»Es gibt bei einer reflektierten und authentischen Haltung des Gemeinwesenarbeiters erstaunliche Handlungsspielräume«

Was waren Deine ersten Erfahrungen mit Community Organizing?

Im April 1999 begann ich meine Arbeit im Büro für Gemeinwesenarbeit der Ev. Gemeinde zu Düren und lernte einen für mich damals neuen und mir recht konsequent erscheinenden Ansatz von Gemeinwesenarbeit kennen. Die Herangehensweisen in Düren waren über Jahre von einem engagierten Team eigenständig entwickelt und den örtlichen Gegebenheiten angepasst worden und die Verwandtschaft des dortigen Arbeitsansatzes mit CO war klar erkennbar. Darum war es naheliegend, der Anregung von Kolleg/innen in Düren zu folgen und mich im Herbst 1999 einer Studienreise der Uni Bremen im Rahmen eines Lehrauftrags mit Peter Szynka nach Chicago anzuschließen. So kam ich in Chicago erstmals direkt mit CO in Berührung. Diese beeindruckende Reise nach Chicago und acht prägende Jahre der Gemeinwesenarbeit in Düren haben mir CO und die damit verbundene Haltung näher gebracht.

Wie hast Du Elemente von CO in deiner jetzigen Arbeit integrieren können?

Als Gemeinwesenarbeiter eines kommunalen Stadtteil- und Familienzentrums in einem heterogenen Stadtteil mit ca. 13 000 Einwohnern ist der Beziehungsaufbau zu Bewohnern von entscheidender Bedeutung. Dieser funktioniert nur mit einer authentischen Haltung des Zuhörens und Ernstnehmens. Die Konzeption der Offenburger Stadtteil- und Familienzentren in kommunaler Trägerschaft hebt als erste von fünf Aufgabenbereichen hervor, die Bewohner/innen im Stadtteil zu aktivieren. Damit wird mehr Selbstorganisation der Bürger angestrebt, indem ihre Themen und Anliegen aufgegriffen und mit ihnen gemeinsam weiterentwickelt werden. Dahinter steht das Leitmotiv, dass Bürger/innen die kompetenten Fachleute ihrer Lebenswelt »Stadtteil« sind.

Diese konzeptionelle Ausrichtung schafft auch unter der Trägerschaft einer Kommune durchaus Spielräume, mit der Haltung bzw. den Haltungen des CO aktivierende Gemeinwesenarbeit zu gestalten. In den vergangenen fünf Jahren habe ich als städtischer Mitarbeiter in der Erwachsenen- und Gemeinwesenarbeit mit diesen Haltungen gearbeitet, da sie meiner beruflichen Erfahrung und meinem Grundverständnis von Gemeinwesenarbeit einfach entsprechen. Zum Tragen kam das bei Befragungen in kleinräumigen Quartieren des Stadtteils und der daraus resultierenden, intensiveren Zusammenarbeit mit Bewohner/innen. Es muss in unseren hiesigen Arbeitszusammenhängen auch nicht zwingend CO drüber stehen, es genügt einfach die Konzeption der eigenen Arbeitgeberin, hier der Stadt ernst zu nehmen und mit der eigenen Professionalität, Überzeugung und authentischen Haltung zu verknüpfen. Kleine Bewohnerarbeitsgruppen mit klaren Zielsetzungen haben mit gemeinsam entwickelten Strategien und selbst organisierten Verhandlungen, beispielsweise mit der städtischen Wohnbaugesellschaft oder der städtischen Tiefbau- und Verkehrsverwaltung, gute Erfolge in ihren Quartieren erzielt.

Manchmal aber stellt sich die Frage, wie viel Dissens eine Stadtverwaltung aushalten muss. Im Grunde dann, wenn im Sinne der selbst verfassten Konzeption Bürger/innen sich selbst organisieren, dabei Verhandlungsmacht entwickeln und ihre Themen und Ziele voranbringen. Die Stadtteil- und Familienzentren sollen die Schnittstellen zwischen Bewohnern und Verwaltung sein, so formuliert es die Konzeption auch. Ich erlebe dies als Widerspruch. Denn Schnittstelle zu sein, bedeutet auch, Übersetzungs- und ggf. Befriedungsarbeit zu leisten und eben weniger Aktivierung mit der Zielrichtung Selbstorganisation.

Wichtig

Ich habe mich schon manches Mal gefragt, ob ich Loyalitätskonflikte mit der Arbeitgeberin Stadt riskiere oder ob die selbst organisierten, ermächtigten Bewohner/innen die Verantwortung für Konflikte und Auseinandersetzungen mit Verwaltung selbst tragen sollten? In logischer Konsequenz müsste das so sein und doch bleibt für mich ein Dilemma in meiner Rolle als kommunaler Gemeinwesenarbeiter bestehen.

Einerseits können vertrauensvolle Arbeitsbeziehungen mit Bewohner/innen eines Stadtteils ja nicht abrupt dann enden, wenn es knifflig wird und Machtfragen ins Spiel kommen. Andererseits bin ich als Gemeinwesenarbeiter hier Mitarbeiter der Stadtverwaltung und Kolleg/innen aus der technischen Verwaltung, die sich durch Bürger/innen im Quartier auf die »Füße getreten« fühlen, bringen wenig Verständnis dafür auf, wenn als »Motor« des Prozesses der Kollege Sozialarbeiter im Stadtteilzentrum identifiziert wird.

Welche Möglichkeiten der Weiterentwicklung siehst Du? Was brauchen Sozialarbeiter/innen in vergleichbaren Situationen in Kommunen, um das oft beschriebene Ziel der »Stärkung der Selbstorganisation der Bürger/innen« wirklich umsetzen zu können?

Ich sehe große Chancen, wenn Bürger/innen erleben, dass sie positive Veränderungen bewirken können und Stadtverwaltung und Wohnungswirtschaft erkennen, dass der Ärger mit den aktiven Bewohner/innen letztlich zu qualitativ besseren Lösungen führt. Doch diese Erfahrungen können nur gemacht werden, wenn Sozial- oder Gemeinwesenarbeiter/innen klare Stellenbeschreibungen, eine entsprechende Konzeption und damit einigermaßen klare Arbeitsaufträge haben. Diese fehlen meiner Erfahrung nach allerdings in vielen Kommunen, die vorgeben, Gemeinwesenarbeit anzubieten. Außerdem wären natürlich Trainings für Sozialarbeiter/innen sinnvoll und wünschenswert, die mithilfe von CO-Prinzipien eine solche Arbeit umsetzen wollen. Im Studium jedenfalls lernt man gewöhnlich die nötigen Grundhaltungen und Fähigkeiten nicht. Schließlich gibt es bei einer reflektierten und authentischen Haltung des/r Gemeinwesenarbeiters – auch bei kommunaler Trägerschaft – erstaunliche »Handlungsspielräume«.