Freibier als Lockvogel

Ausgangslage/Rahmenbedingungen

Die Eisenbahnstraße in Leipzig-Volkmarsdorf war vor der Wende die Geschäftsstraße, in der es in vielen kleinen Spezialgeschäften alles zu kaufen gab, was sonst nirgendwo zu bekommen war. Nach der Wende ist vor allem durch die starke Verkehrsentwicklung die Attraktivität der Straße stark zurückgegangen. Viele Geschäfte wurden geschlossen. In den angrenzenden Häusern gibt es nur noch wenige Mieter/innen. Das Klientel hat sich stark gewandelt.

In einer Baulücke an dieser Hauptverkehrsstraße befand sich einmal ein Spielplatz. Da es sich jedoch um keine städtische Fläche handelt, und ein/e Eigentümer/in nicht festgestellt werden kann, verwilderte die Grünfläche mehr und mehr. Die Bänke waren demoliert, der Sandkasten leer, die Pergola überwuchert und kaputt. Hier lag der Ansatzpunkt für uns.

Im Rahmen des Quartiersmanagements für Leipzig-Volkmarsdorf haben wir als freies Beratungsbüro den Auftrag von der Stadt, den Stadtteil auf allen Ebenen weiter zu entwickeln. Dies geschieht zum Beispiel durch Nutzbar-Machen von Brachflächen und Beseitigen von Ruinen, durch vielfältige Aktivitäten in Richtung Kultur und Nachbarschaft, durch die Stärkung der Potenziale der Eisenbahnstraße und Unterstützung der ansässigen Handels- und Dienstleistungsunternehmen. Auch die Image-Entwicklung für den Stadtteil ist ein Thema. Besonderes Ziel ist es, die Anwohner/innen in den gesamten Prozess einzubeziehen. Das heißt auch, ihr Interesse für den Stadtteil zu wecken und ihr Engagement zu fördern.

Zunächst organisierten wir im Rahmen eines ABM-Projektes, dass der Platz an der Eisenbahnstraße wieder benutzbar wurde.

Ziele der thematisch zielgerichteten und zugleich thematisch offenen Anwohneraktivierung

Nun stand die Frage nach der regelmäßigen Pflege und Reinigung an, denn dafür waren von außen keine Kapazitäten verfügbar. Dabei wollten wir einerseits diejenigen ansprechen, die die Fläche bereits nutzten. Wir gingen davon aus, dass diese bereits ein Interesse an der Pflege und Sauberkeit haben. Wir luden sie ein, sich persönlich dafür einzusetzen. Darüber hinaus wollten wir herausfinden, wer diese Grünfläche noch nutzen würde. Dabei ging es darum, neugierig zu machen und das Interesse für die Fläche zu wecken.

Unser Ziel im Hinblick auf die Anwohner/innen und Nutzer/innen war, dass sie selbstständig die Initiati­ve ergreifen und zwar auf Grund der Erkennt­nis, dass der momentane Zustand nur erhalten werden kann, wenn sie es selber wollen und tun. Das Ziel für die Fläche war eine regelmäßige Pflege und das Vorbeugen von Müllablagerungen.

Besonderheiten in der Vorgehensweise

Wir luden die Anwohner/innen aller anliegenden Häuser zu (bisher zwei) Grillabenden auf die Fläche ein. Dafür verteilten wir Aushänge in die umliegenden Häuser und sprachen Menschen aus dem Umfeld an, zu denen bereits Kontakt besteht. Bier und Bratwürste gab es kostenlos und wir kamen ins Gespräch. Dabei ging es um die (Eigen-) Interessen der Menschen. Auf Grund unserer Zielsetzung griffen wir auf thematisch eingegrenzte Fragen zurück, aber öffneten uns zugleich durch Rückgriff auf die offenen Fragen der Aktivierenden Befragung den Themen und Zielen der Anwesenden: Hilfreiche Fragen waren für uns u.a.:

  • Wohnen Sie hier in den Häusern? Wo?
  • Wenn Sie die Fläche aus dem Fenster beobachten/sehen: Wer kommt hier her? Wer nutzt diese Fläche und wie? Wen beobachten Sie dabei?
  • Sind Sie manchmal hier? / Nutzen Sie diese Fläche?
  • Was machen Sie hier oder was würden Sie hier gerne machen?
  • Was muss verändert werden, damit Sie es nutzen können?


Für die weiteren Aktivitäten waren konkrete Fragen am besten, z.B.: Würden Sie beim Mähen helfen?

Zusammen beschlossen wir die nächsten Schritte: Es wurde gemeinsam gemäht, natürlich wieder mit Grill. Gemeinsam sammelten wir auch den Müll auf, der sich in der Zwischenzeit angesammelt hatte und harkten das Heu zusammen. Es entstand eine Atmosphäre, bei der alle mit anpackten.

Erkenntnisse

Durch die freiwilligen Arbeitseinsätze geschah eine Identifikation mit dem Platz. Die Anwohner/innen nahmen wahr, dass die Gestaltung ihrer unmittelbaren Wohnumgebung auch in ihrer eigenen Hand liegt. Der Grill hatte dabei nicht nur kommunikative Funktion. Die Wurst diente zusammen mit dem Freibier auch als »Lockvogel« , um ins Gespräch zu kommen und um Unentschlossene zur Mitarbeit zu bewegen.

Kritische Punkte

Durch das Angebot des Freibiers erreichten wir viele Alkoholiker/innen. Das ist unter Umständen problematisch für die Arbeitssicherheit. Jedoch könnten gerade die Reinigungsarbeiten dazu führen, dass sich diese Menschen in Zukunft selbst um die ordnungsgemäße Entsorgung ihrer leeren Bierbüchsen kümmern.

Das Quartiersmanagement kümmerte sich um die Organisation. Wir legten die Termine fest, besorgten das Arbeitsmaterial, den Grill usw. Es kam jedoch darauf an, den Übergang zu mehr Eigeninitiative der Anwohner/innen zu gestalten, sodass sie sich auch selbstständig und ohne fremde Organisation um ihre Fläche kümmerten.

Ein nächster Schritt in Richtung Eigeninitiative wird sein, einen Pool von Arbeitsmitteln im Stadtteil einzurichten bzw. vorhandene Werkzeuge öffentlich zugänglich zu machen.

Adresse

Quartiersmanagement
Leipzig-Volkmarsdorf
Matthias Schirmer
Stadtteilmoderator
Konradstr. 60a
04315 Leipzig
Tel./Fax: (03 41) 6 88 89-40/-42
E-Mail: volkmarsdorf@gmx.de

Autor

Dieser Beitrag von Matthias Schirmer ist folgener Publikation entnommen:
Handbuch Aktivierende Befragung: Konzepte, Erfahrungen, Tipps für die Praxis (Bonn 2012)
Die Publikation finden Sie hier.