden Probleme und Schwierigkeiten im Alltag thematisiert. Manchem Nachbarn war das selbst organisierte Vorgehen der Gruppe fremd, andere waren froh und dokumentierten mit der Aussage »Endlich passiert hier mal was.« ihre breite Zustimmung. Erste Ideen und Veränderungsvorschläge wurden eingebracht.

Die Auswertung der Nachbarschaftshilfebögen zeigte, dass die Menge der angebotenen Hilfen die der nachgefragten bei weitem übertraf. Zu Beginn wurden die Bögen ohne Angabe von Namen und Adresse ausgefüllt, um das grundsätzlich vorhandene Potenzial aufzeigen zu können.

Unerwartet erschien zu einem Treffen ein bis dahin noch unbekannter Bewohner mit einem mit Namen und Adresse ausgefüllten Bogen und fragte, »wann es denn losgehen« könne. Dieses Engagement überzeugte die anderen, Angebote von und Nachfragen zu Hilfeleistungen mit Namen und Adressen aufzunehmen.

Als zu bearbeitende Themen wurden immer wieder der Durchgangsverkehr, die mangelnden Grünflächen und die ungenügende Ausstattung mit sozialer Infrastruktur angesprochen. Bei der Ereignisveranstaltung wurden ca. 200 Vorschläge auf das Modell gelegt.

Im Laufe des Prozesses entwickelte sich dann eine aus Initiator/innen und Nachbar/innen bestehende Gruppe. Diese Gruppe entschied sich gemeinsam, die Stadtteilarbeit unter dem gemeinsamen Motto »Aktiv im Kiez« weiter zu verfolgen und an der Umsetzung von Projektideen zu arbeiten.

Im Jahr 1994 zeigte sich dieses Engagement in einer Bandbreite sowohl von einmaligen Aktionen und Aktivitäten (wie Begrünungsaktionen oder themenbezogenen Kiezspaziergängen), als auch in dem langfristig angelegten Aufbau von Projekten wie einem Seniorenhilfsdienst oder der Eröffnung eines ersten Nachbarschaftsladens als gemeinsamen Treffpunkt für Bewohner/innen und im Besonderen für Senioren/innen im Kiez.

Auch bei der Weiterentwicklung von Aktionen wurde das Stadtteilmodell zur Hilfe genommen. So konnte z.B. ein Stadtteilspaziergang zur Situation der Hinterhöfe mit Hilfe des Modells vorbereitet werden. Alle Anwesenden hatten anhand von vorbereiteten Fähnchen (»Positiv-Beispiel« und »Negativ-Beispiel«) die Möglichkeit, diese anhand des Modells an den jeweiligen Ort zu platzieren. Aufgrund der Vogelperspektive konnte ein schneller Überblick über die Verteilung dieser verschiedenen Fähnchen geschaffen und ein möglicher Verlauf für den Kiezspaziergang entwickelt und vereinbart werden.

Im Jahr 1999 nahm im Sprengelkiez/Sparrplatz das sog. »Quartiersmanagement« seine Arbeit auf. Zu Beginn der Arbeit wurde eine Aktivierende Befragung in Verbindung mit dem Stadtteilmodell durchgeführt. Auf der Grundlage von Gesprächen mit Bewohner/innen (unter dem Motto »Im Kiez tut sich was – Sie sind gefragt!«) wurden von Juni bis Oktober 1999 erneut mehr als 350 Gespräche auf der Straße geführt. Das Modell bewährte sich wieder als Anziehungspunkt, mit dem Themen des Stadtteils konkret erfasst und gegenseitig gezeigt werden konnten. Die Gespräche machten erneut sichtbar, dass viele Bewohner/innen ein großes Interesse an ihrer Nachbarschaft haben. Bewohner/innen unterschiedlichen Alters und aus verschiedenen Lebens- und Arbeitsbereichen gründeten schließlich 2002 den Verein »Aktiv im Kiez«, um Anwohner/innen aus dem Sprengelkiez einen organisatorischen Rahmen für Aktivitäten zu geben.

Externer Link

Ende 2016 endete das Quartiersmanagement im Sprengelkiez. Die ausführliche Darstellung des Quartiers ist im Netz unter www.sparrplatz-quartier.de weiterhin zu finden. Die Website wird seit August 2017 nicht mehr aktualisiert.

Heute leben Menschen unterschiedlicher sozialer, ethnischer und kultureller Herkunft im Stadtteil. In fast allen Teilen der Bevölkerung zeigen sich vielfältige Einzelaktivitäten, Aktivitäten von selbstorganisierten Gruppen, von formalisierten Gruppen und neu gegründeten Organisationen.

Es gibt eine große Bandbreite des gewachsenen Engagements: Neben der seit 1994 erscheinenden Stadtteilzeitung »der Kiezbote« werden über eine regelmäßige Rundmail und ein Fotoalbum Informationen zu Aktionen und Veranstaltungen im Stadtteil veröffentlicht.

Eine besondere Aktion ist der von Bewohner/innen durchgeführte »Lebendige Adventskalender«: In der Vorweihnachtszeit öffnet für den Zeitraum von 24 Tagen für jeden Tag eine andere Wohnung oder Einrichtung mit einer besonderen Aktion die Türen für gemeinsame Begegnungen.

Als besondere Einrichtungen im Stadtteil zu nennen sind die Konfliktagentur, die stadtteilbezogene Mediationen anbietet, und das Lotsenprojekt, eine kostenlos und mehrsprachig arbeitende Anlaufstelle von und für Menschen nicht-deutscher Herkunft.

Zur Unterstützung des Gewerbes im Stadtteil wurde ein Marketingkonzept mit einem Infoleitsystem unter dem Motto »Original aus dem Sprengelkiez« entwickelt. Neben dem Verein »Aktiv im Kiez« laden unterschiedliche Gruppen (wie z.B. Schulfördervereine, Elterninitiativen, Quartiersrat, Bürgertreff, Förderverein der Kirche) zum Mitmachen im Stadtteil ein.

Neben diesen sehr stark von den Bewohner/innen ausgehenden Aktivitäten haben die Mitarbeiter/innen des Kommunalen Forum Wedding e.V. Entwicklungen im Stadtteil seither kontinuierlich weiter unterstützt, sei es bei der Vorbereitung der Gründung der Stadtteilgenossenschaft, beim Aufbau des interkulturellen Gemeinwesenzentrums oder bei vielfältigen Aktivitäten zur Begleitung von Arbeitssuchenden in das Erwerbsleben.

Fazit

Die Arbeit mit Planning for Real hatte eine grundlegende und impulsgebende Funktion für die Stadtteilarbeit im Sprengelkiez. Sichtbar wurden die vielfältigen Perspektiven der Bewohner/innen auf ihren Kiez.

Durch das Verfahren konnten vielfältige Kontakte zu Bewohner/innen und zwischen Akteuren im Stadtteil ermöglicht werden. Die Arbeit mit dem Verfahren zeigte, dass sich Bewohner/innen auf unterschiedliche Art und Weise, in verschiedenen Bereichen und für unterschiedliche Themen im Stadtteil engagieren, wenn es einen Rahmen dafür gibt.

Dafür sind verschiedene Begegnungs-»Räume« notwendig, die Begegnungen und gemeinsames Handeln ermöglichen: offene oder strukturierte, unbekannte auf der Straße oder im vertrauten Kreis, bei Einrichtungen und / oder öffentlichen Treffpunkten.