Als wir dieses Buch zu planen begannen, war uns klar, dass dieser Abschnitt aus dem 1976 erschienenen Buch »Aktivierende Gemeinwesenarbeit« von Alf Seippel unbedingt noch einmal abgedruckt werden sollte. Warum?
Die in diesem Buch beschriebenen Grundschritte der Aktionsuntersuchung oder Aktivierenden Befragung schimmern heute, selbst in den verschiedensten Befragungs- und Aktivierungsformen, immer wieder durch. Die wichtigsten Grundlagen sind hier auf wenigen Seiten komprimiert zusammengestellt. An ihrer Aktualität hat sich erstaunlich wenig verändert.
Interessant fand ich, dass dieses Buch 1976 im Kontext eines Forschungsprojektes zu ziviler Konfliktbearbeitung entstand, bei dessen Konzeptionierung sowohl die Erfahrungen von Saul Alinsky als auch von Martin Luther King Pate gestanden hatten. Die These war (oder ist): Aktivierende Arbeit in benachteiligten Wohnquartieren hilft, Konflikte zivil zu bearbeiten.
Auch heute – nach vielen Jahren, in denen Gemeinwesenarbeit selbst unter den Fachleuten für Soziale Arbeit eher eine Randstellung einnahm – interessieren sich zunehmend Fachleute verschiedener Bereiche – von der Politik über die Stadtplanung bis hin zur Wirtschaftsförderung – für aktivierende Methoden (aus der Gemeinwesenarbeit). Die Förderung der Zivilgesellschaft wird für notwendig gehalten und Aktivierung als geeignetes Mittel erachtet, um Planungsfehler zu vermeiden und Politikverdrossenheit in »überforderten Nachbarschaften« (Unter dem Titel »Überforderte Nachbarschaften« wurde vom Wirtschaftforschungsinstitut empirica 1997 eine Grundlagenstudie im Auftrag des Bundesverbandes der deutschen Wohnungswirtschaft (GdW) erstellt (www.gdw.de).) zu begegnen. Der Zusammenhang ist also damals wie heute hochaktuell.
Seippels Buch ist eine Anleitung zu reflektiertem, professionell aktivierenden Handeln. Da wir nur einen kurzen Ausschnitt aus dem Methodenteil des insgesamt sehr spannenden Buches abdrucken, soll hier kurz der Kontext dargestellt werden, in dem die Texte entstanden sind.
Zum Autor
Alf Seippel, Jg. 1937, studierte nach seiner Industriekaufmannslehre Evangelische Theologie und Sozialwissenschaften. Diese »zwei Beine« waren ihm immer wichtig. Nachdem er bereits Pfarrer war, machte er 1967/68 eine Zusatzausbildung in Mainz zu »Kirche in der Industriegesellschaft« . Als Pfarrer war er interessiert an neuen bzw. anderen Zugängen zu den »normalen, arbeitenden Menschen« und dem was sie wirklich bewegt. Hierbei kam es zu einer ersten Begegnung mit Mitarbeitenden von Richard und Hephzibah Hauser und ihren Methoden der sozialen Gruppen- und Gemeinwesenarbeit. Diese faszinierten ihn und im Rahmen der Ausbildung begann er unter ihrer Anleitung mit anderen gemeinsam konkrete Projekte in benachteiligten Wohnquartieren.
Er blieb skeptisch gegenüber dem, seiner Ansicht nach, zu idealistischen Blick der Hausers auf die Handlungs- und Veränderungsmöglichkeiten von Menschen. Für ihn war die kritische Auseinandersetzung mit den gesellschaftlichen Verhältnissen, den wirtschaftlichen Strukturen in denen die Leute leben und arbeiten, in den Arbeiten der Hausers zu kurz gekommen.
Der zweiteilige Band »Aktivierende Gemeinwesenarbeit« entstand später, als er bis 1975 nebenbei an der Uni Bochum in einem Partizipationsforschungsprojekt »Gesellschaftliche Bedingungen des Friedens« (Leitung Hans-Eckehard Bahr) tätig war.
Dabei wurden verschiedene Gemeinwesenarbeits-Projekte im Ruhrgebiet begleitet und beforscht (in denen u.a. auch Wolfgang Hinte als Student mitarbeitete) und von Seippel im Teil 2 des Bandes dokumentiert.
Nach der Darstellung und Kommentierung verschiedener angloamerikanischer GWA-Konzepte bearbeitete Alf Seippel intensiv die gesellschaftlichen (und ökonomischen!) Bedingungen der Bundesrepublik, analysierte die »Klassen- und Sozialstruktur« als notwendige Begleitarbeit zu einer strategisch ausgerichteten, aktivierenden Gemeinwesenarbeit.
Beim Lesen weht der Wind der frühen Siebzigerjahre um die Nase: keine praktische Arbeit ohne eine Analyse der gesellschaftlichen Verhältnisse, der Machtverteilung und der unterschiedlichen Interessen der Beteiligten! Hier signalisiert Alf Seippel deutlich seine Botschaft: Wer Benachteiligungen und Ungerechtigkeiten bearbeiten, wer politisch handeln oder andere dabei begleiten will, darf die wirtschaftlichen Interessen und Machtstrukturen nicht ausblenden! Das ist etwas, was im heutigen Pragmatismus bisweilen untergeht bzw. selten so deutlich herausgearbeitet wird. Wir leben nicht in einer Harmonie-Demokratie (weder damals noch heute) und so kommt nur etwas nachhaltig in Bewegung, wenn die Machtlosen gezielt »bemächtigt« werden, damit sie sich überhaupt einmischen können in die demokratischen Prozesse!