Gemeinwesenarbeit und Geflüchtete – Inklusive GWA in neuen Nachbarschaften

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Ausgangspunkt

Über eine Million Menschen sind im Jahr 2015 aus sehr unterschiedlichen Ländern, Kriegs- und Krisensituationen nach Deutschland, Österreich und in die Schweiz geflüchtet. Diversität kennzeichnet die heterogene Zusammensetzung der Geflüchtetengruppen, bezüglich Sprache, Schichtzugehörigkeit, Bildung, Religion, Kultur, Alter und vor allem der jeweils individuellen Lebensschicksale.

Zunehmend setzt die Politik auf Selektion zwischen Geflüchteten, denen eine gute oder eine schlechte »Bleibeperspektive« zugesprochen wird, sowie zwischen den Menschen, die für den hiesigen Arbeitsmarkt entweder als nutzbar oder als Belastung für die Sozialsysteme angesehen werden. Je nachdem geht es um Integration oder um Abschottung und Ausgrenzung, um Schaffung von Wohnungen oder um Verwahrung in segregierten Unterkünften mit der Zielrichtung der Ausweisung und Abschiebung. Dieses Vorgehen erzeugt bei vielen Geflüchteten Angst, Hilflosigkeit und Unselbstständigkeit und führt einen Teil in ghettoartige Lebensformen, bis hin zur Semilegalität. Bei Teilen der angestammten Bevölkerung verstärkt es Misstrauen, Abwehr und Angst.

In verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen gestaltet sich der Übergang vom »Katastrophenschutzmodus« in der ersten Ankommenszeit hin zu einem planvollen, integrativen, zukunftsorientierten Miteinander nicht einfach. Viele kurzfristige Notlösungen wurden für zahlreiche Menschen zu einem einengenden Dauerzustand, z. B. die Unterbringung in Notunterkünften. Bürokratische Hürden, langwierige Genehmigungsverfahren, Brandschutzverordnungen und schwierige Abstimmungsprozesse zwischen verschiedenen Beteiligten stehen zeitnahen Verbesserungen für die Ankommenden vielerorts entgegen.

Dabei sind neben der vorrangig notwendigen Nothilfe gleichzeitig die Grundlagen für ein gutes und für alle gedeihliches Zusammenleben in einem von Diversität geprägten demokratischen Gemeinwesen zu entwickeln. Die politischen Entscheidungsträger/innen müssen hierfür wesentliche Grundlagen legen, rechtliche Rahmenbedingungen verbessern und strukturelle Diskriminierung abbauen. Offensichtlich ist dies eine längerfristige Aufgabe, die die Zusammenarbeit aller Akteur/innen vor Ort, auf Länder- und Bundesebene erfordert.

Tipp

Der Nachbarschaft bzw. dem sozialräumlichen Nahumfeld kommt in Bezug auf den Prozess des Ankommens eine wichtige Bedeutung zu. Hier wohnen die Menschen, hier halten sie sich auf, kaufen ein und verbringen ggf. ihre Freizeit; hier treffen aber auch verschiedene Interessen und Bedürfnisse aufeinander, zwischen denen es zu vermitteln gilt.

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Ziele der Gemeinwesenarbeit

Das traditions- und variantenreiche Konzept der Gemeinwesenarbeit zielt auf die Verbesserung der Lebensbedingungen im Sozialraum. Methoden und Prinzipien der Gemeinwesenarbeit werden zwar seit vielen Jahren in Gebieten mit kumulierten Problemlagen erfolgreich angewandt, können und sollen aber auch dort zum Tragen kommen, wo es um Entwicklungsarbeit aufgrund neuer gesellschaftlicher Herausforderungen geht. Wichtige Wurzeln der Gemeinwesenarbeit liegen in klassischen Zuwanderungsgebieten, durch die städtische Gesellschaften vor völlig neue Aufgaben gestellt werden. Bis heute wird Gemeinwesenarbeit überwiegend in städtischen Gebieten mit heterogener Bevölkerungszusammensetzung praktiziert.

Gemeinwesenarbeit setzt gruppenübergreifend an, fördert den Brückenbau zwischen verschiedenen Menschen und unterschiedlichen Gruppen im Sozialraum und damit den Aufbau von sozialem Kapital. Hierbei gestaltet Gemeinwesenarbeit Partizipationsmöglichkeiten und macht demokratische, aktive Teilhabe an der Gesellschaft zur erlebbaren Realität der Menschen vor Ort.

Literaturtipp

»Gemeinwesenarbeit zielt auf ›[…] die Verbesserung von materiellen (z. B. Wohnraum, Existenzsicherung), infrastrukturellen (z. B. Verkehrsanbindung, Einkaufsmöglichkeiten, Grünflächen) und immateriellen (z. B. Qualität sozialer Beziehungen, Partizipation, Kultur) Bedingungen […]‹ unter maßgeblicher Einbeziehung der Menschen vor Ort.« (Stövesand/Stoik 2013, S. 21)

Die Umsetzung der Ziele der Gemeinwesenarbeit erfordert ein integriertes Handlungs- und Entwicklungskonzept für den entsprechenden Sozialraum, was auch die Zusammenarbeit mit anderen Fachrichtungen notwendig macht.

Integration, Inklusion sowie eine nachhaltige Gesellschaftsentwicklung sind langfristige Such- und Lernprozesse für alle Beteiligten, die es angemessen zu begleiten gilt. Gerade für Veränderungsprozesse im Stadtteil im Kontext von Flucht und Migration ist die Gemeinwesenarbeit besonders geeignet, um Herausforderungen gemeinsam strukturiert und langfristig anzugehen.Gemeinwesenarbeit kann Menschen in ihrer Nachbarschaft, ihrem Stadtviertel oder Gemeinwesen bei der sozialen Integration der ankommenden Menschen unterstützen. Sie trägt dazu bei, den Geflüchteten mehr gesellschaftliche Teilhabe mit Bezug auf ihre Lebenswelten zu ermöglichen.

Zudem strebt die Gemeinwesenarbeit eine inklusive Gesellschaft im Sinne der gesellschaftlichen Teilhabe über die (Funktions-)Systeme der Gesellschaft an.

Tipp

Die Gemeinwesenarbeit macht Menschenrechte, Demokratie und Teilhabe vor Ort im Alltag erfahrbar, unterstützt damit die lebendige Entwicklung des Gemeinwesens im Sinne einer nachhaltigen Zukunftsentwicklung.

Seite 3: Prinzipien der Gemeinwesenarbeit

Prinzipien in der Gemeinwesenarbeit

Vielfalt erlebbar machen - gruppenübergreifendes Handeln

Gemeinwesenarbeit hat alle Menschen im Sozialraum im Blick und bringt verschiedene Personen und Gruppen miteinander in Kontakt. Gleichzeitig wird auch mit verschiedenen Personengruppen gearbeitet, um diese Personen besonders zu befähigen und zu unterstützen, z. B. Familien, Frauen, Arbeitslose, geflüchtete Frauen, Senior/innen. Darüber hinaus werden themenbezogene Gruppen begleitet (z. B. zu den Themen Wohnen, Verkehr, Freizeitgestaltung, Grünflächenverbesserung), in denen verschiedene Menschen interessenbezogen zusammenfinden. Begegnungsmöglichkeiten für alle Menschen im Stadtteil werden geschaffen, z. B. Nachbarschaftscafés, gemeinsame Aktionen, Feste.

Tipp

Durch diese übergreifende gruppen- und sozialraumbezogene Arbeit wird eine stigmatisierende Fokussierung auf einzelne Menschen oder Gruppen verhindert, gemeinsame Austausch- und Lernprozesse der Menschen untereinander werden befördert.

Orientierung an den Bedürfnissen und Themen der Menschen

Gemeinwesenarbeit setzt am Willen, den Bedürfnissen und Interessen der Menschen an. Hierbei sind sowohl die Interessen der Einheimischen wie auch die der Ankommenden Ansatzpunkte für Veränderungen in der Gestaltung des Alltags.

Kommunikative Vermittlung zwischen unterschiedlichen Lebenswelten

Als Mittlerin zwischen den Menschen, ihren verschiedenen Interessen und Bedürfnissen fördert die Gemeinwesenarbeit die Kommunikation über Veränderungsprozesse und den Umgang mit zunehmender Diversität. Damit trotz der Verschiedenheit Vorurteile abgebaut werden können und Vertrauen wachsen kann, braucht es Möglichkeiten der Begegnung sowie positive Erfahrungen im Umgang miteinander.

Tipp

Durch verschiedener Dialogsettings und die Ermöglichung einer offenen, lösungsorientierten Kommunikation fördert die Gemeinwesenarbeit Austauschprozesse im Sozialraum.

Förderung von kollektivem Empowerment und Selbstorganisation

Allen Menschen stehen Anerkennung, Respekt, Selbstwirksamkeitserfahrungen und Hilfe zur Selbsthilfe zu. Gemeinwesenarbeit führt ähnliche Interessen von Menschen zusammen, unterstützt und ermutigt die Menschen zur Selbstorganisation, wodurch zivilgesellschaftliche Potenziale gestärkt und Synergieeffekte erzeugt werden. Ein besonderer Fokus wird auf das kollektive Empowerment (die Ermutigung, Befähigung und Ermächtigung) der ökonomisch und/oder sozial besonders benachteiligten Menschen gelegt, um ihnen mehr Teilhabe, Mitsprache und Mitgestaltung zu ermöglichen.

Partizipative (Bildungs-)Möglichkeiten schaffen

GWA schafft Möglichkeitsräume für Partizipation im Gemeinwesen und für die Erfahrungen von Selbstwirksamkeit. Dies kann auf vielfältige, kreative Weise geschehen, durch kleine und große partizipative Beteiligungsmöglichkeiten. Durch Angebote für solidarische Aktionen und Begegnungen wird die Entwicklung von Respekt und gegenseitigem Verständnis zwischen verschiedenen Menschen und Gruppen gefördert.

Tipp

Partizipative Ansätze sind hierbei als Lernsettings zu sehen, in denen die Menschen demokratisches Miteinander erlernen.

Nutzung vorhandener Ressourcen

Gemeinwesenarbeiter/innen unterstützen Menschen bei der Bewusstmachung individueller Fähigkeiten, Kompetenzen und Ressourcen. Darüber hinaus werden Ressourcen von Individuen und kollektiven Akteur/innen gebündelt bzw. miteinander vernetzt und auch institutionelle Ressourcen im Sozialraum bestmöglich gemeinschaftlich genutzt.

Ressortübergreifendes Handeln

Zur Realisierung und Bewältigung der umfassenden Ziele der Gemeinwesenarbeit ist eine interdisziplinäre und fach- bzw. ressortübergreifende Zusammenarbeit erforderlich.

Tipp

GWA agiert als intermediäre Mittlerin zwischen Anwohner/innen, Politik und Verwaltung.

Vernetzung und Kooperation

Es gilt, die verschiedenen Bewohner/innen und Akteur/innen im Sozialraum miteinander zu vernetzen und (projektbezogene) Kooperationen umzusetzen. Dadurch können Doppelstrukturen abgebaut, Synergieeffekte erzeugt und effektiv zusammengearbeitet werden, im Sinne einer positiven Zukunftsentwicklung. Weiterhin gilt es, ehrenamtliches Engagement strukturiert in die Arbeit im Stadtteil einzubeziehen, entsprechende Vernetzungsrunden (aus traditionellem und neuem Ehrenamt) zu koordinieren und einen gegenseitigen Erfahrungsaustausch zu unterstützen.

Komm- und Gehstruktur

Gemeinwesenarbeit zeichnet sich einerseits dadurch aus, dass es einen Ort der Begegnung gibt (Nachbarschaftstreff, Stadtteilzentrum), zu dem die Menschen kommen können. Andererseits sind Gemeinwesenarbeiter/innen auch als Akteur/innen im Stadtteil unterwegs und sprechen mit Menschen, die nicht den Weg ins Stadtteilzentrum finden. So können weitere aktuelle Themen und Probleme der Menschen erkannt und frühzeitig aufgegriffen werden.

Nachhaltige Gesellschaftsentwicklung um Blick

Im Rahmen der Arbeit im Gemeinwesen behalten die GWA-Mitarbeiter/innen den Stadtteil auch immer hinsichtlich seiner sozialen, ökologischen und ökonomischen Entwicklungen im Blick. Vor Ort werden Maßnahmen und Projekte gefördert, die im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung eine langfristige, sozial gerechte Entwicklung des Sozialraums befördern, ein umweltverträgliches Miteinander im Blick haben und eine nachhaltige lokale Ökonomie unterstützen.

Seite 4: Methoden und Arbeitsweisen der GWA

Methoden und Arbeitsweisen der Gemeinwesenarbeit

Gemeinwesenarbeit beinhaltet Beziehungs- und Bildungsarbeit sowie Managementaufgaben, um Entwicklungen im Stadtteil im Sinne der dort lebenden Menschen anzuregen und zu unterstützen. Hierbei werden sowohl Methoden der Einzelfallhilfe und der Gruppenarbeit als auch der Struktur- und Stadtteilentwicklung angewendet. Von zentraler Bedeutung ist, dass Angebote für ein gemeinsames Miteinander der verschiedenen Menschen und Gruppen im Zentrum stehen und nicht die gesonderte Behandlung einer bestimmten Zielgruppe. Die Arbeitsweise der Gemeinwesenarbeit ist maßgeblich geprägt durch Niedrigschwelligkeit, Präventive Arbeit sowie einer Komm- und Gehstruktur.

In Bezug auf Migration und Diversität wurden insbesondere gute Erfahrungen mit folgenden methodischen Ansätzen gemacht, die zur Teilhabe der Menschen beitragen:

  • Bei der Aktivierenden Befragung werden im direkten Gespräch aktuelle Themen und Probleme in den Nachbarschaften eruiert, mit der Zielsetzung der gemeinschaftlichen Erarbeitung von Lösungen.
  • Schaffung, Öffnung und Ausgestaltung niederschwelliger Begegnungsorte zur Information, zum Austausch, zum gemeinsamen Tun, zur Begleitung selbstorganisierter Gruppen sowie für die Beratung in verschiedenen Lebenslagen.
  • Gemeinwesenarbeit gestaltet Lernsettings für Partizipations- und Empowermentprozesse und ermöglicht dadurch lebensnahe (Erwachsenen-) Bildung.
  • Sozialraum- und Netzwerkanalyse/Netzwerkarbeit – Bestandsaufnahme sozialdemografischer  Daten und Bündelung von individuellen wie institutionellen Ressourcen im Sozialraum; Kooperation und Vernetzung von Akteur/innen im Stadtteil.
  • Initiierung von (regelmäßigen) Dialogveranstaltungen und -settings, um Veränderungsprozesse zu reflektieren und gemeinsam Lösungen zu entwickeln.
  • Soziokulturelle Arbeit in Gestalt von z. B. Theater, Fotografie, Musik mit unterschiedlichen Menschen im Stadtteil, wodurch Vielfalt erlebbar und Kultur z. B. auch an bildungsferne Menschen vermittelt wird.
  • Arbeit mit kleinen und großen Gruppen, Förderung der Selbstorganisation – zielgruppenspezifische (Frauen, Familien etc.) oder themenbezogene (Wohnen, Verkehr, Grünfläche etc.) Gruppenarbeit.
  • Aufbau von heterogenen Gremien der bisherigen und neuen Bewohnerschaft in den Sozialräumen, um alle Seiten in eine strategische Weiterentwicklung des Gebietes einzubeziehen (Nachbarschaftsrat).
  • Ausbildung von Peer-Helpern (z. B. Stadtteilmütter oder Jugendliche), die als Multiplikator/ innen Informationen an Menschen in ähnlichen Lebenslagen vermitteln.
  • Soziale Inszenierung zur Förderung von Nachbarschaftskontakten, um soziale Prozesse auszulösen, z. B. durch gemeinschaftliche Kochoder Backaktionen zur sozialen Kontaktaufnahme.
  • Moderation von Prozessen, z. B. Zukunftskonferenzen, um gemeinsame Zukunftsvorstellungen zu entwickeln und ihre Realisierung voranzubringen.
  • Mediation zur produktiven Bewältigung von Konflikten in der Nachbarschaft, auch interkultureller Konflikte.
  • Aufbau von vertrauensvollen Beziehungen und demokratischen Strukturen mit dem Ziel des gemeinschaftlichen Handelns, im Sinne des politischen Empowerments.
  • Aufsuchende Gemeinwesenarbeit, die auf Menschen zugeht, ihre Interessen und Bedürfnisse erfragt und nicht in den Räumlichkeiten verharrt.
  • Beratung und Information für alle Bewohner/innen (Komm-Struktur) bzw. (begleitete) Weitervermittlung an andere Beratungseinrichtungen.
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Gemeinwesenarbeit von Anfang an

In der öffentlichen Diskussion steht häufig das Aufeinandertreffen von »Einheimischen« und »Geflüchteten« im Fokus, doch auch diese vermeintlich homogenen Gruppen sind jeweils durch eine große Bandbreite an Vielfalt gekennzeichnet und haben unterschiedliche Interessen und Bedürfnisse. Bereits in den Erstaufnahmeunterkünften leben Menschen ganz unterschiedlicher Herkunft, Lebensvorstellungen, Schichten und Milieus auf engstem Raum mit minimalen eigenen Entscheidungsmöglichkeiten zusammen. Wie sie innerhalb und außerhalb der Einrichtung das Gemeinwesen erleben, wird ihr Bild des Zusammenlebens in den aufnehmenden Ländern für lange Zeit prägen. Daher werden partizipative, sozialraumbezogene Angebote der Gemeinwesenarbeit von Anfang an gebraucht:

  • In den Erstunterkünften, in denen Geflüchtete oft über sehr lange Zeit bleiben, müssen die Bewohner/innen z. B. durch einen Bewohner/innenrat in die Gestaltung des Alltags einbezogen werden. Es gilt, Kontakte zwischen den Menschen und Gruppen sowie dem sozialen Umfeld herzustellen, Begegnungsmöglichkeiten zu schaffen, um Berührungsängste abzubauen und Konflikte produktiv zu bewältigen.
  • Bei den Containersiedlungen und Folgeunterkünften steht die Entwicklung einer guten, lebendigen Nachbarschaft mit dem umliegenden Stadtteil im Vordergrund. Hierbei erscheint ein Beginn der Gemeinwesenarbeit bereits vor dem Einzug von geflüchteten Menschen in diese (Container-)Siedlungen als sinnvoll, um vorab bereits mit den Interessen und Bedürfnissen der angestammten Bewohnerschaft zu arbeiten.
  • Die Erweiterung bestehender Siedlungen und der Aufbau neuer Wohngebiete muss im partizipativen Prozess mit verschiedenen Menschen und Interessengruppen vor Ort durchgeführt werden, von der Planung bis zur Umsetzung.
Seite 6: Notwendige Ressourcen der Gemeinwesenarbeit

Notwendige Ressourcen der Gemeinwesenarbeit

Professionelle Gemeinwesenarbeiter/innen

Um Veränderungsprozesse im Sozialraum zu begleiten, braucht es ein professionelles, interkulturelles Team aus Gemeinwesenarbeiter/innen mit Festanstellung und langfristiger Perspektive. Die anspruchsvollen Aufgaben im Sozialraum erfordern eine umfassende Auseinandersetzung mit theoretischen Inhalten (Inklusions- und Integrationskonzepten, Diversität, Empowerment, Soziales Kapital, Sozialraumorientierung, Raumtheorien) und methodischem Handwerkszeug.

Lokale Räumlichkeiten

Um lokal vor Ort arbeiten zu können, benötigen die Gemeinwesenarbeiter/innen einladende und barrierefreie Räume. Diese sollten am besten an einem zentralen Platz oder Markt gelegen sein, wobei mehrere Räume für die verschiedenen Nutzungen benötigt werden. In einigen Gebieten gibt es bereits Stadtteilzentren und Nachbarschaftshäuser mit etablierten Strukturen, in denen Begegnungen stattfinden. Diese gilt es, ggf. für weitere Nutzer/ innen zu öffnen und um weitere dezentrale Nachbarschaftstreffpunkte zu ergänzen. Im Bereich und Umfeld von Einrichtungen zur Unterbringung sowie in Quartieren, in denen Geflüchteten neu hinzuziehen, ist der Aufbau neuer Nachbarschaftstreffpunkte erforderlich. So können sich die neuen Nachbar/innen auf neutralem Boden begegnen und kennenlernen.

Langfristige statt kurzfristige Finanzierung

Veränderungsprozesse im Stadtteil zu begleiten und umzusetzen, erfordert Zeit. Auch der Aufbau vertrauensvoller Beziehungen in heterogenen Nachbarschaften muss wachsen. Daher ist für heterogene oder/und sich verändernde Gebiete eine langfristige Finanzierung und Planungssicherheit statt einer kurzfristigen, projektbezogenen Finanzierung wichtig.

Budget für Verantstaltungen und Material

Für die Arbeit im Sozialraum muss eine angemessene Ausstattung der Nachbarschaftsräume gewährleistet werden. Weiterhin wird ein unbürokratisch zu verwaltendes Budget benötigt, um kreative und innovative Prozesse und Begegnungen zu ermöglichen.

Träger/innen

Mögliche Träger/innen von inklusiver Gemeinwesenarbeit sind Vereine, Migrant/innenorganisationen, freie Träger/innen, Städte, Baugenossenschaften, kooperative Trägerstrukturen oder hochschulnahe Institute.

Kooperation und Forschungsprojekte

Der fachliche Austausch der Akteur/innen in den neuen Nachbarschaften soll durch Netzwerkstrukturen und Tagungen verstärkt gefördert werden. Zur Begleitung der sozialräumlichen Veränderungsprozesse müssen Forschungsprojekte zwischen Hochschule und Praxis zeitnah auf den Weg gebracht werden.

Tipp

Gemeinwesenarbeit fungiert als eine Art Seismograf im Stadtteil, erkennt frühzeitig aktuelle Themen und Probleme und weist Politik sowie Verwaltung auf (strukturelle) Probleme im Stadtteil hin. Die Gemeinwesenarbeiter/innen sind also auch als intermediäre Mittler/innen zwischen Bewohner/innen und Verwaltungsebene tätig. Gleichzeitig wird maßgeblich an Beziehungs- und Bildungsprozessen im Stadtteil gearbeitet. Die Investition in Empowermentprozesse für alle Menschen ist eine gesellschaftliche Pflichtaufgabe und ein wesentlicher Beitrag, um Ungleichheiten auszugleichen bzw. zu reduzieren. Diese Investitionen kommen allen Menschen vor Ort zugute, da sie sich positiv auf das soziale Miteinander und Zusammenleben der Menschen im Stadtteil auswirken. Damit wird einer wachsenden (sozialen) Spaltung etwas entgegengesetzt. Um zu lebendigen, vielfältigen, zukunftsfähigen Nachbarschaften zu gelangen, gilt es, das Konzept der Gemeinwesenarbeit zu (re-)aktivieren und systematisch auszubauen.

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Literatur

Kessl, Fabian; Reutlinger, Christian (2010): Sozialraum. Eine Einführung. Wiesbaden: VS Verlag.

Lüttringhaus, Maria (2011): Zusammenfassender Überblick: Leitstandards der Gemeinwesenarbeit. In: Hinte, W.; Lüttringhaus, M.; Oelschlägel, D. (Hrsg.): Grundlagen und Standards der Gemeinwesenarbeit. Weinheim: Juventa Verlag.

Spies, Anke; Pötter, Nicole (Hrsg.) (2011): Soziale Arbeit an Schulen. Einführung in das Handlungsfeld Schulsozialarbeit. Wiesbaden: VS Verlag.

Stövesand, Sabine; Stoik, Christoph (2013): Gemeinwesenarbeit als Konzept Sozialer Arbeit – Eine Einleitung. In: Stövesand, Sabine; Stoik, Christoph; Troxler, Ueli. (Hrsg.): Handbuch Gemeinwesenarbeit. Opladen: Verlag Barbara Budrich.

Stövesand, Sabine; Stoik, Christoph; Troxler, Ueli (Hrsg.) (2013): Handbuch Gemeinwesenarbeit. Opladen: Verlag Barbara Budrich.