Säulen der Konfliktlösung

Seite 1: Das Säulenmodell

Das Trainingskonzept des Kölner Trainingskollektivs für gewaltfreie Aktion und kreative Konfliktlösung wurde Anfang der 90er Jahre zur Entwicklung von Workshops, Seminaren und Fortbildungen zum Themenbereich »Handlungsmöglichkeiten in Bedrohungs-, Diskriminierungs- und Gewaltsituationen« entworfen. Inzwischen hat es sich in langen Jahren in der Praxis der Trainingsarbeit bewährt. Im Zentrum dieses Konzeptes stehen »fünf Säulen« , die verschiedene thematische Bereiche zur Bearbeitung von Gewaltsituationen in Trainings benennen.

Das Säulenmodell kann in einer aktuellen Gewalt, Bedrohungs-, Diskriminierungs- oder Konfliktsituation dazu dienen, das eigene Handeln zu strukturieren und dadurch gegebenenfalls schon zu optimieren. In diesem Fall stellen die Säulen quasi eine chronologische Ordnung dar:

  • Säule 1: Mir wird die aktuelle Situation bewusst, ich richte meine Aufmerksamkeit auf sie und nehme sie mit all meinen Sinnen wahr. Dabei unterscheide ich zwischen der Wahrnehmung von Realitäten und meiner persönlichen Interpretation der Situation.
  • Säule 2: Ich sorge für meine eigene Stabilität (körperlich, geistig, seelisch). Aus der eigenen Mitte heraus kann ich effektiv und wirksam eingreifen. Aus einer Position, in der ich mich sicher fühle, kann ich am meisten für andere und die Gesamtsituation bewirken.
  • Säule 3: Aus dieser sicheren Position heraus nehme ich Kontakt auf und kann eine dialogische Kommunikation aufbauen, in der es einerseits darum geht, andere zu verstehen und andererseits mich verständlich zu machen.
  • Säule 4: Wenn ich die Situation verstehe und einschätzen kann, ist mir auch (schnell) klar, in welche Richtung ich die Situation verändern will. Mein Ziel wird mir bewusst oder ich stecke mir ein Ziel. Gibt es mehrere Ziele, ist es gut, Prioritäten zu setzen, um mich nicht zu verzetteln und schlussendlich gar nichts zu erreichen.
  • Säule 5: Wenn ich weiß, was ich will (Ziel), brauchen mir »nur noch« Mittel und Wege einfallen, wie ich dort hinkomme. Ich brauche Ideen und Wissen darüber, welche Handlungsmöglichkeiten es gibt und wie Interventionen wirken können.

Unabhängig von dieser situativ ausgerichteten Interpretation der fünf Säulen ordnen sie unterschiedliche Themen und Bereiche, in denen innerhalb eines Trainings Kompetenzen erworben bzw. vertieft werden können. Worum es dabei im Einzelnen geht, gibt die folgende Aufstellung wieder.

Seite 2: Säule 1 und 2

Säule 1: Aufmerksamkeit und Wahrnehmung

  • Wahrnehmungsformen und –mechanismen kennen lernen sowie Wahrnehmung und Interpretation unterscheiden können
  • Sensibilisierung für eigene und fremde Körpersprache
  • Erkennen, wie Wahrnehmungen durch Vorerfahrungen eingeschränkt werden
  • Selbstwahrnehmung stärken

Oft wird in Konfliktsituationen mit eingefahrenen Mustern reagiert. Die zur Verfügung stehenden Handlungsmöglichkeiten scheinen sich dann häufig auf Angriff oder Flucht zu reduzieren. Um den Blick zu öffnen für die vielen Möglichkeiten, die zwischen diesen Alternativen liegen, sind Inhalt dieses Trainingsbereiches Übungen, die die Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Formen der Wahrnehmung ermöglichen.

Die Wahrnehmung bestimmt das eigene Verhalten wesentlich mit. Wie wir uns verhalten, hängt zu großen Teilen davon ab, wie wir die uns umgebende Welt wahrnehmen. Wahrnehmung ist ein Prozess, in dem Sinnesempfindungen, Gedächtnisinhalte, Interessen und Gefühle sowie Erwartungen zu entscheidungs und handlungsverwertbaren Informationen organisiert werden.

Zum einen beruht die Wahrnehmung auf den verschiedenen menschlichen Sinnen: Sehen, hören, riechen, schmecken, fühlen (tasten), zum anderen auf gedanklichen Aktivitäten wie sich etwas Erklären oder Vorstellen, Interpretieren, Vermuten, Denken und Vergleichen.

Entsprechend können drei Wahrnehmungsformen unterschieden werden, die durch Übungen sensibilisiert und gestärkt werden können:

  • innere Wahrnehmung (Gefühle, Selbsteinschätzung): Was spüre/fühle ich? Was empfinde ich?
  • äußere Wahrnehmung (Umgebung, äußere Welt, andere Personen): Was sehe ich? Was höre ich? Was beobachte ich?
  • mediative Wahrnehmung (Phantasie, Assoziationen): Welche Bilder, Phantasien, Erinnerungen, Vorstellungen nehme ich bei mir wahr?

Aufmerksamkeit, ein wacher, bewusster Zustand der Aufnahme- und Auffassungsbereitschaft, ist Voraussetzung für die Wahrnehmung der gegenwärtigen Wirklichkeit (dessen, was jetzt ist).

Säule 2: Eigene Sicherheit und Stabilität

  • Eigene Kraft erfahren
  • Grenzen wahrnehmen, Grenzen setzen
  • Sensibilisierung für unterschiedliche Körperhaltungen
  • Zusammenhang von Körperhaltungen und Gefühl erfahren
  • Selbstbewusst mit der Stimme umgehen
  • Loslassen können, Vertauen aufbauen
  • Eigene Unsicherheiten reflektieren, mit Unsicherheit besser umgehen
  • Über Ängste reden, über neue Umgehensweisen nachdenken und mit Handlungsmöglichkeiten experimentieren
  • Wahrnehmung eigener Aggression und Reflexion ihrer Entstehung
  • Wut ausdrücken und die Kraft in Handlungen umsetzen

In diesem Bereich geht es darum, achtsam die eigenen Gefühle wahrzunehmen, die eigenen Möglichkeiten realistisch einschätzen zu können und sich nicht zu überfordern. Der Blick geht dahin, nach »meinen Lösungen« zu suchen, anstatt etwas zu machen, von dem ich weiß, dass ich es nicht kann. Dann ist es sinnvoller, Hilfe zu holen. Die eigene Risikobereitschaft soll ebenso geklärt werden, wie Maßnahmen für die eigene Sicherheit. Atemübungen, Körperübungen und Wertschätzungsübungen sollen helfen, ein Gefühl für die eigene Mitte zu entwickeln.

Angst lähmt uns in Konfliktsituationen initiativ zu werden, in Bewegung zu kommen und zu handeln. Eigene Agressivität trägt oftmals zur Eskalation einer Situation bei und steht nach unserem inneren Gefühl deeskalierenden Handlungen im Wege.

Wenn wir unsere Angst annehmen und klären, können wir erkennen, dass sie eine nützliche Hilfsquelle ist. Sie zeigt uns unsere Grenzen und unsere Möglichkeiten zu wachsen. Sie kann uns helfen, in Sicherheit zu bleiben und aus dieser Situation heraus mutig zu handeln. Verschiedene Übungen, vor allem der gegenseitige Austausch sollen unterstützen, mit der Angst zurechtzukommen.

Aggression meint zum einen Verhaltensweisen, die bewusst eine Sache oder Person physisch oder psychisch verletzen oder gefährden. Andererseits hat Aggression auch eine positive, konstruktive Seite im Sinne des Sich-Näherns, des An-etwas-Herangehens, des Entdeckens und Erforschens. Ziel eines konstruktiven Umgangs mit Aggressionen ist es, ein alternatives Verhaltensrepertoire zu erlernen. Dazu gehört, mit seinen eigenen Bedürfnissen und Gefühlen sowie mit fremden Aggressionen umgehen zu lernen und sich Konfliktregulierungkompetenzen anzueignen. Gefühle wie Wut, Ärger oder Unmut sollen dabei angenommen und ernst genommen werden, aggressives (schädigendes) Verhalten abgebaut und vermindert werden.

Seite 3: Säule 3, 4 und 5, Hinweise

Säule 3: Kontaktfähigkeit und Kommunikation

  • Effektive und ineffektive Kommunikation erkennen und unterscheiden
  • Eigene Position zu Fragen und Thesen reflektieren und sichtbar machen
  • Dialogische Kommunikation üben
  • Eigene typische Kommunikationsmuster erkennen
  • Kommunikationsmöglichkeiten in schwierigen Situationen entwickeln
  • Feedback trainieren
  • Kooperationsfähigkeit erweitern
  • Methoden zur Konsensentscheidung anwenden können

Missverständnisse, Misstrauen, das Gefühl nicht ernst genommen zu werden und nicht gehört zu werden, lösen häufig Ärger und Konflikte aus. Ohne die Fähigkeit und Bereitschaft, den Meinungs- und Gefühlsäußerungen anderer verständnisvoll zuzuhören, stehen Konfliktsituationen in der Gefahr, zu eskalieren.

Dialogische Kommunikation bedeutet, sich hinzuwenden zum anderen, anzuerkennen, dass die andere Person eine eigene Wahrheit hat, zuzuhören. Zuhören ist jedoch keine Selbstverständlichkeit, sondern muss immer wieder eingeübt werden.

Offene Kommunikation heißt nicht alles schon zu wissen, sondern offene Fragen zu stellen, bereit zu sein, sich etwas anzuhören und nicht nur einen Aufhänger für die eigene Erwiderung zu suchen. Offenheit für eigene Veränderung und ebenso dem anderen die Chance zur Veränderung zuzugestehen, haben hier ihren Platz.

Gelernt werden kann, dass es die Möglichkeit gibt, ein Verhalten, eine Einstellung abzulehnen, ohne den anderen als Person herabzusetzen oder zu verachten. Die Erfahrung und das Bewusstmachen eigener Gefühle führt hin zur Stärkung und (Weiter-) Entwicklung empathischer Kompetenz, die bedeutet, sich gefühlsmäßig in die Lage eines anderen hineinversetzen zu können – gerade auch dann, wenn man seine Standpunkte oder Interpretationen nicht teilt. Kontaktfähigkeit bedeutet mit dem Gegner Kontakt aufnehmen zu können, sich auf den anderen beziehen zu können an Stelle einfach den eigenen Gedankengang am Gesagten des anderen vorbei fortzuführen. Im Kontakt bleiben heißt auch Kommunikationsweisen zu entwickeln, die helfen, wenn die andere Seite blockiert, verbal aggressiv reagiert oder ausweicht.

Säule 4: Ziele reflektieren und Prioritäten setzen

  • Prozessorientiertes und zielorientiertes Handeln kennen und unterscheiden
  • Versteckte Ziele entdecken und gegebenenfalls modifiziere
  • Ziele und Prioritäten realistisch setzen
  • Interessen, Positionen, Motivation und Überzeugungen (Werthaltungen) unterscheiden
  • Klärung der eigenen Rolle im Konflikt

Nicht jedes Handeln in Konfliktsituationen ist für jedes verfolgte Ziel sinnvoll. Die Klärung von Zielen, Zielgruppen (Täter, Opfer, ich, andere Dritte, ...) und das Setzen von Prioritäten erhöhen die Chancen, einen eskalierten Konflikt zu deeskalieren bzw. einen konstruktiven Konfliktprozess in Gang zu setzen. Hierzu sollen Ziele positiv formuliert werden, realistisch, erreichbar und konkret sein. Über das was ich tue, was der/die Andere tun soll, was ich erreichen will, warum ich etwas tue, soll so viel Klarheit wie möglich gewonnen werden.

Wichtig ist dabei, zwischen meiner gedachten Lösung und meinem Interesse zu unterscheiden. Konfliktanalysemethoden sowie Übungen und Rollenspiele dienen der Klärung von Interessen und Positionen im gegebenen Konflikt sowie der Klärung der eigenen Rolle (Primärpartei, Solidarpartei, VermittlerIn oder dritte Partei) und helfen, alternative und effektive Verhaltens- und Handlungsmöglichkeiten zu entwickeln und sich anzueignen.

Säule 5: Handlungsideen, Handlungsmöglichkeiten (Theorie)

  • Reflexion des eigenen Konfliktverhaltens
  • Interventionsmöglichkeiten für verschiedenste Situationen kennen und trainieren
  • Kreativitätstechniken zur Ideensuche kennen lernen
  • Eskalierende und deeskalierende Maßnahmen kennen
  • Handlungskompetenz und Handlungsrepertoire in Konflikten erhöhen
  • Konflikttheorien, Gewalttheorien, Konfliktdynamiken, gewaltfreies Konfliktverständnis, Konfliktanalyse kennen lernen

In diesem Trainingsbereich geht es um die Auseinandersetzung mit dem eigenen Konfliktverhalten, um aus dieser Erkenntnisebene heraus, die eigene Konfliktfähigkeit zu stärken und größere Sicherheit für das eigene Verhalten und Handeln in Konflikten zu gewinnen.

Mit den Methoden des Rollenspiels und des Statuentheaters sowie unterstützenden Übungen sollen die eigenen Kompetenzen erweitert werden, in Konflikten deeskalierend und gewaltmindernd zu agieren und eine konstruktive Konfliktbearbeitung zu initiieren.

Weitere Elemente dieses Bereiches sind die Darstellung theoretischen Wissens über Konflikte, Gewalt und Gewaltfreiheit, sowie Informationen und Ideen- und Aktionsentwicklungen zur politischen Arbeit gegen Formen struktureller Gewalt wie beispielsweise Rassismus, Sexismus und ökonomische Unterdrückung. Phantasievolles, gewaltfreies Verhalten für kritische Konfliktsituationen einzuüben ist ein Weg zur Minderung von Gewalt. Kooperieren, Vernetzen, Kontakte knüpfen, soziale und politische Aktivitäten zu entfalten, um Strukturen zur Gewaltprävention und für eine konstruktive Konfliktaustragung aufzubauen oder bestehende Strukturen zu verändern, ist ein anderer, wichtiger und notwendiger Schritt.

Literaturtipp

Vgl. Blum, H./Knittel,G.: Training zum gewaltfreien Eingreifen gegen Rassismus und rechtsextreme Gewalt, Kölner Trainingskollektiv für gewaltfreie Aktion und kreative Konfliktlösung, 1994 (vergriffen) – das Modell und die Erläuterungen beruhen vor allem auf den Ideen von milan (Mitglied des Kölner Trainingskollektivs).

Tipp

Hinweise: Die Darstellung und Beschreibung des Trainingskonzeptes des Kölner Trainingskollektivs dient hier vor allem zu deiner Information. Fast ausschließlich in Weiterbildungsseminaren für MultiplikatorInnen ist der konzeptionelle Hintergrund von Trainings von Interesse. Wenn es in einem Workshop aber darum geht, auf die Frage zu antworten »Welche Fähigkeiten kann ich denn trainieren, um besser mit Bedrohungs- und Diskriminierungssituationen klarzukommen?« ist es gut, etwas über die fünf Handlungskompetenzbereiche des Konzeptes zu wissen. Aber denke daran: Erzähle keinen Roman, fasse dich kurz und antworte lieber auf weitere Nachfragen. Wenn du merkst, dass das Thema nur für eine einzelne Person von Interesse ist, bitte nach der kurzen Darstellung der Handlungskompetenzbereiche darum, ihr die Frage ausführlicher in der Pause oder am Ende des Workshops zu beantworten. Es ist gut, eine Kopie des Modells (»TK-Haus«) zur Hand zu haben.