Erste Erfahrungen: Gemeinwesenarbeit

Seite 1: Community Organizing & Gemeinwesenarbeit

Community Organizing und Gemeinwesenarbeit

Als Anfang der 1980er Jahre im Dürener Satellitenviertel mit Gemeinwesenarbeit (GWA) begonnen wurde, waren die Bücher von Saul D. Alinsky »Leidenschaft für den Nächsten« (1) und »Stunde der Radikalen« (2) wichtige Ratgeber für die ersten Aktivierungs- und Organisationsgebiete in einem vernachlässigten Wohnquartier mit 660 Sozialwohnungen. Besonders Alinskys Praktiken der Selbstorganisation unterprivilegierter Minderheiten, die Bedeutung der Machtfrage im Sinne von Selbstbemächtigung und seine Taktiken und Strategien waren faszinierend, lehrreich und ermutigend zugleich.

Wichtig

Da sich in den letzten 30 Jahren die Rahmenbedingungen verändert haben, die Gebiete größer und heterogener wurden und Aufgaben in der Stadtentwicklung hinzukamen, musste auch das methodische Instrumentarium – je nach Aufgabenstellung – erweitert werden, z. B. um Projektmanagement, komplexe Verhandlungsführung oder Kampagnenplanung.

CO-Elemente gehören jedoch nach wie vor zum Methodenrepertoire und spielen eine bedeutsame Rolle insbesondere bei der Durchführung von größeren Aktionen und strategischen Fragen. Anhand von drei Praxisbeispielen werden Aktionen des Bürgervereins Satellitenviertel e. V., der Aktionsgemeinschaft KESS und der Stadtteilvertretung Nord-Düren vorgestellt, die vom Büro für Gemeinwesenarbeit und Soziale Stadtentwicklung der Evangelischen Gemeinde zu Düren (GWA-Büro) bei der Erreichung ihrer Ziele beraten werden. Ausgehend von diesen praktischen Beispielen werden jeweils methodische und strategische Aspekte erörtert.

GWA in der Stadt Düren

Das GWA-Büro unterstützt und berät heute im Auftrag der Stadt Düren – früher zu einem größeren Teil gemeindefinanziert und deshalb unabhängiger – Wohnquartiere und Stadtteile beim Aufbau von zivilgesellschaftlichen Organisationsstrukturen, die auf Verselbstständigung und Dauer ausgerichtet sind. Die angestrebten Veränderungsprozesse werden nicht stellvertretend für, sondern mit den entstandenen Akteursgruppen und Organisationen umgesetzt. Damit dies gelingt, ist eine klare Aufgaben- und Rollenteilung zwischen Stadt und Wohnquartier oder Stadtteil sowie dem GWA-Büro vereinbart worden. Die Essentials des Organisationsprozesses, an denen sich das GWA-Büro bei der Auftragsausführung orientiert, sind aus dem obigen Schaubild ersichtlich. Die Aufgaben des GWA-Büros sind dabei im Wesentlichen Aktivierung und Organisationsberatung, Strategie- und Taktikberatung sowie Recherche und Hintergrundarbeit.

Selbständige Organisationen vertreten ihre eigenen Themen, die in der Regel nicht auf der Agenda von Lokalpolitik, Stellvertreter-Organisationen wie Wohlfahrtsverbänden oder sogenannten intermediären Instanzen stehen. Sie sind in der Lage, diese Themen auch wirkungsvoller nach vorne zu bringen, wenn es ihnen gelingt, über phantasievolle Aktionen und Kampagnen ausreichend Power zu entwickeln. Es geht daher neben echter Teilhabe, um gerechtere Güterverteilung im kommunalen Raum, wie z. B. den Erhalt von sozialverträglichem Wohnraum in einem bestimmten Wohnquartier oder Stadtteil.

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Entstehungskontext und Theoriebezug

Damit GWA nicht in Aktionismus ausartet, bedarf es im Vorfeld der Festlegung einer Strategie, die mit der jeweiligen Akteursgruppe oder Organisation einvernehmlich abgestimmt wird. Strategie ist der Plan, wie man realistisch gesetzte Ziele effizient erreicht. Wird Zielerreichung als Erfolg definiert und Realismus als Voraussetzung für Effizienz verstanden, dann bedeutet dies: Strategie ist ein effizienter Erfolgsplan.

Strategien werden von drei Einflussfaktoren bestimmt, und zwar

  • vom Ziel, das mit der Strategie erreicht werden soll,
  • von den Rahmenbedingungen in der Ausgangssituation, die in der Regel nicht beeinflussbar sind, und
  • vom Wissen über die Grundregeln und Prinzipien der Strategieentwicklung sowie über deren Anwendung.

Verbreitete Handlungsweisen sind meist »Durchwursteln«, »Aussitzen« oder Pseudolösungen. Diesen wenig tragfähigen Konfliktlösungsstrategien, die im Wesentlichen auf Versuch und Fehler (trail and error) basieren und viel Zeit und Energie kosten, stehen im Prinzip nur drei ernstzunehmende Konfliktlösungsstrategien gegenüber:

  • die Machtstrategie,
  • die Rechtsstrategie und
  • die Interessenausgleichsstrategie.

In der Realität dominieren die Macht- und Rechtsstrategien, die auf den ersten Blick eine billige Lösung versprechen, mittel- und langfristig aber größeren Schaden als Nutzen anrichten können. Das Problem ist: Wer die Macht oder das Recht hat, braucht scheinbar nicht zu verhandeln. Bei Abwägung beider Strategien, ist dennoch die Rechts- der Machtstrategie vorzuziehen. Denn es fällt leichter, sich eine Entscheidung auf der Basis anerkannter Regeln zu beugen als sich einer Macht zu unterwerfen. Dennoch bleiben bei beiden Strategien Verlierer/innen auf der Strecke.

Anders verhält es sich bei der Interessensausgleichsstrategie. Hier wird der Fokus auf die Interessen aller beteiligten Parteien gerichtet. Folgende Fragen spielen dabei eine Rolle: Was sind die Interessen der beteiligten Parteien? Was können beide Parteien bei einem Interessensausgleich gewinnen? Was sind die Voraussetzungen dafür? Wie können Verhandlungen zustande kommen, in denen auch die zunächst schwächere Partei auf gleicher Augenhöhe agiert? Je nach Ausgangssituation, den Kräfteverhältnissen und dem Konfliktverlauf kann eine Kombination aller drei Strategieentwürfe sinnvoll sein, um das anvisierte Ziel zu erreichen. Oft ist die stärkere Partei jedoch erst nach dem Einsatz von macht- und rechtsstrategischen Mitteln zu Verhandlungen bereit.

Beschreibung und Methodik

Im Folgenden wird an drei Beispielen gezeigt, wie dies gehen kann. In den Beschreibungen wird dabei die Methodik, mit CO-Elementen in der GWA zu arbeiten, hervortreten.

(a) Mieterhöhung landete im Schredder – Eigentümer schickten Drohbriefe

Autor

»Im Ostdürener Satellitenviertel betätigte sich der Osterhase in Doppelfunktion. Er verteilte an Passanten bunte Ostereier und bediente fleißig den Schredder. Gefüttert wurde die »Drohbrief-Vernichtungs-Maschine« mit Schreiben der Eigentümer an Hunderte von Mietern der ehemals aus Mitteln des sozialen Wohnungsbaus errichteten Wohnanlage. Mit den Schriftstücken, die nun der Vernichtung anheim fielen, hatten die Eigentümer mit Kadi und Zwangsvollstreckung gedroht, wenn die geforderte Mieterhöhung nicht termingemäß akzeptiert werde. Damit sind 400 im Bürgerverein Satellitenviertel organisierte Mietparteien nicht einverstanden, da ihnen die Anhebung entschieden zu drastisch ist (...). Solche Machenschaften seien in einer ›Bananenrepublik‹ vorstellbar, nicht aber mit den rechtsstaatlichen bundesdeutschen Prinzipien vereinbar, so der Vorsitzende des Bürgervereins Satellitenviertel e. V. Heinz Blatzheim zum Sinn der öffentlichen Protestaktion mit dem Osterhasen und dem Schredder. Der Bürgerverein werde auch dieses Mal für die Rechte der Mieter eintreten, was in der Vergangenheit auch vor Gericht wiederholt zum Erfolg geführt habe, gab sich Blatzheim zuversichtlich und gelassen (...).« (3)

Strategisches Denken und Handeln bedeutet nicht zwangsläufig konfrontatives Handeln. Zunächst einmal geht es darum, dass eine Kerngruppe das Ziel konkret definiert und geeignete Mittel zu dessen Erreichung ausfindig macht. Bei dieser Zielfindung ist die S.M.A.R.T.-Methode ein bewährtes Mittel (spezifisch, messbar, attainable/erreichbar, realistisch und tangible/greifbar). Es muss differenziert werden zwischen der Lösung eines Problems und der Erreichung eines Ziels. Der Drogenhandel und -konsum in einem Stadtteil ist ein Problem, die Auflösung eines Drogentreffpunkts dagegen ein konkretes gewinnbares Ziel. In der Regel ist davon auszugehen, dass kooperative Mittel wie z. B. Briefe, Gespräche oder Verhandlungen als Erstes angewandt werden. Wenn diese Mittel nicht zum Ziel führen, ist bei den weiteren Schritten eine Steigerung des Konfliktpegels notwendig. Dabei ist eine schrittweise Steigerung sinnvoll und immer genau zu überlegen, welche Wirkungen die gewählte Taktik bringen wird. Manchmal ist es notwendig, kurzfristig zu konfrontieren, um als gleichwertiger Verhandlungspartner akzeptiert zu werden. Ist dieses Ziel erreicht, kann und soll zu kooperativen Formen zurückgekehrt werden.

Im eingangs beschrieben Beispiel dauerte die Auseinandersetzung über sieben Monate, was einen sehr hohen Kräfteaufwand für die aktiven Mitarbeiter/innen des Bürgervereins bedeutete, bis dass die Eigentümer zu Verhandlungen bereit waren – und zwar erst dann, als das Gericht in der mündlichen Verhandlung den Konfliktparteien einen Vergleich vorschlug.

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(b) Einsparungen für die Bedürftigen verwenden – KESS-Nikolaus verteilt süße Mahnungen

»Noch zwei Minuten bis zum Sitzungsbeginn, die Tür geht auf und der KESS-Nikolaus betritt den Saal, in dem der Kreistag über den diesjährigen Haushalt berät. Bedächtig schreitet er durch die Reihen, jeder Kreistagsabgeordnete bekommt etwas Süßes – versehen mit der Mahnung: ›Gebt den Armen‹. Die Tribüne (60 Plätze) ist voll besetzt mit KESS-Sympathisanten, die gespannt die Bescherung verfolgen. Der Landrat wird nervös, erst bei dem dritten Aufruf hat der Nikolaus sein ›Werk‹ beendet, er verabschiedet sich freundlich und schaut erleichtert nach oben (...). Die Aktionsgemeinschaft KESS – bestehend aus der Interessengruppe Sozialhilfe e. V., dem Bürgerverein Satellitenviertel e. V. und dem Arbeitslosen-Zentrum Düren e. V. – verlangt eine Erhöhung der Bekleidungspauschale für alle im Kreisgebiet lebenden Sozialhilfeberechtigten. In ganz Düren ist KESS mittlerweile bekannt wie ein ›bunter Hund‹. Die Aktionsgemeinschaft erhält keine öffentlichen Zuschüsse, hat deshalb wenig zu verlieren. Diese Unabhängigkeit schafft Spielraum für vielfältige ›kesse Aktionen‹, die Politikern oft nicht schmecken. Wenn angeblich nichts mehr geht, wenn alle Parteien das gleiche Lied von den leeren Kassen singen, dann besucht KESS den Kreistag, verteilt Bürgerbriefe an die Nachbarn des Landrats oder besucht den Bürgermeister auch schon mal zu Hause (...).« (4)

Die Planung und Durchführung der beschriebenen Aktion lag in der Entscheidung und Verantwortung einer Gruppe, die aus Vertretern der beteiligten Organisationen bestand. (5) Eine Aktion ist meist Teil einer Kampagne, die im Idealfall einer vorher abgestimmten Inszenierung und Dramaturgie folgt und auf einen bestimmten Zeitraum begrenzt ist, z. B. drei Monate bis zur Verabschiedung des Kreishaushalts. Beispiele für weitere Aktionen sind »KESSe Störung des Kreisausschusses: Maskierte führen eine Modenschau aus Altkleidersammlungen vor«, »Päckchen-packen für den Landrat: Abgeschnittene Ärmel als Denkanstoß für die Unterversorgung«, »Drei Affen im Kreistag: Nix hören! Nix sehen! Nix sagen! Wir fragen: Sollen wir jetzt Säcke tragen?« oder »Öffentliche Übergabe des Armuts-Mantels: Sozialdezernent erhält Sparmodell »½ Sommer ½ Winter«. Zur Einordnung dieser Aktionen sei darauf verwiesen, dass disruptive, erschütternde Taktiken legitim sind, wenn die notwendigen Ressourcen für die Überwindung von Krisen wie Armut und soziale Ungerechtigkeit nicht bereitgestellt werden. (6)
Bei der Beratung der Aktionsgruppe sollten folgende Regeln, die sich an Alinsky anlehnen, beachtet werden: Der genaue Ablauf und Verantwortlichkeiten sind zu klären. Wie viel Personen werden benötig? Gute Erfahrungen wurden damit gemacht, dass die Durchführung der Aktion vom Erreichen einer ausreichenden Teilnehmer/innen-Zahl abhängig gemacht wurde. Die Aktion muss im Erfahrungsbereich der Gruppe liegen. Sie soll öffentlichkeitswirksam und akzeptabel sein. Die eigenen Stärken und Fähigkeiten sollten genutzt sowie Überraschungseffekte eingebaut werden. Die Aktion sollte Spaß machen und der Kultur der Gruppe entsprechen.

(c) Stadtteilvertretung Nord-Düren gegen Großraumdisco – über 400 Einwendungen trotz Ferienzeit

»Die Stadtteilvertretung Nord-Düren wendet sich gegen den Bau einer Großraumdiskothek in der Fritz-Erler-Straße. Über 400 Einwendungen von Bürgern, Vereinen, Institutionen, Gewerbetreibenden und größeren Unternehmen habe es gegen den Planentwurf gegeben, obwohl dieser in der Ferienzeit offengelegen habe, betonen die Sprecher. Dies sei ein deutliches Zeichen für das große Interesse an einer positiven Entwicklung der Nordstadt. Hauptargumente gegen die Diskothek sind die Nähe zu Moscheen und Kirchen, zusätzliche Verkehrsbelastung, wildes Parken, Verschmutzungen, Lärm und Belästigungen durch Disco-Besucher, die unter Alkohol- und Drogeneinfluss stehen. Der Stadtteil dürfe nicht mit zusätzlichen – vermeidbaren – Problemen belastet werden, da sonst der Erneuerungsprozess und die Aufnahme in das Programm ›Soziale Stadt NRW‹ gefährdet seien. Die Stadtteilvertretung sieht dringenden Handlungsbedarf, am weiteren Verfahren in Sachen Disco beteiligt zu werden. Darüber hinaus hat die Stadtteilvertretung angekündigt, im Falle einer Baugenehmigung für den geplanten Tanztempel juristische Schritte einzuleiten. Beschlossen wurde bereits, dass ein Verfügungsfonds gegründet wird, um das finanzielle Risiko einer Klage abzudecken (...).« (7)


Voraussetzung für effizientes Arbeiten in und mit der Öffentlichkeit, wozu auch die Pressearbeit gehört, ist ein mit allen wichtigen Akteursgruppen des Wohnquartiers oder des Stadtteils abgestimmter Konsens, was das Thema, das Ziel und die Mittel anbetrifft. Bei Einschaltung der Presse sollte nicht außer Acht gelassen werden, dass dadurch öffentliche Beziehungen hergestellt werden, die möglichst positiv gestaltet werden sollten. Am Anfang steht das Produkt, im Praxisbeispiel sowohl die Organisation (Stadtteilvertretung Nord-Düren) wie auch das angestrebte Ziel (Verhinderung der Großraumdisco) und die eingesetzten Mittel (Einrichtung eines Verfügungsfonds/Einleitung eines Klageverfahrens). Damit wird in Aussicht gestellt, dass auch dann weitere Schritte folgen werden, wenn der Stadtrat oder die Verwaltung negativ im Sinne des Stadtteils entscheidet.
Für die Planung von Presse- und Öffentlichkeitsarbeit ist generell folgende Frage hilfreich: Was wollen wir (Botschaft), wem (Ziel-/Dialoggruppe), warum (Begründung), auf welchem Wege (Medium), wie (Methode) und mit welchen Effekten (Wirkung) mitteilen?

Diese Frage stellt gleichzeitig ein konzeptionelles Gerüst dar und sollte beantwortet werden, bevor eine öffentlichkeitswirksame Aktion gestartet wird. Speziell bei der Verfassung von Presseerklärungen sollten neben sachlichen auch emotionale Aspekte eine Rolle spielen. Dafür empfiehlt es sich, nach Abschluss z. B. einer größeren Veranstaltung auch Originaltöne der Teilnehmer einzuholen, indem anhand eines kurzen Fragebogens mit der Überschrift »Ihre Ideen zur Presseerklärung« die folgenden Fragen gestellt werden: Was wäre Ihrer Meinung nach eine gute Überschrift? Was ist heute Abend passiert? Was war das Highlight? Wie war die Stimmung heute Abend? Diese Abfrage fördert die aktive Beteiligung, schafft Identifikation und erleichtert durch authentische Aussagen die Textgestaltung.

Seite 4: Beurteilung des Erfolgs

Bewertung: Gewinne und problematische Aspekte

  • Im Praxisbeispiel (a) handelt es sich beim Bürgerverein Satellitenviertel e. V. um eine wohnquartiersbezogene Organisation, der zum Zeitpunkt des Konflikts über 400 Familien als zahlende Mitglieder angehörten. In den außergerichtlichen Verhandlungen, die auf Vorschlag des Gerichts stattfanden, konnte eine spürbare Reduzierung der Mieterhöhung erreicht werden, die erst zehn Monate später als angekündigt in Kraft trat. Die Einsparungen für die 400 beteiligten Mieterhaushalte lag für die zehn Monate bei 375.000 DM sowie für Stadt und Kreis Düren bei 94.000 DM, da 25 Prozent der Mieter/innen Sozialhilfe bezog. Nach Abschluss des Vergleichs lag die jährliche Einsparsumme für die Mieter/innen bei 300.000 DM und für Stadt und Kreis bei 75.000 DM.
  • Die Aktionsgemeinschaft KESS im Praxisbeispiel (b) war eine zielgruppenbezogene Organisation, die auf Stadt- und Kreisebene agierte. Mit ihren phantasievollen Aktionen war sie in ihrer Hochzeit sehr erfolgreich und hat in den Jahre 1990 bis 1996 erreicht, dass die Bekleidungspauschale für die über 10.000 Sozialhilfeberechtigten im Kreisgebiet Düren um insgesamt 2.675.000,00 DM erhöht wurde – zu Zeiten, in denen die Bekleidungspauschale in anderen Städten gesenkt wurden. Trotzdem lag die jährliche Bekleidungspauschale noch über 100 DM unter dem Betrag, der von KESS als bedarfsdeckend errechnet worden war. Aufgrund der gesetzlichen Neuregelung der Sozialhilfe durch Sozialgesetzbuch II und XII ist die Bekleidungspauschale heute in der Regelleistung enthalten. Es gibt jedoch weiterhin Einflussmöglichkeiten auf kommunaler Ebene, z. B. was die Angemessenheit der Unterkunftskosten anbetrifft.
  • Die Stadtteilvertretung Nord-Düren im Praxisbeispiel (c) ist auf Stadtteilebene die wichtigste Instanz für die Umsetzung des Bund-Länder-Programms »Soziale Stadt NRW« und besteht aus 32 gewählten Delegierten, die alle relevanten Akteursgruppen (Vereine, Migrant/innen, soziale Einrichtungen, Institutionen, Kindergärten, Schulen, Wohnquartiere und Gewerbe) repräsentieren und von der Stadtteilversammlung jedes Jahr neu gewählt werden. Die Stadtteilvertretung ist erklärtermaßen parteipolitisch unabhängig, nationen- und religionsübergreifend sowie eigenständig und demokratisch. Zu ihrer Organisationsstruktur gehören auch 16 Arbeits-, Projekt- und Bewohnergruppen, die für die Umsetzung von konkreten Projekten und Programmpunkten zuständig sind. Erst nach monatelangen Auseinandersetzungen insbesondere in der Presse und auf öffentlichen Veranstaltungen wurde die von der Stadt geplante Großraumdisco ad acta gelegt. Auf absehbare Zeit ist nicht damit zu rechnen, dass ein erneuter Versuch gestartet wird.

Ob die von einer Organisation formulierten Ziele erreicht werden können, ist insbesondere abhängig von

1. der Größe des Einzugsgebiets, das sie vertreten und organisieren will,

2. der Anzahl der Mitglieder und Aktiven, die Aufgaben übernehmen wollen und können,

3. den bereits erzielten Erfolgen, überstandenen Niederlagen und dem daraus gewonnenen Vertrauen in die eigenen Kräfte (Selbstbemächtigung),

4. den Ressourcen und Mitteln, die sie akquirieren können (organisatorische, personelle, finanzielle, aber auch Wissen) und

5. sicherlich auch den Fähigkeiten der Beraterin oder des Beraters.

Zu den wichtigsten Fähigkeiten bei der Planung von Aktionen und Kampagnen, die von zivilgesellschaftlichen Organisationen durchgeführt werden, gehören auf Seite der Berater/innen Rollenklarheit, eine sokratische Gesprächsführung, strategisches Know-how, Methodenvielfalt – wozu besonders CO zählt – und ein Menschenbild, das sich am »aufrechten Gang« orientiert.
Handicaps entstehen insbesondere dadurch, dass die/der Berater/in sich selbst und die beteiligten Akteure überfordert, indem sie/er die Entwicklungsmöglichkeiten und Kräfteverhältnisse falsch beurteilt oder die (scheinbaren) Mächte überbewertet wie – aus einer Kindergeschichte von Michael Ende – Lukas, der Lokomotivführer, am Anfang den Schein-Riesen, der erst beim Annähern kleiner wird und auf Normalgröße schrumpft.

Seite 5: Anmerkungen & Quellen

Anmerkungen

(1) Siehe Alinsky, Saul D. (1973): Leidenschaft für den Nächsten. Gelnhausen/Berlin.

(2) Siehe Alinsky, Saul D. (1974): Die Stunde der Radikalen. Gelnhausen/Berlin.

(3) Dürener Nachrichten vom 29. März 1996.

(4) Dürener Zeitung vom 27. Dezember 1996.

(5) Vgl. Aktionsgemeinschaft KESS (c/o Bürgerverein Satellitenviertel e. V.) (1997): KESS – 10 Jahre ein erfolgreiches Bündnis. Düren.

(6) Vgl. Specht, Harry (1973): Disruptive Taktiken in der Gemeinwesenarbeit. In: Müller, C. Wolfgang/Nimmermann, Peter: Stadtplanung und Gemeinwesenarbeit. München, S. 208-227.

(7) Dürener Zeitung vom 17. August 2007.

Literaturtipp

Aktionsgemeinschaft KESS (c/o Bürgerverein Satellitenviertel e. V.) (1997): KESS – 10 Jahre ein erfolgreiches Bündnis. Düren.

Alinsky, Saul D. (1973): Leidenschaft für den Nächsten. Gelnhausen/Berlin.

Alinsky, Saul D. (1974): Die Stunde der Radikalen. Gelnhausen/Berlin.

Kammann, Birgitta/Schaaf, Hermann (2004): Strategie und Taktik in der Gemeinwesenarbeit. Bedeutung und praktische Beispiele. In: Gillich, Stefan (Hrsg.): Gemeinwesenarbeit: Die Saat geht auf. Grundlagen und neue sozialraumorientierte Handlungsfelder. Gelnhausen, S. 179-190.

Schaaf, Hermann (2002): Wie werden Bewohnerschaften zu handlungsfähigen Akteuren und welchen Beitrag können sie im Rahmen des Erneuerungsprozesses leisten? www.gwa-dueren.de (unter Veröffentlichungen) (letzter Aufruf 14.07.2013).

Schaaf, Hermann (2009): Was Bewohner-Engagement zur Verstetigung der Sozialen Stadt beiträgt: Das Beispiel Düren-Nord. In: Soziale Stadt-Info 23, S. 18-20.

Specht, Harry (1973): Disruptive Taktiken in der Gemeinwesenarbeit. In: Müller, C. Wolfgang/Nimmermann, Peter: Stadtplanung und Gemeinwesenarbeit. München, S. 208-227.