Kampagnen systemisch denken

Die Planung und Umsetzung von Kampagnen ist voraussetzungsvoll und gelingt nicht »mal eben im Vorbeigehen«. Der Kampagnenfähigkeit von Organisationen geht idealerweise viel interne Vorbereitung und Analyse voraus. Wenn sich eine Gruppe oder Organisation – zumindest grundsätzlich – entschieden hat, kampagnenorientiert zu arbeiten, dann gilt es im Vorfeld nicht nur, die Kampagne inhaltlich zu entwickeln, sondern rechtzeitig auch organisatorische, kommunikative und andere ressourcenorientierte Aspekte in den Blick zu nehmen, die sich zwangsläufig mit der Umsetzung von Kampagnen verbinden: 

Eine gute Kampagne hat ein klares (und erreichbares) Ziel. Sie verfügt über eine plausible Strategie und über eine realistische Erzählung, wie dieses Ziel erreicht werden soll (Theory of Change). Zur Planung gehören aber auch verlässliche Angaben über die zur Verfügung stehenden (internen und externen) Ressourcen, mit denen eine Kampagne umgesetzt werden soll.

Bei Kampagnen (aber auch bei Projekten) handelt es nicht einfach nur um rationale Planung zur Durchsetzung politischer Forderungen geht, sondern viele Faktoren eine Rolle spielen, darunter auch zwischenmenschliche und gruppendynamische. Diese Faktoren stehen zudem in einer Wechselwirkung und bedingen sich gegenseitig.

In den 1990er Jahren hat ein Team von in sozialen Bewegungen engagierten Trainer/innen mit der »Organizer-Spirale« (Eberhard et al. 2011) ein Konzept für die Planung von Kampagnen und Projekten entwickelt, das zwei interessante Ansätze enthält: zum einen ein flexibles Phasenmodell zur Planung und Durchführung (Ausgangslage, Analyse, Ziele, Strategie, Maßnahmenplanung, Umsetzung, Kontrolle/Evaluation), zum anderen ein »Aspekte-Menü«, in dem verschiedene Bereiche angesprochen werden, die in verschiedenen Phasen einer Kampagne unterschiedlich stark zum Tragen kommen können.

  • Mitwirkende
    Dieser Aspekt umfasst die personelle Basis des Kampagnenteams bzw. der unmittelbar an der Kampagne Beteiligten.
  • Umwelten
    Mit »Umwelten« sind sämtliche Personen, Institutionen etc. gemeint, die für das Problem und seine Lösung von Bedeutung sind.
  • Selbstverständnis
    Hier geht es um die gemeinsamen Grundsätze und Werte, die Leitbilder, Visionen oder Utopien des Projektes.
  • Problem & Lösung
    Bei diesem Aspekt steht das Problem im Mittelpunkt, also der Anlass unseres Projektes oder unserer Kampagne.
  • Ressourcen
    Mit »Ressourcen« sind all jene Mittel gemeint, die benötigt werden, um die gesetzten Ziele zu verfolgen und zu erreichen.
  • Kommunikation
    Kommunikation ist ein weitreichender Begriff. Letztlich ist alles, was zwischen Menschen passiert, Kommunikation.
  • Struktur & Prozesse
    Dieser Aspekt betrifft alle formellen und informellen Beziehungs- sowie die Aufbau- und Ablaufmuster der Initiative.

In jeder Phase der Kampagnenplanung und -durchführung ist es hilfreich, die verschiedenen Aspekte nicht nur im Hinterkopf zu haben, sondern auch aktiv zum Gegenstand der Reflexion im Kampagnenteam zu machen.

Eine Organisation oder eine Gruppe überlegt, zu einem Anliegen eine Kampagne zu starten – bereits in dieser frühen Phase sollten wichtige Punkte besprochen und geklärt werden. Dazu gehört die elementare Frage, wer eigentlich die Mitwirkenden der Kampagne sind, also wer Teil des Kampagnenteams ist. Diese Frage ist innerhalb größerer Organisationen nicht so einfach zu beantworten, grundsätzlich sollten aber aus jedem Organisationsbereich diejenigen Menschen dabei sein, die mit ihren Zuständigkeiten später in der Kampagne wichtig werden: Fundraising, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, Fachreferent/innen. 

Zu klären ist an dieser Stelle auch das Commitment und die Motivation der Mitwirkenden – eine Kampagne zu starten mit Menschen, die eigentlich alle keine Zeit haben und nur dabei sind, weil sie sich verpflichtet fühlen, ist eine schlechte Ausgangsbasis für die weitere Planung.

Hinsichtlich der Strukturen und Prozesse stellt sich die Frage, ob das zusammengestellte Team während der Kampagne im Zweifelsfall handlungs- und entscheidungsfähig wäre und – vorneweg – ob und unter welchen Bedingungen die Kampagne überhaupt gestartet werden kann. Dies setzt entsprechende Legitimation und Kommunikation voraus – in hierarchischen Organisationen bedeutet dies in der Regel die Einbindung der Geschäftsführung, in basisdemokratischen Organisationen ein entsprechendes »Go« der Basis.

Dabei geht es meist nicht nur um eine grundsätzliche Legitimation, sondern auch um die Definition des Handlungsspielraums während der Kampagne. In der Praxis bedeutet dies meist die Vereinbarung von Kommunikations- und Entscheidungsprozessen während der zu startenden Kampagne.

In dieser frühen Phase der Kampagnenplanung geht es jedoch meistens erst einmal darum, die grundsätzliche Idee der Kampagne zu kommunizieren und das konkrete Vorgehen – nach Analyse und Ausarbeitung der Kampagnenstrategie – abzustimmen.

Gerade in basisdemokratisch organisierten Bewegungen gibt es aber meist noch viele grundsätzliche Fragen zu klären, die alle etwas mit dem Selbstverständnis der eigenen politischen Arbeit zu tun haben. In einigen emanzipatorischen Bewegungen war und ist Kampagnenarbeit deshalb umstritten, weil manche dahinter einen zu punktuellen, »reformistischen« Ansatz vermuten. Andererseits – das ist ein Gegenargument – ist es für Bewegungen und politische Organisationen auch wichtig,  konkrete politische Forderungen und Bezugspunkte zu haben, an denen sich auch Erfolge messen lassen können. In der Praxis von Bewegungen sind diese Fragen oft Weggabelungen, an denen sich mitunter kleine kampagnenorientierte Organisationen gründen, die aber einem größeren Bewegungszusammenhang verbunden bleiben (und umgekehrt).

Wichtig ist es, sich über den Fokus der Kampagne klar zu sein: Was ist das Problem? Und was wäre eine Lösung dafür? Je klarer und kleiner der Fokus ist, desto einfacher fällt die weitere Planung.

Eng damit verbunden ist die Frage, mit welchen Umwelten sich die Kampagne auseinandersetzen müsste: das hat vor allem mit den Akteuren zu tun, mit denen sich die Kampagne als Gegner/innen und Unterstützer/innen auseinander setzen muss. In dieser frühen Phase ist es hilfreich, bereits eine erste gemeinsame Vorstellung zu haben, in welchem (politischem) Rahmen sich die Kampagne bewegen soll. So kann eine Kampagne zu fair gehandeltem Obst »policy-orientiert« sein und entsprechende staatliche Regulierung fordern, oder sie kann »konzernorientiert« sein und ein anderes (faires) Sortiment von Supermärkten fordern.

Schließlich ist eine Einschätzung der verfügbaren Ressourcen hilfreich, also eine Einschätzung über das Zeitbudget der Mitwirkenden und das zunächst verfügbare finanzielle Budget.

Rein praktisch können die oben angesprochenen Aspekte im Rahmen eines ersten Sondierungstreffens innerhalb weniger Stunden besprochen werden. Bewährt hat es sich, die Informationen zu den verschiedenen Aspekten in Form von Diskussionsrunden – in denen alle mit ihren Einschätzungen zu Wort kommen – zusammen zu tragen und zu visualisieren. Auf Basis dieses Austauschs fällt es leichter zu entscheiden, ob und in welcher Form die Kampagne weiter geplant werden soll.

Wichtig sind dabei auch die leisen Töne: wenn es Bedenken Einzelner gibt, sollten diese zu Sprache kommen und geklärt werden, ob und wie deren Bedenken ausgeräumt werden können. Die Ergebnisse der gemeinsamen Sondierungen werden in den folgenden Phasen vertieft – erste Überlegungen können auch wieder revidiert werden.

So oder so ist es hilfreich, den gemeinsamen Rahmen abzustecken.