Nachdem das Projekt Shehrazad schon mehrmals erwähnt wurde, folgt nun ein praxisnaher Einblick in die konkrete Arbeit. Wir laden Sie dazu ein, einen »Tag im Shehrazad zu verbringen« und einen plastischen Eindruck vom Arbeitsalltag zu gewinnen. Der geschilderte Tag ist künstlich konstruiert. Er wurde aus Beobachtungen zusammengestellt, die sich über einen kompletten Monat erstreckt haben. Dennoch sind selbstverständlich alle geschilderten Situationen authentisch. Als Einführung und zum besseren Verständnis geben wir vorab einige Informationen zur Projektgeschichte, zum Sozialraum Roseggerstraße und zu den Projektzielen. Wer lieber sofort »ins Geschehen eintauchen« will, kann diese Einleitung auch gerne überspringen.
Der Mutter-Kind-Treff Shehrazad öffnete als Jugendhilfeprojekt im März 2005 in einem Eckladen der Roseggerstraße im Norden von Neukölln seine Türen. Der Eröffnung gingen zwei Jahre Konzeptionierung und Vorbereitung durch das zuständige Regionalteam voraus. Hier wurde das Projekt in enger Zusammenarbeit aller ehemaligen Fachbereiche des Jugendamtes speziell für die Bedürfnisse des Sozialraumes entwickelt: Im Berliner Sozialstrukturatlas 2003 belegte die Roseggerstraße den 284. (6) Rang von insgesamt 298. (7) In diesem Sozialraum leben knapp 30.000 Menschen, darunter fast ein Drittel ohne deutsche Staatsangehörigkeit (32,3 %). (8) Dies entspricht ungefähr dem Durchschnitt Nord-Neuköllns, liegt aber deutlich über dem Berliner Durchschnitt (13,2 %). Auffällig ist der hohe Anteil an Empfängern von Hilfe zum Lebensunterhalt von 17,4 %, der bei Nichtdeutschen noch weit höher liegt. (9) Besonders beunruhigend ist, dass fast ein Drittel der Kinder (32,1%) Sozialhilfe bezieht. (10)
Aus Sicht der Experten der Jugendhilfe (11) ist die Roseggerstraße ein Gebiet mit ausgeprägten Bedarfslagen. Konkret nennen sie Armut, Arbeitslosigkeit, schlechten Kontakt zwischen Deutschen und Nichtdeutschen, Drogenmissbrauch, Alkoholismus, Fehlernährung, das Entstehen krimineller Strukturen innerhalb von Familien und Gewalt. Das alles bei einem deutlichen Mangel an Angeboten für Kinder und an Erholungsmöglichkeiten. Zudem sei bei Familien mit Migrationshintergrund nur wenig Einblick in die internen Strukturen möglich. Hilfs- und Beratungsangebote könnten daher nur unzureichend vermittelt werden.
Vor diesem Hintergrund zielte man bei der Konzeptionierung des Shehrazad darauf ab, ein früh ansetzendes System der Hilfe zu entwickeln, das dem Präventionsgedanken der sozialräumlichen Jugendhilfe entspricht: »Um die vorschulische und frühkindliche Entwicklung und Bildung aller Kinder im Alter von null bis sechs Jahren, insbesondere der Kinder aus bildungsfernen gesellschaftlichen Kreisen zu fördern und ihnen damit auch als ältere Kinder, Jugendliche und Erwachsene verbesserte Chancen für ihre Teilhabe in der deutschen Gesellschaft zu vermitteln, ist das Mutter-Kind-Projekt […] ins Leben gerufen worden.« (12)
Kurz zusammengefasst sind die erklärten Ziele des Shehrazad (13):
- Nachhaltige Stärkung der Erziehungskompetenz, gerade von bildungsfernen Eltern mit Migrationhintergrund,
- Prävention bezüglich Sprach- und Entwicklungsdefiziten von Kindern, die keine Kindertagesstätte besuchen,
- Förderung kulturübergreifender Kontakte, Entgegenwirken von Konflikten aus diesem Kontext,
- Aufbrechen von Isolation und Aufbau nachbarschaftlicher Netzwerke,
- Unterstützung der Partizipation in der »deutschen Gesellschaft«,
- Förderung der Emanzipation und Entwicklung der Frauen.

Seit dem 15. März 2005 gibt es im Projekt Shehrazad an allen Wochentagen offene Angebote. Sie richten sich insbesondere an isoliert lebende Mütter aller Kulturen mit Kindern von null bis sechs Jahren »aus bildungsfernen gesellschaftlichen Kreisen.« (14) Es gibt vier Räume – ein Café, auch »Kommunikationsraum« genannt, ein Kinderspielzimmer, ein Beratungszimmer, auch Büro (15) genannt, und eine Küche. Dort können sich Frauen unterschiedlicher Herkunft zum Kochen, Plaudern und Spielen einfinden. Entsprechend »babylonisch« sind die akkustischen Eindrücke, die man im Projekt bekommt: Deutsch, Türkisch, Arabisch, Kurdisch und einiges andere mehr.
Im Shehrazad haben Frauen die Möglichkeit zur Beratung und zum Austausch über wichtige Erziehungs- und Lebensfragen. Neben dem unverbindlichen, offenen Treffpunkt gibt es auch regelmäßige Angebote, wie etwa einen Sprachkurs oder eine Vorlesestunde. Sie basieren durchweg auf Vorschlägen der Frauen und Kinder und wurden mit ihnen gemeinsam entwickelt. Daneben gibt es immer wieder einmalige Veranstaltungen, wie gemeinsame Ausflüge, Themenabende oder Feste, die ebenfalls gemeinsam mit den Frauen geplant werden. Empfangen und begleitet werden die Frauen und Kinder von einem multikulturell besetzten Team. Es besteht aus drei Mitarbeiterinnen, welche auf Honorarbasis arbeiten.
Nach diesem Einblick in die Rahmenbedingungen des Projektes möchten wir nun zeigen, wie das Shehrazad auf die dargestellten Gegebenheiten antwortet und mit diesen umzugehen weiß. Viel Spaß beim Projektbesuch!