Impuls-Werkstatt für Frauen

Seite 1: Ausgangslage, Ziele

Ausgangslage der aktivierenden 1-Tages-Veranstaltung

Die klassische Versammlung der Bewohner/innen ist nicht der Ort, wo sozial benachteiligte Frauen sich einmischen. Frauen folgen Aufrufen zu diesen Versammlungen, weil sie sich für die Entwicklung ihrer Wohngebiete interessieren. Meist nehmen sie Informationen vereinzelt auf, melden sich jedoch selten zu Wort. Die Atmosphäre wird oft dominiert von wortgewaltigen Beiträgen der Männer. Sie hindert zögerliche und mutlose Frauen an der Zuordnung zu Arbeitsgruppen oder gar der Eintragung in ausliegende Listen.

Sprachbarrieren hindern Migrantinnen am Debattieren. Die Interessen und Probleme von Frauen werden nicht per se wahrgenommen geschweige denn »automatisch« mitgedacht, wenn über das Leben in einem Stadtteil nachgedacht wird. Dabei sind gerade Frauen wichtige Partnerinnen im Stadtteil. Ihre Erfahrungen und Kenntnisse sind ein großes Potenzial für Entwicklungsprozesse: Frauen sind Expertinnen. Sie verbringen viel Zeit im Stadtteil und kennen die Lebensbedingungen. Sie wissen um Mängel der Infrastruktur und Schwachstellen der Versorgung. Sie sind ein Potenzial bezogen auf Nachbarschaftshilfe und -netzwerke. Sie sind Multiplikatorinnen, da sie Neuigkeiten und Informationen in ihre Familien, in ihre Freundes- und Bekanntenkreise weitertragen. Das Wissen und die Erfahrungen von Frauen sind wertvoll und von großem Nutzen für die Stadtteilentwicklung.

Ist die Beteiligung von Frauen an Stadtteilentwicklung gewollt, müssen passende Formen gefunden werden wie Frauen punktuell und strukturell Einfluss nehmen können auf Veränderungsprozesse, die vor ihrer Haustür stattfinden. Wer Beteiligung von Frauen ernst nimmt, muss deshalb geeignete Versammlungsformen anbieten, die es speziell Frauen ermöglichen einen eigenen Zugang zu Stadtteilfragen zu finden. Im Rahmen des Modellprojektes »IMPULS – Zur Beteiligung von Frauen an Stadtteilentwicklung« der Landesarbeitsgemeinschaft (LAG) Soziale Brennpunkte Hessen e.V. wurde hierzu der Aktivierungsbaustein »IMPULS-Werkstatt für Frauen« entwickelt und erfolgreich erprobt (Das vom Hessischen Sozialministerium geförderte Modellprojekt (1997–2001) verfolgte drei Ziele: Die Aktivierung von Frauen, die Verbesserung ihrer Lebensbedingungen und den Aufbau von dauerhaften Beteiligungsstrukturen. Ein Schwerpunkt des Modellprojektes war dazu die Durchführung zeitlich befristeter Partizipations- und Integrationsprojekte vor Ort (in ausgewählten hessischen Stadtteilen) in enger Kooperation mit örtlichen Partner/innen).

Ziele der IMPULS-Werkstatt

Die IMPULS-Werkstatt eröffnet in lebendiger Form Zugänge zum Expertinnenwissen von Frauen und ermöglicht den Austausch darüber. Sie hat den Charakter einer Auftaktveranstaltung. Durch geschlechtsspezifisch qualifizierte Methoden, passende Rahmenbedingungen und ihre besondere Form eignet sie sich zur Ansprache, Motivation und Aktivierung von Frauen im Stadtteil. Sie zielt darauf ab, sowohl Themen und Interessen als auch Wege zur Beteiligung an Stadtteilentwicklung vor Ort aufzuzeigen und zu sammeln, indem

  • ein Raum für Frauen und ihre Interessen zur Verfügung gestellt wird,
  • Frauen und ihre Interessen untereinander und öffentlich sichtbar werden,
  • unterschiedliche Frauen und ihre Meinungen aufeinander treffen,
  • der Austausch zwischen den Bewohnerinnen zu ihren Interessen und Bedürfnissen angeregt und initiiert wird,
  • Kontakt untereinander entsteht und durch gegenseitiges Kennenlernen die Voraussetzung zur Vernetzung geschaffen wird,
  • Interessenausgleich stattfindet und Gemeinsamkeiten aufgedeckt, formuliert und weiter verfolgt werden.


Eine eintägige IMPULS-Werkstatt trägt durch ihre kompakte Form zur Findung von Projektideen und -vorschlägen zur Verbesserung der Lebensbedingungen von Frauen und zur Stadtteilentwicklung bei.

Seite 2: Vorgehen

Vorgehen

Die IMPULS-Werkstatt ist angelehnt an die kreative Problemlösungsmethode »Zukunftswerkstatt« (Jungk, Robert/Müllert, Norbert: Zukunftswerkstätten – mit Phantasie gegen Routine und Resignation. München 1994). Ihr Kernstück ist ein Drei-Phasen-Modell: Beschwerde- und Kritikphase, Wunsch- und Fantasiephase, Verwirklichungs- und Praxisphase.

Bei der Entwicklung einer frauengerechten Zukunftswerkstatt wurde hinsichtlich der Methodenwahl darauf geachtet, dass ein breites Spektrum an Ausdrucksformen neben dem gesprochenen Wort zu Verfügung steht. Es wurde ein Methodenmix zusammengestellt, der niedrigschwellig auf abwechslungsreiche und kreative Weise auch eine angemessene Ansprache für bildungsungewohnte und artikulationsungeübte Frauen schafft. Vielseitige Visualisierungsformen wie bildhafte Darstellungen in Collagen und darstellerische Elemente wie Standbilder werden angewandt, um den Teilnehmerinnen die Zugänge zu inhaltlichen Debatten zu erleichtern.

Der Ablauf einer IMPULS-Werkstatt variiert und wird auf jeweilige Zielgruppen und Themen vor Ort zugeschnitten. Das Konzept wird gemeinsam mit den örtlichen Partner/innen auf die jeweiligen Bedürfnisse, Bedingungen und Strukturen vor Ort abgestimmt. Zur gemeinsamen Vorbereitungen gehört die Klärung von Interessen, Zielen und Absichten sowie die Abstimmung über Rollen und Aufgaben aller beteiligten Akteurinnen.

Unsere Werkstätten fanden jeweils an Samstagen von 10–18 Uhr statt. Einerseits stand damit ein ganzer Tag zur Verfügung (bei dem Alltagsbelastungen außen vor blieben, genug Zeit vorhanden war für inhaltlichen Austausch, kreative Übungen und gegenseitige Annäherung), anderseits ist dies eine hohe Hürde, die eine intensive Vorbereitung sowie Werbung/Aufklärung potenzieller Teilnehmerinnen über Inhalt und Absicht im Vorfeld erforderlich machte.

Eine aufmerksame Begrüßung eröffnet den Tag. Da das Ankommen über den weiteren Verlauf entscheidet, wird jede Frau aufmerksam in Empfang genommen und persönlich begrüßt. Ein Willkommensgruß aus »Süßigkeit & Namensschild« oder ein Stehcafé erleichtern erste Kontakte untereinander. Frauen wollen wissen was auf sie zukommt, wo und wie die Kinder betreut werden etc. – Anlässe zum Gespräch gibt es genug, diese gilt es zu nutzen.

In der ersten Phase der IMPULS-Werkstatt können die Teilnehmerinnen sich zu den Problemen und Ärgernissen ihres Alltags im Stadtteil äußern. Die ausgiebige Beschwerde- und Kritikphase dient der Erkennung des Ist-Zustandes und schafft »Luft« für die Entwicklung von Ideallösungen und Wunschwelten in der folgenden Phase.

Nach der Begrüßung, einer kurzen Einführung und der Bekanntgabe der Regeln (wie bspw. alles hat seinen Stellenwert, übe keine Kritik an der Kritik, Moderatorinnen schreiben mit, nichts geht verloren, sprich für dich selbst), werden zwei Kleingruppen gebildet. In Standbildern werden erste Beschwerden und die Kritik zur Lebenssituation im Stadtteil gesammelt.

In der gegenseitigen Begutachtung der Standbilder erfolgt das Benennen von Handlungsbedarf auf Zuruf. In der folgenden Kleingruppenarbeit werden diese Kritikpunkte vertieft, konkretisiert und gebündelt, um sie anschließend nach Dringlichkeit auszuwerten und zu sortieren. Beide Kleingruppen präsentieren ihre Hauptkritiken im Plenum.

Eine letzte Gelegenheit zum Ärger ablassen wird aufgerufen, um deutlich und nachhaltig die Beschwerdephase für den Tag abzuschließen. Symbolisch werden die Hauptkritiken (von den Frauen selbst) in Einmachgläsern weggeschlossen, um Platz für die darauf folgende Wunsch- und Fantasiephase zu schaffen.

Die einstündige gemeinsame Mittagspause bietet Gelegenheit bereits Gesagtes noch mal aufzugreifen. Die Frauen stellen schnell untereinander Bezüge her, nutzen die Pause dazu sich gegenseitig besser kennen zu lernen. Darüber hinaus erleben die Frauen den gedeckten Tisch als eine besondere Würdigung ihres Schaffens.

Mit Bewegung und Einstimmung auf »ganz neue Aussichten« wird die Wunsch- und Fantasiephase eingeleitet, schließlich sollen alle Erschwernisse und Hürden außer Acht gelassen werden, sollen weder Geld noch Macht oder andere Zwänge für zwei Stunden eine Rolle spielen.

Die Einstimmung in eine »Alles-ist-möglich-Atmosphäre« ist deshalb ein zentrales Anliegen. Das gemeinsame Verkleiden und Schminken und eine Traumreise in den Wunschstadtteil tragen bereits im Plenum zur gelösten Stimmung bei. Hier zeigt sich deutlich die Bedeutung der eignen Räume für Frauen.

Die Gruppe ist bereits so weit zusammengewachsen, dass die Frauen mit viel Spass und Ausgelassenheit ans Werken gehen. In Kleingruppen beschäftigen sie sich anschließend mit ihren Wünschen rund um das Leben im Stadtteil, gestalten dazu in Gruppen z.B. Collagen, stellen sich diese gegenseitig vor und assoziieren dazu. In ausführlichen Debatten werden die Inhalte erklärt, ergänzt und die Ideen sortiert.

In der Verwirklichungs- und Praxisphase wird so viel Fantasievolles und Wünschenswertes wie möglich in die Wirklichkeit mitgenommen. Ein neuer Blick auf die Gegenwart wird geschaffen, der erste Lösungsansätze entwirft und auf ihren Realitätsgehalt prüft. Die Verwirklichungsphase eröffnet Handlungsperspektiven, die in durchführbaren Projekten münden.

Eine Auswahl von Wünschen wird getroffen, die »am meisten am Herzen liegen« und zur Umsetzung gebracht werden sollen. Im Plenum werden dann zu einer Auswahl der Wünsche mit Hilfe konkreter Fragestellungen Projektskizzen entworfen und so weit wie möglich mit Leben und Inhalt gefüllt.

Zum Abschluss verabreden Projektgruppen Folgetreffen, legen die nächsten Schritte fest und treffen Absprachen, wer welche Aufgaben übernimmt. Darüber hinaus könnte im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit jetzt Zeit für ein Pressegespräch oder Gruppenfoto sein, Entscheidungs­träger könnten dazu geladen werden, um die Anliegen der Frauen entgegenzunehmen etc. Ein gemeinsamer Abschluss und weitere Würdigungen für die getane Arbeit runden den Werkstatttag ab.

Seite 3: Erkenntnisse, Tipps und kritische Punkte, Kontaktadresse

Erkenntnisse

IMPULS-Werkstätten:

  • nutzen die teilnehmenden Frauen, um sich gegenseitig kennen zu lernen,
  • decken Stärken und Gemeinsamkeiten auf,
  • fördern die generationsübergreifende Zusammenarbeit,
  • schaffen Raum für interkulturellen Dialog,
  • beleben die Nachbarschaft,
  • zeichnen sich aus durch hohe Arbeitsproduktivität, die von Teilnehmerinnen nicht als Belastung empfunden wird,
  • sammeln konzentriert Probleme und Handlungsbedarf und Veränderungswünsche,
  • beflügeln Neues zu denken und Räume für Veränderungen zu entdecken,
  • bringen Projektskizzen hervor, die von den Frauen selbst im letzten Teil der Werkstatt entworfen werden,
  • führen zur Überraschung und Verblüffung der Teilnehmerinnen, über die eigene Stärke und Schaffenskraft der Frauen, da es ihnen gelingt für lange bestehende Probleme Lösungswege aufzeigen,
  • setzen einen Motivationsschub frei,
  • führen zur engagierten Zuordnung an den entwickelten Projekten und an Folgetreffen,
  • sind gelungener Auftakt und machen Mut.

Tipps und kritische Punkte

Eine IMPULS-Werkstatt kann Anschub geben und Perspektiventwicklung leisten. Zur Durchführung sind im Vorfeld die folgenden Punkte zu berücksichtigen und insbesondere eine intensive Vor- und Nachbereitung zu leisten durch z.B.:

  • Erkundung der Ausgangssituation: »Wo liegen Anknüpfungspunkte? Wo wird/ wurde schon dazu gearbeitet? Welche Erfahrungen und Grundlagen können einbezogen werden?«,
  • Bestimmung der Zielgruppe: »Wie setzt sich die Bevölkerung zusammen? Wer soll angesprochen werden? Wie erreichen wir die Zielgruppe?«,
  • Einbettung in vorhandene und gewachsene Strukturen, Auswahl/Gewinnung notwendiger Kooperationspartner/innen,
  • Zusammenarbeit mit Multiplikator/innen, Klärung und Festlegung von Zielen, kreative Werbung und Ansprache der Teilnehmerinnen, Anreize zur Teilnahme klären,
  • Aussichten auf Einflussnahme und Erfolg klären: »Beteiligung muss sich lohnen«, frühzeitige Einbindung von Teilnehmerinnen in die Planung und Vorbereitung.


Tagesveranstaltungen sind alles andere als niedrigschwellig, deshalb ist es wichtig weitere Hürden und Hemmnisse möglichst klein halten, durch z.B.:

  • ein gutes Verhältnis von Absicht und Zielen zur Dauer einer Werkstatt (keine Überfrachtung durch zu hohe Erwartungen etc.),
  • ein ausgewogenes Verhältnis von Aufwand, Arbeit, Nutzen und Vergnügen,
  • eine gute Versorgung, einfallsreiche und überzeugende Ansprache und frühzeitige Information der Zielgruppe zu Absicht, Ablauf und Organisatorischem (Öffentlichkeitsarbeit),
  • Anreize schaffen, Würdigungselemente einbauen.


Eine gute Organisation von Räumen, Rahmen, Setting und Versorgung hat großen Einfluss auf das Klima, die Atmosphäre und Stimmung; es braucht z.B.:

  • Geeignete Räume (für Plenum, Arbeitsgruppen, Kinderbetreuung, ggf. Pausen), Essen und Trinken, Kinderbetreuung, ggf. Übersetzerinnen für Mitbürgerinnen ausländischer Herkunft, Material (Flipchart bis Klamottenkiste zum Verkleiden) etc.
  • Werkstätten mit min. 20/ max.30 Teilnehmerinnen und dem Verhältnis von Moderatorinnen/Teilnehmerinnen (1/10-15) haben sich bewährt.
  • Zeitnahe Dokumentation der Werkstatt für die Teilnehmerinnen selbst (Würdigung) und zur Präsentation der geleisteten Arbeit und der Ergebnisse für Entscheidungsträger ist zu empfehlen.

Wer Frauen an Stadtteilentwicklung beteiligen und dabei insbesondere auch »Sprach- und Mutlose« erreichen will, ist aufgefordert neue und kreative Wege in der Konzeption von Versammlungen zu gehen. Dass ihre Beteiligung gelingen kann, zeigt der Bericht über unsere Werkstätten. Die meisten Frauen, die den Weg zur IMPULS-Werkstatt gefunden haben, hätten vorher nicht zu träumen gewagt, was sie dort erwartet und mit welcher Haltung, mit wie viel Engagement sie wieder nach Hause gehen würden. Am Ende sind tatsächlich aus Träumen von Stadtteilräumen Räume für Stadtteilträume geworden.

Adresse

Martina Köbberich
LAG Soziale Brennpunkte Hessen e.V.
Moselstr. 25
60329 Frankfurt am Main
Tel.: (0 69) 25 78 28-21
Fax.: (0 69) 25 78 28-55
E-mail: LAGSB@aol.com

Autor

Dieser Beitrag von Martina Köberich ist folgener Publikation entnommen:
Handbuch Aktivierende Befragung: Konzepte, Erfahrungen, Tipps für die Praxis (Bonn 2012)
Die Publikation finden Sie hier.