»Bürgerorganisationen benötigen eine diversifizierte Mitgliederstruktur, in der ganz unterschiedliche Kompetenzen zusammenkommen«

Was war Dein Erfahrungshintergrund, als Du begonnen hast, Dich für Community Organizing zu interessieren?

Unmittelbar an (eigenen) Interessen orientiert, phantasievoll, die Medien nutzend und Politik soll Spaß machen, das war in den 70er und 80er Jahren meine Vorstellung von alternativer Politik. Natürlich sollte sie Begegnung mit Menschen ermöglichen und auch Bedeutung für das private Leben haben. Allerorten entstanden Protestinitiativen, Basisprojekte und neue Formen sozialer Bewegung. In meinem Studium interessierte mich die Arbeit am Widerspruch zwischen System und Lebenswelt. Ich »studierte« fast nur »Gemeinwesenarbeit«, fand dabei aber die »territoriale« Orientierung (als Stadtteilorientierung) als hinderliche Beschränkung.

Seinerzeit wurde rasch deutlich, dass die meisten Initiativen von Akademikern/innen geprägt wurden. Der Frauenbewegung gelang über die Jahre zunehmend das »Mainstreaming«, aber während es heute Quoten bei Parteien und wohl auch bald in der Wirtschaft geben wird, hat sich für Migrantinnen, Alleinerziehende und Frauen ohne Akademikerstatus in den letzten 30 Jahren nur wenig geändert.

Umwelt- und Protestbewegungen fanden bei den »Grünen« eine Heimat, der Marsch durch die Institutionen wurde zum Karrierecoach, Kinderläden, Frauenberatungsstellen, soziokulturelle Projekte übersprangen die Hürde der öffentlichen Förderung und wurden Teil der professionellen Sozialen Arbeit.

Auch bei »meiner« Organisation, an deren Gründung ich beteiligt war, ging es irgendwann einmal um Institutionalisierung und öffentliche Förderung. Damit aber änderten sich die Arbeitsschwerpunkte – statt Aktivierung und kommunaler Sozial(-arbeits-)politik ging es bald »nur noch« um Sozialarbeit.

Allerdings erwies sich in unserer Stadtteilarbeit Aktivierung auch als äußerst schwierig: In den Cityrandgebieten sind die »Gegner« nicht leicht zu personalisieren, es gibt tausende von Hausbesitzern und Gewerbeinteressen, der kommunale Handlungsraum ist begrenzt. Und Aktivierung braucht eine »Mischung« der Aktiven – wer vor allem Einkommensschwache und Migranten ansprechen will, hat es schwer, eine handlungsfähige Gruppe zu bilden. Seinerzeit verlegten wir uns dann auf symbolische Aktionen – wenig Aktive und Betroffene skandalisierten jeweils einzelne Themen – dies durchaus mit Erfolg, aber eben nicht verbunden mit dem Aufbau einer Bürgerorganisation. Unsere Aktionsorientierung war PR für unsere soziale Arbeit. Ich war über diese Entwicklung sehr enttäuscht, »aktivierende Gemeinwesenarbeit« und eine andere Politik, dieses Projekt war erst einmal gescheitert.

Wie hat sich Dein Blick durch die Auseinandersetzung mit CO verändert?

Unsere Fahrt nach Chicago und das erste CO-Training gaben mir Kraft, wieder über das Thema nachzudenken und zu schauen, was schief gelaufen war: Wir gingen viel zu standardisiert vor, eine aktivierende Befragung reicht nicht wirklich aus. Unsere Gegner waren viel zu verzweigt, unsere Forderungen zu allgemein. Aber auch umgekehrt: Was hatten wir es gut im Vergleich zur Situation in Chicago!

Angereichert mit diesen Ideen ging ich dann auf das Land NRW zu und fand Unterstützung mit meiner Idee, ein Organizingprojekt bei Migrant/innen in einer Großstadt in NRW aufzubauen. Ich erhielt eine Finanzierungszusage, fand im Folgenden aber keine Kolleg/innen, die sich auf das Abenteuer eines solchen Projektes einlassen wollten.

Tipp

Was ich daraus gelernt habe: Organizing braucht eine überschaubare »Gegnerschaft« – viele Eigentümer, eine kompetenzlose Kommunalpolitik, das ist für eine lokale CO eine Nummer zu groß. Bürgerorganisationen benötigen eine diversifizierte Mitgliederstruktur, in der ganz unterschiedliche Kompetenzen zusammen kommen. Probleme sind kein Selbstzweck – und das »wir machen das selbst« darf kein Mantra sein: CO sollte Problemlösung von denjenigen fordern, die letztlich für Problemlösungen verantwortlich sind und die damit verbundenen Kompetenzen haben.

Der Aufbau von Organizing-Projekten braucht Menschen, die sich dieser Idee mit vollem Engagement verschreiben. Man muss die Menschen mögen, mit denen man arbeiten möchte.
Später dann wurde ich Mitarbeiter des Deutschen Berufsverbands für Sozialarbeit (DBSH). Dort erzählte ich mit großer Begeisterung von dem Organizing-Ansatz, theoretisch und in unserer Zeitschrift »Forum SOZIAL« gab es viel Unterstützung, praktisch hatte es jedoch wenig Bedeutung für die weitere Entwicklung. Und jetzt endlich, in den letzten zwei Jahren, entsteht bei den Berufskolleg/innen zumindest die Wahrnehmung, dass es eigene Interessen gibt, aber für ein gewerkschaftliches Organizing reicht es noch nicht aus. Die meisten Menschen können mit den üblichen »Organisationsgepflogenheiten« nur wenig anfangen: Tarifverhandlungen, Arbeitsrechtsberatung, Mitgliederversammlungen, Delegiertenkonferenzen, Antragsentwürfe und -verhandlungen, Kassenführung, Protokolle, Satzungsdiskussionen – all das ist meilenweit von der Wirklichkeit in Beruf und eigener sozialer Situation entfernt.

Wie nutzt Du heute CO Elemente und was ist Deine Vision für CO in Deutschland?

In der täglichen Praxis habe ich viele Elemente des Organizing nutzen können: Die »Vereinfachung«, d.h. Personalisierung der Gegner, Recherche dazu, die Beachtung der Medien, ungewöhnliche Aktionsformen. Notwendig wäre, dass große Organisationen wie Gewerkschaften, Mietervereine, Sozialverbände, Kirchen, zum Träger des Organizing werden. Dies aber setzt entweder den Aufbau einer eigenständigen bundesweiten Organisation oder aber eine völlig neue Organisationskultur in Gewerkschaften und Interessenverbänden voraus. Aktivität muss von organisatorischem Ballast befreit werden, und das geht nur, wenn sich z. B. Gewerkschaften für Aktivitäten bezogene Strukturen öffnen. Mitgliedschaft braucht nicht unbedingt Beitragszahlung und Engagement und keinen auf Jahre gewählten Vorstand.

Meine Vision wäre ein Modell auf drei Säulen:

  1. Das Organizing erhält in Theorie und Ausbildung eine bundesweite Basis für Anfragen, Koordination, Schulung.
  2. Große gesellschaftliche Organisationen nutzen das Organizing als Forum zum Aufbau von Bürgerorganisation, ohne unmittelbar damit der eigenen Organisation Mitglieder zuführen zu wollen.
  3. Gemeinsam wird an einem Netz von Bürgerorganisationen gearbeitet, das aus den lokalen Initiativen heraus Themen identifiziert und diese bundesweit »politikfähig« macht.