Bei den untersuchten Projekten wurden zentrale Prinzipien einer gelingenden Praxis wie etwa Flexibilität, Partizipation und Ganzheitlichkeit bereits während der Phase der Konzeptionierung praktiziert.
Wie in den methodischen Ausführungen deutlich wurde, verfolgen viele Projekte einen sehr offenen Arbeitsansatz, um vielfältige Zugänge zu den Migrantenfamilien zu finden. Von Spezialisierung, Scheuklappendenken und Versäulung – Phänomenen, die man in der Kinder- und Jugendhilfe ebenso wie in vielen anderen Verwaltungsbereichen immer wieder antrifft – haben sich die untersuchten Projekte weit entfernt.
Die Basis für eine ganzheitliche Herangehensweise wurde meist schon in der Anfangsphase gelegt. Dies lässt sich sehr schön an einem Projekt erkennen, das in öffentlicher Trägerschaft auf die Beine gestellt wurde. Hier waren von Anfang an mehrere Akteure eingebunden, die zum damaligen Zeitpunkt – d.h. vor der mittlerweile realisierten jugendamtsinternen Umstrukturierung und Entsäulung – noch zu unterschiedlichen Fachbereichen gehörten. Die außergewöhnlich frühzeitige fachbereichsübergreifende Kooperation führte nach Auskunft mehrerer Befragter dazu, dass sich alle Beteiligten von Anfang an als konzeptionell und inhaltlich mitverantwortlich erachteten und sich entsprechend stark für das Projekt eingesetzt haben. Die Zusammenarbeit zwischen den unterschiedlichen Fachbereichen war dadurch weit unkomplizierter, als wenn sich ein Fachbereich erst nachträglich um die Kooperation mit anderen Fachbereichen bemüht hätte.
Um die inhaltliche Arbeit mit der Zielgruppe unkompliziert, niedrigschwellig, flexibel und ganzheitlich gestalten zu können, scheint es demnach hilfreich, mögliche strukturelle Barrieren zwischen den beteiligten Partnern schon in der Konzeptionsphase zu beseitigen.
Ähnlich positive Effekte kann eine kooperative und abgestimmte Jugendhilfeplanung im sozialräumlichen Kontext haben, bei der öffentliche Jugendhilfe und mehrere freie Träger intensiv zusammenarbeiten. Die Mitarbeiter/innen treffen sich regelmäßig, um sich über potenzielle Bedarfslagen im Kiez auszutauschen, Ideen für angemessene Reaktionen zu entwickeln und möglicherweise unterstützende Ressourcen ausfindig zu machen. So gelingt es ihnen, auf einer fachlich breiten Folie ein Konzept für den Sozialraum zu entwickeln.
Die Mitarbeiterin eines Trägers, die an diesem Austausch beteiligt ist: »Wir sind hier auch ein bisschen am Ausprobieren. Und zwar mit Wissen und mit dem Wohlwollen des Jugendamtes. Wenn wir feststellen, es ist was anderes gefragt, als wir bislang anbieten, dann müssen wir umdenken und was anderes machen.«
Bei der Umsetzung eines Projektes bedarf es einer neugierigen Haltung und strukturell abgesicherten Prozessoffenheit, die fortwährend konzeptionelle Korrekturen und Nachjustierungen vorsieht. Wege müssen gegangen und Erfahrungen gemacht werden. Hierbei geben Reaktionen auf eingeschlagene Wege wichtige Hinweise für die Weiterentwicklung eines Projektes. Sie sollten daher systematisch erhoben und reflektiert werden. Frei nach Eisenhowers Prinzip ›Ein Plan ist nichts, Planung ist alles‹ bedeutet dies, dass eine gute professionelle Vorbereitung für eine Projektumsetzung wichtig ist. Da jedoch alle Akteure in neuen Situationen jeweils wieder neue Aspekte einbringen, sollte die Struktur im Lauf des Arbeitsprozesses flexibel angepasst werden können.
Konzeptionierung
Bei der Gestaltung gelingender Projekte scheint es zentral zu sein, dass die Erfahrung und das Engagement der ausführenden Praktiker/innen von Anfang an einfließen können. Erfolgreiche Projekte verstehen sich keineswegs als Top-down-Prozess, sondern beziehen die Basis schon in die Konzeptionsentwicklung ein. Außerdem profitieren sie von deren Erfahrungen bei der Umsetzung und entwickeln das Projektkonzept kontinuierlich weiter. Dies scheint umso wichtiger zu sein, als in aller Regel nur die Praktiker/innen, nicht aber die konzeptionell Verantwortlichen über relevante Erfahrungen in der Arbeit mit Migrantenfamilien verfügen. In einigen Fällen können sie zudem auf eigene Migrationserfahrungen zurückgreifen. Diese bereichernde Perspektive bei der Projektgestaltung außen vor zu lassen, wäre eine verschwendete Chance!
Der Partizipationsgedanke zeigt sich auch darin, dass die Praktiker/innen bei der konkreten Ausgestaltung konzeptioneller Vereinbarungen meist relativ großen Spielraum haben. In den untersuchten Projekten wurden institutionelle Strukturen geschaffen, bei denen die Inhalte durch die Praktiker/innen bestimmt werden. Das geht natürlich nur, wenn die Impulsgeber eines Projektes keinen »Besitzanspruch« hegen. Solche strukturell verankerten Partizipationschancen führen zu einer wachsenden Identifikation der Praktiker/innen mit dem Projekt. Das wiederum geht unseren Beobachtungen zufolge mit hohem Engagement und persönlichem Einsatz einher.
Das Prinzip der Partizipation und Teilhabe kommt bei der Gestaltung einer gelingenden Praxis auf mehreren Ebenen zum Tragen: nicht nur in der direkten Interaktion mit den Nutzer(inne)n, sondern auch im Binnenverhältnis derjenigen Professionellen, die auf der konzeptionellen Ebene oder auf der Ebene der praktischen Umsetzung an einem Projekt beteiligt sind.
Kollegiale Beratung bzw. regelmäßige Reflexionsrunden zwischen den vor Ort in einem Projekt Tätigen und den konzeptionell Verantwortlichen kann eine hilfreiche Struktur darstellen. So gibt es etwa in einem kommunalen, ausschließlich über Honorarkräfte umgesetzten Nachbarschaftsprojekt regelmäßige Treffen der Kolleginnen aus dem Amt mit den Honorarkräften. Dabei geht es darum, gemeinsam zu planen und beispielsweise neue Wege zu finden, um die Themen der Migrantenfamilien noch besser aufzugreifen. Eine solche strukturelle Anbindung ermöglicht zugleich die – im Sinne einer im SGB VIII verankerten Jugendhilfeplanung – notwendige Abstimmung und Anpassung der Angebote an den aktuellen Bedarf und die bestehenden Ressourcen. Qualitativ steuernde Jugendhilfeplanung und Weiterentwicklung der Konzeptionierung werden so idealtypisch kleinräumig und zeitnah verschränkt.
Die für »lernende Organisationen« typische partizipative Arbeitsweise kann für institutionell stark gebundene Einrichtungen, die die zentralen konzeptionellen Ausrichtungen nicht in eigener Entscheidungskompetenz anpassen und weiterentwickeln können, eine große Herausforderung sein. So erklärt beispielsweise die Leiterin einer Grundschule, dass sich ihre Schule eigentlich viel stärker an den Interessen und Bedürfnissen der Kiezbevölkerung orientieren müsste, um den Familien Unterstützung bieten zu können. Doch dazu wäre eine deutlich stärkere Unabhängigkeit der Schule bei der konzeptionellen Ausgestaltung erforderlich.
»Wenn man wirkliche Integration erreichen will, dann muss man den Schulen mehr Flexibilität zugestehen. Nach dem Motto: Wie ihr das macht, ist eure Sache. Hauptsache, ihr seid am Ende erfolgreich!«
Beispielsweise hätte sie gerne mehr Gestaltungsfreiheit, um trotz Stellenstopp Lehrer/innen mit Migrationshintergrund einstellen zu können, die sie in ihrem Kiez unbedingt bräuchte. Außerdem würde sie das Projekt der interkulturellen Moderation gerne weiter ausbauen, um einerseits den Familien eine Anlaufstelle für alle möglichen Fragen zu bieten und um andererseits bei Konflikten kompetente Vermittler/innen zwischen der Familienkultur und der Schulkultur zu haben. Schließlich fände sie es sinnvoll, die Kooperation zwischen Grundschulen und den Anbietern von Deutschkursen zu stärken, damit Kurse für Mütter direkt an den Schulen angeboten werden.