Erweiterung einer Bürgerplattform

Seite 1: Aktionen & Erfolge

In Berlin Schöneweide entstand 2000 die erste Bürgerplattform. Der amerikanische Ansatz des »Broad-based Organizing« (Organisation von Organisationen) konnte damit erstmals in Deutschland umgesetzt werden. Die Bürgerplattform geht als starker zivilgesellschaftlicher Partner in Berlin Südost vielfältige Themen an. Es gelang, den Auswirkungen der langjährigen Unterdrückung in der DDR positiv gestaltend entgegenzuwirken und ein Beziehungsnetzwerk mit gegenseitigem Vertrauen, Respekt und stärkenden Ritualen aufzubauen.

Aus Organizing Schöneweide wird SO! MIT UNS

Der Berliner Stadtteil Schöneweide war einst das industrielle Herz der DDR-Hauptstadt, Teil der »Elektropolis«, wo Emil Rathenau die AEG 1891 gründete und die Idee der Glühbirne aus Amerika zur Produktion nach Deutschland gebracht hat. An beiden Ufern der Spree wuchs die Industrie, dahinter im gleichen Tempo die Wohnbebauung. Nach dem Zweiten Weltkrieg galt Schöneweide als Europas größtes innerstädtisches Industriegebiet. Mit der Wiedervereinigung Deutschlands vollzog sich hier in kürzester Zeit ein struktureller Wandel. Die Industrie nach altem sozialistischen Muster verschwand und mit ihr rund 25.000 Arbeitsplätze. Die Einwohnerzahl halbierte sich in wenigen Jahren. Aus Schöneweide wurde »Schweineöde«. Übrig blieben Bürger/innen und kleine mittelständische Unternehmen, die es geschafft haben, dem Wandel zu trotzen.

Methodisches Vorgehen

Anfang 2000 gelang es mittels zahlreicher Gespräche, initiiert von Prof. Dr. Leo Penta und Studierenden der Kath. Hochschule für Sozialwesen Berlin, mit 15 verschiedenen Gruppen, Organisationen und Institutionen (z. B. Schulen, Kitas, Kirchen, Kleingärten, Sportvereinen, Senioreneinrichtungen) ein breites zivilgesellschaftliches Bündnis zu formen: die erste deutsche Bürgerplattform »Menschen verändern ihren Kiez – Organizing Schöneweide«. Die Bürgerplattform arbeitet nach dem Ansatz des broad-based Community Organizing und soll es den beteiligten Organisationen ermöglichen, selbstbewusst und unabhängig von staatlichen oder parteipolitischen Einflüssen eigene Themen und eigene konkrete Lösungsvorschläge mit Politik und Verwaltung zu verhandeln. Die Bürgerplattform agiert mit professioneller Begleitung durch Community Organizer sowie finanzieller Unterstützung der Mitgliedergruppen und eines lokalen Wirtschaftsverbündetenkreises.

Aktionen und Erfolge

Ein erster Erfolg war es, als im Jahr 2004 mit der Ansiedlung der Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) Berlin mit über 7.200 Studierenden und Mitarbeiter/innen, ein neuer Leuchtturm für den wirtschaftlichen Aufschwung in Schöneweide entstand. Nach vier Jahren und zahlreichen Gesprächen mit Entscheidungsträgern und nach mehreren großen Versammlungen der Bürgerplattform konnte erreicht werden, dass durch das Zusammenbringen der vier wesentlichen Senatsverwaltungen diese hoffnungsvolle politische Entscheidung getroffen wurde. Gestärkt mit neuem Selbstbewusstsein und weiteren Gruppen wurde mit dem Wirtschaftssenator im Jahr 2007 die Schöneweider Aktionsgemeinschaft (AG) zur Schaffung von 440 Arbeitsplätzen gegründet. Im Jahr 2009 wurde ein professionelles Regionalmanagement zugesagt, welches durch die Bürgerplattform und ihre Verbündeten im Herbst 2011 an den Start ging – mit einer Kofinanzierung von 150.000 € aus privatwirtschaftlichen Geldern. Parallel erarbeiteten die Gruppen der Bürgerplattform ein Verkehrskonzept zur Entlastung der Hauptverkehrsstraßen von Schöneweide – hier herrscht die höchste Lärmbelastung Berlins. Im Jahr 2013 soll dieses Konzept mit dem Bau einer Umgehungsstraße umgesetzt werden. Einzelmaßnahmen wie die Wiedererrichtung des Kaiserstegs (eine Fußgängerbrücke über die Spree, welche die Ortsteile Ober-und Niederschöneweide verbindet), Lärmschutzmaßnahmen und die langfristige Sicherung eines Kleingartengebietes als Erholungsgebiet sind weitere Erfolge des politischen Engagements der Bürgerplattform.

Die Erfolge der beharrlichen Bürgerplattform »Organizing Schönweide« zeigen, dass der amerikanische Ansatz des CO in Deutschland funktionieren kann. Die Erfolge in Schönweide waren auch Meilensteine für die Gründung des Deutschen Instituts für Community Organizing (DICO) und den Aufbau weiterer Bürgerplattformen in Hamburg und Berlin.

Seite 2: Besonderheiten

Besonderheiten

Nach einem 15-jährigen Dornröschenschlaf befindet sich Schöneweide im Aufbruch in ein neues Zeitalter und die Bürgerplattform mit den über die Jahre hinweg stabilen 15 Gruppen entwickelte sich zu einer etablierten Größe im Südosten Berlins. Der Blick über den Tellerrand von Schöneweide zu weiteren zivilgesellschaftlichen Gruppen und deren Themen nahm zu. Anfang 2011 haben die Gruppenvertreter/innen auf einem Klausurtag entschieden, die geografischen Grenzen des Berliner Ortsteils Schöneweide zu überwinden und mit neuen zivilgesellschaftlichen Gruppierungen aus dem gesamten Bezirk Treptow-Köpenick eine Bürgerplattform für Berlin Südost neu zu bilden. Treptow-Köpenick ist Berlins größter Bezirk mit starken Gegensätzen zwischen städtischem Altbau, Gewerbe und Industrie im Norden und ländlichen Dörfern eingebettet zwischen Wald, Flüssen und Müggelsee im Süden. Ende Januar wurde offiziell mit der Mitarbeitszusage von zwei weiteren Organisationen aus Treptow-Köpenick der »Aufbaukreis Bürgerplattform Südost« gebildet. Diese Entscheidung wurde ebenso von den Unterstützer/innen des Wirtschaftsverbündetenkreises mitgetragen. Zahlreiche Einzelgespräche, kleine Treffen zum Interessenaustausch und eine über ein Jahr angelegte intensive Themenfindung mündeten in die Gründung der Bürgerplattform Berlin-Südost »SO! MIT UNS«, die am 9.Mai 2012 mit 22 Gruppen und 450 Menschen gefeiert wurde.

Bei der Gründungsveranstaltung wurden folgende selbst gewählte Themen öffentlich vorgestellt:

  • Verkehrsentlastung Treptow-Köpenick
  • Wohnortnahe Haus- und Fachärzteansiedlung in Treptow-Köpenick
  • Uferwege in Schöneweide und Bau einer Generationen-Mehrzweckhalle in Köpenick, Ortsteil Wendenschloss
  • Begleitung Regionalmanagement Schöneweide im Steuerungskreis.

Die Themen der Bürgerplattform sind darauf ausgerichtet, bereits im Vorfeld von politischen Entscheidungen gezielt Einfluss nehmen zu können. Zu den verschiedenen Themen wurde der aktuelle Sachstand und die entsprechenden Entscheidungsstrukturen recherchiert. Mittels Verhandlung mit den politischen Entscheidungsträgern werden eigene Forderungen der Bürgerplattform aufgestellt. Das nächste Teilziel besteht darin, bis zur nächsten großen öffentlichen Versammlung aller Mitgliedergruppen erste konkrete Schritte mit den zuständigen Entscheidungsträgern zu vereinbaren.

Das besondere an den Menschen in der Bürgerplattform Südost ist der geglückte Versuch, den Auswirkungen der langjährigen Unterdrückung in der DDR positiv und gestaltend entgegenzuwirken, die Gelegenheit zur Selbstentwicklung vom Bewohner zum mündigen Bürger nicht in einem Kollektiv, sondern in einem Beziehungsnetzwerk mit gegenseitigem Vertrauen, Respekt und stärkenden Ritualen zu geben.
Mit Eröffnung des neuen Großflughafens Berlin-Brandenburg wird sich die politische und wirtschaftliche Blickrichtung auf den Südosten Berlins verschärfen. Oftmals wurden viele wichtige Entscheidungen für die Stadtteile trotz bezirklicher Zuständigkeiten als Chefsache auf Berliner Senatsebene getroffen. Die Schuldenbremse zur Regulierung der Staatsverschuldung Berlins zeigt bereits Auswirkungen auf die Aufrechterhaltung des sozialen und öffentlichen Lebens in den Berliner Stadtteilen.

Um die Zukunft des Berliner Südostens als starker zivilgesellschaftlicher Partner entsprechend mitgestalten zu können, will die Bürgerplattform Berlin-Südost weiter wachsen und mit eigenen konstruktiven Zielen mit den Auswirkungen dieser prinzipiell wünschenswerten Entwicklung (z. B. steigende Immobilien- und Mietpreise durch fokussierte Wirtschaftsansiedlung und Attraktivitätssteigerungen) das öffentliche Leben im Berliner Stadtteil Treptow-Köpenick mitgestalten.

Adresse

SO! MIT UNS
Edisonstraße 63
12459 Berlin
Tel. (0 30) 53 00 26 66
E-Mail: richer@organizing-berlin.de

www.organizing-berlin.de

Die Bürgerplattform wird vom Deutschen Institut für Community Organizing (DICO) begleitet.