Community Organization und Gemeinwesenarbeit
Das aktuelle Zusammenwirken von erheblichen gesellschaftlichen Herausforderungen, schwachen Regierungsleistungen und einer wachsenden Beteiligungslücke fordert die Demokratie, nicht nur in Deutschland, sondern in allen westeuropäischen Wohlfahrtsstaaten heraus, verstärkt durch Internetkommunikation und soziale Netzwerke, die die Demokratiedefizite offensichtlich machen. (1)
Gesellschaftliche Herausforderungen
- zunehmende soziale Ungleichheit: Trotz des Rückgangs der Arbeitslosigkeit und der erhöhten Erwerbsquote der letzten Jahre, die auf die aktivierende Arbeitsmarktpolitik der Agenda 2010 zurückgeführt wird, ist doch die Zahl derer, die in prekären Lebens- und Arbeitsverhältnissen leben müssen, ständig angestiegen. Das hat – holzschnittartig gesprochen – lokale Finanzierungsprobleme sozialer Leistungen, sozialräumliche Segmentierungen und die Zunahme anti-ziviler, rassistischer und ausländerfeindlicher Milieus zur Folge.
- Substanzkrise des Politischen: (<a href="praxishilfen/community-organizing/was-bringt-die-zukunft/anmerkungen-quellen/#c11156" target="_blank">2</a>) Mit dem Rückzug des Staates u. a. durch die Privatisierung öffentlicher Güter und einem Regulierungsverzicht des Staates schrumpft dessen Einfluss und damit die Reichweite demokratischen Handelns. Bestes Beispiel dafür ist die Liberalisierung der Finanzmärkte. Die öffentliche Diskussion wird zunehmend von ungewählten Experten und Lobbyisten beherrscht. Dem entspricht – gleichsam als Spiegelbild – das Ergebnis der Deutschen Parlamentsstudie von 2010, die besagt, dass je nach Politikfeld 65 bis 88 Prozent der Volksvertreter bezweifelten, maßgeblichen Einfluss auf die Gestaltung ihres Politikbereiches zu haben. Entsprechend sind auch die Akzeptanz und das Vertrauen in die Politik in der Bürgerschaft gesunken.
Von Reformen allerdings ist viel die Rede. Täglich kann man davon in den Medien lesen. Aber sie verlaufen dann doch immer nach dem gleichen Muster: Experten versammeln, Türen verschließen, Reformplan formulieren, ihn verkünden und vielleicht umsetzen, Kritik abweisen. (3) Reformen ohne und gegen die Bevölkerung, oft ohne angemessene parlamentarische Beteiligung, ohne öffentliche Debatten sind ein Kennzeichen der letzten Reformdekade, Schröders »Basta-Politik« ist das beste Beispiel.
Da wachsen das Unbehagen in der Bevölkerung an der Politik und der Wunsch nach stärkerem Einfluss auf die Gestaltung des Alltagslebens, aber auch auf politische Entscheidungen. Es gibt ein zunehmendes demokratisches Beteiligungspotenzial – das mehr ist als Protestpotenzial – und vielfältige Suchbewegungen, wie dieses praktisch werden kann. Diese Suchbewegungen – Proteste und Bürgerinitiativen bis hin zu Sozialen Bewegungen – sind in den letzten Jahrzehnten zu einem selbstverständlichen Bestandteil politischer Kultur geworden. Community Organizing gehört dazu. Aber dennoch ist dem Beteiligungsanspruch, der sich in diesen Initiativen, auch in CO, zeigt, keine entsprechende demokratische Strukturreform gefolgt.
CO ist ein Teil dieser Entwicklung der Gesellschaft. Dass das in der Geschichte von CO stets so war, dass ein Zusammenhang zwischen den ökonomischen und politischen Verhältnissen und der Entwicklung von CO bestand, ebenso wie ein Zusammenhang zu Sozialen Bewegungen – das gilt übrigens ebenso für die Gemeinwesenarbeit (GWA) –, dem möchte ich in der Geschichte von CO und GWA nachgehen.
Wenn man von den für CO reklamierten Vorläufern, wie beispielsweise der Settlementbewegung, absieht, kann man das Auftauchen des Begriffes CO in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg annehmen. In der Literatur findet er sich zum ersten Mal bei Joseph Hart, der 1920 ein Buch unter dem Titel »Community Organization« veröffentlichte. CO meint in dieser frühen Phase Strategien »zur Änderung der als unzugänglich empfundenen Ordnung menschlichen Zusammenlebens« (4) im Sinne einer demokratischen Gemeinschaft. Schon damals wusste man, dass CO »sich der jeweils besonderen sozialen Bedingungen ihrer Zeit zu vergewissern und sich ihnen anzupassen habe«.