Beteiligungsverfahren

Wahlen zum Europäischen Parlament

Seit 1979 sind die EU-Bürger/innen zur Wahl des Europäischen Parlamentes aufgerufen. Die Wahl findet alle fünf Jahre statt. Zusammen mit dem Rat der Europäischen Union (Ministerrat) bildet das Parlament die Legislative der EU. Allerdings besitzt das EU-Parlament kein formelles Initiativrecht im Gesetzgebungsprozess. Dieses liegt ausschließlich bei der Europäischen Kommission (Exekutive). Der Wahl des Parlaments folgt auch keine Regierungsbildung – einzig bei der Benennung einer Kandidatin oder eines Kandidaten für das Amt des Präsidenten oder der Präsidentin der EU-Kommission muss der Europäische Rat das Wahlergebnis »berücksichtigen«. Wahlen zum EU-Parlament sind demnach weniger ausschlaggebend für zukünftige Politikgestaltung als es für gewöhnlich Wahlen auf nationaler Ebene sind.

Das Europäische Parlament hat 705 Abgeordnete. Grundsätzlich gilt: Bevölkerungsärmere Staaten haben mehr Sitze pro Einwohner als bevölkerungsreiche. Eine deutsche Abgeordnete vertritt demnach etwa 880.000 Bürger/innen, ein Abgeordneter aus Malta bloß 88.000.

Europäische Bürgerinitiative

Die Europäische Bürgerinitiative (EBI) wurde durch den Vertrag von Lissabon zum 1. April 2012 eingeführt und ist ein politisches Instrument, das ähnlich einer Petition oder einer Volksinitiative funktioniert. Sie richtet sich ungewöhnlicherweise an die Exekutive (die Europäische Kommission), weil nur diese das Initiativrecht für Gesetzesvorschläge hat. Durch die EBI wird die Europäische Kommission aufgefordert, eine Gesetzesinitiative einzubringen.

Das Zustandekommen einer Initiative ist an bestimmte Bedingungen geknüpft: Der Vorschlag einer Bürgerinitiative muss einen Bereich betreffen, in dem die EU zuständig ist – z.B. Binnenmarkt, Landwirtschaft, Umweltschutz, Verkehr, öffentliche Gesundheit etc. Gleichzeitig darf er nicht auf die Änderung von EU-Verträgen zielen.

Eine Bürgerinitiative wird von einem Bürgerausschuss vorgeschlagen. Dieser muss aus mindestens sieben EU-Bürger/innen bestehen, die das aktive Wahlrecht zum Europäischen Parlament besitzen. Sie müssen ihren Wohnsitz außerdem in sieben verschiedenen Mitgliedsstaaten haben. Allerdings brauchen sie nicht Staatsangehörige von sieben unterschiedlichen Mitgliedsstaaten zu sein. Zwei dieser Personen müssen während des Verfahrens stellvertretend als Ansprechpartner/innen für die EU-Kommission fungieren. Bürgerausschüsse können nicht von Mitgliedern des Europäischen Parlaments oder von Organisationen gebildet werden. Sie können Initiativen jedoch unterstützen. Dies muss transparent erfolgen, etwa bei finanziellen Zuwendungen.

Nach einer erfolgreichen Registrierung der Initiative bei der Europäischen Kommission gilt es für den Bürgerausschuss einerseits insgesamt eine Millionen Unterschriften, andererseits in sieben Staaten eine Mindestanzahl an Unterschriften zu sammeln. Die Mindestzahl an Unterstützer/innen (in Deutschland bspw. 68.000) orientiert sich an der Bevölkerungszahl eines Mitgliedslandes. Die Sammlung kann per Papierformular und/oder online erfolgen und muss innerhalb von zwölf Monaten vollständig sein. Unter besonderen, die EBI negativ beeinflussenden Umständen, ermöglicht die Kommission i.d.R. eine Fristverlängerung. Dies war vor allem im Zusammenhang mit der Covid-19-Pandemie der Fall.

Wenn die erforderliche Zahl an Unterschriften erreicht wurde, haben die Mitglieder des Bürgerausschusses die Möglichkeit, ihre Initiative bei einer öffentlichen Anhörung im Europäischen Parlament vorzustellen und vor Vertretern der Kommission näher zu erläutern. Die Europäische Kommission prüft innerhalb der gesetzlich vorgeschriebenen Frist von drei Monaten die Sachlage und gibt eine öffentliche Stellungnahme darüber ab, welche Maßnahmen sie einleiten wird.

Da die Bürgerinitiative keine verbindliche Wirkung hat, ist die Kommission nicht dazu verpflichtet, aktiv zu werden. Daher ähnelt die EBI eher einer Petition als einer Volksinitiative. Bei einem direktdemokratischen Initiativverfahren wäre zumindest eine Beschlussfassung über die eingereichte Vorlage verpflichtend. Beschließt die Kommission jedoch, eine Gesetzesinitiative einzubringen, beginnt das normale Gesetzgebungsverfahren. Der Vorschlag wird dem Europäischen Parlament und dem Rat der EU unterbreitet.

Bis Juli 2024 sind 114 Bürgerinitiativen registriert worden, 23 davon wurden abgelehnt. Nur zwölf Initiativen erreichten bisher die notwendige Zahl von 1 Mio. Unterschriften – zuletzt »Fur Free Europe«. Auf zehn EBIs hat die EU-Kommission bereits geantwortet, zwei weitere werden – Stand: Juli 2024 – noch geprüft. Zu letzteren gehört die Initiative »Stop Extremism«, die in Deutschland knapp 120.000 Unterstützer/innen fand.

Europäischer Gerichtshof: Grundsatzurteil zu Europäischer Bürgerinitiative

Große Aufmerksamkeit erregete der Fall der Initiative »Stop TTIP«, die im Jahr 20014 eingereicht wurde. Das Bündnis hatte sich zum Ziel gesetzt, TTIP und CETA zu verhindern. TTIP bezeichnet die Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft der EU mit den USA, CETA ein umfassendes Wirtschafts- und Handelsabkommen mit Kanada. Als selbstorganisierte EBI sammelte die Initiative »Stop TTIP« innerhalb eines Jahres mehr als drei Mio. Unterschriften und überschritt das vorgegebene Länder-Quorum in mehr als 23 Staaten.

Im September 2014 lehnte die Europäische Kommission die Registrierung von »Stop TTIP« als Europäische Bürgerinitiative trotz der immensen Anzahl an Unterschriften ab. Denn nach Ansicht der Kommission handelt es sich bei dem Verhandlungsmandat zu TTIP um einen internen Vorbereitungsakt und somit keineswegs um einen Rechtsakt mit Wirkung auf EU-Bürgerinnen und -Bürger. Außerdem könne eine EBI nur positiv formuliert werden, also darauf hinwirken, einen Rechtsakt zu erlassen, nicht aber einen solchen zu verhindern. .

Das »Stop TTIP«-Bündnis hatte daraufhin beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) Klage gegen die Nichtzulassung eingereicht. Dieser wurde knapp zwei Jahre später im Mai 2017 stattgegeben. Das als Grundsatzurteil zu verstehende Urteil besagt, dass die Europäische Bürgerinitiative keine unzulässige Einmischung in den Gang des Gesetzgebungsverfahrens darstellt, sondern zur rechten Zeit eine legitime demokratische Debatte auslöst.

Im Juli 2017 wurde die Initiative »Stop TTIP« offiziell registriert. Allerdings haben die Initiator/innen die Registrierung noch am selben Tag zurückgezogen: Neu sammeln in einem offiziellen Verfahren wollen sie nicht. Stattdessen fordert das Bündnis von der EU-Kommission, »Stop TTIP« wie eine erfolgreiche EBI zu behandeln: Die Initiative erwartet eine Anhörung und eine inhaltliche Auseinandersetzung mit ihren Argumenten. Obwohl die erfolgreiche Unterschriftensammlung nicht als EBI registriert wurde, sieht das Bündnis ihre europaweite Bewegung gegen TTIP und das Grundsatzurteil des EuGH als Erfolg an.

Die Initiative forderte auch die Nichtunterzeichnung des CETA-Abkommens. Dieser Forderung konnte nicht nachgekommen werden, da das Abkommen zum Zeitpunkt des Urteils bereits wirksam war. Das TTIP-Abkommen wird vorerst nicht weiterverhandelt. Allerdings ist es nicht ausgeschlossen, dass die Verhandlungen in Zukunft wieder aufgenommen werden.

Europäische Bürgerforen

In einem Europäischen Bürgerforum (engl. European Citizens‘ Panel) kommen 150 zufällig ausgewählte Bürger/innen an drei Tagen zusammen, um konkrete Empfehlungen zu bestimmten Themen des Arbeitsprogramms der Kommission zu erarbeiten. Am ersten Tag werden vorläufige Ideen entwickelt. Der zweite Tag wird genutzt, um in Arbeitsgruppen erste Empfehlungen zu entwickeln, die in einem »Peer-Review-Verfahren« von den Teilnehmenden der Arbeitsgruppe gegenseitig überarbeitet werden. Auf dieser Grundlage werden am letzten Tag die Empfehlungen und Vorschläge beschlossen und an die Kommission übergeben. Die Teilnehmenden werden repräsentativ nach Merkmalen wie Geschlecht, Bildung und Mitgliedsstaat ausgewählt. Dabei wird ein Drittel der Plätze mit jungen Menschen zwischen 16 und 25 Jahren besetzt. Die Veranstaltungen werden durchgehend moderiert und für die Teilnehmenden simultan in ihre jeweiligen Landessprachen übersetzt. Seit das Bürgerforum (vormals nur Forum) Ende 2022 eingeführt wurde, fand das Format fünfmal statt. Auf der Website der Europäischen Kommission wird das Ziel formuliert, dass »Europäische Bürgerforen […] zu einer festen Größe im demokratischen Alltag der Europäischen Union [werden]« sollen.

Die Plattform für Bürgerbeteiligung präsentiert die Ergebnisse vergangener Foren und bietet die Möglichkeit zur Diskussion der Inhalte aus aktuellen Beteiligungsprozessen.

Tipp

Die Konferenz zur Zukunft Europas

Bei der Konferenz zur Zukunft Europas handelt es sich um ein (bisher, Stand Juli 2024) einmaliges Beteiligungsformat vonseiten der Europäische Union. Von April 2021 bis Mai 2022 fand in diesem Kontext eine „von Bürgerinnen und Bürgern geleitete Reihe von Debatten“ statt, deren Ziel es unter anderem war, partizipativ Inhalte zur (Neu-)Gestaltung der EU auszuarbeiten. Final legten die Beteiligten dem Europäischen Parlament, dem Rat sowie der Kommission einen Abschlussbericht vor. Dieser umfasst 49 Vorschläge und über 300 Maßnahmen. Teil dieses Beteiligungsprozesses waren unter anderem nationale und europäische Bürgerforen. In Folge des Erfolgs der Bürgerforen im Kontext der Konferenz zur Zukunft Europas, wurden die Bürgerforen als festes Beteiligungsinstrument etabliert.

Öffentliche Konsultationen und Rückmeldungen

Die EU betreibt die Internetplattform »Have your say«, auf der Bürger/innen und Unternehmen sich zu neuen EU-Strategien und geltenden Rechtsvorschriften äußern können. Registrierte Nutzer/innen haben in verschiedenen Stufen der Gesetzgebung und anderer Prozesse die Möglichkeit, Kommentare zu einer Vielzahl von Themen abzugeben. Im ersten Schritt, der Sondierung, wird ein erstes Stimmungsbild eingeholt. Darauf folgt die öffentliche Konsultation, in der der nächste Entwicklungsschritt kommentiert werden kann. Auf dieser Basis wird in der nächsten Phase ein Gesetzesentwurf erarbeitet. Dieser kann wieder kommentiert werden. Wenn ein Gesetz beschlossen werden soll, werden die Ergebnisse der Konsultation dem Europäischen Parlament und Rat vorgelegt und fließen so in die Entscheidung ein. Die Plattform informiert schließlich über das Ergebnis des Gesetzgebungsprozesses. Auf der Website wird für jedes Verfahren der Zeitrahmen angegeben, in dem die einzelnen Schritte erfolgen sollen. Zudem können die Entwürfe der Gesetze heruntergeladen werden und die Kommentare anderer Nutzenden werden angezeigt.