Praxisbeispiel Der Schülerhaushalt in Rietberg

In Rietberg fand 2012 der erste Schülerhaushalt in Deutschland an vier Schulen statt. Bei dem Projekt konnten die Schüler/innen Vorschläge zur Verwendung von je 7.000 Euro pro Schule einreichen und über die Ergebnisse abstimmen. Die Vorschläge wurden im Rat vorgestellt und von den Schüler/innen umgesetzt. An dem Schülerhaushalt beteiligten sich rund 3.000 Schüler/innen.

Jugendbeteiligung nach brasilianischem Vorbild

Die Idee für den Schülerhaushalt stammt aus der brasilianischen Stadt Recife, die das Verfahren seit 2001 an allen Schulen durchführt. Die Stadt Recife wurde unter anderem hierfür 2011 mit dem Reinhard Mohn Preis der Bertelsmann Stiftung ausgezeichnet.
Da in Deutschland kein vergleichbares Verfahren existierte, wollte die Bertelsmann Stiftung den Schülerhaushalt in Deutschland erproben. Der erste Schülerhaushalt fand 2012 in Rietberg und Wennigsen (Deister) statt.

Das Ziel: Alle Kinder und Jugendlichen wirksam einbinden

Der Schülerhaushalt soll dazu beitragen, alle Kinder und Jugendlichen mit demokratischen Prozessen vertraut zu machen und ihnen zu zeigen, dass Ihre Stimme zählt. Zusätzlich sollten die Bedarfe der Kinder und Jugendlichen aufgezeigt werden und es sollten konkrete Maßnahmen ergriffen werden, um diese Bedarfe zu decken. Da die Projektmittel vollständig den Schulen zugute kamen, war auch die Verbesserung der Schulsituation und der Identifikation der Schüler mit ihren Schulen ein Ziel des Projekts.

Ablauf

Der Prozess begann im Juni 2012 per Ratsbeschluss zur Umsetzung des Schülerhaushalts an vier Schulen. Den Schüler/innen wurde ein Betrag von jeweils 7.000 Euro zur Verfügung gestellt, der sich aus kommunalen Haushaltsmitteln und freiem Schulbudget zusammensetzte. Die Planung des Prozesses erfolgte im Anschluss durch eine Steuerungsgruppe aus Verwaltung, Schulleitungen, Lehrer/innen und Schüler/innen.

Der Auftakt des Schülerhaushalts fand im Oktober 2012 in den Schulen durch Vollversammlungen und Schülerratssitzungen statt. Hierbei wurde den Schüler/innen das Verfahren erläutert und der Startschuss für die Einreichung von Vorschlägen gegeben. Der weitere Prozess wurde von gewählten Schülerkoordinator/innen organisiert und durch betreuende Lehrer/innen unterstützt.

Im nächsten Schritt konnten die Schülerinnen und Schüler ihre Vorschläge einreichen. Einzige Vorgabe war, dass ein Vorschlag durch mindestens fünf Schüler/innen unterstützt werden musste. Die Vorschläge wurden von den Schülerkoordinator/innen gesammelt und zur Kommentierung durch die Verwaltung auf einer Online-Plattform eingestellt. Die Verwaltung hat dabei Kostenschätzungen abgegeben, jedoch keine Bewertung vorgenommen.

Nach einer rund einwöchigen Diskussion wurde dann an den Schulen abgestimmt. Die Schülerkoordinator/innen haben dazu eine geheime Wahl organisiert.

Nach der Wahl der TOP-Vorschläge wurden die Möglichkeiten ihrer Umsetzung in den Schulen zwischen den Schüler/innen, den Schulleitungen und Mitarbeiter/innen der Verwaltung diskutiert und die konkreten Umsetzungsideen schließlich im Februar 2013 von den Schüler/innen im Rat vorgestellt und beschlossen.

Die Ergebnisse: Mehr als 90 Prozent wurden aktiv eingebunden

Im Rahmen der Vorschlagssammlung wurden von bis zu einem Viertel der Schüler/innen Vorschläge eingereicht. Hiervor waren viele identisch, so dass nach Zusammenlegung durch die Schülerkoordinator/innen bis zu 45 unterschiedliche Vorschläge pro Schule entstanden. Mehr als die Hälfte der Schüler/innen beteiligten sich, indem sie Vorschläge per Unterschrift unterstützten. Bei den Abstimmungen haben sich bis zu 93 Prozent der Schüler/innen beteiligt.

Die Top Vorschläge erstreckten sich über Schließfächer, neue Sitzmöbel, Getränkeautomaten bis hin zu »Chillräumen« und freiem W-Lan. Von den eingereichten Vorschlägen wurden viele umgesetzt, teilweise auch ohne auf die Mittel zuzugreifen, indem beispielsweise Getränkeautomaten geleast statt gekauft wurden. Bei einigen Vorschlägen mussten jedoch Alternativen gefunden werden, z.B. für die Einrichtung eines freien Internetzugangs, da die existierenden rechtlichen Probleme nicht zu lösen waren.

Insgesamt wurde das Verfahren im Rahmen der Evaluation von allen Beteiligten als sehr gut bewertet und eine Wiederholung angestrebt. Die Kosten für die Umsetzung des Projekts erstreckten sich rein auf Kopierkosten für Abstimmungsbögen. Der Zeitaufwand lag bei den Schülerkoordinator/innen, der Lehrkraft und der Verwaltung bei jeweils rund 40 Stunden.

Andreas Sunder, Bürgermeister der Stadt Rietberg:
»Der Schülerhaushalt ist ein tolles Instrument, die Schüler/innen mitbestimmen zu lassen und gleichzeitig Demokratie in all seinen Facetten hautnah zu erleben. Denn: Gelebte Demokratie ist klasse, aber nicht immer einfach. Dazu gehört auch, dass nicht jeder Wunsch realisiert werden kann und eine Mehrheit findet. Auch diese Erfahrungen haben die Schüler/innen gesammelt und mussten lernen, damit umzugehen. Und genau das haben sie echt toll gemacht. Die professionelle Art und Weise, wie die Schüler/innen die Ergebnisse ihres Schülerhaushaltes im politischen Gremium präsentierten, hat Rat und Verwaltung zu gleichen Teilen begeistert. Deswegen wollen wir in Rietberg auch in Zukunft am Schülerhaushalt festhalten.«

Reinhard Bardt, Schulleiter an der Martinschule in Rietberg:
»Das Projekt Schülerhaushalt hat einen Großteil unserer Schülerschaft angeregt, sich Gedanken zu machen über die Ausgestaltung ihrer Schule. Das hat die Identifikation mit ihrer Schule erhöht und sie die Erfahrung aktiver Teilhabe erleben lassen. Sie haben darüber hinaus erlebt, wie »Politik im Kleinen« funktioniert und wie man sich an ihr beteiligen kann. Schließlich machten zwei Schülervertreter die bisher einmalige Erfahrung, im Schul- und Sozialausschuss ihres Wohnortes ihre Schule zu vertreten und dieses Gremium zum ersten Mal live mitzuerleben. Rundum ein gelungenes Projekt!«