Erstzugangsgestaltungen in der Wissenschaft

Seite 1: Gelingende Zugänge

Nicht nur der familienunterstützende, sog. präventive  Bereich der Kinder- und Jugendhilfe befasst sich mit den Möglichkeiten der Zugangsgestaltung zu Familien mit Migrationshintergrund. Auch die Gesundheitswissenschaft beschäftigt sich aktuell mit den Fragen, wie denn ein Zugang zu Familien mit Migrationshintergrund gestaltet  werden kann, um diese für eine gelingende Zusammenarbeit zu gewinnen.

Exemplarisch möchte ich im Folgenden einige Zugangsaspekte aus einem Forschungsprojekt im Bereich Gesundheit vorstellen. Grundlage hierfür ist der Kinder- und Jugendlichensurvey der KIGGS Studie zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland, durchgeführt vom Robert- Koch- Institut.1 Anhand dieser Studie werde ich darstellen, wie die Gestaltung des Erstzuganges zu Familien mit Migrationshintergrund nach den Erkenntnissen aus dem ausführlichen Pretest modifiziert wurde.

Auch die Wissenschaft braucht gelingende Zugänge

Die KIGGS- Studie untersucht im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit und des Bundesministeriums für Bildung und Forschung erstmalig den Gesundheitszustand  von Kindern und Jugendlichen (0 -17 Jahre) in Deutschland. Von Mai 2003 bis zum Mai 2006 hat das Robert- Koch- Institut diese Forschung in insgesamt 167 Städten und Gemeinden mit 17.641 Studienteilnehmer(inne)n durchgeführt (RKI 2006:7). Ziel ist es, den Gesundheitszustand der Kinder und Jugendlichen in Deutschland mittels verschiedenster wissenschaftlicher Methoden sowie medizinischer Untersuchungen und Tests zu erheben.

Ein Schwerpunkt liegt darin, repräsentative gesundheitsbezogene Daten über den Zustand von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund zu erheben, da diesbezüglich bisher keine entsprechenden statistischen Daten vorhanden sind (Schenk 2006: 1).

In der Pretestphase wurden die Teilnehmenden durch ein statistisches Zufallsverfahren über das Einwohnermelderegister ausgewählt. Darunter auch Einwohner nichtdeutscher Herkunft. Die ausgewählten Personen wurden schriftlich zu einer Untersuchung eingeladen. Meldeten sie sich nicht zurück, erfolgte ein Telefonanruf mit einer weiteren Einladung. In der Pretestphase wurde deutlich, dass die Teilnehmerquote der ausländischen Mitbürger deutlich unter der amtlichen Ausländerquote liegt. (SCHENK 2002: 61)

Um die Repräsentativität der Studie zu gewährleisten wurden Überlegungen angestellt, wie die Zugangs- und Teilnahmebedingungen für Familien mit Migrationshintergrund gestaltet sein können und müssen, damit diese an der Studie teilnehmen. Dafür wurde eine Analyse des Teilnehmerverhaltens und der Ausfallgründe durchgeführt. (SCHENK 2002: 62)

Eine Analyse durch die Einwohnermelderegister-Stichprobe erwies sich als schwierig, da über das Einwohnermeldeamt lediglich die Staatsbürgerschaft der Kinder angegeben wird. Hat ein Kind aber zwei Staatsbürgerschaften, wird es amtlich unter der deutschen Staatsbürgerschaft geführt. Daher wurden die Nichtteilnehmer in einem Kurzinterview sowohl nach ihren Ablehnungsgründen als auch nach soziodemographischen Daten, u.a. der Staatsbürgerschaft, befragt.

Ließ sich kein Kurzinterview ermöglichen, wurden die Nichtteilnehmer bezüglich ihres Akzentes und ihres Vor- und Zunamen nicht deutscher Herkunft als Migrant oder deutscher Herkunft eingeteilt. Konnte auch kein telefonsicher Kontakt ermöglicht werden, blieb nur die Möglichkeit nach der Zuordnung des Namen. (SCHENK 2006: 9)

Aus der qualitativen Nichtteilnehmenden-Befragung mit telefonisch oder persönlich geführtem Kurzinterview, welche als Gedächtnisprotokoll dokumentiert die Grundlage für die weitere Reflexion des methodischen Vorgehens bildeten, ergaben sich nach der Analyse folgende Aspekte als Gründe für die Nichtteilnahme(SCHENK 2006: 14ff):

  • Die Untersuchung wird als ein zusätzlicher Arztbesuch verstanden, welcher überflüssig ist, da momentan keine Beschwerden vorliegen und die Untersuchungen möglicherweise das Vorhandensein von Symptomen erfordern.
  • Des Weiteren wird von der Studie kein Informationsgewinn erwartet, auch wenn die Probanden Vorsorgeuntersuchungen grundsätzlich positiv gegenüber stehen.
  • Ein weiterer Aspekt ist die Verbindung der Untersuchung mit einer Gesundheitskontrolle des Staates.
  • Das Nichtwissen über das Auswahlverfahren, sprich, dass der Proband zufällig ausgewählt wurde.
  • Zeitmangel: der Besuch wird als zu aufwendig betrachtet.
  • Befürchtung zusätzlicher Kosten, auch wenn dies bereits im Anschreiben geklärt wird.


Zugleich wurde im Pretest erhoben, welche Motivationen bei den Teilnehmenden maßgeblich wirken. Dabei lassen sich folgende drei Aspekte als zentral erkennen:

  • »die Überprüfung des Gesundheitszustandes ohne akuten Anlass,
  • die Klärung eines konkreten gesundheitsbezogenen Problems und [...]
  • der Zufall der Auswahl« (SCHENK 2002: 65)

 

Seite 2: Aspekte, Migrantenspezifische Öffentlichkeitsarbeit, Zusammenfassung

Aspekte eines gelingenderen Zugangs

Auf Grundlage dieser durch den Pretest erhobenen Faktoren wurde die Zugangsgestaltung für die Haupterhebungsphase entsprechend angepasst. Der Zugang zu den Familien erfolgt über die zufällige Stichprobenziehung aus dem Einwohnermelderegister. Dabei wird nun neben der Staatsbürgerschaft der Kinder auch die der Eltern abgefragt, um mögliche Migrationen aufzuzeigen. (SCHENK 2006: 30)

Des Weiteren wurde als Empfehlung ausgesprochen, eine Namenzuweisungssystematik nach Humpert und Schneiderheinze ergänzend hinzuzufügen, welche es computergestützt erlaubt, die Vor- und Zunamen einer bestimmten Sprachgruppe zu zuordnen. Somit kann der Kreis der Probanden mit Migrationshintergrund erweitert werden. (SCHENK 2006: 33- 34)

Die konkrete Gestaltung des Erstzuganges erfolgt allerdings erst nach der Stichprobenziehung über das Einladungsschreiben. Die Gestaltung  und Anpassung dieses Einladungsschreibens ist daher ein zentraler Bestandteil. In der Vorphase zeigte sich bereits, dass die Teilnahme sich erhöhte, wenn auch übersetzte Einladungs- schreiben mit hinzugefügt wurden. Dementsprechend kann nun eine gezieltere Ansprache durch das Einladungsschreiben erfolgen, indem neben dem Anschreiben in deutscher Sprache auch ein übersetztes Anschreiben beiliegt. (SCHENK 2006: 30)

Zusätzlich wurde die Einladung entsprechend der oben dargestellten Gründe für die Nichtteilnahme und die Teilnahmemotivation angepasst. Es wird nunmehr transparent dargestellt, wie die Adressaten ausgewählt wurden, warum und mit welchem Zweck diese Studie stattfindet und wie die gesamte Untersuchung ablaufen wird. Zudem wurden die im Pretest herausgearbeiteten Teilnahmemotive verstärkt dargestellt. Insbesondere der Informationsgewinn durch die Vorsorgeuntersuchung wird nachvollziehbar und positiv dargelegt. Des Weiteren wird in dem Einladungsschreiben auf das Verwenden von Fachwörtern weitestgehend verzichtet. (SCHENK 2006: 30)

»Es werden im Anschreiben möglichst einfache Formulierungen gewählt, es wird auf Fachwörter weitestgehend verzichtet und es werden ggf. die Aufnahmegesellschaft betreffende Hintergründe geklärt.« (SCHENK 2006: 30)

Eine weitere, ergänzende Zugangsmöglichkeit stellen die Hausbesuche bei den potenziellen Nichtteilnehmern dar. Durch das persönliche Aufsuchen besteht hierbei die Möglichkeit, die Ziele und den Erhebungsinhalt der Studie anschaulich darzustellen, auf subjektive Ängste und Vorbehalte entsprechend einzugehen und teilnahmemotivierende Zusatzinformationen zukommen zu lassen. »Viele Fragen lassen sich erst im mündlichen Gespräch klären.« (SCHENK 2006: 30)

Ein weiterer Aspekt ist die migrantenspezifische Öffentlichkeitsarbeit

»Eine migrantenspezifische Öffentlichkeitsarbeit erwies sich auch im Pretest als wirksamer Faktor, der die Teilnahmebereitschaft von Adressaten nichtdeutscher Herkunft erhöht.« (SCHENK 2006: 32) Dies umfasst sowohl muttersprachliche Zeitungen, als auch muttersprachliches Fernsehen und Radio. Aber auch über Eigenorganisationen und Beratungsstellen werden Informationen vermittelt.

Dementsprechend wurde eine differenzierte Medienrecherche vorgeschaltet zur Identifikation relevanter öffentlich-rechtlicher Sender, privater Medienanstalten und Eigenorganisationen bzw. Beratungsstellen, welche Medien herausgeben. Darüber hinaus wurden die migrationsbezogenen Eigenorganisationen, Ausländer- und Aussiedlerbeauftragte, Beratungsstellen, Arbeitskreise zu »Migration und Gesundheit« etc. als Multiplikatoren genutzt, indem diese über das Vorhaben ausführlich informiert wurden und zugleich entsprechende Ergebnisse der Untersuchung gesondert erhalten werden. (SCHENK 2006: 32- 33)

Durch die oben dargestellten Anpassungen der Vorgehensweise konnten deutlich bessere Ergebnisse bei der Zugangsgestaltung zu Familien mit Migrationshintergrund erzielt werden, so dass diesbezüglich von einer repräsentativen Erhebung ausgegangen werden kann (KAMTSIURIS u.a. 2006:1050).

Zusammenfassung

Obwohl es sich hierbei um ein Handlungsfeld handelt, das jenseits des Tellerrandes der klassischen Familien- und Jugendhilfe angesiedelt ist, wird deutlich, dass durchaus übereinstimmende Aspekte zu unserer eigenen Forschung zu finden sind.

Sprache scheint ein Dreh- und Angelpunkt des Erstzugangs. Die Übersetzung der Einladungsschreibens in die verschiedenen Sprachen deckt sich mit unseren Erkenntnissen. In der Erstsprache werden möglicherweise Wörter oder Begriffe besser verstanden. Ein Anschreiben in zwei Sprachen verdeutlicht auch, dass die Familien sich selber entscheiden können, welche Sprache sie lesen möchten. Und das Migration nicht automatisch impliziert, dass die deutsche Sprache nicht verstanden wird.

Durch das Verwenden einer einfachen Sprache mit wenig Fachwörtern wird ein Begegnen auf gleicher Augenhöhe und somit eine klare und nachvollziehbare Ansprache gestaltbar. Zudem wirkt die persönliche Ansprache deutlich effektiver ist als eine rein schriftliche Form.