Community Organizing kann diakonische Arbeit vom Handeln für betroffene Menschen zum Handeln mit betroffenen Menschen verändern. Selbst schwierig zu packende, überregionale Probleme wie die »Kinderarmut« und das »Bildungs- und Teilhabepaket« können kreativ und erfolgreich für eine Region bearbeitet werden, wenn sich Bürger/innen wirkungsvoll organisieren.
»Forum KinderarMUT« in Uslar und das Projekt Community Organizing
Die Stadt Uslar in Südniedersachsen hat ca. 14.880 Einwohner in 19 Ortsteilen. (1) In Uslar leben ca. 14 Prozent der Kinder und Jugendlichen im Alter von 0 bis 15 Jahren in Familien, die mit Leistungen nach SGB II (Hartz IV) auskommen müssen. (2) Der demografische Wandel ist bereits deutlich fortgeschritten. (3) Wie wissenschaftliche Studien belegen, schränken die regionalen Verarmungsprozesse die individuellen Lebenschancen ein. (4)
Um den strukturellen Entwicklungen entgegenzuwirken, wurde 2007 das Forum Kinderarmut als Projekt des Diakonischen Werkes des Ev.-luth. Kirchenkreises Leine-Solling in Uslar gegründet. Das Projekt ist ein Bestandteil der Kirchenkreissozialarbeit und wird daher seit der Gründung hauptamtlich begleitet. Im Forum Kinderarmut beteiligen sich ca. 25 freiwillig sozial engagierte Bürger, Vertreter aus der kommunalen Politik und Verwaltung, sowie Akteure aus den Arbeitsbereichen Jugendhilfe, Gesundheit, Bildung und Beratung. Gemeinsam setzen sie sich für gerechtere Teilhabechancen von sozial und finanziell benachteiligten Kindern und deren Familien ein. Es werden konkrete Hilfsprojekte gegen Kinderarmut in Arbeitsgruppen mit unterschiedlichen Themenschwerpunkten geplant und umgesetzt.
Zunächst waren hauptsächlich Menschen im Forum Kinderarmut engagiert, die selbst nicht von Armut betroffen waren. Nach einem selbstkritischen Reflexionsprozess entschieden die Akteure, einen neuen Weg zu gehen und die Betroffenen zu beteiligen. Denn nur sie wissen als Experten ihrer eigenen Lebenssituation, »wo der Schuh drückt« und was getan werden muss, um die Lebensverhältnisse vor Ort zu verbessern.
Dieser Perspektivwechsel erforderte ein entsprechendes methodisches Vorgehen, die Beteiligten entschieden sich für das Community Organizing. Der Beteiligungsprozess machte eine intensive hauptamtliche Begleitung nötig. Im Jahr 2010 wurde deshalb eine Koordinationsstelle für das Projekt »Gemeindeentwicklung und Armutsbekämpfung im Raum Uslar durch Community Organizing« für die Laufzeit von drei Jahren eingerichtet. Das Projekt finanziert sich aus Mitteln des Diakonischen Werkes, Sondermitteln der Ev.-luth. Landeskirche Hannover für besondere Projekte in der Diakonie sowie aus Fördergeldern der Sozial- und Sportstiftung des Landkreises Northeim.
Kirche mit den Menschen – Gemeinwesendiakonie als Handlungsstrategie
Das Forum Kinderarmut ist im Jahr 2007 auch aus der Überzeugung gegründet worden, dass ein gemeinwesendiakonischer Handlungsansatz unabdingbar ist, um den sozialen Missständen im ländlichen Uslarer Raum entgegenzuwirken. Gemeinwesendiakonie bedeutet die Abkehr vom Fürsorgeprinzip und meint das gemeinsame strategische Handeln von verfasster Kirche, organisierter Diakonie und sozialräumlichen Akteuren. (5) Indem Kirche und Diakonie diese Handlungsstrategie als biblischen Auftrag verstehen (6), übernehmen sie Verantwortung und aktivieren sowohl kircheneigene als auch gesellschaftliche Ressourcen im Gemeinwesen.
Durch das Projekt Community Organizing im Forum Kinderarmut werden besonders die Bedürfnisse und Fähigkeiten von Menschen mit Armutserfahrung in den Blick genommen. Diese Zielgruppe findet gewöhnlich im sozialpolitischen Raum kein Gehör. Aber auch in die traditionell geprägte Kirchengemeindearbeit sind diese Menschen selten einbezogen. Mit dem Forum Kinderarmut bildet die Kirche den Knotenpunkt eines bürgerschaftlichen Netzwerkes und wird zu einem Ort, wo sich Menschen aus unterschiedlichen Lebenswelten begegnen, sich solidarisch gegen soziale Missstände einsetzen und durch das Aushandeln gemeinsamer Ziele eine neue Beziehungskultur entwickeln. In diesem Sinne ist die Kirche im Sozialraum nicht isoliert, sondern öffnet sich und entwickelt Geh- statt Komm-Strukturen. Es wird »Nächstenliebe im Gemeinwesen« (7) durch bürgerschaftliche Sozialraumplanung unter Einbeziehung von Betroffenen gelebt.