Theoretische Überlegungen zum Abschluss
Die in dieser Praxishilfe präsentierten Beispiele erfolgreicher Arbeit mit Migrantenfamilien zeigen deutlich, dass die methodischen Prinzipien der Sozialraumorientierung gerade bei dieser Zielgruppe ausgesprochen hilfreich sind. Präventive unterstützende interkulturelle Arbeit gelingt offensichtlich gerade dann, wenn ein konsequent sozialraumorientierter Ansatz praktiziert wird. Daher scheint es uns angebracht, abschließend zu beleuchten, wie die beiden zentralen Konzepte ineinander greifen, die dieser erfolgreichen Arbeit zugrunde liegen.
- Da ist zum einen das Konzept der »Interkulturellen Öffnung der Sozialen Dienste«, das insbesondere Wolfgang Hinz-Rommel und Stefan Gaitanides vertreten, (25) und
- zum anderen das Konzept der »Sozialraumorientierten Sozialen Arbeit«, eng verbunden mit dem Namen Wolfgang Hinte. (26)
Die Forderung nach interkultureller Öffnung zielt darauf ab, gestützt durch den Prozess der Formulierung eines interkulturellen Leitbildes, die Nutzung sozialer Regeldienste für Menschen mit Migrationshintergrund ebenso selbstverständlich und erfolgreich werden zu lassen wie für einheimische Deutsche. Dazu müssen Zugangsbarrieren abgebaut und interkulturelle Kompetenzen verstärkt werden.
Das Konzept der Sozialraumorientierten Sozialen Arbeit fordert ebenfalls eine Flexibilisierung bisheriger Arbeitsstrukturen, so dass sie den Bedürfnissen der Adressaten besser entsprechen. Sozialraumorientierung setzt zudem auf die Anerkennung und Stärkung individueller Fähigkeiten und auf die Mobilisierung der Ressourcen von sozialen Netzwerken und der wohnortnahen Infrastruktur. Zentral ist das konsequente Ansetzen an den Interessen der jeweiligen Adressaten. In einer durch Migration geprägten Gesellschaft impliziert dies, selbstverständlich auch die vielfältigen Lebenskonzepte von Menschen mit Migrationshintergrund aufzugreifen und die Ressourcen wahrzunehmen, die ethnische Netzwerke und Organisationen zu bieten haben.
Erstaunlicherweise werden die Konzepte Sozialraumorientierung und Interkulturelle Öffnung bislang selten in Zusammenhang gebracht. Doch gerade in Stadtteilen mit hoher ethnischer Vielfalt sind sie in der praktischen Arbeit so eng miteinander verbunden, dass die Diskussion über Sozialraumorientierung nahezu automatisch mit Überlegungen zur Interkulturellen Öffnung einhergehen müsste. Dennoch tauchen Begriffe wie »Migration«, »Interkulturalität« und »Interkulturelle Öffnung« in den einschlägigen Publikationen so gut wie nie auf.
Das wäre allerdings auch nicht weiter erwähnenswert, wenn wir bereits so weit wären, dass sich die Regeldienste der Sozialen Arbeit allgemein interkulturell geöffnet hätten. Dies ist jedoch keineswegs der Fall. Deshalb scheint es uns wichtig, die bisweilen in Vergessenheit geratene Forderung nach Interkultureller Öffnung in die aktuelle Debatte um Sozialraumorientierung in der Jugendhilfe einzubeziehen. Bislang stehen vor allem Bemühungen, Migrantenfamilien mit unterstützenden Angeboten frühzeitig anzusprechen, noch in den Anfängen.
Das gegenwärtige Angebot von Familienbildungsstätten erreicht nur 5% der Mütter und Väter, darunter fast ausschließlich Eltern, die der Mittelschicht angehören und für Fragen der frühen Bildung und Erziehung bereits aufgeschlossen sind. Dagegen werden Migrantenfamilien mit diesen oft kostenpflichtigen Programmen (z.B. Prager Eltern-Kind- Programm) kaum erreicht (vgl. BMFSFJ 2005:258ff). Angesichts solcher Beobachtungen erscheint es um so erstaunlicher, dass im Kontext der Sozialraumorientierung die spezielle Perspektive der so genannten bildungsfernen Familien mit Migrationshintergrund zwar immer wieder als brisantes Thema benannt wird, empirisch jedoch bislang kaum aufgegriffen wurde (vgl. STRAßBURGER/ BESTMANN 2006).
Wir versuchen mit unserer Studie, diese Lücke zu schließen und möglichst praxisnah zu zeigen, wie konsequente sozialraumorientierte Arbeit gepaart mit interkultureller Kompetenz dazu führt, dass auch Migrantenfamilien profitieren. Zum Abschluss wollen wir nun dezidiert auf einer allgemeineren Ebene diskutieren, wie die Konzepte Interkulturelle Öffnung und Sozialraumorientierung ineinander greifen. Dazu beleuchten wir, warum Standardangebote an den Bedürfnissen von Migrantenfamilien vorbei- und sozialraumorientierte Angebote darauf eingehen. Wir verstehen diese essayistischen Ausführungen nicht zuletzt als Anregung, künftig verstärkt interkulturell bedeutsame Aspekte der Sozialraumorientierten Sozialen Arbeit zu thematisieren und sie in die Aus-, Fort- und Weiterbildung von Fachkräften zu integrieren.