Der Text ist dem Studienbuch Gruppen- und Gemeinwesenarbeit, Eine Einführung für Ausbildung und Praxis, Neuwied/Frankfurt a.M., 1989, S.41–66 von Wolfgang Hinte/Fritz Karas entnommen. Mit freundlicher Genehmigung des Luchterhand-Verlags.
»Eine Forschung, die nichts anderes als Bücher hervorbringt, genügt nicht.« (Kurt Lewin)
Aktions-(Handlungs-)Forschung: Entwicklung und Theorie
Die Bezeichnung dieser Forschungsstrategie geht zurück auf Kurt Lewin, der sie »action research« nannte. Das Wort »action« bedeutet hier »Handlung« oder »Tat«, Begriffe, die den aktiv-verändernden Charakter der Strategie betonen, während das Wort »research« (Forschung) anzeigt, dass hier Praxis mit analytischem Hintergrund betrieben wird. In den 40er-Jahren traf Lewin in den USA auf viele Gruppen und Institutionen, die bestimmte Probleme sahen und auch etwas dagegen tun wollten. Es gelang ihnen jedoch nicht, ihren guten Willen in die Tat umzusetzen, da oft drei Fragen unbeantwortet waren:
»1. Wie ist die gegenwärtige Lage? 2. Wo liegen die Gefahren? 3. Und als Wichtigstes: Was sollen wir tun?« (Lewin, 1968, 278).
Um diese drei Fragen zu beantworten, genügt nicht eine genaue empirische Analyse, die lediglich den Ist-Zustand feststellt. Hierdurch wird nur die Frage 1 geklärt. Eine Forschung aber, die Rückwirkungen auf Wirklichkeit beabsichtigt und Verhältnisse ändern will, muss anders aussehen:
»Die für die soziale Praxis erforderliche Forschung lässt sich am besten als eine Forschung im Dienste sozialer Unternehmungen oder sozialer Technik kennzeichnen. Sie ist eine Art Tat-Forschung (›action research‹), eine vergleichende Forschung der Bedingungen und Wirkungen verschiedener Formen des sozialen Handelns und eine zu sozialem Handeln führende Forschung.« (Lewin, 1968, 280)
Hierbei gilt: »Wer A sagt, muss auch B sagen«, also der erste Schritt, die »vergleichende Erforschung«, muss konsequenterweise zu sozialem Handeln führen. Nach Lewins Meinung tun die Wissenschaftler oft nur den ersten Schritt, die Erforschung, und geben sich damit zufrieden. Lewin (1968, 283) dagegen sagt, »dass reine Diagnose – und Umfragen sind eine Art Diagnose – nicht genügt.« Ähnlich fällt eine Kritik von Hauser/Hauser (1971, 453) aus:
»Die Unzulänglichkeiten der ›modernen‹ Soziologie liegen genau in der Tatsache begründet, dass Soziologen sich nur selten von sozialen Aktionen beanspruchen lassen, sondern immer hinter den Tatsachen herhinken und, nachdem die Ereignisse stattgefunden haben, das letzte Glied an die Kette hängen.«
Eine Diagnose im Sinne von Aktionsforschung ist immer schon so angelegt, dass sie direktes Handeln bewirkt. Ein Forscher, der ein Aktionsforschungsprojekt beginnt, darf sich daher nach der Analyse nicht zurückziehen, sondern muss sich den Erwartungen, die er geweckt hat, stellen. Leider sind die meisten Wissenschaftler nicht in der Lage, mehr als eine Analyse zu leisten. Sie sind für praktische Arbeit nicht ausgebildet und entwickeln dementsprechende Ängste vor diesem für sie unbekannten Gebiet. Nach Lewins Meinung müssen deshalb verstärkt Sozialwissenschaftler ausgebildet werden, »die mit wissenschaftlichen Problemen umzugehen verstehen, aber auch für die schwierige Aufgabe gerüstet sind, mit Praktikern produktive durchgreifende Arbeitsgruppen zu bilden [. . .]« (Lewin, 1968, 292).
So viel zum Ansatz Lewins, der in den letzten Jahren – auch in der Bundesrepublik Deutschland – weiterentwickelt und ergänzt wurde (s. dazu unter anderem Moser, 1975; Horn, 1979; Zedler/Moser, 1983; Filsinger/ Hinte, 1988).
Eine Definition von Aktionsforschung bietet R. Pieper (1972, 100) an: »Auf eine kurze Formel gebracht, bezeichnet Aktionsforschung eine Forschungsstrategie, durch die ein Forscher oder ein Forschungsteam in einem sozialen Beziehungsgefüge in Kooperation mit den betroffenen Personen auf Grund einer ersten Analyse Veränderungsprozesse in Gang setzt, beschreibt, kontrolliert und auf ihre Effektivität zur Lösung eines bestimmten Problems hin beurteilt.«
Das Forschungsziel dieser Strategie besteht darin, empirische Fakten und Daten zu erhalten und zugleich praktische Veränderungen in einem sozialen Feld zu bewirken, die zusammen mit den im Feld lebenden Menschen herbeigeführt werden. Bevorzugte Instrumente sind alle Forschungsmethoden, deren Ergebnisse sich möglichst direkt an die Betroffenen rückkoppeln lassen: z. B. soziometrische Verfahren, teilnehmende Beobachtung, (mündliches) Interview, Aktionsuntersuchung, Einschätzskalen, Tonband- und Videoaufnahmen. Durch die Berücksichtigung der analytischen Ebene und der Handlungsebene sollen zwei unergiebige Extreme vermieden werden:
- Das des wild draufloshandelnden Praktikers, der sich ohne theoretische Grundlagen in die Arbeit stürzt und glaubt, allein durch Flexibilität und Intuition gute Arbeit leisten zu können.
- Das des rationalen, über den Dingen stehenden Wissenschaftlers, der nur daran interessiert ist, seine Analyse fertig zu stellen, um diese zu veröffentlichen und sein Ansehen durch Publikationen zu steigern. Dieser Typ kennt keine innere Anteilnahme an den von ihm untersuchten Objekten; praktisches Engagement hält er für »unwissenschaftlich« und für die Aufgabe anderer Leute: »ein Musterbeispiel von Rationalisierung« (Hauser/Hauser, 1971, 453).
Wesentlich ist, dass bei der Aktionsforschung bereits im Forschungsvorgang ein Teil der Aktion geschieht. Theorie und Praxis sind also nicht getrennt, sondern geschehen in einem Vorgang: durch die Forschung wird die untersuchte Situation direkt beeinflusst. Die im untersuchten Feld lebenden Betroffenen werden durch die Konfrontation mit ihrer sozialen Wirklichkeit angeregt, zusammen mit dem Forscher mögliche Lösungen für die Verbesserung der Situation zu entwickeln und durchzuführen.