»Wenn man Organizing macht, bedeutet das auch, dass man beständig weiter lernt und die Praxis weiter entwickelt«

Wie ist Deine Geschichte mit CO?

Als junger Mensch war ich tief geprägt durch die Schriften von Dr. Martin Luther King und von den verschiedenen sozialen Bewegungen der späten 1960er und frühen 1970er Jahre. Um die Welt zu einem besseren Ort machen zu können, so dachte ich, würde ich ein Pastor oder Politiker werden. Aber als ich Organizing als Universitätsstudent entdeckte, fand ich, dass Organizing genau mein Interesse für Glaube und Politik zusammenbrachte. Meine erste bezahlte Stelle als Organizer war Arbeit mit Afroamerikanern im ländlichen Mississippi. Ich hatte einen wunderbaren Mentor, der ein ausgezeichneter Organizer war. Zu dieser Zeit besuchte ich auch ein Sieben-Tage-Community Organizing Training und ich wusste, das ist genau das, was ich beruflich machen wollte.
Während meiner 25-jährigen Tätigkeit als Community Organizer in den USA arbeitete ich mit Studierenden, mit Arbeitern, mit Organisationen mit individueller Mitgliedschaft und auch im sog. »Broad-based-Organizing« (Organisationen von Organisationen). Ich hatte die Chance Organizing in vielen verschiedenen Stilen und von vielen verschiedenen Organisationen und Netzwerken kennenzulernen – zum Beispiel vom National Peoples Action (NPA), die in erster Linie mit Individual-Mitgliedschaftsorganisationen sowie dem Direct Action Research Training Center (DART) und Gamaliel Foundation, die hauptsächlich mit religiösen Organisationen (Kongregationen) arbeitet. Verschiedene Stile haben unterschiedliche Vorteile, und wenn man Organizing macht, bedeutet das auch, dass man beständig weiter lernt und die Praxis weiter entwickelt.

Wo/Wie erlebst Du in Deutschland und in Europa das Interesse an CO? Wann und warum interessieren sich Menschen für CO?

Ich habe seit 2004 viele Community Organizing Trainings in Deutschland und Europa gemacht und stoße dabei immer wieder auf sehr großes Interesse! Trainingsteilnehmende sagen mir, dass ihnen die konkreten und praktischen Strategien von Community Organizing gefallen. In Deutschland bin ich vielen Menschen begegnet, die wegwollen von dem etwas »für« Menschen machen, hin zu mehr »mit« Menschen bewegen. Und während Deutschland so wie auch die Vereinigten Staaten eine entwickelte Demokratie ist, realisieren viele, dass eine lebendige Demokratie mehr erfordert, als dass Stimmberechtigte alle vier Jahre einmal zum Wählen gehen und dann weiter nichts tun. In Zentral- und Osteuropa habe ich viele Menschen getroffen, die Korruption bekämpfen und echte Beteiligung der Bürger/innen in ihren post-kommunistischen Gesellschaften entwickeln wollen. Dort gibt es viele NGOs, aber nicht genug wirkliche Beteiligung der Bürger/innen. Organizing in Zentral- und Osteuropa ist aber auch in Vielem schwieriger. Nach vielen Jahren im Kommunismus, müssen die Bürger/innen erstmal Ängste überwinden und demokratische Vorgehensweisen lernen, um sich wirkungsvoll und effektiv beteiligen und einmischen zu können.

Du hast seit 2004 über 300 Community Organizing Trainings und Beratungen mit über 25 Projekten vor Ort durchgeführt. Welche Inhalte und Fragestellungen sind Dir bei Deinen Trainings und in der Beratung von Projekten besonders wichtig?

In meinen Community Organizing Trainings erlebe ich, dass die Teilnehmenden sehr positiv auf drei zentrale Elemente des Organizings reagieren. Zunächst genießen sie es, zu lernen, wie man Eins-zu-eins-Besuche macht, um Beziehungen aufzubauen, um die Eigeninteressen zu identifizieren und Stereotypen zu überwinden. Sie schätzen vor allem die Erfahrung, wie mit Eins-zu-eins Besuchen ein starkes Gefühl von Gemeinschaft und Solidarität aufgebaut werden kann. Zweitens: in meinen Trainings machen wir fast immer ein Rollenspiel wo Verhandlungen mit (politisch) Verantwortlichen/Entscheidern gespielt werden. Den meisten Teilnehmenden gefällt das Rollenspiel als Methode, aber es gibt ihnen auch ein Gefühl dafür, wie Macht im öffentlichen Raum funktioniert. Meist lernen wir weder in unserer Familie noch in der Schule, wie man als Bürger/in mündig und effektiv sein kann. In vieler Hinsicht ist der Community Organizing Prozess eine Schule um Demokratie zu lernen. Schließlich sagen Teilnehmende mir oft, dass sie die systematische und strukturierte Vorgehensweise des Community Organizing schätzen, um Bürgerpartizipation zu realisieren und um Probleme zu lösen.

Während es ziemlich einfach ist, die Vier-Stufen des Community Organizing-Prozesses (1. den Problemen und Visionen der Bürger/innen zuhören, 2. recherchieren, um mögliche Lösungen zu finden, 3. Probleme lösen und 4. eine langfristige und demokratische Bürgerorganisation aufzubauen) zu verstehen, ist es wesentlich schwieriger, sie zu implementieren. Jede Nachbarschaft, jedes Dorf und jede Stadt ist anders. Deshalb braucht die Umsetzung von Community Organizing viel Nachdenken, Planung, und beständiges Auswerten vor Ort. Meine Rolle als Berater bei einer lokalen Bürgerorganisation ist es, Mitarbeitende und Freiwillige dabei zu unterstützen, ihr Vorgehen zu planen, umzusetzen und auszuwerten. Dies ist ein fortlaufender Prozess in einer guten »Community Organisation«.

Ich denke, es gibt drei Dinge, die eine/n gute/n Community Organizer/in ausmachen. Zunächst muss ein/e Organizer/in wirklich »Menschen mögen« – alle Arten von Menschen – ein/e gute/r Zuhörer/in sein, und in der Lage sein, viele Beziehungen aufzubauen. Beziehungen sind der Schlüssel, um eine mächtige Organisation aufzubauen. Und je mehr Beziehungen ein/e Organizer/in (und Freiwillige) aufbaut, je mehr Leute sich beteiligen, desto mehr Macht hat die Organisation, um Veränderung zu bewirken. Zweitens muss ein/e Organizer/in eine Leidenschaft für Fairness und Gerechtigkeit haben und bereit sein, Konflikte zu riskieren. Dies schließt die Bereitschaft ein, die Regierenden oder andere Entscheider zu konfrontieren, wenn sie ungerecht handeln. Schließlich muss ein/e Organizer/in neugierig auf Menschen und auf die Gesellschaft und immer bereit sein, dazu zu lernen. Nach meiner Erfahrung dauert es zwei bis drei Jahre, um eine/n Organizer/in zu trainieren. Aber auch nach 33 Jahren in dieser Arbeit lerne ich immer noch dazu.

Welche Bedeutung hat CO für Dich?

Tipp

Community Organizing ist wichtig, weil Organizing den Menschen Fähigkeiten vermittelt, die sie brauchen, um eine bessere und demokratischere Gesellschaft zu bauen. Es ist auch wichtig, weil es unterschiedlichste Menschen zusammenbringt, die oft nichts miteinander zu tun haben und sich nicht kennen, obwohl sie doch ähnliche Interessen haben.

Auch auf einer persönlichen Ebene, ist Organizing wichtig für mich, weil ich meine Arbeit liebe! Seit 25 Jahren als Organizer und 8 Jahren als Trainer und Berater, habe ich so viele wunderbare Menschen getroffen und ich habe so viel über Menschen, über die Gesellschaft und das Leben gelernt. Ich wurde ein Community Organizer, weil ich »die Welt verbessern« wollte – und dies möchte ich noch immer machen. Aber der Grund, warum ich weiterhin im Organizing tätig bin, ist die Erfahrung, dass der Organizingprozess so viele Veränderungen im Leben der Menschen bewirkt und viel Solidarität zwischen Menschen wächst. Der berühmte jüdische Theologe Martin Buber hat einmal gesagt: der Ort, wo wir Gott finden, ist in Beziehungen, die von Vertrauen und Respekt geprägt sind. Dem stimme ich zu! Ich habe so oft gesehen, dass Gott in einem Community Organizing Prozess erschien, wo Menschen zusammenkommen, um eine positive Veränderung zu bewirken.