Seite 1: Ablauf
Die Bürgerausstellung beteiligt verschiedene Interessengruppen, indem sie ihre Perspektiven, Meinungen und Vorschläge zu einem für sie relevanten Thema präsentiert. Stellvertretend werden einzelne Personen aus den Interessengruppen interviewt, fotografiert und auf Postern portraitiert, die vor Ort und im Internet öffentlich zugänglich gemacht werden.
Die Bürgerausstellung will durch die Präsentation verschiedener Perspektiven anschaulich informieren, eine neue Sichtweise auf ein Problemfeld eröffnen, einen weiterführenden Diskussionsprozess anregen und zur Entwicklung von Lösungen beitragen.
Eine Bürgerausstellung lässt sich anhand folgender Schritte umsetzen (vgl. Keppler 2013; Böhm, Dienel, Leggewie 2008):
- Thema auswählen und konkretisieren
Ausgangspunkt bei der Wahl des Themas für eine Bürgerausstellung sind Konflikte oder Probleme, die unterschiedliche Interessengruppen betreffen (z.B. Bürgerausstellung »Sauberes Granada-Müll-Meinungen-Fotos« 2009; Hinze, Lisy 2013). Das Thema sollte gemeinsam konkretisiert und dann als prägnanter Ausstellungstitel formuliert werden. - Konzept erstellen und Informationsblatt verfassen
Ein Konzept für die Bürgerausstellung hält Ziele, Interessengruppen, Ressourcen, Ort, Zeitrahmen, weitere Ausstellungselemente und Beteiligungsformate sowie Team, Aufgaben, Meilensteine und Kosten fest. Zur Transparenz bei der Interviewanfrage wird ein Informationsblatt mit Angaben zu Thema, Methode, Freiwilligkeit, Verwendung von Interview und Foto, Autorisierung der Poster, Ort und Zeit der Ausstellung, durchführende Institution sowie der Ansprechperson verfasst. - Interviewleitfaden entwickeln
Der Interviewleitfaden enthält eine Einführung in das Hauptthema und die Art der Gesprächsführung, die anzusprechenden Einzelthemen sowie einen Abschluss mit der Aufforderung, bisher nicht Erwähntes zu ergänzen, und der Danksagung. Zu jedem Einzelthema werden ein bis zwei offene, erzählungsanregende Fragen und Stichworte für mögliche Nachfragen formuliert. - Interessengruppen auswählen
Ziel der Auswahl der Interessengruppen ist ein möglichst breites Spektrum vorhandener Perspektiven auf das Thema. Neben unmittelbar Betroffenen sind auch relevante Akteure aus Zivilgesellschaft, Wirtschaft, Verwaltung und Politik einzubeziehen. - Interviews verabreden und durchführen
Für das Interview, das aufgenommen wird, ist etwa eine Stunde Zeit einzuplanen. Vor oder spätestens nach dem Interview geben die Interviewten in einer vorbereiteten Vereinbarung, die auch die Autorisierung der Poster regelt, schriftlich ihr Einverständnis zur Veröffentlichung von Namen, Foto und Interviewzitaten. Für die weitere Autorisierung sollten die entsprechenden Kontaktdaten notiert werden. - Fotografieren
Die Fotos für die Poster entstehen direkt im Anschluss an das Interview oder an einem anderen Termin. Der Einsatz professioneller Fotografen/innen garantiert hohe Fotoqualität. Alternativ können auch Laien oder Interviewte selbst fotografieren. Je nach Thematik werden auch weitere Motive aus dem Lebensumfeld der Interviewten ausgewählt. - Interviews auswerten und Text und Foto autorisieren lassen
Die Interviews werden ganz oder in Teilen verschriftlicht. Anschließend bildet man aus den Einzelthemen des Interviewleitfadens und neuen inhaltlichen Aspekten, die sich ergeben haben, eine Kategorienliste. Bei der Auswertung werden die passenden, prägnantesten Zitate eines Interviews den Kategorien zugeordnet. Die Zitate müssen meist noch gekürzt und grammatikalisch angepasst werden. Mit der »Montagetechnik« verbindet man Zitate, die an verschiedenen Stellen zu einem Teilthema geäußert wurden. Die Interviewten sollten den auf diese Weise für das Poster entstandenen Text und das ausgewählte Foto schon vor der Einfügung in das Layout erstmals autorisieren, damit bei der abschließenden Autorisierung vor dem Druck möglichst keine Änderungen mehr notwendig sind. - Ausstellungsposter gestalten und drucken und Ausstellung vorbereiten
In der Regel ist auf einem Poster Platz für drei bis vier Einzelthemen, die durch Zwischenüberschriften, Absätze oder fett gedruckte Begriffe abgesetzt werden. Das Layout wird professionell oder in Eigenarbeit mit einheitlichem Design für alle Poster gestaltet. Kulturelle Besonderheiten wie Farbgestaltung und Zweisprachigkeit sind zu beachten (z.B. Bürgerausstellung »Ready to Move…?! Towards Sustainable Traffic and Transport Solutions« 2009; Jain, Schröder 2013). Die Ausstellung sollte auch ein bis zwei Poster mit Informationen über Thema und Methode enthalten. Die Poster können einfach auf Papier oder hochwertig auf haltbarem Trägermaterial gedruckt werden. Zur Ausstellungsvorbereitung gehören auch die Auswahl und Gestaltung der Räumlichkeiten und die Kombination mit anderen Ausstellungselementen und Beteiligungsformaten. - Ausstellung eröffnen
Die Ausstellungseröffnung bildet den Höhepunkt des Verfahrens und den Ausgangspunkt für seine Reichweite, daher muss sie öffentlichkeitswirksam inszeniert werden. Neben den Interviewten und den Interessengruppen sind möglichst viele weitere Personen einzuladen, für die das Thema relevant ist, außerdem Presse und Medien. Bei einer Thematik, die für verschiedene Regionen interessant ist, wird die Bürgerausstellung auch zur Wanderausstellung (z.B. Bürgerausstellung »Bewegt und mobil älter werden« 2014; Ministerium für Umwelt, Gesundheit und Verbraucherschutz des Landes Brandenburg 2014). - Ausstellung mit anderen Beteiligungsformaten kombinieren und evaluieren
Für eine längerfristige Wirkung sollte die Bürgerausstellung mit weiteren Beteiligungsmöglichkeiten, z.B. Diskussionen, Expertengesprächen, Online-Dialogen oder Planungszellen kombiniert werden (vgl. Procentese 2006). Auch die Verbindung von zwei zum gleichen Thema erarbeiteten Bürgerausstellungen, die mit zeitlichem Abstand Veränderungen sichtbar machen können, ist möglich. Zur Evaluation können die Besucher/innen anonymisiert befragt und zur Kommentierung aufgefordert werden. Ihre Kommentare können dann wiederum Teil der Ausstellung werden.
Seite 2: Wichtige Aspekte bei der Umsetzung
Die Bürgerausstellung entstand zunächst als Forschungsmethode, um die Perspektive von Menschen, die in Wohnvierteln mit Problemen wie Armut oder Abwanderung konfrontiert waren, einzubeziehen (vgl. Böhm 2013). Durch die Fokussierung auf die Bürgerperspektive wurde sie später zur Beteiligungsmethode weiter entwickelt (vgl. Schophaus, Dienel 2003; Dienel 2013). Für eine Bürgerausstellung sollte man alle relevanten Interessengruppen einbeziehen, um auch bei brisanten Themen eine hohe Beteiligung zu erreichen. Unter bestimmten kulturellen oder gesellschaftlichen Bedingungen kann es erforderlich sein, alle oder einzelne Poster in anonymisierter Form zu erarbeiten (z.B. Bürgerausstellung »Young Cities Developing Urban Energy Efficiency. Tehran Karaj« 2010; Poor-Rahim, Schmidthals 2013).
Notwendiger organisatorischer Rahmen
In der Regel umfasst eine Bürgerausstellung etwa 20 Poster. Für ihre Vorbereitung sind, auch abhängig von Ressourcen, Anzahl der Interessengruppen und weiteren Exponaten und Beteiligungsformaten, vier bis sechs Monate einzuplanen. Bürgerausstellungen sind schon mit einfachen Mitteln und geringen Ressourcen erarbeitet worden (z.B. Bürgerausstellung »Wandel und Erhalt der Alltagsmobilität älterer Menschen« 2012; Neubauer 2014).
Die Bürgerausstellung wird für verschiedene Themen und Problembereiche verwendet, einen Schwerpunkt bildet die Stadt- und Regionalentwicklung. Die Methode ist flexibel in jedem Beteiligungsprozess einsetzbar und mit anderen Verfahren kombinierbar. Sie wurde auch bereits für den Dialog zwischen Wissenschaft und Gesellschaft, in verschiedenen Ländern und im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit eingesetzt (s. Beispiele in Keppler, Böhm, Dienel 2013).
Stärken und Grenzen der Methode
Eine besondere Stärke der Bürgerausstellung ist ihre Kombination von Text- und Bildsprache, mit der sie das gegenseitige Verstehen unterstützt. Sie befähigt die Beteiligten, ihre Perspektive darzustellen, fotografisch zu symbolisieren und öffentlich zu vertreten. Eine weitere Stärke liegt in der großen Reichweite des Verfahrens, das langfristig Informationen bietet, Thematik und Anliegen nach außen vermittelt und damit die Chance auf Veränderung und die Entwicklung von Lösungen unterstützt.
Ergebnisse aus Evaluationen zeigen, dass die Bürgerausstellung für eine nachhaltige aktivierende Wirkung mit Methoden direkten Dialogs verbunden werden sollte (vgl. Arcidiacono, Leggewie 2013; Procentese, Schophaus 2013). Diese Kombination verringert das Risiko von Fehlinterpretationen und unterstützt die Meinungsbildung (vgl. Wissenschaft im Dialog, Universität Stuttgart ZIRN 2011, S. 76 ff., 98 ff.). Zu den wichtigsten Erfolgsfaktoren der Methode gehören damit Perspektivenbreite bei der Auswahl der Interviewten, Einbindung lokaler Persönlichkeiten, intensive Öffentlichkeitsarbeit, Einbeziehen der Besuchermeinungen und die Kombination mit direktdialogischen Formaten.
Seite 3: Auswahl von Bürgerausstellungen seit 2003
Auswahl von Bürgerausstellungen seit 2003
In den letzten Jahren sind viele Bürgerausstellungen entstanden, hier eine Liste mit Beispielen:
Seite 4: Literatur und Links
- Böhm, Birgit (2013): Bürgerausstellung lehren und lernen: Qualitative Methoden, Fotografie, Ausstellungsgestaltung und Beteiligung. In: Keppler, Dorothee/Böhm, Birgit/Dienel, Hans-Liudger (Hrsg.): Die Bürgerausstellung. München: Ökom. S. 33–60.
- Böhm, Birgit/Legewie, Heiner/Dienel, Hans-Liudger (2008): Die Bürgerausstellung: Eine Kombination sozialwissenschaftlicher, partizipativer und künstlerischer Elemente. Forum Qualitative Sozialforschung, Volume 9, Nummer 2, Art. 33.
- Dienel, Hans-Liudger (2013): Die Bürgerausstellung als Partizipationsverfahren. In: Keppler, Dorothee/Böhm, Birgit/Dienel, Hans-Liudger (Hrsg.): Die Bürgerausstellung. München: Ökom. S. 17–31.
- Hinze, Katharina/Lisy, Kerstin (2013): Die Bürgerausstellung als Instrument in der deutschen Entwicklungszusammenarbeit: »¡Granada Limpia! Basura – Voces – Fotos«. In: Keppler, Dorothee/Böhm, Birgit/Dienel, Hans-Liudger (Hrsg.): Die Bürgerausstellung. München: Ökom. S. 165–175.
- Jain, Angela/Schröder, Sabine (2013): Eine Bürgerausstellung in Hyderabad, Indien: »Ready to Move…?! Towards Sustainable Traffic and Transport Solutions«. In: Keppler, Dorothee/Böhm, Birgit/Dienel, Hans-Liudger (Hrsg.): Die Bürgerausstellung. München: Ökom. S. 177–192.
- Keppler, Dorothee (2013): Praxis der Bürgerausstellung. Überblick und Leitfaden. In: Keppler, Dorothee/Böhm, Birgit/Dienel, Hans-Liudger (Hrsg.): Die Bürgerausstellung. München: Ökom. S. 213–228.
- Keppler, Dorothee/Böhm, Birgit/Dienel, Hans-Liudger (2013): Die Bürgerausstellung. München: Ökom.
- Ministerium für Umwelt, Gesundheit und Verbraucherschutz des Landes Brandenburg (Hrsg.) (2014): Bürgerausstellung »Bewegt und mobil älter werden«.
- Neubauer, Anja (2014): Bürgerausstellung »Es bewegt sich was im ländlichen Raum – Vom Wandel und Erhalt der Alltagsmobilität älterer Menschen in Saarow«. Technische Universität Berlin, Institut für Stadt- und Regionalplanung: Diplomarbeit.
- Poor-Rahim, Nadia/Schmithals, Jenny (2013): Die Bürgerausstellung in einem islamischen Kontext: »Young Cities Developing Urban Energy Efficiency. Tehran Karaj«. In: Keppler, Dorothee/Böhm, Birgit/Dienel, Hans-Liudger (Hrsg.): Die Bürgerausstellung. München: Ökom. S. 193–212.
- Procentese, Fortuna (2006): Follow Up and Evaluation of Participatory Action Research in Urban and Residual Areas. In: Arcidiacono, Caterina/Legewie, Heiner (Hrsg.): Learning communities and sustainable social-economic city development, 79-94. Universität des Saarlandes: Psydok.
- Procentese, Fortuna/Schophaus, Malte (2013): Citzens‘ exhibitions as urban catalysts. In: Keppler, Dorothee/Böhm, Birgit/Dienel, Hans-Liudger (Hrsg.): Die Bürgerausstellung. München: Ökom. S. 151–164.
- Schophaus, Malte/Dienel, Hans-Liudger (2003): Bürgerausstellung – ein neues Beteiligungsverfahren für die Stadtplanung. Forschungsjournal Neue Soziale Bewegungen, 15 (2), 90–96.
- Wissenschaft im Dialog/Universität Stuttgart ZIRN (Hrsg.) (2011): Abschlussbericht Forschungsprojekt »Wissenschaft debattieren«. Redaktion: Kolbert, Maria/Machill, Katja/Schott, Sandro/Spaeth, Silke.