Beispielgeschichte Mühlenviertel

Phase VII: Die Kontrolle – Der Joker

Das Treffen in der Woche nach der Aktion wird zur internen Auswertung genutzt. Die Gruppe hat die Reaktionen auf ihre Aktion als sehr gemischt erlebt: Die Leute vom Stadtradio, die ziemlich lange bei der Aktion anwesend waren, haben positiv berichtet. Aber in der Lokalzeitung hat – trotz überwiegend positiver Berichterstattung – eine Diskussion in der Leserbriefspalte begonnen, die sie in Verbindung mit den zerstochenen Reifen zu bringen sucht. Die Oppositionspartei im Rat hat die Gelegenheit genutzt, gegen die »Chaoten und Gesetzesbrecher« zu polemisieren. Gute Reaktionen hat es von verschiedenen Initiativen des benachbarten Bürgerzentrums gegeben. Der Gruppe wurden sogar Räumlichkeiten für ihre Treffen angeboten.

Die interne Kommunikation hat in der Stress-Situation nicht so reibungslos geklappt, beim nächsten Mal sollten schon vorher bessere Absprachen getroffen werden. »Vielleicht sollten wir unsere nächste Aktion vorher einmal durchspielen«, findet Fariba. Klaus erzählt, dass er jemanden kennt, der solche Vorbereitungs-Trainings leiten kann, und er wird beauftragt, den Kontakt herzustellen.

Aber auch der Gegenwind hatte sein Gutes: Inzwischen gibt es drei Kirchengemeinden, die grundsätzlich ihre Bereitschaft zum Kirchenasyl signalisiert haben. Ohne die öffentliche Diskussion wäre das sicher nicht so schnell gegangen.

Wie auch immer – unterm Strich ist die Gruppe sehr zufrieden mit sich: Die Aktion hat Spaß gemacht, sie hat viele Menschen informiert und einige sogar mobilisiert. Es gab eine überwiegend gute Resonanz in der Presse, und man hatte dem Stadtrat gezeigt, dass es eine organisierte Opposition gegen Abschiebungen gibt.

»Ich hätte da noch drei Flaschen Wein, die letzte Woche übrig geblieben sind«, zieht Bastian den Joker, der von der Auswertung zur Feier des Erfolgs überleitet. Fast zuwenig für die 12 Personen, aus der die Gruppe seit letzter Woche besteht...

9 Monate später:

Die weiteren Aktionen haben Wirkung gezeigt. Die Zahl der aktiven Unterstützer-/innen ist gewachsen, aber es gibt auch einige entschiedene Gegner/innen. Dennoch wurden die erforderlichen Unterschriften gesammelt und der Bürger/innenantrag eingebracht, der allerdings – wie schon angenommen – nicht zur Entscheidung gekommen war. Bis zur Wahl ist er auf Eis gelegt, offiziell mit dem Argument, dass seine Zulässigkeit geprüft werden müsse.

Das Wichtigste ist sicher, dass Familie Blonicz vorerst nicht abgeschoben wird. Die Rechtsmittel gegen die Ausreiseverfügung hatten Erfolg. Eine wichtige Rolle haben dabei auch die Mitschüler/innen der beiden Kinder gespielt. Spontan hatten zunächst die beiden betroffenen Klassen, später dann sogar die ganze Schule eine regelmäßige Mahnwache organisiert.

»Haben wir nun gewonnen? Ist dieses Ergebnis ein Erfolg unserer Arbeit?«, wirft Inge die entscheidende Frage in die Runde, die sich weiterhin regelmäßig trifft. Schließlich setzt sich die Überzeugung durch, dass – wie auch immer – das Ziel erreicht wurde, das erreicht werden sollte: Über Wochen hat das Thema »Abschiebung« in der Stadt eine wichtige Rolle gespielt, und die Befürworter/innen einer harten Abschiebe-politik mussten sich zunehmend auf formale Argumente zurückziehen. Es ist gelungen, anhand des konkreten Beispiels der Familie Blonicz deutlich zu machen, dass eine Abschiebung gegen den Willen der Familie moralisch kaum zu rechtfertigen ist. Als größten Erfolg sieht die Gruppe es an, dass die Bloniczs bleiben können und sich vorerst auch nicht mehr verstecken brauchen – auch wenn das letzte Wort in der Sache immer noch nicht gesprochen ist.

Bei einem Fest vor einer Woche waren viele Menschen zusammengekommen – und es wurden schon die nächsten Aktivitäten geplant, schließlich gibt es weiter genug Unrecht gegenüber Flüchtlingen.

Was weiter gemacht wird, ist noch nicht so klar, aber sicher ist, dass die Gruppe zusammenbleiben will und am Thema dranbleibt. Der Erfolg motiviert zu neuen Taten. Außerdem hat die Arbeit in der Gruppe als auch während der Aktion Spaß gemacht und nicht zuletzt sind einige neue Freundschaften entstanden ...