Technisch-Organisatorische Lösungen zur Realisierung virtueller Mitgliederversammlungen

Technisch-Organisatorische Lösungen zur Realisierung virtueller Mitgliederversammlungen

Nach Ausbruch der Covid-19-Pandemie konnten nur wenige Vereine und andere gemeinnützige Organisationen auf entsprechende Infrastruktur und Erfahrung zurückgreifen, wie etwa o.a. Organisationen mit internationalem oder stark technisch-orientiertem Wirkungsfeld. Während sie zumeist über Intranet-Lösungen verfügten, die in längeren Zeiträumen aufgebaut wurden, musste die Mehrzahl der von Pandemie und Lockdown in Deutschland überraschten Vereine entweder längere Zeiten der Schockstarre hinnehmen oder ganz pragmatisch vorhandene, zumeist kommerzielle Angebote zu Krisenbewältigung und Wiederaufnahme eines Minimums an Kommunikation und Handlungsfähigkeit nutzen. So verbreiteten sich ad hoc Kommunikationsformen überwiegend amerikanischer Provenienz, die im privaten wie im beruflichen Umfeld genutzt wurden. Selbst gerichtliche Überprüfungen der irgendwie mit Zoom, Skype, E-Mail oder WhatsApp organisierten Kommunikations- und Entscheidungsprozesse werden in absehbarer Zeit die rechtliche Problematik mancher technischer Verfahren in den Protokollen kaum wahrnehmen und gegebenenfalls auch die Krise mildernd in Rechnung stellen.

An dieser Stelle lässt sich nur eine Art Orientierung zur Schärfung des Bewusstseins in Hinsicht auf Rechtssicherheit und zum aktuellen Stand technischer Lösungen unter diesem und anderen Gesichtspunkten geben. Die wichtigsten Kriterien sind dabei

  • Eignung nach Größe bzw. Mitgliederzahl eines Vereins
  • Der Grad technischer Komplexität
  • Offenheit und Verfügbarkeit des Zugangs
  • Technischer, organisatorischer, personeller und finanzieller Aufwand
  • Datenschutzkonformität
  • Ein (nur grob schätzbarer) Grad der Datensicherheit.

Für die Gestaltung virtueller Mitgliederversammlungen und Entscheidungsverfahren sind grundsätzlich denkbar

  • Telefonkonferenzen zur Kommunikation und Diskussion und für öffentliche, nicht geheime Abstimmungen
  • Videokonferenzen zur Kommunikation und Diskussion und für öffentliche, nicht geheime Abstimmungen
  • Ergänzende Möglichkeiten per Brief, E-Mail oder Messenger-Dienste bei überwiegend schriftlichen und zeitversetzten, bzw. auch sequentiellen Beschlussverfahren in öffentlicher Abstimmung
  • Für ergänzende geheime Abstimmungen (.z.b. Wahlen usw.) Brief oder spezielle digitale Wahl-Systeme
  • Integrierte Gesamtlösungen (spezifische Intranet- oder auch externe Konferenz-Systeme mit sicheren anonymen Abstimmungsinstrumenten)

Telefonkonferenz zur Kommunikation und Diskussion der Mitglieder und der öffentlichen Abstimmung

  • Eignung: nur für kleine Vereine und eine auf 5 bis 10 begrenzte Mitgliederzahl der MV
  • Komplexität: erscheint allgemein gering insbesondere hinsichtlich der Authentifizierung der Mitglieder und ihrer Stimmrechte. Moderation und Einhaltung von Verfahrensregeln stellen höhere Anforderungen
  • Zugang und Verfügbarkeit: sind weitgehend unbeschränkt
  • Aufwand: ist technisch, organisatorisch und finanziell gering
  • Datenschutz: birgt geringe Risiken, die einer Präsenzversammlung vergleichbar DSGVO-konform sind
  • Datensicherheit: ist über die Endgeräte der teilnehmenden Mitglieder mittelstark bis hoch
  • Technische Plattformen: beschränken sich auf Festnetz-, Mobil-, Voice over IP -Telefonie
  • Einschränkungen: ergeben sich durch die geringe Teilnehmer*innenzahl, es sind nur öffentliche Beschlussfassung möglich und bei geheimen Abstimmungen sind Ergänzungen per Brief, oder Online-Abstimmungs-/Wahl-Systeme erforderlich

Videokonferenz zur Kommunikation und Diskussion der Mitglieder und der öffentlichen Abstimmung

  • Eignung: für weitgehend alle Größenordnungen von Vereinen und Teilnehmer*innenzahlen -Zahlen in MV (50 – 100+ TN, bei Bedarf auch mehrere virtuelle Konferenz- und Gruppenräume)
  • Komplexität: ist relativ hoch v.a. in Bezug auf Moderation, Verfahrensregeln, für die Handhabung durch Teilnehmer*innen eher gering. Hier besteht die stärkste Analogie zu realen Treffen
  • Zugang und Verfügbarkeit: sind angesichts der Verbreitung digitaler Kommunikationsmöglichkeiten grundsätzlich gering eingeschränkt. Beschränkungen durch Mangel an entsprechender Ausstattung können im Einzelfall z.B. generationenspezifisch bestehen aber etwa durch Tandem- oder Kleingruppenlösungen selbst unter Pandemiebedingungen ausgeglichen werden
  • Aufwand: ist unter Gesichtspunkten technischer Handhabbarkeit, organisatorischer (auch personeller) Voraussetzung und Kosten mittel bis hoch
  • Datenschutz: wird nach Auskunft der Anbieter nahezu für alle Plattformen als konform der DSGVO versprochen. Hier besteht aber große Unsicherheit! Nach Meinung vieler Datenschutzexperten, nicht zuletzt mancher Datenschutzbeauftragter der Bundesländer existiert diese DSGVO-Konformität für Anbieter deren Anwendungen auf Serverstandorten außerhalb der EU (v.a. USA) laufen keineswegs. Hintergrund sind unzureichende Datenschutzabkommen und Zugriffsrechte für Dritte, die von EU-Normen abweichen
  • Datensicherheit: erscheint nach dem jetzigen Stand der Debatte für amerikanische Anbieter hinsichtlich der Serverstandorte, nationaler Zugriffsrechte, Standards der Verschlüsselung, der Datenlöschung und der Datenexporte (z.B. auch zu kommerzieller Nutzung) kaum gewährleistet.

Technische Plattformen und Videokonferenzsysteme in der Übersicht

Mit nachfolgender (Kurz-)Übersicht wird kein Anspruch auf eine umfassende oder gar vollständige Listung aller Systeme erhoben. Es handelt sich um eine Auswahl solcher Angebote, für die gesicherte Praxiserfahrungen vorliegen und die zum Ende des Jahres 2020 für den Einsatz im Rahmen virtueller Mitgliederversammlungen denkbar sind.
Wichtig: Für alle vorgestellten Systeme gilt, dass bisher nur öffentliche (nicht-geheime) Beschlussfassungen bzw. Abstimmungen rechtssicher möglich sind. Somit sind Ergänzungen für geheime Abstimmungen erforderlich (Brief, E-Mail, Online-Abstimmungs-/Wahl-Systeme). Manche Angebote wie beispielsweise Zoom beinhalten anonyme Abstimmungstools, die aber zum Stand der gegenwärtigen Diskussion weder den vereins-, noch den datenschutzrechtlichen Anforderungen gerecht werden

System

Beschreibung

alfaview

Anbieter mit Sitz in Deutschland, DSGVO-Konfomität und hohe Datensicherheit (Serverstandort, Verschlüsselung, Datenlöschung, keine Datenexporte). Es gibt ein kostenloses und ein kostenpflichtiges Angebot, kompatibel mit gängiger mobiler und stationärer EDV- und Kommunikationstechnik (https://alfaview.com/de/)

edudip

Anbieter (ursprünglich für Webinare) mit Sitz in Deutschland, DSGVO-Konfomität und hohe Datensicherheit (Serverstandort, Verschlüsselung, Datenlöschung, keine Datenexporte). Kostenpflichtiges Angebot für max 25 Teilnehmende, kompatibel mit gängiger mobiler und stationärer EDV- und Kommunikationstechnik (https://www.edudip.com/de)).

Zoom

US-amerikanischer Dienst mit Zusicherung der DSGVO-Konformität, aber umstrittener Datensicherheit (Serverstandorte, Verschlüsselung, Datenlöschung, Datenexporte). Es gibt ein kostenloses und ein kostenpflichtiges Angebot, kompatibel mit gängiger mobiler und stationärer EDV- und Kommunikationstechnik (https://zoom.us/de-de/meetings.html)

Skype (Microsoft)

US-amerikanischer Dienst mit Zusicherung der DSGVO-Konformität, aber umstrittener Datensicherheit (Serverstandorte, Verschlüsselung, Datenlöschung, Datenexporte). Kostenfreie Version bis 50 Teilnehmer/innen ohne Zeitlimits, kompatibel mit gängiger mobiler und stationärer EDV- und Kommunikationstechnik (https://www.skype.com/de/)

Microsoft Teams

US-amerikanischer Dienst mit Zusicherung der DSGVO-Konformität, aber umstrittener Datensicherheit (Serverstandorte, Verschlüsselung, Datenlöschung, Datenexporte). Kostenfreie Version bis 300 Teilnehmer/innen bis zu einer Stunde, kompatibel mit gängiger mobiler und stationärer EDV- und Kommunikationstechnik (https://www.microsoft.com/de-de/microsoft-teams/compare-microsoft-teams-options?market=de)).

Wire

Europäischer Dienst mit hoher Datensicherheit (Serverstandorte, Verschlüsselung, Datenlöschung, keine Datenexporte) und zusätzlichen Teamwork- und Authentifizierungstools, kostenpflichtig (https://wire.com/de/)

BigBlueButton

Frei zugängliche Open Source-Software für Web-Konferenzen. Hohe Standards von Datenschutz, Datensicherheit und eindeutiger Authentifizierung. Ist nur bei Installation auf eigenem Server oder über spezielle kostenpflichtige deutsche Dienste nutzbar (https://bigbluebutton.org)

Jitsi Meet

ähnliche Funktionalität und begrenzte Nutzbarkeit wie BigBlueButton (https://jitsi.org)

Ergänzende Möglichkeiten bei zeitversetzten (öffentlichen) Abstimmungen und Beschlussfassungen: Brief / E-Mail / Messenger

  • Im Einzelfall kann vor oder innerhalb der Zeitfristen der realen wie virtuellen MV oder nur schriftlich auf der Grundlage versendeter Beschlussvorlagen die Zulassung der Stimmabgabe auf schriftlichem oder elektronischem Wege sinnvoll sein.
  • Ein rechtssicherer Weg ist immer noch ein schriftliches Votum z. B. per Brief auf dem Postweg (nach Möglichkeit mit standardisiertem Rückantwortformular zu den Beschlussvorlagen).
  • In ähnlicher Weise kann E-Mail-Kommunikation genutzt werden. Hierbei ist Voraussetzung, dass Mitglieder einem solchen Verfahren zustimmen (z.B. bei Eintritt oder auch nachträglich) und die ausschließlich persönliche Nutzung und Verfügbarkeit der E-Mail-Adresse (z.B. über den Aufnahme-Antrag oder auch nachträglich) bestätigen.
  • Für Datenschutz und Datensicherheit in der E-Mail-Kommunikation sind im Regelfall die Mitglieder verantwortlich. Ausnahmen könnten Vereinsdomains mit entsprechenden Mailservern und Postfächern für die Mitglieder sein; ebenso die Nutzung sicherer E-Mail-Provider (z.B. Posteo), die teilweise wie De-Mail auch die rechtssichere Kommunikation mit Behörden anbieten.
  • Weitere Instrumente solcher versetzter oder sequentieller Abstimmungsverfahren können Messengersysteme darstellen, die auch dauerhaft Möglichkeiten begleitender Kommunikation (für den Verein als Gruppe) bieten. Signal und Telegram gelten als sicherste in Bezug auf Datenschutz und Datensicherheit. Bei WhatsApp werden aus Expertensicht in diesem Punkt große Vorbehalte geltend gemacht.

Ergänzende Möglichkeiten zu geheimen Abstimmungen und Beschlussfassungen: Brief und Online-Abstimmungs-/Wahl-Systeme

Im Regelfall der Abstimmungs- und Entscheidungspraxis der MV von Vereinen überwiegt die öffentliche, nicht anonyme bzw. nicht geheime Stimmabgabe. Sie kann auch bei Telefon- oder Videokonferenzen in Analogie zur realen MV umgesetzt werden. In Fällen, in denen Mitglieder oder auch die Satzung (wie mindestens bei Wahlen oder anderen Entscheidungen über Ämter und Personen z.B. zu Recht) geheime Abstimmungen fordern, sind ergänzende technisch-organisatorische Verfahren erforderlich. Sie lassen sich analog zu den o.a. temporären Rechtsgrundlagen auch zu außerordentlichen schriftlichen Entscheidungen des Vereins oder zu sequentiellen, d.h. zeitversetzten Beschlussverfahren zur eigentlichen MV (per Telefon- oder Videokonferenz) nutzen.

  • (Post-)Brief: Eine sehr rechtssichere, je nach Mitgliederzahl eventuell kostenaufwendige Möglichkeit ist die geheime Brief-Wahl-Abstimmungs-Entscheidung mit neutralem Rückantwortkuvert und anonymem Wahl-Abstimmungsformular, die im Vorlauf zu MV und innerhalb der satzungsgemäßen Fristen erfolgen muss.
  • Online-Abstimmungs-/Wahl-Systeme: In Ergänzung synchroner, virtueller MV (z.B. per Videokonferenz) bietet sich die Nutzung von rechtssicheren Instrumenten der Online- Abstimmung oder -Wahl an. Als sicher bewertete Beispiele seien POLYAS (https://www.polyas.de), und AuthVote (https://voxr.org/de/authvote/) genannt, die Rechtssicherheit, Geheimniswahrung und korrekte, transparente Ergebnissicherung versprechen. 

Integrierte Gesamtlösungen

Inzwischen werden auch komplexe und dennoch sehr gut handhabbare Systeme angeboten, mit denen synchrone Mitgliederversammlungen (inkl. Wahlen und Abstimmungen) rechtssicher durchgeführt werden können.

  • Ein Beispiel ist die Anwendung VOXR Smart Conferencing. Das System enthält alle Module, die für eine virtuelle, synchrone Mitgliederversammlung (in starker Anlehnung zu realer MV oder Jahreshauptversammlungen) einschließlich Wahl- oder Abstimmungsmöglichkeiten erforderlich sind. Rechtsschutz-, Datenschutz- und Datensicherheitsstandards sind hoch, ebenso der anfallende Kostenaufwand (https://voxr.org/de/)

Pragmatische Wege und Mischformen zur virtuellen Ergänzung der Vereinsorganisation

Vereine unterscheiden sich stark im Hinblick auf ihre Größe, Mitgliederzahl, Zweckausrichtung und Ressourcen. Nicht alle hier dargestellten Tools und Angebote sind für alle Vereine geeignet; zudem verändern sich die Angebote und Anbieter fortwährend. Es bietet sich an, mit der Kombination einfacher Lösungen zu beginnen und pragmatische Wege zu beschreiten. Das kann etwa die zeitversetzte Kommunikation per E-Mail oder per Messengerdienst sein. Das kann punktuell auch eine synchrone Videokonferenz sein, die – wenn nötig – durch einfache Abstimmungs- oder Wahlverfahren (per Brief oder Online-Systeme) ergänzt wird. Erinnert sei an die wichtigsten Kriterien: Rechtssicherheit, Zugang und Transparenz für Mitglieder, Datenschutz und Datensicherheit.