Bewohnerversammlungen aktivierend moderiert

Seite 1: Anlässe, Aktivierungsformen

Anlässe für Bewohnerversammlungen

Die Bewohnerversammlung ist eine Methode, um die Teilhabe der Bürger/innen durch ein dezentrales niederschwelliges Forum vor Ort zu fördern. Manchmal werden die Themen hierfür im Rahmen einer Aktivierenden Befragung erkundet, aber weitaus öfter liegen die Anlässe hierfür im Quartier unmittelbar auf der Hand: Da hört man das ein oder andere an der Bushaltestelle, beim Mittagstisch, in der türkischen Frauengruppe, beim Mitarbeiterkreis. So manche Aktivierende Befragung erübrigt sich, wenn Professionelle ihr »Ohr im Stadtteil haben« , wenn sie ohnehin von Bürger/innen angesprochen werden, weil sie vielen bereits als Personen vertraut sind. Wo Menschen sowieso benennen, was ihnen »unter den Nägeln brennt«, wo ein konkretes Interesse schon klar ist oder ein Themenspektrum bereits »serviert« wird, dort müssen Wünsche und Ärger nicht erst groß erkundet, sondern eher überprüft werden.

Wo Versammlungen schon lange die Stadtteilkultur prägen, sind die Hemmschwellen oft niedriger, sodass das Ziel, viele Menschen zu einer Versammlung zu aktivieren, auch über andere weniger aufwändige Aktivierungsformen erreicht werden kann.

Bewohnerversammlungen ermöglichen im Stadtteil den direkten Dialog, den Austausch und Verständigungsprozesse – und das mit direktem Bezug zum Alltag der Menschen. Ries beschreibt den Unterschied zwischen dem hier angestrebten Dialog und einer Diskussion: Im Dialog überwiegen »die Momente des Reflektierens, des Verstehen-Wollens, des Findens eines tieferen Sinns » (Ries 1996, S. 78), während die Diskussion häufig die konträren Positionen verfestige und Spaltung befördere (ebd.). Wer Partizipation und soziales Lernen fördern möchte, muss in der Lage sein, Verständigung zu initiieren und wird erst dadurch – so Friedman (1987, S. 185) – zu einem »change agent«. Offenheit und Vertrauen bestimmen die Qualität des Austausches, ermöglichen Kommunikation und fördern Toleranz gegenüber anderen Lebensentwürfen und Meinungen sowie gerechte Aushandlungsprozesse und Solidarität (Giddens 1997, S. 166ff.). Nur wer dabei tatsächlich zuhört, um die Sichtweisen des Gegenüber zu verstehen, erzeugt Glaubwürdigkeit und eröffnet Verständigungsprozesse (vgl. Barber 1994, S. 171).

Wichtig ist zudem, dass nicht vornehmlich Themen, die aus Sicht der Institutionen wichtig sind, Raum bekommen, sondern dass gerade die Themen aus dem Stadtteil aufgegriffen werden (Themen, die den Menschen »unter den Nägeln brennen«: z.B. das Thema Hundekot, das die Eltern erregt, weil sie die Kinder nicht mehr auf der Wiese spielen lassen können, die Spritzen Drogenabhängiger, die den Spielplatz zur Gefahrenquelle machen und Eltern auf die Barrikaden bringen).

Natürlich haben auch Themen, die den Institutionen relevant erscheinen, ihren Platz – etwa wenn es gerade Fördergelder für bestimmte Maßnahmen gibt und Ressourcen dadurch in benachteiligte Räume gelenkt werden können. Diese Themen können durch Bewohnerversammlungen »andocken« an den Stadtteil, wenn die Menschen dies als sinnvoll erachten.

Und nur dort, wo die Methode der Bewohnerversammlungen kontinuierlich zum Einsatz kommt, kann Personenvertrauen in die Professionellen entstehen (z.B. die Moderator/innen) und Systemvertrauen in Veränderungsprozesse. So kann langfristig die Dialog- und Beteiligungskultur in diesem Sozialraum verändert werden. Bewohnerversammlungen sind damit integraler Bestandteil einer sozialarbeiterischen und kommunalpolitischen Strategie (s. Hinte 1996).

Aktivierungsformen

Eine wichtige Form der Aktivierung zur Teilnahme an einer Bewohnerversammlung ist ohne Frage die Aktivierende Befragung. Aber es gibt zahlreiche andere kreative Möglichkeiten (z.B. Dias an einer Hauswand, ein Bergmannschor, der vor Ort ein altes marodes Zechenobjekt »verabschiedet«; der Fanfarenzug, der – wie sonst nur an St. Martin – durch den Stadtteil zieht und z.B. auf eine Schulhofumgestaltung aufmerksam macht).

Des Weiteren ist es hilfreich, wenn man Strukturen anbietet, bei denen man nicht nur redet, sondern nebenbei auch etwas tun kann. Das ist vergleichbar mit der Situation bei einer Familienfeier: Die besten Gespräche führt man nicht selten beim Abspülen – also während wir etwas tun. Beim Thema Mietergärten oder Schulhofumgestaltung könnten z.B. alle an einem Modell reden und »basteln«. Außerdem kennt wohl jede/r die Situation, wenn man auf eine Party kommt und niemand kennt. Üblicherweise fühlt man sich dann wohler, wenn man sich zunächst was zu trinken besorgt. Wenn man sich an etwas fest halten kann (kann manchmal auch die Zigarette sein), fällt es leichter, Kontakt aufzunehmen.

Wer auf einer Bewohnerversammlung Getränke bereitstellt und anbietet, wird dementsprechend die oftmals beklemmende und stille Wartezeit bis zum Beginn der Versammlung verhindern und bereits vor Beginn der Veranstaltung Kommunikation fördern. Um Dialog zu fördern, gilt es eine Form der Zusammenkunft zu wählen, die schon während der Veranstaltung – und auch danach – die Kommunikation der Menschen untereinander fördert. Anders als bei Dienstbesprechungen freuen wir uns, wenn auf Bewohnerversammlungen miteinander getuschelt wird. Eine Marktplatzatmosphäre mit Stehtischen, ausgehängten Plänen und Kaffee, fördert die Gespräche der Menschen untereinander. Menschen können sich in einer kleinen Runde besser bestärken und trauen sich dann eher etwas zu sagen. Die Menschen kennen Talkshows, vermutlich besser als wir. Sie sind vertraut mit lockeren Moderationsrunden und haben weniger Hemmungen vor dem Mikrofon, als wir manchmal glauben.

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Moderation einer Bewohnerversammlung

  • Bewohnerversammlungen erfordern eine andere Form der Moderation als Dienstbesprechungen oder Arbeitskreise, wo bezahlte Professionelle tagen und sich stringent an eine Tagesordnung halten (sollen). Die Leute kommen freiwillig, die Teilnehmerzahl ist unklar, es gibt begrenzte Erfahrungen mit Versammlungen, eine oftmals geringe Arbeitsdisziplin und hohe Emotionalität. Es darf hier schließlich ruhig mal so richtig lebendig werden. Dass es »rauer« zugeht und auch mal durcheinander geredet wird, ist schließlich meist auch in den Alltagsgesprächen der Bewohner/innen der Fall. Der/die Moderator/in wendet deshalb die Moderationstechniken flexibel und an die Situation angepasst an.
    Die Moderation hat dabei in den fünf Phasen der Bewohnerversammlung einen roten Faden, an dem sie sich orientieren kann. Sie kann dementsprechend die vielfältigen Beiträge sortieren und visualisieren.
  • Die Struktur gleicht den Fragen der Aktivierenden Befragung mit einer kleiner Anmerkung bzw. Ausnahme: Die Frage nach dem, was den Bürger/innen gut gefällt, fällt bei Bewohnerversammlungen mit konfliktbesetzten Themen erfahrungsgemäß oft unter den Tisch. Die Menschen kommen in erster Linie mit den Dingen, die ihnen »unter den Nägeln« brennen, und das Klima heizt sich dementsprechend auf. Die Frage des/der Moderator/in, was denn den Bewohner/innen im Viertel gut gefällt, passt häufig nicht in diese emotionsgeladene Atmosphäre und wirkt deplaziert.
  • Der/die Moderator/in praktiziert eine aktive Moderation. Er/sie ist bereits im Vorfeld tätig – im Gegensatz zum/r passiven Moderator/in, der/die lediglich für eine Veranstaltung geholt wird (z.B. jemand von der Lokalpresse für eine Podiumsdiskussion). Vor einer Versammlung wird z.B. den schwächeren Akteuren Unterstützung angeboten. Personen, deren Teilnahme wichtig wäre, werden noch einmal gesondert angesprochen und eingeladen.
  • Eine persönliche Begrüßung im Eingangsbereich schafft Vertrauen, nimmt die Leute ernst als Gäste und ermöglicht es dem/der Moderator/in, sich einen Überblick über die Anwesenden zu verschaffen. Das gilt insbesondere dann, wenn man Entscheidungsträger/innen z.B. aus der Politik nicht kennt. Durch persönliche Begrüßung können Namen erfragt werden und woher die Menschen kommen. Die »identifizierten« Funktionsträger/innen können so einerseits zu Beginn der Veranstaltung begrüßt werden (Sie sind schließlich da auf Grund ihrer Funktion). Andererseits kann es für die Bewohner/innen wichtig sein, zu wissen, wer anwesend ist und können Situationen vermeiden, die ihnen im Nachhinein vielleicht peinlich wären (Ein Beispiel: Eine Bewohnerin fühlt sich zunächst zwar ermutigt all ihren Ärger über ihren Vermieter rauszulassen, hört aber später, dass der anwesend ist. Diese Tatsache ruft bei ihr Angst vor einer Kündigung hervor, führt zu schlaflosen Nächten und dazu, dass sie sich vornimmt, nie mehr etwas in einem öffentlichen Forum zu sagen). Verhinderte Gäste, die sich entschuldigt haben, werden benannt.
  • Eine Stuhlanordnung in Form eines »U« – durchaus auch mit mehreren Reihen – fördert die Interaktion zwischen Menschen und kann, anders als klassische Stuhlreihen, verhindern, dass die Bewohner/innen sich einseitig nach vorne an die Moderator/innen richten. Der Tisch für das Schreibmaterial der Moderator/innen steht am günstigsten neben ihren Stühlen, um keine Barriere aufzubauen.
  • Ungünstig ist es, wenn der/die Moderator/in und ihr/e eventuelle/r Partner/in ständig stehen. Wer steht, zieht die Aufmerksamkeit sehr stark auf sich. Wenn die anderen sitzen, signalisiert das zudem eine Machtposition. Beides sind eher ungünstige Wirkungen, wenn wir den Dialog zwischen den Bewohner/innen fördern wollen. Aufstehen kann aber schon mal als Mittel eingesetzt werden, wenn es gerade mal drunter und drüber geht und man in einer lebendigen Runde einen Strukturierungsversuch verstärken will.
  • Stellwände, auf denen das Thema und der Ablauf der Versammlung visualisiert sind, sind vorbereitet, um die Themen sofort sichtbar festzuhalten: 1.Was soll sich ändern im Südostviertel? Was stört Sie hier im Südostviertel? 2. Was wollen Sie? Welche Ideen haben Sie?
  • Ein klarer Einstieg durch Benennen des Themas der Versammlung, des Ziels, des Zeitrahmens, der Vorgehensweise (»Roter Faden«), der eigenen Funktion und der spezifischen Rolle auf dieser Veranstaltung gibt allen Beteiligten Orientierung. Wer aktivieren will, der sollte zu Beginn keine demotivierende Stimmung schaffen: »Schade, dass nur so wenig gekommen sind«. Wer kommt, sollte stattdessen Wertschätzung erfahren. Schon durch die Begrüßung signalisieren die Moderator/innen keine »Allzuständigkeit«, sondern stellen sich als Unterstützer/innen des Veränderungsprozesses dar. Es gilt zunächst die Themen der Besucher/innen zu erkunden und dann zu klären: Was können die Menschen selbst tun, um ihre Ziele zu erreichen? Was können wir gemeinsam tun und nutzen? Wir wollen die Dinge mit den Menschen anpacken und nicht für die Menschen regeln. Wir Sozialarbeiter/innen sind somit immer die »Restarbeiter/innen«. Die »Zauberwörter«, die gerade zu Versammlungsbeginn durchaus öfters fallen dürfen, lauten: »zusammen« und »gemeinsam«.
  • Holt man sich zur vorgeschlagenen Vorgehensweise noch kurz die Zustimmung der Anwesenden (»Ist das o.k., wenn wir das so machen, oder was für andere Vorschläge haben Sie?«), dann kann die Moderation später immer wieder einzelne Personen, die an einem anderen Punkt stehen, auf diesen vereinbarten »Roten Faden« hinweisen. Sie macht damit deutlich, dass es nicht ihr persönliches Interesse ist, sondern dass man sich im Vorfeld ja auf diesen Kurs verständigt hat. Will ein Großteil der Gruppe allerdings einen anderen Kurs, so holt sich die Moderation, als Steuermann/-frau das Einverständnis der Anwesenden für den neuen Schwerpunkt, zeigt aber auch mögliche Konsequenzen auf.
  • Eine Vorstellungsrunde aller Teilnehmer/innen artet – selbst in kleinen Runden – erfahrungsgemäss leicht aus. Sobald irgendwer nicht nur seinen Namen, sondern auch ein Thema benennt, reagiert der Nächste schon darauf und bald geht es lustig drunter und drüber. Weniger risikobehaftet ist es, vorzuschlagen, dass diejenigen, die im Verlauf des Abends etwas sagen, kurz ihren Namen nennen und vielleicht wo sie wohnen.
  • Die Visualisierung des Ablaufs, der genannten Themen und der Ergebnisse bzw. Vereinbarungen verstärken dabei die Worte. Es ist hilfreich in einem Team zu arbeiten, in dem eine Person ständig mitschreibt – und zwar so, dass die Themen dabei nicht wieder abstrahiert und verwässert werden. Es ist wichtig, die Dinge so konkret wie möglich aufzuschreiben, um später passende Ideen finden zu können. »Glasscherben und Hundekacke auf dem Spielplatz« wird also nicht verallgemeinert zu »dreckiger Spielplatz«. Die Person, die visualisiert, hat die Aufgabe, der Moderation Hinweise zu geben, wenn Themen über die geredet werden, zu abstrakt bleiben. (»Was verstehen Sie unter mehr Ordnung? Was ist Ihnen konkret wichtig, wenn Sie sagen der Spielplatz müsste attraktiver werden?«) (Um mit der Dynamik, mit der die Themen auf solchen Veranstaltungen fallen, mithalten zu können, rate ich im übrigen davon ab die Themen zuerst auf Kärtchen zu schreiben, weil es zu viel Zeit kostet, diese dann in einem zweiten Schritt anzuheften.).
Seite 3: Moderation
  • Wenn Themen, die bereits aufgeschrieben und ausführlich beschrieben wurden, aber immer wieder (Zeit raubend) erneut thematisiert werden, kann die Moderation zeigen, dass das Thema bereits dort verschriftlicht wurde (»Frau Thomas, ich möchte nicht unhöflich erscheinen, aber ich unterbreche Sie, weil wir genau das da schon stehen haben. Ich unterstreiche das jetzt, weil deutlich wurde, dass es vielen hier im Raum ein besonders wichtiges Anliegen ist. Dann würde ich vorschlagen, jetzt zunächst weitere Punkte zu sammeln, die Sie stören, um dann in einem zweiten Schritt zu klären, was davon aus Ihrer Sicht als Erstes angepackt werden sollte. Sonst läuft uns die Zeit davon. Ist das o.k. so?«). Die Vorbereitung von zwei verschiedenen Tafeln für die Visualisierung der störenden Punkte zum einen und der Wünsche und Ideen zum anderen hat den Vorteil, dass die Moderation die benannten Themen schon sortieren kann, unabhängig an welchem Punkt im Ablauf man sich gerade befindet. So werden Leute nicht ausgebremst, die im Ablauf bei der Sammlung von Ärgernissen bereits konstruktive Ideen benennen (»Danke, das ist nun schon eine Idee, die ich hier drüben aufschreibe. Darauf werden wir später zurückkommen«).
  • Es ist manchmal hilfreich und klärend, die Rednerliste zu unterbrechen, wenn jemand von einem/r Redner/in direkt angesprochen oder angegriffen wurde oder es hilfreich erscheint, ein Thema schnell fertig abzuhandeln, wenn sich das andeutet (z.B. jemand hat signalisiert, dass er etwas dazu sagen kann, was das Thema beendet, steht aber nicht auf der langen Rednerliste): »Ich würde jetzt gerne den Herrn mit dem roten Hemd zu Wort kommen lassen, weil er direkt angesprochen wurde / weil er hier scheinbar zu einer schnellen Klärung beitragen kann, wie er signalisiert. Ist das so in Ordnung? Wir würden danach wie vorgesehen mit Ihnen, Herr Müller, weitermachen.«
  • Themen und Ergebnisse einer Bewohnerversammlung sollten konkrete Handlungsmöglichkeiten aufzeigen, damit anschließend auch etwas passiert. Allgemeinplätze wie etwa: Es ist dreckig, laut, der Spielplatz ist miserabel usw. helfen da nicht weiter. Bitte, was heißt Dreck, Lärm oder miserabler Spielplatz konkret? Und so gilt es nachzufragen, um die konkreten Bilder der Menschen zu erkunden: Was verstehen die Menschen (nicht wir!) unter einem saubereren Stadtteil? Hierfür nutzen wir Instrumente, die es uns ermöglichen von unseren Sichtweisen Abstand zu nehmen (z.B. offene Fragen).
  • Auszeiten der Moderator/innen, die angekündigt werden, helfen Missverständnisse zu vermeiden. Dort, wo Bewohner/innen Zwischengespräche der Moderator/innen als Missachtung interpretieren könnten (»Die hören ja gar nicht zu, sondern tuscheln, jetzt wo ich endlich was sagen kann«), ist es hilfreich, für Transparenz zu sorgen und den Grund zu benennen: »Entschuldigen Sie – meine Kollegin und ich müssen uns mal zwei Minuten besprechen, wie wir weitermachen.«
  • Zu den typischen Situationen auf Versammlungen gehören Abwehrreaktionen nach dem Motto: Das klappt nie und nimmer. Anstatt Vorschläge zu verteidigen, ist es hilfreicher in die Offensive zu gehen: »Fällt Ihnen eine Alternative ein?«; »Was denken Sie, könnten wir tun?«; »Was schlagen Sie vor?«
  • Pauschale Angriffe auf Personen (»Die Ausländer sind ein Problem«; »Wenn die Kinder der Libanesen hier nicht wären, dann wäre es hier wieder schön«) sollten in konkrete Beschreibungen münden. Nur so können auch Vorurteile von tatsächlichen Erfahrungen unterschieden werden. Wir sind nicht dazu da, Menschen zu verändern, sondern sie zu unterstützen, in bestimmten Situationen anders zu handeln. Dazu müssen aber gerade diese vordringlichen Situationen identifiziert werden. Also: Niemals auf der Problemseite Menschen als störend notieren (die Türken; die Kinder), sondern sofort auf Situationen beziehen: »Welche Erfahrungen haben Sie da gemacht, auf die Sie sich da beziehen? Können Sie mir da konkrete Beispiele erzählen?« Wenn wir dann konkrete Erfahrungen hören, können wir dafür einerseits Verständnis signalisieren, können aber andererseits auch verdeutlichen, wenn wir vorgeschlagene Lösungswege nicht teilen.
  • Es empfiehlt sich, nach der Veranstaltung Getränke anzubieten, um einen informellen Ausklang zu ermöglichen: Die Versammlung kann ausklingen, man kann einige Bewohner/innen besser kennen lernen und Themen, die von der Moderation »vertagt« wurden (aus Zeitgründen oder weil es nur Einzelne betraf) können in kleiner Runde noch mal angesprochen werden. Zudem haben die Profis die Möglichkeit, noch mal gezielt den/die eine/n oder andere/n Bewohner/in anzusprechen, um sie für eine Beteiligung zu gewinnen. Außerdem klären sich manchmal Konflikte, die während der Versammlung nicht behoben wurden, in solchen informellen Kontakten.
  • Die Moderation sollte bei der Zeiteinteilung immer im Auge behalten, dass am Ende der Veranstaltung ein Punkt erreicht ist, an dem es konkret wird, um dem gängigen Bild vorzubeugen: »Die reden ja doch nur und passieren tut nichts«. (Wenn für die Organisation bzw. für die Entwicklung konkreter Ideen jedoch die Zeit fehlt, habe ich gute Erfahrungen damit gemacht, nicht ein weiteres Treffen in demselben Rahmen vorzuschlagen, sondern als Ortsbegehung, also durch ein Treffen an Ort und Stelle. Meistens gibt es einen Ort, der für das Thema relevant ist, und solch eine Ortsbesichtigung als Folgeveranstaltung signalisiert eher, dass man schon ein Stück weiter gekommen ist.) Wenn die Moderation in der Organisationsphase dazu einlädt, abschließend zu klären, wer bereit ist, eine Idee gemeinsam anzupacken, bittet sie die Leute, nachher zum Thema x in die rechte Ecke und zum Thema y in die linke Ecke zu kommen. Es besteht oft eine große Scheu bei den Leuten, sich durch Handmeldung »verhaften« zu lassen. Oft will man abwarten und schauen, wer sonst noch kommt (Das Phänomen kennen vermutlich viele der Leser/innen selbst von Fachtagungen, bei denen die Zuordnung zu Arbeitsgruppen per Handmeldung zeigt, dass sich für die Arbeitsgruppe zuerst viel weniger gemeldet haben, als dann tatsächlich daran teilnehmen.), oder man will sich nicht gleich allzu offensichtlich als aktive Person zeigen, insbesondere dann, wenn im Milieu Beteiligung nicht besonders geschätzt ist (»Was, die Frau Richter macht da mit und unterstützt jetzt auch noch die Ausländer!«). Eine solche Gruppenbildung ermöglicht es der Moderation zudem, nach Beendigung des offiziellen Teils der Veranstaltung auf zögerliche Personen zuzugehen und diese nochmals einzuladen (»Herr Steinmann, ich fand Ihre kritischen Beiträge sehr wichtig und würde mich persönlich schon sehr freuen, wenn Sie sich entscheiden könnten, in unserer Runde mitzumachen«). Bei abschließenden Vereinbarungen auf konkrete Verständigung achten: Wer macht wann, was, wie.
Seite 4: Fünf Phasen, Einstieg, Fazit
Wichtig

Die »Fünf Phasen der Bewohnerversammlung«

  • Einstiegsphase (Begrüßung; Benennen des Themas, Ziels; Ablauf skizzieren, die eigene Funktion erklären, die Rolle als Moderation verdeutlichen; Vereinbarung über Vorgehensweise treffen; Zeitrahmen klären)
  • Ermittlungsphase (Sammeln: Was ist los? Was stört die Menschen konkret? Was gefällt ihnen?)
  • Ideenphase (Sammeln: Was wollen die Menschen in welcher Form konkret verändert haben?)
  • Organisationsphase (Gruppenbildung, Aktionsplanung: Wer will was tun?)
  • Abschluss und Ausklang (Zusammenfassung der Ergebnisse, evtl. Ausblick/ Vereinbarung für weitere Treffen; informelle Gespräche, Bewirtung)Einstiegsphase (Begrüßung; Benennen des Themas, Ziels; Ablauf skizzieren, die eigene Funktion erklären, die Rolle als Moderation verdeutlichen; Vereinbarung über Vorgehensweise treffen; Zeitrahmen klären)

 

Tipp

Bewohnerversammlung: Der Einstieg schafft Klarheit

»Guten Tag, mein Name ist Sonja Meier-Müller. Ich begrüße Sie herzlich zu der heutigen Versammlung mit dem Thema: Südostviertel – Was ist los? Was soll sich ändern? Ich freue mich, dass Sie hierher gekommen sind. Ich arbeite hier als Sozialarbeiterin bei der Gemeinde St. Antonius. Mein Job ist es zum einen, dass ich hier am Montag und Donnerstag Beratungen zu den Themen x und y anbiete. Aber darüber hinaus ist es auch mein Interesse, mit Ihnen zusammen zu schauen, was wir gemeinsam tun können, um die Themen hier im Viertel anzupacken, die vielen von Ihnen am Herzen liegen. Also zu schauen, was Sie gerne verändern möchten, um das Leben hier im Südostviertel zu verbessern. Und wenn wir heute hier beschließen, das eine oder andere zusammen anzupacken, dann gehört es zu meinen Aufgaben, wenn Sie das wollen, Sie bei der Organisation dieser Aktivitäten zu begleiten, Sie mit meinem Wissen zu unterstützen und vielleicht Kontakte zu vermitteln. Heute Abend jedoch ist es aber zunächst meine Aufgabe diese Bürgerversammlung während der nächsten 1,5 Stunden zu moderieren. Ich werde darauf achten, dass Jeder zu Wort kommt und keiner zu kurz kommt. Den Ablauf haben meine Kollegin xy, die sich gleich noch selber vorstellen wird, folgendermaßen gedacht: Wir wollen zunächst wissen, wo Sie der Schuh drückt, also was Sie stört. Dann schauen wir, was Sie verändern wollen und klären, welche von den Punkten Ihnen besonders wichtig sind. Vielleicht können nicht alle Dinge heute Abend ausreichend geklärt werden. Deshalb ist es uns wichtig, Ihnen schon jetzt zu Beginn zu sagen, dass wir am Ende der Veranstaltung auf jeden Fall mit Ihnen schauen, was wir mit den Punkten machen, die heute vielleicht zu kurz kommen. Außerdem können Sie uns natürlich auch nach der Versammlung noch hier ansprechen. Ich möchte Sie an dieser Stelle herzlich einladen, nachher hier noch etwas mit uns zu trinken.

Bevor wir starten, möchte ich ein paar Tipps vorschlagen, zum Umgang im Gespräch. Es wäre schön, wenn wir einander ausreden lassen. Alle sollten dran kommen können. Nun gibt es sicher Sachen, die einen so ärgern, dass einem schon mal ‹die Pferde durchgehen‹ können, wie man so schön sagt. Das ist normal. Wenn es besonders rund geht, dann sehe ich es als meine Aufgabe darauf zu achten, da in die ‹Bremse‹ zu treten. Wenn ein Beitrag sehr lang wird, werden wir erinnern, dass noch andere etwas sagen wollen. Sollen wir das so machen? Wenn Sie etwas sagen möchten, melden Sie sich bitte. Meine Kollegin schreibt auf, wenn Sie sich zu Wort melden, damit niemand vergessen wird und notiert die Themen mit, die Ihnen wichtig sind. Dazu haben wir die zwei Tafeln vorbereitet.«

Achtung

Die Moderation einer Bewohnerversammlung ist keine leichte Arbeit. Wer aber einmal erfahren hat, welch Veränderungspotenzial in einer besonders lebendigen (und vielleicht schwierig zu moderierenden) Bewohnerversammlung steckt, weiß: Aller Anfang ist schwer, aber wenn auch die »kritischen« Energien erst mal gewonnen wurden, dann ...

Autor

Dieser Beitrag von Maria Lüttringhaus ist folgener Publikation entnommen:
Handbuch Aktivierende Befragung: Konzepte, Erfahrungen, Tipps für die Praxis (Bonn 2012)
Die Publikation finden Sie hier.