Das Vereinswesen in Deutschland besitzt eine lange Tradition als Motor gesellschaftlicher Innovation. Vereine haben historisch entscheidend zur Sicherung eines vergleichsweise hohen Maßes an Sozialstaatlichkeit beigetragen, ebenso zu einem hohen Niveau an Rechtssicherheit für die Bürgerinnen und Bürger. Dazu zählen die individuellen Freiheitsräume und das gemeinschaftliche, zivilgesellschaftliche Engagement. Jenseits der Erfolge bei den sozialen und bürgerrechtlichen Entwicklungen waren Vereine Taktgeber des Fortschritts in vielen gesellschaftlichen Handlungsfeldern wie Ökologie, Kultur, Bildung, Sport und internationaler Verständigung.
Die rechtsstaatliche Sicherung bürgerlicher Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit ist von zwei Polen geprägt: Auf der einen Seite verbindet sich mit den gesetzlichen Grundlagen des Vereins- und Gemeinnützigkeitsrechts das Moment staatlicher Kontrolle. Auf der anderen Seite wird aber auch die Kraft und Dynamik anerkannt, mit der das Vereinswesen den gesellschaftlichen und politischen Wandel vorantreibt.
Gestaltungsspielräume
Angesichts des gesetzlichen Rahmens von Regelungswut zu sprechen, führt in die Irre. Im Vergleich zu allen anderen Institutionen- oder Körperschaftsformen des zivilen Rechts sind die Hürden für die Gründung eines Vereins niedrig, an die Ausgestaltung der Vereinsorganisation werden nur geringe rechtliche Anforderungen gestellt. Selbst die meisten losen Zusammenschlüsse von Bürgerinnen und Bürgern, die sich in nicht-rechtsfähigen Vereinen der formellen Registrierung entziehen, genießen weitgehend vergleichbaren Rechtsstatus in nahezu allen Belangen. Sie können mit »halber«, rein fiskalischer Kontrolle die Anerkennung der Gemeinnützigkeit erreichen, was mit weitreichenden Steuerbefreiungen für Organisation und Mitglieder wie auch mit Steuervorteilen für Förderer und Spender verbunden ist.
Die Verpflichtung des gemeinnützigen Steuerrechts auf das Allgemeinwohl umfasst
- die Erwartung, dass die Bürgerinnen und Bürger gesellschaftliche Ziele weitgehend altruistisch realisieren (Prinzip der Selbstlosigkeit),
- die Pflicht, alle Ressourcen, insbesondere die materiellen Ressourcen für solche Allgemeinwohl-Ziele und -Zwecke zu verwenden (Prinzip der Ausschließlichkeit),
- den »Zwang«, die in den Verein fließenden Mittel innerhalb von drei Jahren in die Zwecksetzung einfließen zu lassen (Prinzip der Unmittelbarkeit)
Dieser Handlungsrahmen für Vereine ist aus politischer und gesellschaftlicher Sicht eher eine Selbstverständlichkeit denn ein Zwangskorsett. Die Skandalgeschichten des Vereinswesens und Dritten Sektors – Vorstände mildtätiger Tafeln nutzen Luxussportwagen als Dienstwagen, andere Vorstände widmen Rettungshubschrauber zu (noch bequemeren und schnelleren) Mobilitätshilfen für eigene Zwecke um – zeigen, wie groß die (auch missbräuchlichen) Gestaltungsspielräume für kleine wie große Vereine sind. Dass es sich dabei um Einzelfälle handelt, wird oft übersehen. Die große Mehrzahl der Vereine schreibt Erfolgsgeschichten und leistet in vielen gesellschaftlichen Handlungsfeldern wichtige Arbeit.
Nachhaltige Vereinsarbeit
Die gute und in der Regel eher »stille« Vereinsentwicklung und -praxis zeigt, wie Vereine
- die politischen sowie vereins- und gemeinnützigkeitsrechtlichen Freiräume fruchtbar nutzen,
- eine moderne Vereinskultur entwickeln, die sich weit von dem alten spöttischen Zerrbild des Vereinsmeiers des 20. Jahrhunderts gelöst hat, ohne sich gänzlich dem vermeintlichen Königsweg einer betriebswirtschaftlichen Ausrichtung anheimzugeben, die sich an den Organisations-, Effizienz- und Ressourcennutzungsmodellen privatwirtschaftlicher Unternehmen orientiert,
- eine nachhaltige Selbstregulierungs- und Selbstorganisationslogik aufbauen und partiell auch wiederbeleben,
- sich erfolgreich an veränderte gesellschaftliche Rahmenbedingungen anzupassen vermögen. Zu nennen sind beispielsweise
- der Wandel im Verhältnis der Lebensalter und Geschlechter und bei der Rekrutierung des Nachwuchses
- der Zuzug von Menschen aus anderen Kulturräumen sowie ihre Integration und Inklusion auch und vor allem in und über Vereine
- die Veränderung der organisatorisch-technischen Infrastruktur der Vereinsarbeit, die sich insbesondere bei der internen und externen Kommunikation zeigt
- die spezifischen Professionalisierungs- und Qualifizierungsnotwendigkeiten.
Vorstandsarbeit umfasst die Entwicklung, Organisation und Führung von Vereinen. Nachhaltig ausgerichtet wird diese Arbeit, wenn Vorstände daran arbeiten,
- für die ideellen Ziele und Zwecksetzungen einen hohen Wirkungsgrad zu erreichen und auf einen mittel- bis langfristigen Wirkungszeitraum zu achten und
- gemeinschaftlich einen verantwortungsbewussten Umgang mit den ideellen, personellen und materiellen Ressourcen zu pflegen. Wichtig ist, dass die Nutzung der Ressourcen nicht zu Verschleiß führt und dass den bürgergesellschaftlichen »Triebkräften« (auf Seiten von Mitgliedschaft und Führung) die Möglichkeit eingeräumt wird, sich immer wieder zu regenerieren.
Damit ein Verein nachhaltig und erfolgreich arbeiten kann, benötigt er eine stimmige »Statik« aus Prinzipien, Normen, Regeln und Verfahren, welche den Willensbildungs-, Entscheidungs- und Handlungsprozess aller im Verein Tätigen zugrunde liegt. Gemeint ist ein durchaus flexibles Gerüst mit wandel- und anpassbaren Querstreben auf der Ebene der Normen, vor allem aber der Regeln und Verfahren. Dieses Gerüst ruht auf den Säulen der leitenden Prinzipien der Vereinsarbeit und den aus ihnen abgeleiteten Normen.