Energie und Verkehr, Bildung und Klimaschutz, Demokratie und Rechtsstaat: immer mehr Bürgerinnen und Bürger fordern das Recht auf politische Mitgestaltung und Mitsprache bei Themen, die sie lokal oder global für wichtig und zukunftsweisend halten. Bürgerbeteiligung ist dabei der Oberbegriff für sämtliche Maßnahmen und Initiativen, die eine Mitwirkung von Bürgerinnen und Bürgern an (politischen) Entscheidungsprozessen ermöglichen. Akteure in Beteiligungsprozessen können neben Bürgerinnen und Bürgern auch Kommunen, Länder, Bund wie auch wirtschaftliche und zivilgesellschaftliche Akteure sein.
Die Gemeindeordnungen und Kommunalverfassungen der Bundesländer, das Planungs- und Baurecht sowie andere einschlägige Gesetze sehen im Einzelnen eine Vielzahl unterschiedlicher Beteiligungsmöglichkeiten vor. Jenseits der darin enthaltenen formalen Regelungen und vorgegebenen Fristen lassen diese im Hinblick auf ihre bürgernahe Umsetzung vielfach breite Gestaltungsspielräume, die entsprechend unterschiedlich gehandhabt werden.
Dennoch: Wer sich länger mit Fragen der Bürgerbeteiligung befasst, weiß, dass die dabei gängigen und auch weiterhin unverzichtbaren Instrumente wie Bürgerversammlungen, Bürgeranhörungen, Hearings und Beiräte oft Mängel haben, die mit zunehmender Gemeindegröße und Kompliziertheit des Gegenstandes wachsen. Einige davon seien hier zusammenfassend skizziert.

Wertewelt Bürgerbeteiligung: Interview mit Marie Hoppe zur Wertewelt der Bürgerbeteiligung, September 2014.
Dominanz organisierter Interessen
Nicht selten beschränkt sich Bürgerbeteiligung auf die Anhörung organisierter Interessen. Dabei dominieren organisations- und konfliktstarke Verbände gegenüber kleineren Gruppen.
Oberflächlichkeit
Das klassische Instrumentarium der Auslegung, Anhörung, Erörterungstermine verläuft oft oberflächlich. Nur die wenigsten Bürgerinnen und Bürger kennen ihre Mitwirkungsrechte und die Fristen; viele trauen sich auch nicht zu, ohne Hilfestellung mit einem vorgelegten Plan und mit der Fachsprache umzugehen. Entsprechend beteiligen sich nur Minderheiten daran. Eine Bürgerversammlung mit 100 Teilnehmenden müsste länger als acht Stunden dauern, wenn alle Teilnehmenden nur fünf Minuten zu Wort kommen wollten. Tatsächlich werden nur die Wenigsten, die Artikulationsstärkeren, etwas sagen.
Soziale Selektivität
Bürgerbeteiligung ist sozialstrukturell ungleich verteilt. Es dominieren Hochausgebildete, Mittelschichtangehörige höherer beruflicher Positionen, Männer in mittleren Jahrgängen, der öffentliche Dienst. Überrepräsentiert sind auch die Vertreter/innen von Parteien, Verbänden, Vereinen und Kirchen. Schwach vertreten sind hingegen ausländische Mitbürger/innen, Jugendliche, Frauen, ältere Arbeitnehmer/innen sowie untere Einkommensschichten und Personen mit großen zeitlichen Abkömmlichkeitsproblemen.
Zeitmangel als Teilnahmebarriere
Selbst wenn sie politisch interessiert sind, fehlt bestimmten Gruppen von Bürgerinnen und Bürgern ganz einfach die Zeit, um sich zu engagieren. Eine zeitlich extrem beanspruchte Gruppe sind alleinerziehende Eltern von Kleinkindern. Aber auch Personen mit Wechselschichtarbeit oder dauerhaft von der Tagzeitgesellschaft abweichenden Arbeitszeiten gehören zu den zeitmäßig Benachteiligten.