Ins Gespräch kommen

Aktiv auf Migrantenfamilien zuzugehen ist schließlich auch im sprachlichen Sinne zu verstehen: Es geht darum, eine gemeinsame Sprache zu finden, um miteinander ins Gespräch zu kommen. Muttersprachliche Kompetenzen können dabei für den niedrigschwelligen Erstzugang entscheidend sein. Bei Menschen, die nur sehr wenig oder kein Deutsch können, sind sie zwingend notwendig, um überhaupt tiefergehend miteinander sprechen zu können.

Doch auch wenn Migrant(inn)en über hinreichende Deutschkenntnisse oder Professionelle über ausreichende Fremdsprachenkenntnisse verfügen, kann die Kommunikationssituation durch weitere Momente beeinträchtigt sein, die es zu beachten gilt. Da wäre zum einen die besondere Dynamik der interkulturellen Kommunikation zwischen Angehörigen der Mehrheits- und Angehörigen einer Minderheitengesellschaft zu berücksichtigen und zum anderen die Kluft zwischen Fachsprache und Alltagssprache zu bedenken, die natürlich keineswegs nur in der Kommunikation mit Migrantenfamilien zum Tragen kommt.

Eine Nutzerin: »Es ist angenehm, wenn nicht so viel Fachsprache gesprochen wird. Ich habe nicht studiert. Einfache Erklärungen sind deshalb besser. Am hilfreichsten fand ich die einfache und verständliche Wortwahl bei der  Beratung.«

Wer Beratungs- und Unterstützungsangebote erfolgreich anbieten will, muss eine gemeinsame Sprache finden, um hören zu können, was die Familien wollen! Diese These verweist auf die von allen Befragten geteilte fachliche Überzeugung, dass es nur dann gelingt, Menschen bei Veränderungen zu unterstützen, wenn sie einen eigenen inneren Antrieb zur Veränderung haben. Diesen Antrieb zu entdecken, ist das zentrale Ziel der Anfangsphase.

Bei Migrant(inn)en, die noch sehr wenig Deutsch können, hat diese Grundannahme ganz pragmatisch zur Folge, dass Gespräche zunächst in der Muttersprache erfolgen müssen. Auf diese Weise wird gleichzeitig Achtung und Akzeptanz hinsichtlich der biografischen Lebenssituation vermittelt: »Du kannst hier so sein wie du bist.« Ein solches Verständnis von Sprache als zentralem Medium für ein erstes Verstehen impliziert Gleichwertigkeit, Wertschätzung und Achtung.

Allerdings betonen mehrere Befragte, dass sie den Einsatz der Muttersprache in erster Linie als Übergangsphänomen betrachten. So beispielsweise eine Mitarbeiterin aus dem Schulbereich: »Es geht nicht um eine dauerhafte sprachliche Separierung. Aber als Start, um die Menschen für die Schulen zu gewinnen, ist die Muttersprache unglaublich wichtig. Damit Eltern sich in die Schule einbringen und damit sie verstehen, dass sie da einen Ort haben, wo sie willkommen sind, aber wo man auch erwartet, dass sie mitmachen.«

Ein anderer Kollege resümiert: »Wir legen großen Wert darauf, dass man eine gemeinsame Sprache sprechen kann, um sich miteinander verständigen zu können. Aber bevor man dahin kommt, gibt es eben etliche Schritte, die vorher passieren müssen.«

In den meisten Projekten wird deutlich, dass muttersprachliche Mitar-beitende mit eigenem Migrationshintergrund deutliche Vorteile bei der Gestaltung eines erfolgreichen Zugangs haben. Dies gilt nicht nur in Bezug auf Personen, die keine oder nur geringe Deutschsprachkenntnisse besitzen. Denn abgesehen von dem rein sprachlichen Verständigungsaspekt gibt es weitere Faktoren, die dafür verantwortlich sind, dass Mitarbeiter/innen mit Migrationshintergrund ihre biografischen Ressourcen für eine erfolgreiche Zugangsgestaltung nutzen können. Dabei geht es zum einen um die Frage »Von wem lasse ich mir (gerne) etwas sagen?« und zum anderen um den Aspekt »Was sagt es für Migrantenfamilien aus, wenn Professionelle mit Migrationshintergrund in einem Projekt tätig sind?«

Hierzu eine Gesprächspartnerin: »Eine türkische oder arabische Frau als Mitarbeiterin signalisiert: Ich hab’s geschafft, ich bin integriert, ich kann was, und du kannst das auch.«

Diese Botschaft wird bereits durch das strukturelle Setting vermittelt, ohne dass ein Wort darüber verloren werden muss.

Professionelle mit Migrationshintergrund können den Familien als identifikationsstiftendes Modell dienen und eine nachvollziehbare Orientierung bieten: »Wie hat die das gemacht und wie kann ich das meinem Kind ermöglichen?« Außerdem können sie leichter vermitteln, dass sich Integrationsanstrengungen lohnen: »Bei jungen Frauen hören wir häufig Resignation darüber, dass sie nicht über gleiche Chancen verfügen wie Deutsche. Dann sagen wir: Schau mal, das stimmt nicht, wir haben es hier auch geschafft. Ich sage dann, ich bin auch erst später nach Deutschland gekommen, habe auch zuerst Deutsch lernen müssen und habe dann trotzdem studiert.«

Generell können Mitarbeitende mit Migrationshintergrund über vieles aus eigener Erfahrung berichten und haben so einen guten »Überzeugungszugang« und hohe Akzeptanz bei den Familien. Auf diese Weise lassen sich Informationen zu Themen wie etwa Kita, Schule, Gesundheit et cetera lebensnah vermitteln. Vor allem fällt es leichter, darzustellen, wozu und wie diese Aspekte für die jeweilige Familien hilfreich sein können.

»Wenn unsere pädagogische Mitarbeiterin erzählt, ›Du, mit meiner Tochter war es so und so‹, dann glaubt ihr natürlich die türkische Mutter eher als wenn ich als Deutsche vorschlage: ›Macht doch mal das!‹ oder ›kümmert euch um die Schule!‹. Das kommt nicht an.«

Mehrere Befragte berichten, dass Impulse durch Professionelle mit deutschem Hintergrund leicht so aufgefasst werden, als ginge es »den Deutschen nur darum, ihnen von oben herab zu erzählen, was sie zu tun haben.«

Sozialarbeiter/innen mit Migrationshintergrund könnten dagegen viel offener und direkter mit den Frauen reden, da sie eine lebensweltliche, alltägliche Nähe zu ihnen haben.

»Viele Ratschläge von deutschen Sozialarbeitern würden bei den Frauen auf taube Ohren stoßen, da sie wissen, dass Deutsche nicht die gleichen Schwierigkeiten haben können.«

Ein Mitarbeiter: »Es ist ein Unterschied, ob ein Deutscher sagt: Herr Ali, Sie sprechen aber schlecht Deutsch, oder ob jemand mit einem türkischen Namen auf Türkisch sagt: Bruder Ali, ich wünschte mir, du lernst Deutsch. Das kommt gleich ganz anders an.«

Das Prinzip der Gleichwertigkeit lässt sich insbesondere durch einen  Peer-Ansatz [peer: engl. Gleiche/r, Ebenbürtige/r] verwirklichen. In einem untersuchten Projekt agieren beispielsweise sogenannte Stadtteilmütter als »gleichwertige Personen, die nicht alles besser können«, sondern ähnliche Erfahrungshintergründe und zum Teil eine vergleichbare Biografie haben wie die von ihnen besuchten Mütter. Zudem wohnen sie selbst in der Nachbarschaft. Damit teilen sie mit den Müttern das Interesse, dass es Kindern und Familien im Kiez besser gehen soll. »Erstens sind sie Frauen, Mütter wie sie. Zweitens sprechen sie die gleiche Sprache. Und drittens sind sie von keiner offiziellen Stelle.«

Der in den untersuchten Projekten meist vorhandene Migrationshintergrund der Mitarbeitenden kann gerade in der Arbeitsphase des Erstkontaktes eine vorteilhafte Voraussetzung sein, um eine Akzeptanz bei den  Angesprochenen in ihrer Alltagswelt herstellen zu können.