Methodenbeschreibung

Seite 1: Methode

Durch die Methode erhalten zufällig ausgewählte Bürger/innen eine Gutachterrolle, in der sie – unterstützt durch den Input von Experten und Interessenvertretern – verschiedene Lösungsansätze für eine vorgegebene Fragestellung diskutieren und abwägen. Gemeinsam treffen die Bürgergutachter/innen informierte Entscheidungen, die dem Auftraggeber in einem Bürgergutachten als Empfehlung vorgelegt werden.

n den 1970er Jahren entwickelte Peter C. Dienel an der Universität Wuppertal die Beteiligungsmethode »Planungszelle« (auch »Bürgergutachten« genannt, engl. Citizens’ Juries). Sie ist der Archetyp der sogenannten »Deliberative Mini Publics« – diskursiven Beteiligungsmethoden, deren Teilnehmer/innen nach dem Zufallsprinzip ausgewählt werden.

Weitere Infos

Seit 2006 arbeitet das Qualitätsnetz Bürgergutachten an der Qualitätssicherung und Weiterentwicklung des Verfahrens (www.planungszelle.de).

Das Verfahren ist vergleichsweise stark standardisiert. Folgende Verfahrensbausteine sind konstitutiv:

  • Auftraggeber der Planungszellen ist in der Regel die Legislative (z.B. Stadtrat, Parlament) oder die Exekutive (z.B. Ministerium, Stadtverwaltung). Möglich ist aber auch der Auftrag durch ein Unternehmen oder eine zivilgesellschaftliche Organisation.
  • Die Organisation der Planungszellen liegt in den Händen eines neutralen Durchführungsträgers.
  • Die Teilnehmer/innen (Bürgergutachter/innen) werden per Zufall ausgewählt.
  • Eine Planungszelle hat 25 Teilnehmer/innen. Für ein Bürgergutachten laufen oft mehrere Planungszellen parallel.
  • Die Teilnehmer/innen werden für die Dauer der Planungszelle (meist 4 Tage) freigestellt und vergütet.
  • Der Durchführungsträger strukturiert die Aufgabenstellung in einzelne Arbeitseinheiten, meist vier Arbeitseinheiten pro Tag.
  • Zu Beginn der Arbeitseinheit geben Experten/innen und Interessenvertreter/innen einführende, kontroverse Informationen. Alle für die Aufgabenstellung wichtigen Informationen sollen auf den Tisch.
  • Es folgt die ergebnisoffene Bearbeitung der Themen in Kleingruppen (je 5 Personen), ohne Experten/innen und Moderatoren/innen.
  • Die Ergebnisse (Empfehlungen) werden in einem Bürgergutachten zusammengefasst.
  • Das Bürgergutachten wird dem Auftraggeber in einer öffentlichen Veranstaltung übergeben.
  • Ein Jahr später berichtet der Auftraggeber den Bürgergutachter/innen und der Öffentlichkeit in einer Veranstaltung über die Umsetzung der Empfehlungen.
Tipp

Planungszellen sind vergleichsweise aufwendig, ergeben aber qualitativ hochwertige Diskussionsergebnisse und abgewogene Empfehlungen. Das haben hunderte von durchgeführten Planungszellen in Deutschland und Europa gezeigt.

Die Methode hat sich weltweit verbreitet, im angelsächsischen Raum zumeist unter dem Namen »citizen’s juries« oder allgemeiner »mini public«, im frankophonen Raum unter dem Namen »jury citoyen« oder »atelier citoyen« und in Japan unter dem Namen »Shimin togikai«, oft aber auch unübersetzt unter dem Begriff Planungszelle.

Zielsetzungen und Einsatzgebiete

Durch die Methode erhalten zufällig ausgewählte Bürger/innen eine Gutachterrolle, in der sie – unterstützt durch den Input von Expert/innen und Interessenvertreter/innen – verschiedene Lösungsansätze für eine vorgegebene Fragestellung diskutieren und abwägen. Gemeinsam treffen sie informierte Entscheidungen, die dem Auftraggeber in einem Bürgergutachten als Empfehlung vorgelegt werden.

Planungszellen erschließen lokales Wissen, und die erarbeiteten Lösungen finden breite Akzeptanz. Zudem steigt das wechselseitige Vertrauen zwischen Politik/Verwaltung und Bürger/innen und damit das Systemvertrauen in die Demokratie.

Für die Durchführung der Planungszelle bietet sich eine breite Palette von Themen- und Aufgabenfeldern an. Diese reichen von städtebaulichen Aspekten bis hin zu übergeordneten, gesellschaftlich relevanten Fragestellungen (z. B. die Bewertung technischer Großprojekte). Auch zu Fragen von Zukunftstechnologien (Verkehrszugangssysteme), zur Quartiersentwicklung (Flughafen Tempelhof, Adlershof) und für Verbesserungen im ÖPNV (Seilbahn Wuppertal) wurde das Verfahren erfolgreich eingesetzt.

Planungszellen sind aufgrund ihrer Struktur auch für nationale und übernationale Fragestellungen geeignet. Sie bieten sich für supranationale Fragen besonders an, etwa zur Zukunft der Europäischen Union, einer europäischen Armee oder der Bekämpfung des Klimawandels – ein vielfältiges, noch wenig genutztes Betätigungsfeld für das Verfahren.

Tipp

Planungszellen arbeiten besser, wenn das zu lösende Problem vorher öffentlich diskutiert wurde und als wichtig gilt.

Seite 2: Ablauf

Meist finden Planungszellen über einen Zeitraum von vier Tagen statt. Sogenannte »Kurzplanungszellen« dauern nur zwei oder drei Tage. Während dieser Zeit setzen sich die zufällig ausgewählten Bürger/innen teils im Plenum, teils in Kleingruppen zu fünf Personen intensiv mit einem komplexen Thema auseinander. Die einzelnen Arbeitseinheiten werden dabei inhaltlich immer detaillierter, so dass die Teilnehmer/innen im Verlauf einer Planungszelle zu Experten/innen werden. Als Bürgergutachter/innen fragen sie dabei immer wieder nach dem allgemeinen Besten.

Auftraggeber und Durchführungsträger erstellen ein Tagungsprogramm, das den Teilnehmer/innen die Möglichkeit gibt, alle wesentlichen Themengebiete und Aspekte der Problematik einzeln zu bearbeiten. Die Teilnehmer/innen der Planungszelle widmen sich dann jedem Teilaspekt des Themas in 90-minütigen Arbeitseinheiten, die meist folgendem Schema folgen:

 

30 min10 min35 min10 min5 min
Expert/in
Referate
FragenKleingruppen-
arbeit
PräsentationGewichtung
der Ergebnisse

 

 

Daraus ergibt sich für vier Tage folgender beispielhafter Programmablauf von 16 Arbeitseinheiten.

 

Uhrzeit1. Tag
Themengebiet 1
2. Tag
Themengebiet 2
3. Tag
Themengebiet 3
4. Tag
Reflexion
08.00

09.30
Arbeitseinheit 1 Einführung    
Arbeitseinheit 5
Referat und
Diskussion           
Arbeitseinheit 9
Referat und
Diskussion           
Arbeitseinheit 13
Referat und
Diskussion
09.30
–10.00
KaffeepauseKaffeepauseKaffeepauseKaffeepause
10.00

11.30
Arbeitseinheit 2
Referat und
Diskussion
Arbeitseinheit 6
Referat und
Diskussion          
Arbeitseinheit 10
Referat und
Diskussion         
Arbeitseinheit 14
Reflexion der Ergebnisse
11.30
–12.30
MittagessenMittagessenMittagessenMittagessen
12.30

14.00
Arbeitseinheit 3
Referat und
Diskussion
Arbeitseinheit 7
Referat und
Diskussion
Arbeitseinheit 11
Referat und
Diskussion
Arbeitseinheit 15
Abschließende Diskussion und Abstimmung
14.00
–14.30
KaffeepauseKaffeepauseKaffeepauseKaffeepause
14.30

16.00
Arbeitseinheit 4
Referat und
Diskussion
Arbeitseinheit 8
Referat und
Diskussion
Arbeitseinheit 12
Politikerhearing
Arbeitseinheit 16
Verfahrensbewertung und Abschluss

 

 

Im Folgenden werden einzelne Abschnitte der Arbeitseinheiten näher beschrieben.

Seite 3: Arbeitseinheiten

Informationsvermittlung

Die Teilnehmer/innen haben zu Beginn der Planungszellen einen ganz unterschiedlichen Wissensstand. Deshalb ist eine Informationseingabe zu Beginn jeder Arbeitseinheit notwendig, um einen gemeinsamen Wissensstand herzustellen, der die Basis für gemeinsame Diskussionen in den Kleingruppen darstellt. Da die Qualität der Diskussionsergebnisse erheblich von den zur Verfügung stehenden Informationen zum Thema abhängt, wird auf die Auswahl und Darstellung der Informationen großer Wert gelegt:

  • Informationen werden im Plenum vermittelt, damit alle über die gleiche Diskussionsgrundlage verfügen.
  • Wichtig ist eine Gegenüberstellung von kontroversen Standpunkten. Konfliktlinien werden nicht verschwiegen, sondern im Gegenteil betont, damit sich die Teilnehmer/innen eine eigene Meinung bilden können.
  • Die Informationen sind möglichst umfassend und ansprechend aufbereitet, sie werden von Expert/innen vorgetragen. Dies können Fachleute aus der jeweiligen Stadt sein, die über aktuelle Planungen und Entwicklungen berichten, aber auch externe Sachverständige, die allgemeine Einführungen zu einzelnen Themenaspekten geben oder Erfahrungen aus anderen Städten einbringen.
  • Statt Referaten können auch andere Formen der Informationseingabe sinnvoll sein, z.B. Ortsbegehungen oder Hearings von Interessengruppen wie zivilgesellschaftlichen Organisationen oder politischen Parteien.

Im Anschluss an die Informationsphase erhalten die Teilnehmer/innen die Gelegenheit, Fragen zu stellen.

Kleingruppenarbeit

Nach Beendigung der Informationseingabe diskutieren die 25 Teilnehmer/innen der Planungszelle in Gruppen zu je 5 Personen – idealer Weise in separaten Räume, um eine zuvor festgelegte Fragestellung zu diskutieren. In vielen Experimenten mit unterschiedlichen Gruppengrößen und -zusammensetzungen hat sich diese Form der Kleingruppenarbeit als die effektivste herausgestellt. Sie führt nicht nur zu einer konzentrierten Arbeitsdynamik, sondern auch zu großer Zufriedenheit der Beteiligten, wie alle Evaluationen zeigen: »Was mir gut gefallen hat, ist die Gemeinsamkeit, die hier entstanden ist: Der Spaß, den wir hatten; die Wertschätzung zwischen den Menschen, die hier entstanden ist; die Kraft, die wir gemeinsam aufgewendet haben für das gleiche Ziel.«

Die Zusammensetzung der Gruppen wird vorab bestimmt und in jeder Arbeitseinheit verändert. So werden eventuelle Meinungsführerschaften oder eingefahrene Diskussionsstrukturen, wie sie in festen Kleingruppen auftreten können, vermieden. Die vielfache Durchmischung der Teilnehmenden erhöht die Kreativität in den Kleingruppen, die Teilnehmer/innen lernen sich besser kennen. Auch hier folgt die Planungszelle dem Zufallsprinzip: Zu Beginn der Planungszelle zieht jede/r Teilnehmer/in in Arbeitseinheit 1 eine Arbeitsnummer für die gesamten vier Tage. Für jede Kleingruppenarbeit wird anhand dieser Arbeitsnummern (1 bis 25) nach dem Zufallsprinzip ein Gruppenplan erstellt und im Plenum präsentiert.

Die Kleingruppen werden für 30–45 Minuten bewusst sich selbst überlassen, damit sie ungestört und selbständig arbeiten können. Wichtig dafür ist:

  • eine schriftliche und präzise Arbeitsanweisung oder Diskussionsfrage, die mit den zuvor gehörten Informationen bearbeitet werden kann
  • Arbeitsmaterialien, die eine kreative Auseinandersetzung mit dem Thema fördern
  • Materialien, auf denen die Ergebnisse der Diskussion festgehalten werden können.

Präsentation der Ergebnisse

Nach der Kleingruppenarbeit finden sich die Gruppen wieder im Plenum zusammen. Stellwände oder andere geeignete Präsentationsmöglichkeiten stehen dort bereit, um die Ergebnisse der Diskussionen sichtbar für alle zu machen. Die Kleingruppen stellen ihre Ergebnisse vor. Sie erläutern ihre Hauptdiskussionspunkte und Lösungsvorschläge. Anschließend werden zusammengehörige oder identische Vorschläge aus den verschiedenen Kleingruppen gemeinsam mit der Moderation zu Clustern zusammengefasst.

Gewichtung der Ergebnisse

Häufig erarbeiten die Kleingruppen mehrere Lösungsvorschläge oder Ideen. Diese Vielfalt wird in einem zweiten Schritt gewichtet. Ziel ist eine Priorisierung nach Attraktivität oder Wichtigkeit der Vorschläge. Dazu verwenden die Teilnehmer/innen Klebepunkte, die sie gemäß ihrer eigenen Einschätzung auf die visualisierten Ergebnisse (meist auf Stellwänden) verteilen. Eine Auszählung der Punkte ergibt ein Mehrheitsvotum der Teilnehmer/innen. Im Laufe der vier Planungszellen-Tage diskutieren die Teilnehmer/innen in 12 bis 14 Runden verschiedene Aspekte eines Themas. Dabei werden in jeder Runde von ca. fünf Kleingruppen Diskussionsergebnisse produziert, also gibt es in einer viertägigen Planungszelle ca. 60 bis 70 Kleingruppen, bei vier parallelen Planungszellen also insgesamt 240 bis 280 Kleingruppendiskussionen.

Zusammenfassung der Ergebnisse im Bürgergutachten

Die Ergebnisse werden nach Beendigung der Planungszellen vom neutralen Durchführungsträger zusammengefasst und ansprechend aufbereitet. Es entsteht eine Broschüre, die den Auftraggeber, das Thema der Planungszelle, die teilnehmenden Bürger/innen und die erarbeiteten Ergebnisse vorstellt. Die erste Fassung des Bürgergutachtens wird an die Bürgergutachter/innen (oder auch eine zuvor von den Bürgergutachter/innen bestimmte Auswahl) versandt. Die Bürgergutachter/innen nehmen ggf. Korrekturen vor und bestätigen, dass die Ergebnisse richtig wiedergegeben wurden. Nach der Einarbeitung der Anmerkungen und Korrekturen wird die finale Fassung des Bürgergutachtens erstellt. Sie wird dem Auftraggeber durch die Teilnehmer/innen in gedruckter Version öffentlichkeitswirksam übergeben.

Organisation

Der Entschluss eines Auftraggebers, mittels einer Planungszelle ein bestehendes Problem oder einen Konflikt zu lösen, eine breit akzeptierte Planung zu erstellen oder Anforderungen an politische Maßnahmen festzustellen, markiert den Beginn einer Planungszelle. Die Durchführung einer Planungszelle sollte in die Hände eines neutralen Durchführungsträgers gelegt werden, um inhaltliche und technische Manipulationen zu vermeiden. Eine spätere Akzeptanz der Ergebnisse hängt maßgeblich von der Objektivität und Sachlichkeit der Diskussion ab.

Die Durchführung einer Planungszelle erfordert ein hohes Maß an methodisch-didaktischen Kompetenzen und Kapazitäten zur Bewältigung eines umfangreichen Veranstaltungsmanagements. Es empfiehlt sich daher, für die Durchführung von Planungszellen erfahrene Institutionen zur Bewältigung dieser Aufgabe heranzuziehen.

Der Durchführungsträger übernimmt die Vorbereitung der Planungszelle, die Durchführung und Moderation der Veranstaltung sowie die Nachbereitung der Ergebnisse. Insgesamt dauert dieser Prozess ca. 9 Monate.

Seite 4: Vorbereitung

Vorbereitung der Planungszelle

Die organisatorische Vorbereitung beginnt in der Regel etwa fünf bis sechs Monate vor Beginn der Planungszellen. Folgende Schritte werden dabei unternommen:

Fragestellung und Teilaspekte

Für die Qualität der Deliberationsergebnisse und die Motivation der Teilnehmer/innen ist es unabdingbar, zu Beginn die Ziele und Themen des Bürgergutachtens mit dem Auftraggeber präzise abzustimmen. Das Thema wird im Dialog mit dem Auftraggeber in relevante Unterthemen gegliedert, die in einzelnen Arbeitseinheiten diskutiert werden können. Sie bilden die Programmstruktur der Planungszelle. Die Auswahl der Themengebiete sowie ihre Abfolge erzeugen den Spannungsbogen des Beteiligungsprozesses. Dabei sollte der Durchführungsträger sowohl die Interessen des Auftraggebers als auch die der Teilnehmer/innen berücksichtigen. Ein möglicher Aufbau der Programmstruktur besteht beispielsweise im Übergang von allgemeinen zu speziellen Aspekten eines Themas.

Öffentlichkeitsarbeit

Die gesamte Vorbereitungsphase wird durch eine intensive Öffentlichkeitsarbeit begleitet. Ziel ist es, die Öffentlichkeit auf den Beteiligungsprozess aufmerksam zu machen sowie die zukünftigen Teilnehmer/innen über das Projekt zu informieren. Geeignet hierfür sind Ankündigungen oder Artikel in örtlichen Zeitungen, Amtsblättern und (lokalen) Onlinemedien sowie die persönliche Kontaktaufnahme zu wichtigen Akteuren vor Ort.

Zusammenstellung der Informationseingabe

Die Informationen zu Beginn der jeweiligen Arbeitseinheiten bilden die wesentliche Grundlage für fruchtbare und ergebnisreiche Diskussionen zwischen den Bürger/innen. Die Informationen sollten daher umfassend sein und kontroverse Standpunkte beleuchten. Sie werden während der Planungszelle von Expert/innen vorgetragen. Der übliche Ablauf zur Vorbereitung der Informationseingabe gestaltet sich folgendermaßen:

 

  • Recherche, welche Hintergrundinformationen benötigt werden
  • Überlegung, wie die Vermittlung der Inhalte gestaltet werden kann
  • Auswahl und Einladung von Expert/innen
  • ggf. Einladung von Interessengruppen, Vorbegehung von Orten sowie
  • ggf. Erarbeitung von Informationsmaterialien wie beispielsweise ein Glossar.

Auswahl der Tagungsräume

Die Örtlichkeiten sollten den Bürger/innen eine angenehme Arbeitsatmosphäre für die Plenums- und Kleingruppensitzungen ermöglichen. Demnach sollten ein großer Raum sowie mindestens drei Arbeitsgruppenräume zur Verfügung stehen. Die Motivation der Bürgergutachter/innen steigt, wenn der Raum durch seine Lage und Atmosphäre andeutet, dass der Auftraggeber die Planungszelle für wichtig hält. Wichtig ist auch eine angemessene Verpflegung.

Auswahl der Teilnehmer/innen und Einladung

Die Zufallsauswahl wird über eine Zusammenarbeit mit den lokalen Behörden realisiert. Die gewünschte Anzahl an Bürger/innen wird per Zufallsverfahren aus den Registern der Meldeämter gezogen. Die Zusagequote beträgt in manchen Fällen nur 10 Prozent. Gleichwohl ist die Auswahl meist demografisch gut verteilt. Es sollten also sicherheitshalber etwa 10 mal so viele Namen gezogen werden wie tatsächlich an der Planungszelle teilnehmen können. Einziges Kriterium für die Zufallsauswahl ist ein Mindestalter von 16 Jahren. Die ausgewählten Bürger/innen werden per Brief über Thema, Aufgabe und Ort informiert und zur Teilnahme eingeladen. Form und die Formulierung des Einladungsbriefes spielen eine wichtige Rolle für die Teilnahmebereitschaft. Folgende Punkte sind besonders wichtig: Persönliche Ansprache; verständliche, klare Formulierungen; Nennung des Auftraggebers und Durchführungsträgers sowie Seriosität (z. B. durch ein Stadtwappen im Briefkopf und Unterschrift des (höchstrangigen) Auftraggebers. Die kontaktierten Bürger/innen werden gebeten, dem Durchführungsträger ihre Zu- oder Absage mitzuteilen. Hier lohnt sich der Einsatz von frankierten Antwortkarten. Zusätzlich sollte in der Einladung eine Telefonnummer angegeben werden, über die die eingeladenen Bürger/innen Rückfragen stellen können.

Durchführung der Planungszelle

Für die Betreuung der Teilnehmer/innen und Expert/innen sowie die Moderation der Plenums- und Kleingruppensitzungen pro 25 Teilnehmer/innen werden drei Personen benötigt: Zwei Tagungsleiter/innen zur Moderation und als Ansprechpartner für organisatorische Fragen sowie eine Tagungsassistenz zur Unterstützung der Tagungsleiter/innen. Die Ergebnisse der Arbeitseinheiten werden noch vor Ort fotografiert. Dies dient einerseits der Sicherung und Archivierung der Ergebnisse, andererseits erleichtert es die Sichtung der Ergebnisse.

Nachbereitung der Planungszelle

Nach Beendigung der viertägigen Planungszelle verarbeitet der Durchführungsträger die Ergebnisse weiter zum »Bürgergutachten«. Es beinhaltet

  • eine Einführung in die Fragestellung
  • eine kurze Darstellung des Verfahrens »Planungszelle«
  • die Vorstellung der Gutachter (Teilnehmer/innen), Auftraggeber und Durchführer
  • die Ergebnisse aller Arbeitseinheiten.

Dabei ist zu beachten, dass die Ergebnisse der einzelnen Arbeitseinheiten möglichst unverfälscht wiedergeben werden, d.h. es werden nur geringfügige Umformulierungen vorgenommen. Mehrheitsfähige Ergebnisse einzelner Themenbereiche werden zu konkreten Empfehlungen verdichtet, Konsensentscheidungen deutlich als solche kenntlich gemacht. Der Fokus liegt auf einer transparenten, übersichtlichen und verständlichen Dokumentation. Oftmals beinhaltet ein Bürgergutachten auch einen Anhang, in dem die Ergebnisse aus allen Arbeitseinheiten in tabellarischer Form für jede Planungszelle separat dargestellt werden. Durch die Abbildung der »Rohdaten« wird die Transparenz des Verfahrens sichergestellt.

Kontrolle durch Teilnehmer/innen

Die finale Version des Bürgergutachtens wird den Teilnehmer/innen der Planungszelle zur Verfügung gestellt, damit diese die Richtigkeit der Dokumentation überprüfen und Verbesserungsvorschläge machen können.

Übergabe des Bürgergutachtens

Zentral für den Erfolg einer Planungszelle ist die öffentliche und medienwirksame Übergabe des Bürgergutachtens an den Auftraggeber. Zu dieser Veranstaltung kommen Teilnehmer/innen, Durchführungsträger, Auftraggeber und Presse zusammen.

Rückmeldung zur Umsetzung

Nicht zwingend Teil der Planungszelle, aber durchaus wünschenswert, ist eine Folgeveranstaltung ca. ein Jahr nach der Durchführung der Planungszelle, bei der der Auftraggeber darlegt, wie mit den Ergebnissen der Planungszelle verfahren wurde. Diese Veranstaltung kann ein offenes Forum bieten, um über das Thema zu sprechen, das Gegenstand der Planungszelle war. Natürlich wünschen sich Bürgergutachter/innen, dass möglichst viele ihrer Empfehlungen umgesetzt werden. Es hat sich jedoch gezeigt, dass sie durchaus verständnisvoll reagieren, wenn sinnvolle Gründe für ein anderes Vorgehen sprachen. Eine Veranstaltung dieser Art trägt enorm zur gegenseitigen Vertrauensbildung bei.

Seite 5: Anwendung

Anwendungsfelder

Planungszellen/Bürgergutachten in Deutschland seit 2012 (Auswahl) in folgenden Orten durchgeführt:

  • Thüringen: »Gebietsreform«
  • Wuppertal: »Seilbahn vom Hauptbahnhof über die Uni zum Schulzentrum?«
  • Wermelskirchen, Hückeswagen, Burscheid: »Unser Wasser im Bergischen«
  • Wetzlar: »Freibadgestaltung«
  • Planegg (Bayern): »Ortsentwicklung«
  • Berlin: »Intelligente Energie- und Verkehrswende in Berliner Stadtquartieren«
  • Berlin: »Zukunft Adlershof«
  • Berlin: »Tempelhofer Feld«
  • München: »Kunstareal«
  • Wernigerode: »Zukunft des Ochsenteichgeländes«
  • Weinheim: »Ausweisung von Gewerbegebieten«

Stärken und Grenzen der Methode

Die Bürgergutachter/innen haben am Ende eines Planungszellenprozesses in der Regel ihre Position weiterentwickelt und verändert. Die Meinungsbildungsprozesse verlaufen fast immer in Richtung auf das erkennbare Gesamtinteresse, das in Planungszellen eine Chance hat, gewollt und empfohlen zu werden. Neben der Legitimität der Empfehlungen durch die Zufallsauswahl ist die Stärkung des Gesamtinteresses in der Diskussion sicher die größte Stärke des Verfahrens.

Partizipativen Verfahren wird immer wieder vorgeworfen, die sprechfähige, gebildete Mittelschicht zu bevorzugen. Der berechtigte Vorwurf trifft die Planungszellen allerdings kaum. Aufgrund der Kleingruppengespräche reden in den Planungszellen jedenfalls am dritten und vierten Tag die meisten Teilnehmer/innen ähnlich lange. Die Kleingruppen wechseln ständig, damit sich keine Meinungsführer/innen herausbilden. Die individuelle Bepunktung sichert das gleiche Gewicht für jede einzelne Stimme.