Einleitung
Die Zielstellung Sozialer Arbeit, auch im Bereich der Hilfen zur Erziehung, liegt in der Ermöglichung eines selbstbestimmten gelingenden Alltags der Adressat(inn)en (CONEN 2006:14ff.). Ausgehend von ihrem je eigenen Anliegen werden die Menschen unterstützt, sich eine Selbstbestimmung zur Bewältigung ihres Lebensalltags (wieder) zu erarbeiten (OELERICH u.a. 2005). Der Adressat wird hierbei in seiner Subjektstellung gesehen. Er ist nicht ein Objekt sozialarbeiterischer Behandlung sondern Subjekt in einer demokratischen Bürgergesellschaft, in welcher er mit seinem Anliegen eine personenbezogene Dienstleistung im Bereich der Jugendhilfe in Anspruch nimmt (THIERSCH 2003). Das eigene Interesse bzw. der »Wille« (HINTE/TREEß 2007:46) der Betroffenen selbst wird hierbei zum zentralen Faktor.
Der folgende Aufsatz will das potenzielle Spannungsfeld zwischen individuellem Interesse, gesellschaftlichen Normen und professionellem Handeln Sozialer Arbeit nachzeichnen. Im Wissen, dass dieser Diskurs sowohl als ein alter Hut, besser gesagt als eine traditionelle Linie der Sozialen Arbeit gesehen werden kann, aber auch unabdingbar für eine reflexive Professionalität stets zu führen ist und nicht abgeschlossen sein wird.
Menschen, Fälle und Fallen
Mensch und Gesellschaft sind zwei miteinander in ihrer Bedeutung und Wechselwirkung verknüpfte Begriffe. Im Begriff der Gesellschaft wird der Mensch als solcher antizipiert und im Begriff des Menschen erscheint dessen Zusammenleben mit anderen als Grundlage der Existenz (BOER u.a. 1970:5). Durch das Leben in der Gesellschaft wird der Mensch sozialisiert. Zugleich ist der Mensch durch seine Freiheit, d.h. das Vorhandensein von Wahlmöglichkeiten, mehr als das reine Produkt einer Gesellschaft (BOER u.a. 1970:5). Diese Formen der Wahlmöglichkeiten sind in den vergangenen Jahren aus soziologischer Beschreibung als »Individualisierung« sowie »Pluralisierung« der Lebenslagen mehrfach beschrieben worden (BECK 1986; BECK/ BECK-GERNSHEIM 1994; BMJFFG 1990).
Nach diesem Verständnis ist der einzelne Mensch geprägt und beeinflusst von gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, Ermöglichungen und Teilhabezugängen. Zugleich hat der einzelne Mensch innerhalb einer Gesellschaft eine eigene (Mit)Verantwortung sowie vorhandene Entscheidungsmöglichkeit im Verlaufe der Gestaltung seiner Biografie. Bezogen auf die professionelle Verortung Sozialer Arbeit in einer solchen Ausgangslage stellt C.W. Müller die Frage: »Kann Erziehung die Welt, aber insbesondere die Klient/innen sozialpädagogischer Arbeit verändern?« (C.W.MÜLLER 2000:84).
Traditionell bedingt hat die sogenannte Beziehungsarbeit in den Handlungsfeldern der Sozialen Arbeit einen hohen und besonderen Stellenwert. Der in der Sozialarbeit tätige Profi versteht sich zumeist als Helfender, der mit seinem eigenen Einsatz andere Menschen aus einer Problemlage herausführt. Es geht um Kontaktaufnahme, Beziehungsaufbau, Verstehen, Einfühlungsvermögen und Unterstützung zu Veränderungs- möglichkeiten und realisierbaren Handlungsoptionen. Auch bei kollegialer Teamreflexion besteht in der direkten Hilfeerbringung die persönliche Beziehung zwischen (Einzelfall-)Helfer und Klient als zentrale Kategorie. In diese Bisubjektivität (B. MÜLLER 1990:57) eine prozesssteuernde und kontrollierende Instanz transparent wirken zu lassen, scheint auf der Mikroebene z.T. mit erheblichen Bedenken versehen zu sein. Nach B. Müller (ebd.:58) bleibt auch aktuell die zentrale sozialpädagogische Frage, »wie aber aus Abhängigkeit von Hilfe Unabhängigkeit werden kann« (ebd.:58).
Oder wie Reinhart WOLFF sein zentrales Hilfeparadox der modernen Gesellschaft beschreibt: »Hilfe stärkt nicht in jeder Hinsicht, sondern sie macht auch abhängig und schafft schiefe Ebenen. Insofern schwächen die vielfältig entwickelten Hilfesysteme in der modernen Gesellschaft möglicherweise die Kräfte, die sie stützen wollen« (WOLFF 1990:22).
Wir müssen also im Kontext der (Einzel-)Fallarbeit einen berufsethischen Diskurs führen, was wir unter einer »guten« Hilfe verstehen und woran dies in der Interaktion deutlich wird, um darauf aufbauend zu klären, welche Beziehungskonstellation zwischen Klientin und Sozialarbeiterin hierbei hilfreich wird.
Zudem stellt sich die Frage was im Kontext der (Einzel-)Fallarbeit eigentlich der Fall ist. Eine unterstützende Definition des Falls liefert u.a. WENDT (2001). Nicht der betroffene Mensch ist der Fall, sondern die problematische Lebenssituation, in welcher er steht und die es, im Ganzen wie auch im Detail, zu bewältigen gilt (WENDT 2001:32ff). Die problematische Lebenssituation ist der Fall und somit Gegenstand des Bewältigungsverhaltens und der Selbsthilfeansätze des betroffenen Menschen, aber auch des Bewältigungsverhaltens der im Umfeld beteiligten Angehörigen wie auch der sozialarbeiterisch-professionellen Akteure. Sofern die Person selbst als Fall gesehen wird, ist dies eine Missachtung der Selbstsorge dieser Person und ihrer mündigen Mitwirkung, wie auch ein Verstoß gegen die persönliche Autonomie.
So kann ein Betroffener seinen Fall selbst vortragen und hierzu eine Meinung haben, was zu seinem Fall gehört und was zu einer Veränderung hilfreich wäre. Diese subjektive Fallauffassung wird bspw. im Verlauf eines Case Management-Prozesses mit den subjektiven Fallauffassungen anderer beteiligter Akteure sowie Fachkräfte abgeglichen( LÖCHERBACH u.a. 2005; KLEVE u.a. 2006).
Durch diesen gemeinsamen Reflexions- und Verständigungsprozess, was der Fall ist, beginnt eine transparente und aktivierende Zusammenarbeit. Im Case Management wird der Weg der Bewältigung, der Prozess der Lösungsgenerierung gemanagt.
Case Management versteht Hilfe unter Maßgabe eines emanzipatorischen Prinzips, das den Willen und die Lebensweltbezüge der Betroffenen im Fokus hat und die Betroffenen selbst als Experten dieser Lebenswelt, ihrer Interpretation und auch der Entwicklung von Lösungsmöglichkeiten versteht.