Faktoren des Gelingens

Für eine erfolgreiche Kampagnenführung gibt es weitere Gelingensfaktoren: das Gespür für den richtigen Moment, eine gute Geschichte, den konstruktiven Umgang mit Eskalation und eine realistische Einschätzung der vorhandenen Ressourcen. 

Window of opportunity - Eine Kampagne braucht den richtigen Moment

Es gibt Momente, die sind gut geeignet für eine bestimmte politische Auseinandersetzung – und andere, die es extrem schwer machen, mit einem wichtigen Anliegen durchzudringen. Selbst große Nichtregierungsorganisationen schaffen es mitunter kaum, ihr Anliegen auf die Tagesordnung zu setzen, wenn nicht gerade das sog. »Möglichkeitenfenster« dafür aufgegangen ist: weil beispielsweise ein dramatisches Ereignis (vom Atomstörfall bis zu einem Lebensmittelskandal) die politischen Entscheider/innen sensibilisiert hat und der Handlungsbedarf offensichtlich ist.

Es erfordert einige Übung, diese »windows of opportunity« zu erkennen; und oft ist es dann eine große Herausforderung, schnell reagieren zu können. Manchmal ist es deshalb richtig, gute Ideen für eine Kampagne aufzuschreiben und aufzuheben, bis der richtige Augenblick gekommen ist. Gerade wenn es um Entscheidungen auf politischen Ebenen geht, ist es sehr hilfreich, Kontakte zu Menschen aus den Parlamenten oder ihren Mitarbeiter/innen aufzunehmen, um rechtzeitig zu erfahren, wann z.B. ein Gesetz diskutiert wird und welchen Zeitplan sie in diesem Fall für die Diskussion innerhalb von Fraktionen und Koalition, in Ausschüssen und im Parlament erwarten würden.

Eine Kampagne erzählt eine Geschichte

Jede gute Kampagne erzählt eine Geschichte. Gerade in der heutigen (Medien-)Welt ist eine gute Kampagnen-Geschichte unverzichtbar. Sie handelt von einem relevanten Problem und hat in der Regel ein Happy End, auch wenn die Erreichbarkeit des Ziels am Anfang mitunter wenig wahrscheinlich erscheint.

Das Narrativ einer gelungenen Kampagnengeschichte folgt dabei häufig dem Bibel-Motiv der Auseinandersetzung von David gegen Goliath, sie erzählt in verschiedenen Variationen die Geschichte des vermeintlich ungleichen Kampfes von Klein gegen Groß, von Gut gegen Böse: Der Kleine greift zu seiner Steinschleuder und nutzt den Überraschungseffekt zu einem unerwarteten Sieg gegen einen anfangs übermächtig erscheinenden Gegner. Eine gute Kampagnengeschichte lädt interessierte Zuhörende oder Lesende ein, selbst Teil der Geschichte zu werden und so David zum Erfolg zu verhelfen, oft indem sie persönlich aktiv mitwirken. »David gegen Goliath-Geschichten« sind gute Mittel gegen die eigene Ohnmacht und können Politikverdrossenheit lindern helfen.

Dabei darf der Hinweis nicht fehlen, dass das Thema der Kampagne und die damit verbundene Erzählung stets wahrheitsgemäß gut recherchiert und argumentativ klar angelegt sein müssen. Es wirkt fatal, wenn sich eine Kampagnengeschichte als Lügenmärchen entpuppt. Bei der nötigen Zuspitzung ist Fingerspitzengefühl gefragt, platter Populismus schreckt ab und nützt schnell der Gegenseite. Campaigner/innen tun nicht nur deshalb gut daran, ihre Argumentation und Kampagnenstory bei nicht »vorbelasteten« Menschen auszuprobieren: wenn diese sofort nachvollziehen können, um was es geht, ist die Kampagne auf einem guten Weg.

Der richtige Umgang mit Eskalation

Eskalation ist im Alltag meistens negativ besetzt. Eine Eskalations-Strategie für eine Kampagne zu entwickeln bedeutet allerdings nicht, dass Schlagstöcke fliegen und Tränen fließen sollen. Gemeint ist vielmehr, im Laufe der Kampagne so gut geplant wie möglich Spannung aufzubauen und den Druck Stück für Stück zu erhöhen.

Die Initiative, die eine geplante zerstörerische Investition einer Bank verhindern will, tut meistens nicht gut daran, wenn sie sich bei ihrem ersten Auftritt an die Türen dieser Bank kettet und einen kollektiven Hungerstreik beginnt. Die Initiative gewinnt die Aufmerksamkeit der ersten Journalist/innen und Unterstützer/innen, aber auch – zumindest möglicherweise – der Verantwortlichen der Bank, wenn sie die Folgen der Investition darlegt, vielleicht mit einem Gesprächsangebot, einem offenen Brief, einer Pressekonferenz. Wenn dieser Schritt nicht die erwartete Wirkung zeigt, geht es mit mehr Druck weiter: Eine Aktion vor der Bank und eine erneute Aufforderung zum Gespräch könnten den nächsten Schritt darstellen. Vielleicht gelingt in dieser Phase vertiefende Öffentlichkeitsarbeit, es entstehen Infoblätter und eine Internetseite mit Hintergrund-Infos für alle Interessierten. Wenn die Bank nicht reagiert, können Beobachter/innen der Kampagne gut nachvollziehen, dass mehr Nachdruck nötig ist. Vielleicht folgen in einem nächsten Schritt eine Mahnwache und eine Sitzblockade vor der Bank – die Kampagnengruppe legt nach und signalisiert weiterhin klar, was jetzt von der anderen Seite passieren muss.

Vergleichbares gilt, wenn eine Kampagne von Parlamentarier/innen ein bestimmtes Abstimmungsverhalten fordert. Selten klappt das beim ersten Auftritt der Kampagne. Schließlich gibt es viele Faktoren, die das Verhalten von Abgeordneten bestimmen – und auch die Vertreter/innen der Gegenposition verstehen es zumeist, ihre Argumente mit Nachdruck zu vertreten.

Weitere Strategien der Eskalation können die Aktionsebene betreffen: Erst läuft der Protest gegen Studiengebühren oder eine schmalspurige Prüfungsordnung innerhalb einer Fachschaft, ausgehend von einer Handvoll engagierter Studierender. Dann gewinnt die Gruppe Mitstreiter/innen aus anderen Fachschaften und strengt Aktivitäten an der ganzen Uni an. Vielleicht kommt es einige Monate später zu einem Aktionstag an mehreren Universitäten gleichzeitig…

Ein US-amerikanischer Gewerkschafter ermutigte vor rund 100 Jahren streikende Textilarbeiter mit einer Beobachtung, die Menschen, die sich im Rahmen von Kampagnen engagieren, wohl immer wieder machen. Seine These lautete: »Zuerst ignorieren sie dich. Dann machen sie dich lächerlich. Dann greifen sie dich an und wollen dich verbrennen. Und dann errichten sie dir Denkmäler.« Im Rahmen einer Eskalations-Strategie bedeutet das häufig, dass eine Kampagnengruppe Geduld aufbringen muss, bis sie erste Reaktionen erlebt. Sie kann aber das Heft des Handelns in der Hand behalten, wenn sie es versteht, die Spannung zu erhöhen und zugleich immer wieder Wege zur Lösung aufzuzeigen.

Maßgeschneidert - finden was zur Gruppe passt

Kampagnen können (fast) komplett online stattfinden oder im Wesentlichen auf den Straßen und den Plätzen; der entscheidende Moment kann vor der Fernsehkamera, im Gespräch mit Abgeordneten oder Ministerialbeamt/innen sein, Auge in Auge mit der Polizei oder dem Bildschirm. Kampagnen gewinnen vor allem dann richtig an Dynamik, wenn nicht nur Analyse, Ziele und Strategie stimmen, sondern das ganze Konzept auch gut zur Kampagnen-Gruppe passt.

Das betrifft zum Beispiel den Zeitrahmen, innerhalb dessen die Beteiligten mit voller Energie dabei sein können. Kampagnenarbeit kostet Kraft und Zeit – wenn alle Mitwirkenden nur ein paar Wochen die nötige Dosis von Beidem aufbringen können, muss die Strategie darauf abgestimmt sein. Manchmal entwickeln sich Kampagnen zu echten Langstreckenläufen. Dann gilt es, die Ressourcen gut einzuteilen oder auch zu prüfen, ob für bestimmte Phasen jemand ausschließlich die laufende Arbeit vorantreibt (zum Beispiel, indem über Spenden oder Zuschüsse ein Honorar angeboten werden kann). Für die Kampagnen-Aktionen und -Materialien ist ebenso entscheidend, was die Beteiligten können oder dank Kontakten oder finanziellen Mitteln dazuholen können. Kreative Gruppen überraschen mit Kostümen oder Materialien, die andere nicht entwickeln würden. Sportliche Aktivist/innen können in einer spektakulären Aktion ein riesiges Banner von einem Fabrikschornstein herunterlassen, während musikalische Menschen vielleicht ihre Instrumente zu einer ungewöhnlichen Blockade mit klassischer Musik mitbringen. Wenn im Kampagnenteam Spürnasen dabei sind, kann vielleicht eine eigene Recherche den Nachrichtenwert des Themas steigern und fleißige Schreiberlinge können eigene Publikationen ermöglichen.

Welche Maßnahmen am Ende die eigene Strategie erfolgreich machen, hängt davon ab, was wirklich zur Gruppe und den darin engagierten Menschen passt. Da die Kampagnenplanung sowieso schon eine Arbeit mit mehreren Variablen ist, wird diese Herausforderung gleich auch noch in Angriff genommen. Es lohnt sich.

Zufall und Glück

Last but not least: Um ein Kampagnenziel zu erreichen, braucht es immer auch eine gehörige Portion Glück. Gute Campaigner/innen verstehen es, viele Dinge rechtzeitig zu planen, sie wissen von Anfang an, dass sie immer wieder auf nicht vorhersehbare Entwicklungen reagieren müssen. Aber Zufall und Glück spielen nicht nur eine Rolle beim Wetter am Tag einer großen Demonstration; manche Kampagne hing schon am seidenen Faden und gewann oder verlor alles, einfach weil der Zufall, eine Portion Pech oder Glück dazwischen kam.

So erzählen die Campaigner, die mit der NGO medico international vor vielen Jahren eine internationale Kampagne gegen Antipersonenminen zum Erfolg – und zum Friedensnobelpreis 1997 – führten, dass diese Arbeit schon kurz vor dem Scheitern war, weil es in langen Monaten der Aufklärungsarbeit zu wenig überregionales Interesse an den tödlichen Waffen, an den Opfern und den Verantwortlichen gab. Als es den Initiator/innen jedoch gelang, die international beliebte britische Prinzessin Diana für die mörderischen Hinterlassenschaften der Kriege zu interessieren, konnte sich das Bündnis gegen Landminen kaum noch retten vor lauter Anfragen. Innerhalb kurzer Zeit wurden Tausende von Menschen aktiv und machten Druck auf ihre Politiker/innen.

Pech hatte hingegen das globalisierungskritische Netzwerk Attac, das nach einer Bilderbuch-Kampagne mit vielen Aktionen die Sozialdemokratische Partei dazu gebracht hatte, auf dem Parteitag im Oktober 2007 klar Position gegen den umstrittenen Börsengang der Deutschen Bahn zu beziehen; einige Monate später kassierte der damalige SPD-Vorsitzende Kurt Beck diesen Beschluss wieder. Den Börsengang der Bahn verhinderte schließlich keine Kampagne, sondern die einbrechende Finanzkrise im Jahr 2008.

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