Von der Beobachtung bis zur Konfrontation

Häufig basieren die Kampagnen auf Konflikten zwischen zivilgesellschaftlichen Initiativen auf der einen und Unternehmen oder Wirtschaftsverbänden auf der anderen Seite. Dabei handeln beide Seiten nicht getrennt voneinander. Vielmehr interagieren beide – und das nicht nur zufällig oder beiläufig: Oft beobachten Unternehmen die Aktivitäten von Nichtregierungsorganisationen (NGOs) und Bürgerinitiativen und planen teilweise gezielte Gegeninitiativen, um deren Strategien zu durchkreuzen. Denn die Strategie der anderen Seite zu vereiteln, ist immer noch eine der besten Strategien.

Tipp

Deshalb ist es umgekehrt für die Zivilgesellschaft wichtig, sich mit den Gegenstrategien der Unternehmen intensiver zu beschäftigen.

Eine wichtige Grundlage für den strategischen Umgang mit Kritik und Protest besteht für Unternehmen und Industrie in der Beobachtung der Zivilgesellschaft, um aufkeimende Proteste schon weit im Vorfeld erkennen und managen zu können. Spezielle Dienstleister bieten an, NGOs und ihre Kampagnen fortlaufend zu »monitoren«. Dazu bauen Unternehmen intern sogenannte Issue Management-Systeme auf, die die Entwicklung von Themen (engl. »issues«) in der Öffentlichkeit verfolgen. Sie knüpfen Kontakte zu NGOs und beobachten beispielsweise die entsprechenden Diskussionen in den sozialen Medien.

Es ist sogar schon vorgekommen, dass zur Gegnerbeobachtung Spione in zivilgesellschaftliche Organisationen eingeschleust wurden. So spähte etwa der private britische Nachrichtendienst Hakluyt & Company im Auftrag der Ölfirmen Shell und BP in den 1990er Jahren Greenpeace und andere Umweltorganisationen durch einen eingeschleusten deutschen Spitzel aus. Für BP ging es darum, Informationen über eine geplante Greenpeace-Kampagne gegen neue Ölbohrungen im Atlantik zu bekommen um dadurch die Kampagne besser abwehren zu können. Weitere Details

Je nach Analyse können dann im Anschluss unterschiedliche Taktiken angewandt werden. Die für Unternehmen einfachste Option ist das schlichte Nicht-Beachten der Proteste.

Ein zweites, wichtigeres Feld sind einbindende Taktiken, etwa Dialoge im Konfliktfall oder eine schon im Vorfeld einer geplanten Maßnahme ansetzende präventive Akzeptanzarbeit. In dem Zusammenhang haben Bürgerbeteiligung und Dialogformate in den letzten Jahren einen Aufschwung erlebt. Das ist positiv zu bewerten, wenn es sich dabei um ernsthafte Versuche einer ergebnisoffenen Beteiligung handelt.

Tipp

In der Praxis ist allerdings häufig immer noch das Gegenteil zu beobachten: Dialoge werden strategisch eingesetzt, um bloßes Akzeptanzmanagement für umstrittene Vorhaben zu betreiben oder um andere, versteckte Ziele zu erreichen, etwa Imageverbesserung oder Informationsgewinnung.

Literaturtipp

Ein Strategiepapier des Bundes der Deutschen Industrie (BDI) beschrieb diese Taktik im Jahr 2000 so:

Demnach zielt die Strategie eines »kritischen Dialogs« auf eine »Annäherung an NGOs, ohne Aufgabe des eigenen Standpunkts. Es wird hierbei nach möglichen gemeinsamen Ansatzpunkten gesucht, die zumeist nicht im Verhandlungsgegenstand selbst liegen, sondern sich auf allgemeiner Ebene befinden«. Die Vorteile lägen darin »die Argumentationsweisen der Organisationen kennen zu lernen und durch die Abschöpfung der weitreichenden Expertise von NGOs einen Informationsgewinn zu erlangen«. Die frühzeitige Auseinandersetzung mit NGOs könne mögliche Eskalationen, etwa durch Protest-Kampagnen, verhindern.
BDI 2000: Nichtregierungsorganisationen – Herausforderung für Wirtschaftsverbände,
S. 3.

Eine weitere Stufe können Kooperationsangebote sein. Unternehmen oder unternehmensnahe Dienstleister bieten an, zusammen mit der NGO einen Kodex, ein Eckpunktepapier, eine Veranstaltung oder eine Studie zu machen oder zu entwickeln. Dadurch lässt sich der kritischen NGO das Gefühl vermitteln, ihre Arbeit bewirke etwas. Das trifft in einzelnen Fällen auch zu; gleichwohl kann das Ziel eines solchen Angebots aber auch sein, die NGO als kritische Stimme auszuschalten, Konflikte zu verwischen oder striktere politische Maßnahmen zu verzögern.

Um Proteste zu vermeiden oder abzuschwächen bemühen sich Unternehmen außerdem langfristig um ein gutes Image. Zu den Maßnahmen gehören explizite Imagekampagnen, Sponsoringaktivitäten, die Selbstdarstellung als gesellschaftlich verantwortliche Firma (durch Corporate Social Responsibility-Projekte) oder auch die positive Darstellung des eigenen Unternehmens in Umweltfragen bis hin zum (irreführenden) Greenwashing.

Auf der anderen Seite des Spektrums stehen konfrontative Taktiken, die zivilgesellschaftliche Aktivistinnen und Aktivisten diskreditieren oder durch juristische Mittel einschüchtern sollen. Ein anschauliches Beispiel für diese angewandte Taktik liefert etwa das us-amerikanische »Center for Consumer Freedom«: Die Organisation greift die Arbeit von Umweltgruppen, Tierschützer/innen und Gewerkschaften an, ohne die Finanziers der eigenen Organisation offen zu legen.

Zu den offensiven Maßnahmen von Unternehmen gehört es auch, gezielt unternehmensnahe zivilgesellschaftliche Initiativen aufzubauen oder zu fördern. Die dahinterstehende Taktik wird als »Astroturfing« bezeichnet, dem englischen Begriff für Kunstrasen. 

Tipp

Der Aufbau solcher unternehmensnaher zivilgesellschaftlicher Initiativen ist Teil einer umfassenderen Strategie, die für Lobbyist/innen und PR-Leute zentral ist: die Gewinnung glaubwürdiger Dritter (engl.: »credible third parties«). Diese können die Botschaft von Unternehmen mit mehr Glaubwürdigkeit in die Öffentlichkeit tragen, als die Unternehmen und ihre Verbände dies selbst tun könnten. Sie werden in der Regel auch dazu genutzt, die gesellschaftlichen Debatten vom eigentlichen Konfliktthema auf andere nachgeordnete Aspekte abzulenken.