Ein Beispiel aus der Praxis

Praxisbeispiel für Bürgerbeteiligung in der Stadtentwicklung

Der Hamburger Konflikt um die ESSO-Häuser

Ein bekanntes Beispiel für stadtpolitische Auseinandersetzungen ist der Konflikt um die so genannten »ESSO-Häuser« auf St. Pauli. Der Konflikt steht sinnbildlich für viele Auseinandersetzungen um das Wohnen im Quartier:

Nachdem 2009 die Bayerische Hausbau das Gebäude erwarb, offenkundig mit der Absicht, es möglichst bald abzureißen, bildete sich eine Bürgerinitiative, die sich gegen die zu erwartende Mieterhöhungen zur Wehr setzte und für die Instandsetzung des 1960er-Jahre Gebäudes kämpfte.

Der Konflikt wurde symbolisch aufgeladen: Es ging nicht mehr nur um die konkret betroffenen Wohnungen sondern um Gentrifizierung, Kommerzialisierung und Auswirkungen von Tourismus auf das Stadtquartier.

Die Initiative vereinte die verschiedensten Menschen, die meist wenig bis keine Erfahrung in stadtpolitischer Initiativenarbeit hatten. Die lokale Gemeinwesenarbeit unterstützte diese informellen Formen der Beteiligung.

Gegen den Abriss gekämpft wurde lange, aber letztlich erfolglos. Ende Dezember 2013 wurden die ESSO-Häuser wegen Einsturzgefahr zwangsgeräumt und im Mai 2014 endgültig abgerissen. Ein Teilerfolg war allerdings die Bekanntmachung des Problems über Stadtgrenzen hinweg. Durch breite Solidarisierung mit den Protesten wurde politischer Druck ausgeübt und trotz des Abriss auf die Proteste reagiert: Um das weitere Vorgehen zu verhandeln wurde die »PlanBude« ins Leben gerufen, eine bottom-up Beteiligungsform. 

Die PlanBude erarbeitete dabei den »St. Pauli-Code«, der zusammenfasst, was sich die Bewohner/innen in St. Pauli vom Ergebnis wünschen und darüberhinaus Modellcharakter für ander Städte hat:

» 1. Unterschiedlichkeit statt Homogenität
   2. Kleinteiligkeit
   3. Günstig statt teuer
   4. Originalität und Toleranz
   5. Aneignung und Lebendigkeit
   6. Experiment und Subkultur
   7. Freiraum ohne Konsumzwang «

Lange und intensive Verhandlungen zwischen Eigentümer, Initiative und Bezirkspolitik ergaben die Pläne für das neu benannte »Paloma-Viertel«. Erklärtes Ziel: Gewerbe, Wohnen und kieztypische Nutzung  zu vereinen. Neben einem Hotel und mehreren Kultur-Einrichtungen sollen auf dem Gelände 60 Prozent öffentlich geförderte Wohnungen, die erst nach 25 Jahren aus der Sozialpreisbindung fallen, und keine - wie vom Investor ursprünglich geplant - teuren Eigentumswohnungen geben. Außerdem sollen die Dächer öffentlich zugänglich sein.

Tipp

Bürgerbeteiligung und Quartiersentwicklung: Interview mit Rixa Gohde-Ahrens, Mitarbeiterin der Lawartz-Stiftung, die über ihre Erfahrungen mit beteiligungsorientierter Quartiersentwicklung spricht, September 2011.