Beispielgeschichte Mühlenviertel

Seite 1: Maßnahmenrealisierung, Interkulturelle Punschparty

Phase VI: Die Maßnahmenrealisierung – Interkulturelle Punschparty

Die letzten beiden Wochen vor der Aktion waren tatsächlich äußerst hektisch. Ohne den gut strukturierten Zeitplan und die Checkliste, wer wann was macht, wäre alles kaum zu bewältigen gewesen. Aber genau nach Plan wird das Flugblatt zur Ankündigung der Punschparty einige Tage vor dem Aktionstermin verteilt und an möglichst vielen öffentlichen Stellen ausgelegt. Klaus hat Kontakt mit einem Redakteur vom Lokalradio aufgenommen.

Der Bürger/innenantrag mit der Unterschriftenliste ist in einigen Nachtsitzungen schließlich in angemessener Sprache formuliert worden. Und das, obwohl ein Anwalt darauf hingewiesen hatte, dass der zuständige Ausschuss des Stadtrats sich für nicht zuständig erklären könne, wenn er einen Bürger/innenantrag dieses Inhalts für rechtlich unzulässig halte. Die Gruppe hatte gemeinsam entschieden, an dem Antrag festzuhalten, weil er eine gute Möglichkeit für eine Solidarisierung auf einem niedrigen Niveau sei. »Es ist wichtig, dass auf den Blättern schon Personen unterschrieben haben, wenn wir in der Öffentlichkeit Unterschriften sammeln. Auf einem leeren Blatt ist es viel schwieriger, die erste Unterschrift zu sammeln«, hatte Gunda gesagt. Daraufhin hatten alle im Freund/innen- und Bekanntenkreis Unterschriften gesammelt, immer 3 - 4 pro Unterschriftenblatt. Kaum zu glauben: Innerhalb von 4 Tagen waren so bereits über 190 Unterschriften zusammengekommen.

Für die Punschparty hat ein befreundeter Weinhändler sogar 2 Kisten Wein gespendet, allerdings unter der Bedingung, dass auf den Stehtischen Papierdeckchen mit seinem Logo liegen.

Eine letzte Grundsatzdiskussion hatte die Gruppe ebenfalls erfolgreich überstanden: Gegen die Proteste von Klaus wurde die interkulturelle Punschparty bei der Verwaltung angemeldet. Schließlich handele es sich dabei bloß um eine Information, nicht um eine Bitte um Erlaubnis, hatten Gunda und Inge argumentiert. Diese Auffassung wurde in der Gruppe vor der Mehrheit geteilt und auch Klaus erklärte sich letztlich mit der Anmeldung einverstanden.

Donnerstag, der 25. November, nachmittags um 14 Uhr: Genau nach Zeitplan –  selbst Matthias ist diesmal pünktlich da – werden die Stehtische auf dem Platz vor dem Rathaus aufgebaut; der Besitzer des Weinladens ist zusammen mit seiner Frau gekommen, und lässt es sich nicht nehmen, persönlich den Punsch zu kochen und auszuschenken. Für Kinder und Antialkoholiker/innen gibt es heißen Apfelsaft. Da glücklicherweise auch das Wetter mitspielt, sind doch eine ganze Menge Leute unterwegs. Der Duft des Punsches verlockt recht viele Passant/innen an den Infotischen stehen zu bleiben. Und in zahlreichen Fällen führen die Gespräche sogar dazu, dass sie sich auf den Unterschriftslisten eintragen – zusätzlich zu den bereits vorab gesammelten Unterschriften.

Klaus und Bastian stehen mit einem großen Transparent an der Einfahrt zum Parkplatz und stoppen alle Autos ausländischer Marken. »Das Boot ist voll!« steht mit dicken roten Lettern auf dem Plakat. Die Autofahrer/innen erhalten ein Infoblatt, das ihnen erläutert, dass der Parkplatz heute deutschen Automarken vorbehalten sei. Auf der Rückseite wird der symbolische Zusammenhang zur Flüchtlingspolitik erläutert.

Die Autofahrer/innen reagieren äußerst unterschiedlich: Einige drehen um, zum Teil wohl aus Angst um ihre Autos, zum Teil, weil sie einfach keine Lust auf die Diskussion oder auf Konfrontation haben. Andere fahren einfach drauflos, was in einem Fall sogar zu einer gefährlichen Situation führt, weil eine Person hinter dem Transparent fast überfahren worden wäre. Nur mit einem Sprung zur Seite kann sich ein Sympathisant, der sich der Aktion spontan angeschlossen hatte, ebenfalls davor retten, von einem Auto überfahren zu werden. Immerhin führt das zu einem erheblichen Tumult, in dessen Verlauf auch die herbeigerufene Polizei mit für die Sperrung des Platzes sorgt.

»Können die uns eigentlich sofort eine Anzeige aufbrummen?«, fragt Beate und ärgert sich, dieses Detail nicht vorher abgeklärt zu haben. Klaus, der sich etwas mit rechtlichen Fragen auskennt, meint, »Wenn wir nach der zweiten Aufforderung von der Straße runtergehen, werden die uns nicht viel anhaben können.« Ganz sicher ist er sich allerdings auch nicht. Mit der Polizei wird schließlich ein Abkommen getroffen: Ausländische Automarken dürfen weiterhin angehalten werden, ihnen kann das Infoblatt überreicht werden, aber jede/r, der/die dennoch auf dem Platz parken will, darf ihn befahren, solange Plätze zur Verfügung stehen.

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Den Versuch von Bastian und Klaus, die Aktion schleichend wieder zu verlängern, beendet Beate resolut: »Kommt gar nicht in Frage«, sagt sie, »wofür haben wir das dann vorher so ausführlich diskutiert? So, wie wir die Aktion verabredet haben, konnten alle Gruppenmitglieder dahinter stehen. Und außerdem, ich finde, wir sollten es nicht übertreiben. Die Autofahrer und Autofahrerinnen sind ohnehin schon geladen genug und die Aufmerksamkeit, die wir wollen, haben wir doch auch so. Und auf Krach mit der Polizei kommt es mir wirklich nicht an.« Die anderen sind alle ihrer Meinung und so bleibt es bei den ursprünglichen Absprachen.

Um 17 Uhr ist es schon fast dunkel – ein Detail, das die Gruppe in ihrer Planung nicht berücksichtigt hatte. Ein höchst erboster Autofahrer kommt auf den Infostand zu und bedroht Matthias mit dem Schirm. »Ich will den Verantwortlichen sprechen, das wird verdammt teuer für Sie«, ruft er lautstark. Nach einigem Hin und Her kommt heraus, dass seine Reifen zerstochen wurden – ausgerechnet die seines ausländischen Fahrzeugs. Der herbeigerufene Motorrad-Polizist lässt sich auf keine Diskussion ein:  »Verlassen Sie sofort den Parkplatz«, herrscht er Klaus, Beate und Bastian an und nimmt ihnen auch direkt das Transparent ab. Offenbar weiß er nichts von den Absprachen, die die Gruppe mit seinen Kollegen getroffen hat. Die drei sind selber von dem Zwischenfall so überrascht, dass sie der Aufforderung erst einmal ohne Widerrede Folge leisten.

Vergeblich weist Gunda darauf hin, dass kein Gruppenmitglied die Reifen zerstochen haben könne. »So doof ist doch keine und keiner von uns. Unsere Namen kriegen Sie doch hier auf dem Präsentierteller. Ganz abgesehen davon, dass wir so eine Aktion selbst bescheuert finden, will sich doch keiner mal schnell um 300 Euro ärmer machen.« Aber es nützt nichts. Der Zwischenfall führt dazu, dass alle an der Aktion Beteiligten – einschließlich des Weinladenbesitzers – ihre Personalien angeben müssen. Damit haben sie in ihrer Planung überhaupt nicht gerechnet und die Stimmung ist deutlich gedämpft. Nach einer kurzen Besprechung einigt man sich, dass der Punschausschank und die Unterschriftensammlung wie verabredet bis 19 Uhr fortgesetzt werden sollen, die »Parkplatzaktion« jedoch abgebrochen wird. Alle haben Angst, dass in den Presseberichten nicht mehr ihr Anliegen, sondern die zerstochenen Reifen im Mittelpunkt stehen.

Eine knappe Stunde vor Schluss sind alle Unterschriftenlisten voll und Inge fährt in ihr Büro, um noch einige Kopien zu ziehen – leider genau zu der Zeit, als unerwartet doch noch eine Reporterin der Tageszeitung auftaucht. Da Inge die Funktion der Pressesprecherin übernommen und sich auch auf diverse Fragen am besten vorbereitet hat, wird die Journalistin hingehalten. Nach dem Motto »Verschweigen hilft nicht« spricht Klaus von sich aus den Zwischenfall mit den Reifen an und erreicht immerhin die Zusage, dass sie ihre Berichterstattung nicht mit dem Tenor »Sabotage« schreiben will. Mit einem heißen Punsch wird ihr die Wartezeit etwas verkürzt, und im Gespräch stellt sich heraus, dass sie regelmäßig über die Einsätze von Polizei schreibt und vielleicht über einige nützliche Informationen verfügt, die man gelegentlich mal anzapfen könnte. Inge macht ihren Job als Pressesprecherin im Übrigen wunderbar. Sie hat wichtige Texte zusammengestellt und gleichzeitig auf Diskette gezogen. Charmant und selbstbewusst gibt sie diese mit noch zusätzlichen Informationen  weiter, wie sich die Gruppe zusammengefunden hat und wie man dazu stoßen kann, wenn Interesse besteht.

»Allmählich wird es mir wirklich zu kalt, und außerdem ist auch nicht mehr so viel los! Ich finde, wir sollten Schluss machen.« Gunda schaut auf die Uhr und findet, dass man sich die letzten 20 Minuten schenken kann. »Fünf weitere Unterschriften sind doch die Frostbeulen nicht wert.« Die Gruppe ist sich einig und in Kürze sind die Tische abgebaut und im Weinladen untergestellt. Die Gruppe verabredet, sich zu einem gemütlichen Ausklang noch für ein Stündchen in der Kneipe zu treffen. Dort gibt es noch eine größere Debatte über die Sabotageaktion. Gunda betont, dass sie mit ihrem Arbeitgeber Schwierigkeiten bekommen könne, wenn sie mit illegalen Aktionen in Verbindung gebracht werde, »zudem war diese ›Unterstützung’ kontraproduktiv, da sie unseren Gegnern in die Hände gespielt hat.« Klaus erwidert, dass er – ebenfalls im Öffentlichen Dienst – auf Dauer gelernt habe, nicht vorschnell mit Angst zu reagieren. »Schließlich warst du nicht beteiligt, Gunda, das können wir alle bezeugen!« Auch wenn Gunda nicht so recht glauben mag, dass ihr diese Unterstützung wirklich helfen könne, stimmt sie doch zu, dass der erzielte Erfolg das Wesentliche sei. »Jedenfalls haben wir zig Unterschriften gesammelt und sehr viele Gespräche geführt. Jetzt können wir auch besser einschätzen, wie die Stimmung in der Bevölkerung ist und wie viele Menschen uns – zumindest per Unterschrift – unterstützen.« Es herrscht eine ziemliche Zufriedenheit mit der Aktion und gemeinsam stoßen sie auf ihre gelungene Premiere an. »Der Anfang ist gemacht – auf dass weitere Aktionen folgen werden!«