Zwischen Kooperation und Konfrontation (Essen-Katernberg)

Seite 1: Ausgangslage, Vorgehensweise, Ziele

Seit den 90er Jahren wird in Essen-Katernberg integrierte Stadtteilentwicklung nach dem Essener Modell Quartiermanagement organisiert. Das heißt, dass neben einer sozialraumorientierten Ausrichtung der Verwaltung die Beteiligung von lokalen Institutionen, Bewohner/innen, Politik und Vereinen im Mittelpunkt steht. Als Vermittler/innen zwischen Gesamtstadt und Quartier fungieren intermediäre Akteur/innen als Stadtteilmoderator/innen, die beim Institut für Stadtteilentwicklung, Sozialraumorientierte Arbeit und Beratung (ISSAB) der Universität Duisburg-Essen beschäftigt sind.

Ausgangslage

Zu Beginn der 2000er Jahre wurden aufgrund der bundesweiten Privatisierung öffentlicher Immobiliengesellschaften sozialräumliche, integrierte Handlungsstrategien in Kooperation mit privater Immobilienwirtschaft zunehmend schwieriger und teilweise unmöglich. Auch in Essen-Katernberg wurden große Immobilienbestände des sozialen Wohnungsbaus in nur wenigen Jahren mehrfach veräußert. Eine eindeutige Zuweisung von Verantwortung zwischen Eigentümervertretung, wechselnden Hausverwaltungen und diversen externen Dienstleistern fehlte und führte zu einer unzureichenden Verwaltung der Häuser und Protesten bei den Mieter/innen.
Mit Hilfe aktivierender Arbeit sollten die Wohnbestände und das Zusammenleben vor diesem Hintergrund in Aushandlungen mit der Wohnungswirtschaft und unter konsequenter Beteiligung und Organisation von Mieter/innen entwickelt werden. Durch den Aufbau von öffentlichem Druck und kontinuierlichen Gesprächen mit einzelnen Entscheidungsträger/innen gelang es, die privatwirtschaftlichen Akteur/innen von einer Zusammenarbeit mit Akteur/innen des Stadtteils und ihren Mieter/innen zu überzeugen. Den Erfolg bei den Ergebnissen dieser Zusammenarbeit brachte eine Mischung aus investiven Maßnahmen und sozial-kommunikativen sowie sozialarbeiterischen Elementen. Regelmäßig wurden Bewohner/innen- und Hausversammlungen abgehalten, Haustürgespräche geführt und Ansprechpartner/innen (»Hauspaten«) in der Mieterschaft etabliert. In anschließenden Gesprächen mit den wechselnden Eigentümervertreter/innen wurden unter Einbezug lokaler Politik und Institutionen verbindliche Verabredungen getroffen und praktische Lösungen zur Verbesserung des Wohnumfelds und des Services vereinbart.
Ab 2016 wurde die Strategie auf Basis einer gemeinsamen Zielvereinbarung mit drei Wohnungsbaugesellschaften im Katernberger Norden fortgeführt und durch ein an den sozialen Lagen der Bewohner/innen ausgerichtetes Quartiermanagement in einer dreijährigen Projektphase organisiert.

Besonderheiten der Vorgehensweise

Den Einstieg in das Kooperationsprojekt Grüner Norden Katernberg bildete eine aktivierende Befragung im Projektgebiet mit ca. 1000 Haushalten, von denen mindestens ¼ konsultiert werden sollte. Die aktivierende Befragung wurde mit Profis der Stadtteilarbeit, Akteur/innen der Einzelfallarbeit des Jugendamtes aus Essen-Katernberg und Studierenden der Universität Duisburg-Essen umgesetzt. Bereits im Vorfeld der Befragung wurde eine Schulung und Einführung der Mitwirkenden durch das ISSAB organisiert. Das Projektteam umfasste ca. 15 Personen, die die Bewohner/innen des Projektgebiets in einem Befragungszeitraum von einer Woche jeweils in 2er-Teams befragten.
Durch die langjährige Vorarbeit konnten die Initiator/innen des Projekts auf einen gut ausgestatteten Mietertreff als Basisstation und die Unterstützung durch Mieter/innen zurückgreifen. Auch konnte der Einsatz der Teams durch die langjährige Zusammenarbeit entsprechend differenziert und passend angesetzt werden.
Auf die aktivierende Befragung folgten ein Namenswettbewerb für das Gesamtprojekt sowie zahlreiche weitere beteiligungsorientierte Maßnahmen (Spielplatzaktionen, Wohnumfeldgestaltung, Mieterversammlungen).

Ziele

Durch die aktivierende Befragung sollte es gelingen, möglichst viele Bewohner/innen des Quartiers zu erreichen, über den Start des Projekts zu informieren und mehr über ihre Interessen und Wünsche, aber auch Schwierigkeiten und Unzufriedenheiten zu erfahren. Aus Sicht der wohnungswirtschaftlichen Akteur/innen war die Befragung wichtig, um Investitionen zu planen und Prioritäten zu setzen. Die Akteur/innen des Quartiermanagements konnten hingegen zusätzliche persönliche Kontakte aufbauen, sich mit besonders engagierten Bewohner/innen vernetzen und neu zu entwickelnde Angebote in den Mietertreffs möglichst beteiligungsorientiert planen und umsetzen.
Ein weiteres Ziel bestand darin, die bereits bestehenden Mieteraktivitäten und -initiativen stärker miteinander zu verknüpfen, um so eine gemeinsame und stärkere Organisation der Mieterinteressen zu ermöglichen.

Seite 2: Erkenntnisse, kritische Punkte, Fazit

Erkenntnisse

Insgesamt hat sich aktivierende Befragung als Einstieg in die 3-jährige Projektphase bewährt. Durch die Befragung von mehr als 300 Haushalten im Quartier konnte nachvollzogen werden, wie die jeweiligen Gesellschaften mit ihren Mieter/innen, Reparatur- und Investitionsbedarfen, Belegungspolitik und dem Wohnumfeld umgehen. Viele Mieter/innen fühlten sich durch mangelndes Verantwortungsgefühl der Immobiliengesellschaften mit ihren Problemen allein gelassen zeigten sich frustriert und wütend hinsichtlich maroder Dächer, Schimmel in den Wohnungen, bröckelnder Fassaden und dreckiger Hausflure. Im Rahmen der Bewohnerversammlung wurden die Schwierigkeiten von der Presse thematisiert und damit der Druck auf die Immobiliengesellschaften erhöht. Durch die Etablierung einer Steuerungsgruppe zum Projekt und den Einbezug der Mieter/innen in die weiteren Schritte konnten die Bedürfnisse im Anschluss an die Befragung aufgegriffen werden.

Gerade mit Blick auf die Befragung geflüchteter Familien, alter und kognitiv beeinträchtigter Menschen war die Befragung durch Expert/innen aus dem Stadtteil vorteilhaft. Hier stand nicht das eigentliche Ziel der Befragung im Vordergrund, sondern die anschließende Unterstützung im Einzelfall. Auch konnte festgestellt werden, dass sich Migrantenfamilien weniger über die sprachintensive aktivierende Befragung erreichen ließen, sondern die Ansprache eher über Kinderangebote, aufsuchende Angebote wie eine »Spieletonne« oder ein mobiles Tee-Café im Quartier gelang.

Weitere praktische Erkenntnisse:

  • Die meisten Menschen konnten nachmittags und am frühen Abend angetroffen werden.
  • Die Gespräche dauerten zwischen 5 und 30 Minuten und ein Großteil der Menschen im Quartier war an einem Gespräch interessiert, obwohl Sprachbarrieren intensivere Gespräche zum Teil verhinderten.
  • Die 2er-Teams waren im Idealfall jeweils mit einer Fachkraft und einem/einer Studierenden sowie männlich und weiblich besetzt.
  • Für möglichst genaue Ergebnisse war eine zeitnahe Auswertung der Gespräche sinnvoll.
  • Es hat sich bewährt, zentrale Ergebnisse der Befragung auf Plakate zu drucken und diese nicht nur bei der Versammlung, sondern auch danach gut sichtbar im Quartier aufzuhängen. Dies sorgte im Anschluss an die Befragung für rege Diskussionen und erhöhte die Aktivitätsbereitschaft.

Kritische Punkte

  • Die zeitnah an die Befragung anschließende Bewohnerversammlung wurde eher von Langzeitmieter/innen besucht, die sich sehr interessiert an den Ergebnissen und der Möglichkeit der öffentlichkeitswirksamen Kritikäußerung zeigten, aber nicht unbedingt ein Engagement im Anschluss an die Versammlung anstrebten. Einige aktive Mieter/innen schlossen sich jedoch den bestehenden Mieter/inneninitiativen an.
  • Umfangreiche Modernisierungsarbeiten, die auch eine Folge des Projekts waren, erforderten kontinuierliche Gespräche mit den Mieterinitiativen und der Wohnungswirtschaft, um modernisierungsbedingt steigende Mietpreise und die Verdrängung von Mieter/innen zu vermeiden. Gänzlich war dies jedoch nicht möglich.
  • Obwohl die Verbesserung der Spielplätze im Quartier ein zentrales Thema der Befragung war und viele Bewohner/innen bereit waren, sich hierbei aktiv einzubringen, gelang eine Umsetzung des Vorhabens trotz Absprache mit den Immobiliengesellschaften nur bedingt. Hohe Kosten bei gleichzeitig geringen Gewinnerwartungen begrenzten die Gestaltung der Spielplätze auf kleine Maßnahmen.
  • Der Verkauf eines Bauunternehmens nach ca. einem Jahr machte alle bis dahin getroffenen Absprachen zunichte. Die Zusammenarbeit wurde auch mit dem neuen Eigentümer fortgesetzt, Mieter/innen und Quartiermanagement standen jedoch wieder am Anfang der Gespräche.

Fazit

Letztendlich bleibt die Vermittlung zwischen Quartiermanagement, Mieterinitiativen und privaten, primär profitorientierten Immobiliengesellschaften ein Balanceakt zwischen Kooperation und Konfrontation, bei dem Beharrlichkeit hinsichtlich der zentralen Anliegen und Rechte der Mieterschaft ein wichtiger Punkt ist. Es wurde jedoch auch deutlich, dass es im Zuge der verbindlichen Kooperation gelingen kann, den Willen der Mieter/innen aufzugreifen und organisierte, kollektive Interessen konstruktiv mit der Immobilienwirtschaft ins Gespräch zu bringen. Die aktivierende Befragung ist insbesondere als Einstieg eine gute Grundlage, die durch weitere Schritte der Unterstützung und Organisation von Mieter/innen sowie kontinuierlichen Gesprächen mit den Unternehmen ergänzt werden muss.