
Der Bat Yam Platz im Neuköllner Süden: ein Hochhausgebiet aus den 70er Jahren, welches bereits aus einiger Entfernung gut sichtbar wird, eingerahmt von stark frequentierten Straßen. Zwischen den Hochhäusern und betonierten Wegen finden sich vereinzelte Grünflächen, gekennzeichnet mit dem Schild »Betreten verboten.« Menschen jeder Altersstufe und Nationalität sind auf den Wegen anzutreffen, oft in Begleitung eines Hundes. In den Hinterhöfen spielen Kinder und Jugendliche oder sie »hängen einfach nur rum«.
Mitten in diesem Kiez ist das Pilotprojekt Lipschitz Kids angesiedelt und wenige Kilometer entfernt das Nachfolgeprojekt Groopies. Die Lipschitz Kids wurden nach der angrenzenden Lipschitzallee benannt. Der Name »Groopies« wurde abgeleitet von Gropiusstadt, wo das Projekt verortet ist. Die Lipschitz Kids und Groopies sind Kooperationsprojekte freier Träger der Kinder- und Jugendhilfe mit dem Jugendamt. Das Leitziel liegt laut Auskunft einer Mitarbeiterin darin, Kontakt zu Familien aufzubauen, die bisher nicht vom Jugendamt oder anderen familienunterstützenden Angeboten erreicht werden: »Migranten gehören nicht zu der Bevölkerungsgruppe, die sich mit Fragestellungen direkt ans Jugendamt wenden oder zu einer Sozialberatung gehen. Sie gehören also nicht zu denen, die sich konkret Hilfe suchen, wenn sie Probleme haben.«
Die Eltern sollen bei der Ausübung ihrer Erziehungsaufgaben unterstützt, für die Wahrnehmung der Bedürfnisse ihrer Kinder sensibilisiert und motiviert werden, bestehende Familienunterstützungsangebote kennen zu lernen und für sich und ihre Kinder zu nutzen. Ziel ist es, präventiv vor Ort zu arbeiten, das heißt Familien und Kinder frühzeitig an bestehende Angebote im Kiez anzubinden, so dass sie die Jugendhilfe als Unterstützungs- und Hilfsangebot wahrnehmen.
Des Weiteren sollen im Kiez Strukturen hergestellt werden, die es den Familien ermöglichen, sich auch untereinander zu helfen. »Es geht darum Ressourcen im Kiez zu entdecken und für die Familien und Kinder zu nutzen, wie zum Beispiel die Ressource der vielen Senioren hier.«
Eine weitere Zielstellung der wohnortnahen Projekte ist es, durch den täglichen Kontakt mit den Familien deren Anliegen, Bedürfnisse und Potentiale zur Verbesserung ihrer familiären Situation im Wohngebiet zu erfahren und eventuell in neue innovative Konzepte umzusetzen. Es entstand die Idee, unmittelbar »mit Eltern und Kindern direkt vor Ort Kontakt herzustellen«, ganz im Sinne einer aufsuchenden Sozialarbeit, wobei sowohl die Kinder als auch die Eltern direkt angesprochen werden.
Umgesetzt wird dies durch Platzspiele. Der Zugang zu Kindern gestaltet sich meist unkompliziert. Durch eine große Spielkiste, welche die Mitarbeitenden auf den Platz bringen, wird schnell die Neugierde der Kinder geweckt. Die Mitarbeitenden sprechen die Kinder an und laden sie persönlich zum Mitspielen ein: »Willst Du mal das Sprungseil haben? Du kannst Dir gerne auch den Ball zum Spielen nehmen.« Das funktioniert ganz gut: »Und umso mehr Kinder mit uns spielen, desto größer wird das Interesse der anderen Kinder, die daran vorbeigehen. Sie sagen dann: ›Mama, ich will auch mitspielen‹.« Viele Kinder scheinen nicht mehr zu wissen, wie man miteinander spielt oder womit sie auf der Strasse alles spielen können. Die Kinder sind sehr offen für diese Anregungen. In einer solch unverbindlichen Angebotsstruktur entscheiden die Kinder selbst, wann und wie lange sie mitspielen wollen. Das erfordert eine hohe Kompetenz der Mitarbeitenden: eine offene Gruppe und ständig wechselnde Kinder. »Die Kinder können jederzeit gehen, man muss immer gucken, dass man sie anders kriegt. Also mit Wertschätzung, Anerkennung, aber auch klarem Benennen von Regeln. Und das alles mit einer offenen, großen Gruppe«, berichtet die Mitarbeiterin.
Der Zugang zu den Familien
Der Zugang zu den Eltern findet meist über die Kinder und ihr Spiel statt. Viele Kinder erscheinen regelmäßig zu den verlässlichen Zeiten der Platzspiele. Ihre Eltern sitzen oft am Rand, unterhalten sich oder schauen den Kindern beim Spielen zu. Eine Mitarbeiterin geht auf sie zu und spricht sie freundlich an. »Ist das nicht Ihre Tochter?« Die Erfahrung zeigt, dass man mit den Eltern über die unverfängliche Tätigkeit Spielen schnell ins Gespräch kommt. Dabei sprechen sie viel eher über Ängste, Sorgen und Probleme als beispielsweise in einem künstlich hergestellten Beratungssetting.
Im Sommer wird den Eltern auch Kaffee angeboten, sozusagen ein offenes Elterncafé. Nebenbei erfragen die Eltern, wer die Mitarbeitenden denn eigentlich genau sind und was sie machen. So entsteht für die Mitarbeitenden die Möglichkeit, Informationen weiter zu geben, aber auch die Interessen der jeweiligen Eltern zu erkunden. In den Gesprächen kann es zudem zu gezielten Fragen der Eltern kommen: beispielsweise wo es Sprachkurse gibt, wo ein Kinderarzt ist oder Fragen zu Briefen von den Behörden. So kann bei Bedarf eine Weitervermittlung zu anderen Projekten erfolgen. Es werden aber auch Fragen zu Bescheiden von Ämtern oder der Schule erklärt oder die entsprechenden Ansprechpartner gemeinsam ausfindig gemacht. Dadurch, dass die Eltern mit ihrem Anliegen nicht weitergeschickt werden, wird eine erste Vertrauensbasis geschaffen.
Parallel zu den Gesprächen im öffentlichen Raum wird ein offenes Müttercafé angeboten. Auch hier werden die Eltern freundlich und einladend angesprochen. Sie können sich zunächst einmal über das Projekt informieren. Es entwickelt sich ein Gespräch und die Mitarbeitenden erfahren, was die Eltern beschäftigt, wo der berühmte Schuh drückt und welche Angebote und Unterstützungen aus Sicht der Eltern hilfreich wären. So werden die Eltern ganz direkt mit in die Angebotsplanung einbezogen.