Zivilcourage

Seite 1: Laut Duden, Nach Kurt Singer, Nach Lünse, Rohweder und Baisch

Der Duden erklärt:

  • Zivilcourage: mutiges Verhalten, mit dem jemand seinen Unmut über etwas ohne Rücksicht auf mögliche Nachteile gegenüber Obrigkeiten, Vorgesetzten o.ä. zum Ausdruck bringt.
  • Courage: Beherztheit, Schneid, Mut (in Bezug auf eine nur ungern vorgenommene Handlung)
  • zivil: 1. bürgerlich, Gegensatz militärisch, 2. anständig, annehmbar


Kurt Singer erklärt Zivilcourage wie folgt:

  • »Zivilcourage ist eine demokratische Tugend. Bürger nehmen sich das im Grundgesetz zugesicherte Recht auf freie Meinungsäußerung. Sie treten aus dem Untertanengehorsam gegenüber der Obrigkeit heraus und mischen sich öffentlich ein, um etwas zu verändern...
  • Zivilcourage bezeichnet den Mut, öffentlich die eigene Überzeugung zu äußern – auch wenn diese der Ansicht anderer Menschen entgegensteht, den Macht Habenden missfällt, den Vorgesetzten widerspricht, der Obrigkeit zuwiderläuft. Der Einzelne gibt sich mit seinem kritischen Denken zu erkennen...
  • Zivilcouragierte Bürgerinnen und Bürger haben den Mut, sich ihres Verstandes zu bedienen. Sie erwerben Sachverständnis, wagen zu denken, zu fragen und zu argumentieren...
  • Zivilcourage ist ein kritisch wachsames Aufdecken, ein Wider-Stehen, ein Sich-entgegen-Stellen, Für-etwas-Eintreten. Für Menschen, die freimütig sagen, was sie denken, kann sich das nachteilig auswirken. Solch persönliche Benachteiligung durch couragiertes Handeln wird bewusst riskiert und angenommen. In der Spannung zwischen Gehorsam und Widerspruch verwirklicht sich persönliche Freiheit.
  • Inhalte der Zivilcourage sind nicht privat, sondern öffentlich bedeutsam und am Gemeinwohl orientiert. Es handelt sich um Probleme, die alle angehen, sie sind politisch. Bürgermut bewährt sich... dort, wo... Unrecht geschieht und dies durch couragierte Stellungnahme verhindert werden soll...
  • Zivilcourage ist gewaltfrei: sich mit Mut »zivil« mit anderen auseinander zu setzen. Es geht nicht nur darum, sich mit den sachlichen Argumenten, sondern auch mit den eigenen Gefühlen erkennen zu geben. Zivilcourage ist nicht Furchtlosigkeit; sie geschieht in Auseinandersetzung mit der Angst.
  • Zivilcourage... orientiert sich an menschlichen Grundwerten und am persönlichen Gewissen...
  • Zivilcourage ist die Tapferkeit des Herzens.«


Nach Dieter Lünse, Jörg Rohweder und Volker Baisch

ist zivilcouragiertes Handeln durch Dritte nötig, wenn zwei sich streiten und einander drohen zu verletzen oder sich sprachliche oder körperliche Schläge versetzt haben. Zivilcouragiertes Eingreifen kann das Opfer schützen oder notwendige Regeln für die Auseinandersetzung durchsetzen. Dies kann geschehen, indem ein Täter vom Opfer abgehalten wird oder aber das Opfer gestärkt wird und so für ein Gleichgewicht und eine faire Auseinandersetzung gesorgt wird.

Zivilcourage ist eine Kompetenz in Konflikten, die

  • »nichts mit Mannhaftigkeit oder Heldentum zu tun hat. Es geht um die Stärkung von Schwächeren...
  • Zivilcourage verlangt unabhängige Menschen, die frei genug sind, Gruppenmeinungen zu widerstehen, die sich aber auch genug für Andere interessieren und einsetzen.
  • zivilcourage bezieht auch das Übertreten bestehender Normen mit ein, wenn dies menschlichen Zielen dient.
  • Zivilcourage verlangt den Sprung ins Ungewisse mit der Gewissheit, sich für die Menschen einzusetzen.
  • Zivilcourage erfordert Urteilsvermögen.«

Worauf es ankommt ist hiernach, dass Zivilcourage für wirksame Handlungen, für konkretes Tun steht. Zivilcouragiertes Verhalten meint nicht nur Hilfe für das Opfer einer Gewalttat, sondern steht ebenso für prosoziales Verhalten, für Nichtanpassung (Nonkonformität) und Verweigerung gegen autoritäres Verhalten. Das eine ist nicht ohne das andere zu haben.

Worauf es ankommt ist hiernach, dass Zivilcourage für wirksame Handlungen, für konkretes Tun steht. Zivilcouragiertes Verhalten meint nicht nur Hilfe für das Opfer einer Gewalttat, sondern steht ebenso für prosoziales Verhalten, für Nichtanpassung (Nonkonformität) und Verweigerung gegen autoritäres Verhalten. Das eine ist nicht ohne das andere zu haben.

Seite 2: Nach Till Bastian

Till Bastian

definiert Zivilcourage als »Ethik des Herzens«. Dies bedeutet, dass zivilcouragiertes Handeln nicht aus Geboten und Verboten besteht, also äußerlich vorgegebenen Pflichten folgt, sondern sich auf eine bestimmte Haltung, eine innere Einstellung gründet, die zum notwendigen Handeln im Einzelfall befähigt. Für Till Bastian resultiert aus der Verbundenheit alles Lebenden, aus der Gemeinsamkeit alles Lebendigen die bewusst wahrgenommene Verantwortung für den anderen. Zivilcourage bedeutet, dass der Einzelne sich »der leisen Stimme des Gewissens folgend über von der Obrigkeit vorgegebene Ordnungszusammenhänge hinwegsetzt«.

Als »Ironie der Geschichte« wird darauf verwiesen, dass die erste bekannte Verwendung des Wortes »Zivilcourage« von Otto von Bismarck »dem eisernen Kanzler« stammt: »Mut auf dem Schlachtfeld ist bei uns Gemeingut, aber sie werden nicht selten finden, dass es ganz achtbaren Leuten an Zivilcourage fehlt«.

Till Bastian verweist auf verschiedene wissenschaftliche Studien, die untersuchten, was couragierte Menschen kennzeichnet bzw. welche Erfahrungen zur Entwicklung und Förderung zivilcouragierten Verhaltens des/der Einzelnen beiträgt. Unter anderem werden folgende Punkte genannt:

  • mindestens ein Elternteil wurde als sozial verpflichteter, vorbildlich handelnder Mensch erlebt und erfahren, mit der Folge einer Gewissensbildung durch liebevolles Nachahmen (Identifikation) an Stelle einer »Dressur-Erziehung«;
  • sich selbst verantwortlich für das eigene Tun und die Auswirkungen fühlen, d.h. die Verantwortung wird nicht auf eine »höhere Instanz« abgeschoben;
  • Glaube an die eigene Wirkungskraft: Ich kann etwas verändern;
  • Einstellung, dass Mitgefühl wichtiger als Ordnung ist und Verantwortung mehr wiegt als Anpassung;
  • Intellektuelle und psychische Selbständigkeit, d.h. gewohnt sein, sich ein eigenes Urteil zu bilden und es auszuhalten, nicht zu einer Mehrheit zu gehören.

Insbesondere die elterliche Erziehung und/oder andere prägende Bezugspersonen fördern durch Gebote und Vorbildverhalten die Entwicklung altruistischen und zivilcouragierten Handelns. Dabei versetzt die Internalisierung (die Übernahme, die Verinnerlichung, das sich zu Eigen machen) von Normen durch Gehorsam und Zwang, eher selten in die Lage, in Konfliktfällen eine souveräne, vor sich selber verantwortbare Entscheidung zu fällen. Es führt eher dazu, sich durch Anpassung an das, was andere tun, ein vermeintlich ruhiges Gewissen zu verschaffen.

Die Internalisierung von Normen durch Identifizierung mit dem Vorbild ist der andere Weg. Wenn beispielsweise Liebe, altruistisches Verhalten und Toleranz gegenüber Menschen, die anders sind, erlebt wird, wenn eine Erziehung zu Unabhängigkeit, Selbständigkeit und Disziplin erfahren wird, die nicht mit körperlichen Strafen und Liebesentzug operiert, dann wird couragiertes Verhalten gefördert.

Interessant ist im Zusammenhang mit Zivilcourage noch der von Bastian beschriebene Begriff des »bystander«. »Bystander« bilden in einer Gewalt bzw. Unrechtssituation quasi den Hintergrund für die Täter und die von ihnen ausgeübte Gewalt. Die vom »bystander« gezeigte Passivität bedeutet in Wahrheit aktive Begünstigung der Gewalt.

Literaturtipp

Duden: Begriffe Zivilcourage, Courage, zivil

Singer, K.: Zivilcourage wagen, Piper: München, 1992

Bastian, T.: Zivilcourage, Von der Banalität des Guten, Rotbuch: Hamburg 1996

Lünse, D.,/Rohwedder, J./Baisch, V.: Zivilcourage, Anleitung zum kreativen Umgang mit Konflikten und Gewalt, agenda: Münster, 1995, S. 10–22

Lünse, D.: Eine Herausforderung zum Handeln – Zivilcourage, in: gewaltfreie aktion, Heft 124, 3/2000