Rechtsgrundlagen zur dauerhaften Verankerung in der Satzung

Rechtsgrundlagen zur dauerhaften Verankerung in der Satzung

Spätestens mit dem Eintritt in das 21. Jahrhundert entwickelte sich ein Wechselspiel von Veränderungen des Vereinswesens im Rahmen umfassender Wandlungsprozesse und allmählicher Anpassungen der Interpretation des Rechtsrahmens. 

Wandel der Vereinswelt

Praktische Initiativen einzelner Vereine zur virtuellen Gestaltung ihrer Arbeit und ihrer Entscheidungsprozesse, gelegentlich bereits im Gründungsprozess trafen anfänglich noch auf große Skepsis bzw. Ablehnung der zuständigen Rechtsinstanzen (Registergerichte). Vereins- und Verbandsaktivitäten wiesen dabei zusehends einen deutlich ansteigenden Grad an Internationalisierung insbesondere im Zusammenhang des europäischen Integrationsprozesses auf. So erhöhte sich die Beteiligung ausländischer Mitbürger an Vereins-Initiativen in großem Maße. Viel stärker noch nahm die Ausweitung oder gar Verlagerung der Betätigung deutscher Vereine und Verbände und ihre Kooperation mit Mitgliedern und Partnerorganisationen über Grenzen hinweg in andere Länder zu. In vielen bürgergesellschaftlichen Handlungsfeldern wuchs und wächst die Zahl gemeinnütziger Organisationen, die sich institutionell zwar auf dem Boden des deutschen bzw. nationalen Vereinsrechts bewegen, deren Ausrichtung und Wirkungshorizont europäischen oder gar globalen Charakter besitzen. Eine supra- oder transnationale Rechtsgrundlage dafür fehlt bis heute weitgehend. In diesem Feld stieg zusehends der Bedarf nach neuen und schnellen Abstimmungs- und Entscheidungsmethoden auf der Basis moderner Kommunikationstechnologien. Vorreiter waren vor allem Berufsverbände (z.B. Verband Deutscher Kapitäne und Seeoffiziere, Auslandsautoren im deutschen PEN, Verband der europäischen Assistenzärzte, European Society of Clinical Microbiology and Infectious Diseases e.V), technikaffine Initiativen der Commons (Gemeinschaftsressourcen) und Open Source (Wikimedia, Wikivoyage). Verbunden war damit aber auch die wachsende Bedeutung neuer Handlungsfelder, per se globaler Ausrichtung zu Fragen des Umwelt- und Klimaschutzes, der Nachhaltigkeit, der Menschenrechte usw). Immer mehr Organisationen erschließen Handlungsfelder des direkten bürgergesellschaftlichen Engagements mit dem Versuch der unmittelbaren Einflussnahme und Beteiligung in politischen Regelungsfragen von der lokalen Ebene bis hin zur europäischen (Bürgerbeteiligung). In diesen Bereichen sind schnelle Informationsverbreitung und Abstimmung mit den Mitgliedern ebenso gefragt, wie die unvermittelte, akzeptierte und durch den Mitgliederwillen legitimierte Beteiligung an den Regelungsprozessen.
Deutlich erkennbar vollzieht sich im deutschen Vereinssektor auch ein Generationenwandel. Angehörige technikaffiner Generationengruppen drängen in immer stärkerem Maße in die Gestaltungs- und Führungsebenen von Vereinen auch in traditionellen Handlungsfeldern vor. Durch ihre Vertrautheit mit digitaler Technik wachsen Interesse und Motivation für den Auf- und Umbau von Internet-basierten Kommunikationsstrukturen sowohl für die Außenwirkung als auch für die Verbesserung und Beschleunigung der Abstimmung im Innenverhältnis der Organisationen.
Diese Entwicklungen korrespondieren mit dem allgemeinen technischen Wandel durch interaktive Internet-Anwendungen, die Handlungsprozesse, Beziehungsmuster und Kommunikationsformen in Wirtschaft, Gesellschaft und Politik (e-government) nachhaltig verändern. So wachsen die Anforderungen an Vereine und gemeinnützige Organisationen von außen auch durch die Behörden und Institutionen, etwa durch elektronische Beantragungs- und Registrierungsverfahren mit Gerichten, Steuerbehörden oder Sozialversicherungsträgern eingebunden in relativ strikte elektronische Regelungs- und Abstimmungsverfahren. Für viele Strategien der Finanzierung der Vereinsarbeit, vor allem aber der Beantragung öffentlicher Mittel zumal auf europäischer Ebene sind ebenso Online-Verfahren von der Recherche über die Registrierung bis hin zur eigentlichen Antragstellung notwendig. Nicht zuletzt damit entsteht auch ein erheblicher Druck zu Qualifizierung und Professionalisierung.

Wandel des Vereinsrechts

Mit diesen Veränderungen im Vereinswesen selbst, aber auch bei zivilrechtlichen Organisationsformen der Privatwirtschaft, die sich noch dynamischer wandelten, ergab sich eine allmähliche Öffnung des rechtlichen Rahmens für virtuelle Organisations- und Versammlungsformen. Am Anfang standen Interpretationen bzw. wissenschaftliche Kommentare zu den einschlägigen Regelungen des Bürgerlichen Gesetzbuches zur Rechtsgültigkeit von Online-Versammlungen. Bahnbrechend war eine entsprechende Erstinterpretation im Jahr 2000 (Ulrich Erdmann, Die Online-Versammlung im Vereins- und GmbH-Recht, MMR 2000, S. 526), die inzwischen den Grundstandard aller aktuellen Kommentare in dieser Frage prägt. Rechtspraxis und Rechtsprechung vor allem der Register-(Amts-)gerichte erwiesen sich in den frühen 2000 Jahren noch sehr skeptisch bis überwiegend ablehnend gegenüber virtueller Mitgliederversammlung und Beschlussfassung. Solche Versammlungsformen und ihre Beschlüsse wurden – wenn erkennbar virtuell gestaltet oder gefasst – nicht anerkannt, ihre Rechtsgültigkeit bestritten und gegebenenfalls die Eintragung in das Vereinsregister versagt. Erste, frühe Versuche einzelner Initiativen, von Beginn an und auf der Grundlage der in den Rechtskommentaren angeregten Satzungsbestimmungen zu Online-Verfahren mit einer virtuellen Gründungsversammlung eine Form des überwiegend online organisierten Vereins zu konstituieren, waren besonders von diesen Barrieren betroffen (Wikivoyage). Erst mit der Beschreitung des Klageweges über die unteren Gerichtsinstanzen hinaus, gelang es einzelnen Vereinen, die Anerkennung durchzusetzen. Im Jahr 2011 schuf das Oberlandesgericht Hamm mit einem Präzedenzurteil eine rechtlich verbindliche Basis für die Zulassung virtueller Versammlungen einschließlich Gründungsversammlungen und die Anerkennung der Entscheidungen und Beschlüsse solcher Versammlungen, insofern ihnen einschlägige Satzungsbestimmungen des jeweiligen Vereins zu Grunde liegen.

Grundlagen im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB)

Die vereinsrechtlichen Bestimmungen des BGB (§§ 21 -79) gewähren den angemessenen Gestaltungsspielraum um virtuelle Versammlungen und Beschlussfassungen und weitere Aspekte virtueller Vereinsarbeit, z.B. des Vorstands in der Satzung von Vereinen im Grundsatz zu ermöglichen. § 32 BGB („Mitgliederversammlung, Beschlussfassung“) schreibt zunächst eigentlich die physische Präsenz der Mitglieder in einer Versammlung vor: „(1) Die Angelegenheiten des Vereins werden, soweit sie nicht von dem Vorstand oder einem anderen Vereinsorgan zu besorgen sind, durch Beschlussfassung in einer Versammlung der Mitglieder geordnet“. Er gewährt für Sonderfälle und mit hohen Hürden auch die Möglichkeit einer schriftlichen Beschlussfassung ohne Versammlung : „(2) Auch ohne Versammlung der Mitglieder ist ein Beschluss gültig, wenn alle Mitglieder ihre Zustimmung zu dem Beschluss schriftlich erklären.“ Die wesentlichen Gestaltungsmöglichkeiten unter anderem für die Virtualisierung von Vereinsorganisation räumt § 40 BGB („Nachgiebige Vorschriften“) ein, insofern als einzelne Bestimmungen, eben auch die zur Mitgliederversammlung (§ 32 BGB) zur relativ freien Disposition der Satzung eines Vereins gestellt werden. „Die Vorschriften des § 26 Absatz 2 Satz 1 (Vorstand), des § 27 Absatz 1 und 3,(Vorstandsberufung) der §§ 28 (Vorstandsbeschlüsse), 31a Abs. 1 Satz 2 sowie der §§ 32 (s.o), 33 (Satzungsänderungen) und 38 (Mitgliedschaft) finden insoweit keine Anwendung als die Satzung ein anderes bestimmt“ Mit angemessenen Bestimmungen in der Satzung der Vereine eröffnet sich der Freiraum für eine virtuelle Gestaltung der Entscheidungsfindung durch die Mitglieder aber auch auf der Ebene der Vorstandsarbeit. Ob bereits im Gründungsprozess oder in der laufenden Arbeit verfasster Vereine können virtuelle Versammlungen und Verfahren der Beschlussfassung die Vereinsorganisation durch physische Präsenz bei Bedarf und nicht nur in Krisenzeiten ergänzen oder in vielen Fällen und bei großer räumlicher Distanz gar ersetzen. Lediglich bei Verfahren zur Verschmelzung von Vereinen (oder anderer Körperschaften) nach dem Umwandlungsgesetz (UmwG) sind nach gegenwärtigem Stand Beschlüsse in physischen Präsenz-Versammlungen erforderlich.

Angemessene Satzungsformulierungen

Satzungen, gleichsam als konstituierendes Grundgesetz von Vereinen sollten (neben Zwecksetzung usw.) auch die Grundlagen der Organisationsverfassung nur auf der Ebene von Prinzipen und Normen festschreiben. Für eine rechtssichere Verankerung virtueller Versammlungen und Entscheidungsprozesse reichen wenige Ergänzungen oder Veränderungen in den Bestimmungen (Paragraphen) zu Mitgliederversammlung und Vorstand. Konkrete Vorschläge, die sich auch in der kommentierten Mustersatzung wiederfinden sind veränderbar und können spezifischen Erfordernissen angepasst werden

Ergänzung zu "§ 7 Mitgliederversammlung"

Virtuelle MV
„(4) Die Mitgliederversammlung kann als Präsenzversammlung oder als virtuelle Mitgliederversammlung (Online-Verfahren in gesichertem Kommunikationsraum) abgehalten werden. Auch eine Kombination von Präsenzversammlung und virtueller Versammlung ist möglich. Die erforderlichen Zugangsdaten für die Teilnahme an virtuellen Versammlungen werden dem Mitglied spätestens X (z.B. drei) Stunden vor Beginn der Veranstaltung mitgeteilt“
Schriftliche Beschlussfassung
„(5) Beschlüsse können auch schriftlich gefasst werden. Dazu wird die Beschlussvorlage allen Mitgliedern per Post oder per E-Mail (oder auf anderem elektronischen Weg) mit einer Frist von ……. Wochen zur Stimmabgabe vorgelegt. Stimmabgaben, die nicht bis zum Ende der Frist beim Verein eingehen, gelten als Enthaltungen.“ Anders als die gegenwärtig geltenden temporären gesetzlichen Ausnahmeregelungen für Vereine ohne eigene Satzungsrundlagen mit einem 50 % Quorum aller Mitglieder , müssen auch bei schriftlichen Beschlüssen nur die in der Satzung vorgesehenen Beteiligungs- und Mehrheitsverhältnisse (und nicht ein 50 % Quorum aller Mitglieder) erfüllt werden.

Ergänzung zu "§ 8 Der Vorstand"

Virtuelle Vorstandsarbeit
„(6) Beschlüsse des Vorstands können bei Eilbedürftigkeit auch schriftlich (per E-Mail oder online) oder fernmündlich gefasst werden, wenn alle Vorstandsmitglieder ihre Zustimmung zu diesem Verfahren schriftlich oder fernmündlich erklären. Schriftlich oder fernmündlich gefasste Vorstandsbeschlüsse sind ebenso schriftlich niederzulegen und von .... zu unterzeichnen wie solche regulärer Sitzungen“

Rechtliche Anforderungen zur praktischen Umsetzung virtueller Versammlungen

Für die Realisierung von Online-Versammlungs- und Beschlussfassungsverfahren hat die Rechtsprechung in den bereits erwähnten Verfahren eine Reihe weiter Anforderungskriterien festgeschrieben.

  • Beschränkung des Zugangs zum virtuellen Vereinsraum auf Mitglieder
  • Sicherstellung der Beteiligungsmöglichkeit aller Mitglieder (keine technischen Ausschlussbarrieren)
  • Bereitstellung individueller Zugangs-, Benutzer- oder Passwortdaten und (!) Aufklärung über sichere Verwahrung der Zugangsdaten
  • Technisch-Organisatorische Ressourcen der Authentifizierung bzw. Registrierung der Mitglieder und ihrer Stimmrechte
  • Bereitstellung von Abstimmungsmöglichkeiten namentlicher (öffentlicher) ebenso wie anonymer (geheimer) Form
  • Dokumentation/Speicherung der Teilnahme und der Abstimmung
  • Dialog und Interaktionsfähigkeit der verwendeten technischen Systeme
  • Beachtung aller weiteren Satzungsbestimmungen