Aktivierende Spielaktionen mit Kindern

Seite 1: Ziele und Umsetzung

»Spielforscherinnen und Spielforscher« sind als spielpädagogisches Projekt in Stadt und Land unterwegs. Entwickelt wurde es 1987 in München in der Arbeitsgemeinschaft Spiellandschaft Stadt (Siehe dazu: Berbig, Evelyn/Knecht, Gerd: Auf dem Weg zu einer Spiellandschaft Stadt. München 1990, S. 53 – 77; s. dazu auch: Spiellandschaft Stadt e.V. (Hrsg.): Kinderstadtteilpläne. München 1996; BAG Spielmobile e.V. (Hrsg.): Projekte zur Partizipation von Kindern leicht gemacht. Trier 2001; LHM Gleichstellungsstelle für Frauen/Jugendkulturwerk/Spiellandschaft Stadt e.V.: Spielräume für Mädchen, München 2002, zu bestellen über die angegebene Kontaktadresse). Kinder von 4 bis 14 Jahren können sich beteiligen. Das Projekt ist mobil und kommt direkt zu den Kindern. Die Aktionen erreichen Kinder und Familien, die in der näheren Umgebung wohnen, der Bezug zum täglichen Leben ist somit gegeben. Unterschiede in Mobilitätsverhalten spielen keine Rolle.

Ziele und Umsetzung

Ziel ist es, Kinder als Expert/innen für Spiel und Spielraum einzubeziehen. Es geht um eine Bestandsaufnahme des Spiel- und Wohnumfeldes aus ihrer Sicht. Die Informationen und Ideen sollen zusammengetragen werden, ihre Sichtweise auf das, was die Erwachsenen ihnen bieten, dokumentiert und ihre Bedürfnisse und Wünsche zum Ausdruck gebracht werden. Es soll herausgefunden werden, wo ihre Beteiligung an der Gestaltung ihrer Spiel- und Lebenswelt möglich ist. Sie lernen dadurch sich in das öffentliche Leben einzumischen, mit Hand anzulegen und Verantwortung zu übernehmen. Die Erwachsenen lernen, den Blickwinkel der Kinder kennen und umgekehrt. Alle gemeinsam sind auf der Suche nach »Spielräumen« im wörtlichen wie im übertragenen Sinne.

Im Rahmen einer Spielaktion schlüpfen sie in die Rolle von Forschern. Spiel ist für sie eine sehr ernste, aber freiwillige Tätigkeit. Im Spiel entdecken sie die Welt und lernen sich und andere kennen. Sie wählen die für sie ansprechenden Methoden der Beteiligung aus, um ihre Vorstellungen darzustellen und zu veröffentlichen.

Eine Spielforscheraktion findet ein bis zwei Wochen an einem Ort statt. Es werden täglich drei Bereiche aufgebaut mit Tischen, Bänken, Sonnenschirmen, Tafeln, Spielgeräten usw. Jeder Bereich ist mit mindestens einem/r Mitarbeiter/in besetzt. Es gibt ein Forscherbüro mit einem Ausstellungsbereich, ein Erfinderbüro oder Planungswerkstatt und einen Spielbereich.

Im Forscherbüro bekommen die Kinder ihre Ausrüstung, wie Forscherkappe, Forscherausweis, Schreibbrett, Stifte, Fragebögen, Pläne, Bewertungspunkte und Geräte wie Fotoapparate und Kassettenrecorder. Während sie ihre Kappen ausmalen, erhalten sie die erste Einführung ins Forschen. Vom Forscherbüro aus starten Fotostreifzüge, Spielplatztests, Umfragen und Interviews zum Teil mit Anleitung, zum Teil selbstständig. Es werden auch von Erwachsenen begleitete Touren angeboten. Dies ermöglicht kleineren Kindern mitzugehen, die noch nicht alleine auf Forschertour losziehen dürfen. Sie zeigen sich gegenseitig ihre Lieblingsorte oder die Plätze, die ihnen gar nicht gefallen, machen Streifzüge durchs Gelände und entdecken neue Spielorte. Es empfiehlt sich, das Forschergebiet auf einen Radius von 10 Minuten Wegstrecke zu begrenzen, auf Verhaltensregeln aufmerksam zu machen und auf Gefahrenstellen hinzuweisen. In den Teams werden verschiedene Rollen und Aufgaben vergeben: ein/e Protokollführer/in, Fotograf/in, Interviewer/in, Kartenleser/in. Alle haben die Aufgabe, etwas zu entdecken, zu testen und zu bewerten.

In einen kopierten Planausschnitt wird der Weg der Forschertour markiert. Auf vorbereiteten Rastern wird alles notiert: Das fotografierte Objekt, wo es sich befindet und warum es fotografiert wurde, Testergebnisse und Skizzen. Zurück am Forscherbüro, berichten die Forscher/innen über ihre Entdeckungen und Ergebnisse und tragen sie in einen großen Plan ein. Hier empfiehlt es sich, einen erwachsenen »Forscher« mit einzuschalten, um die Erkenntnisse zu sichern. Die Orte werden auf einem großen Plan mit Klebepunkten und Nummern markiert und auf einer Liste mit derselben Nummer, der Adresse, einem Stichwort und der Bewertung eingetragen. Das Arbeitsblatt wird in einem Ordner gesammelt. Somit kann man Alter und weitere Informationen nachschlagen.

Im Erfinderbüro oder der Planungs­werkstatt werden neue Ideen entwickelt, Spielgeräte erfunden, Traumspielplätze entworfen und geplant. Hier können die Kinder mit Zeichnungen, Bildern, Modellbau und anderen kreativen Methoden deutlich machen, was sie wollen. Die Ergebnisse geben Anlass zum Diskutieren und Handeln.

Im Spielbereich werden Wahrnehmungs- und Kreativitätsspiele angeboten als Vorbereitung auf die Forschertätigkeit. Bewegungs- und Geschicklichkeitsspiele bieten Ausgleich zum Reden und Sitzen im Erfinderbüro.

Spieltests werden durchgeführt, um auszuprobieren, wo welche Spiele auf dem Gelände gespielt werden können: Wo kann man gut Verstecken spielen, wo Skaten, Lauf- oder Ballspiele machen? Gibt es für alle Lieblingsspiele und Tätigkeiten der Kinder einen Spielraum in dem zu untersuchenden Gebiet? Was findet keinen entsprechenden Platz? Oder wo wird was gespielt, obwohl es von den Erwachsenen dort nicht erwünscht wird. Die direkte Spielerfahrung hilft, weitere Aspekte zu verdeutlichen.

Seite 2: Besonderheiten

Besonderheiten

Projekt auf die Situation vor Ort abstimmen
Das Projekt muss die jeweiligen Voraussetzungen und Möglichkeiten vor Ort berücksichtigen und das Forscherspiel darauf abstimmen und abwandeln. Dadurch ergeben sich vielfältige Varianten. Allen gemeinsam ist der spielerische, kindgerechte Aufbau. Spaß und Intensität im Spiel sind wichtige Bestandteile der Aktionen zur Lebenswelterkundung.

Viele mit einbeziehen
Zur Präsentation ihrer Ergebnisse und zum gegenseitigen Austausch wird ein Treffen zwischen den verantwortlichen Erwachsenen und den Spielforscherinnen und Spielforschern arrangiert. Die Pädagoginnen und Pädagogen helfen in der Vermittlung und bei der »Übersetzung« zwischen Politik, Verwaltung und Kindern. Das Projekt zieht Kreise. Über die Kinder hinaus werden auch die Erwachsenen, die Eltern, die Anwohner/innen, die Lehrer/innen und die Stadtteilpolitiker/innen angesprochen. Die Pädagog/innen beziehen Planer/innen, Einrichtungen vor Ort, Verwaltung und Presse mit ein. Ein breites Know-How und viele Informationen über den Stadtteil kommen so zusammen.

Zu den Kindern gehen
Ein mobiles Spielforscher-Büro, ein Bauwagen oder ein Spielbus kommt zu den Kindern ins Wohngebiet, auf einen öffentlichen Platz, in einen Park oder auf einen Spielplatz. Hier kennen sich die Kinder aus. Sie wohnen hier, sie spielen hier und sie kennen die Vor- und Nachteile dieser Spielumgebung aus eigener Erfahrung.

Freiwilligkeit
Das Mitmachen basiert auf Freiwilligkeit. Kinder lernen an diesen Beispielen, sich verantwortlich in das öffentliche Leben einzubringen, ihre Interessen zu vertreten und dass Engagement Spaß macht und etwas bewirken kann.

Selbstständig wählen
Die einzelnen Bereiche der Spielaktionen werden beschriftet. Es gibt eine Wochen- und Tagesstruktur, die gut sichtbar auf große Tafeln geschrieben wird. Somit können die Kinder sich selber orientieren und entscheiden, wo sie mitmachen wollen. Sie können jederzeit ins Spiel einsteigen und so lange sie möchten, dabei bleiben.

Vielfalt statt Einfalt
Die Kinder erkunden ihr Umfeld, was finden sie gut, was schlecht, wo kann man was machen, sie interviewen andere Spielkameraden und auch Erwachsene, führen Umfragen durch, fotografieren, testen und bewerten mit farbigen Klebepunkten oder Smileys, geben Noten für vorher ausgemachte Kategorien, wie »hier kann man sich mit anderen Kindern treffen, hier ist es abenteuerlich, hier kann man gut verstecken spielen« usw. Sie drücken ihre Vorstellungen einer kindgerechten Umgebung in Wort, Bild, Modell oder im Spiel aus. Die Vielfalt der Methoden bietet ihnen die Möglichkeit, die ihnen entsprechende Zugangsweise auszuwählen.

Ergebnisse sichtbar machen
Große Stadtteilpläne, Spielplatzpläne, Listen und Ausstellungstafeln stehen bereit, um die Ergebnisse sichtbar zu machen und zu verbreiten. Die Ausstellung vor Ort wächst von Tag zu Tag und regt andere Kinder zum Mitmachen an. Auch Erwachsene fühlen sich angesprochen und informieren sich über die zusammengetragenen Ansichten zum Stadtteil.
Die Ausstellung wird zum Abschluss einer Aktion aufbereitet und zuständige Erwachsene aus Verwaltung, Politik und Presse eingeladen, und die Arbeit präsentiert. Die Spielforscherprojekte hatten Folgen. So durften Spielgeräte von Mädchen bemalt werden, um ihrem Wunsch nach mehr Farbe auf den Spielplätzen nachzukommen. Auf öffentlichem Gelände wurde eine permanente Spielbaustelle eingerichtet, in der Jungen und Mädchen viele ihrer Vorschläge verwirklichen konnten. Auch wurden bestehende Spielplätze mit den Anregungen der Kinder umgestaltet.

Seite 3: Erkenntnisse, Grenzen, Kontaktadresse, Ausstattungsliste

Erkenntnisse

Spielforscherinnen und Spielforscher brauchen kurze Fragebögen, damit sie schnell ein Erfolgserlebnis haben. Kann ein Kind noch nicht so gut schreiben, helfen Größere oder die Betreuer als Sekretäre aus. Die ausgefüllten Bögen werden gleich sichtbar auf Tafeln mit der entsprechenden Überschrift »Hier kann man gut spielen« oder »Hier kann man nicht gut spielen« aufgehängt und geben Anlass zum Schauen und Diskutieren. Bereits bei den Fragebögen wird ein Farbsystem eingeführt für positive und negative Äußerungen, für Mädchen und Jungen.

»Wo spielst Du gerne«, »Wo spielst Du nicht gerne« steht auf dem ersten Fragebogen. Warum und was sie dort spielen, gibt Aufschluss, warum bestimmte Orte ausgewählt werden. Diese werden auf dem Stadtplan in der entsprechenden Farbe markiert, bekommen dieselbe Nummer wie der Fragebogen und auf einer Liste neben dem Stadtplan wird Nummer, Ort und Stichpunkt vermerkt.

Ein zweiter Forscherauftrag fragt die Lieblingstätigkeiten ab und fordert sie auf herauszufinden, was man wo machen kann: Fußballspielen, Radeln, Rodeln, Skaten, Lager bauen, usw. Auf die Frage, »Was wünscht du dir für den Spielplatz, was würdest Du verändern« , antworten Kinder oft: »Eine weitere Rutsche, ein höheres Klettergerüst.« Sie gehen dabei von den üblichen Spielplätzen aus. Das sind in der Regel Gerätespielplätze. Fragt man sie jedoch nach ihren Lieblingsorten, ihren Treffpunkten tauchen wilde Spielräume auf wie Brachen, die Aneignung durch Umgestaltung ermöglichen, Bäume zum Klettern, Brunnen oder ein Kiesberg auf einem Baugelände.

Ebenso ist eine vorbereitete Forschertour zu verschiedenen Spielräumen sinnvoll, um ihnen die Bandbreite der Möglichkeiten aufzuzeigen und das es mehr Spielmöglichkeiten als den klassischen Spielplatz gibt.

Grenzen, kritische Punkte

Bei einer offenen Spielaktion nehmen manchmal sehr viele Mädchen und Jungen teil, da kann es schon mal vorkommen, dass man nicht genügend Zeit hat alle Einzelheiten festzuhalten. Nicht immer gelingt es, die Entscheidungsträger für die erforschten Gebiete zu den Forscher/innen auf den Platz zu bekommen, trotz rechtzeitiger Einladung. Presse und Öffentlichkeitsarbeit sind hier besonders wichtig, um den Ergebnissen der Kinder entsprechendes Gehör und Nachdruck zu verleihen. Um die Aktion nicht zu einem punktuellen »Happening« zu degradieren ist, in die Zeitplanung unbedingt die Nacharbeit für die Projektleitung einzuplanen, um die Weiterbearbeitung der Ergebnisse in der Verwaltung und Politik zu begleiten.

Kinder sind nicht die besseren Planer/innen. Es soll auch nicht die Verantwortung auf sie abgeladen werden. Sie sind aber ein wichtiger Teil in der Gesellschaft und Nutzer/innen des öffentlichen Raums. Deshalb sollen sie gefragt und beteiligt werden, in einer Form die ihnen entspricht.

Adresse

Spiellandschaft Stadt e.V.
Evelyn Knecht
Albrechtstr. 37
80636 München
Tel. (0 89) 18 33 35
Fax (0 89) 1 2 79 96 68
E-Mail: spiellandschaft@aol.com

Tipp

Grundstruktur aus Tischen, Bänken, Sonnenschirmen, Tafeln, Schildern für die Bereiche, Plan, Büromaterial, Dekorationsmaterial, Fähnchenkette, Ausstellungstafeln, Forscherkappenvorlage, Forscherausweis, Forscherbretter, Forscheraufträge, Fragebögen, Blanko Forscheraufträge, Bewertungspunkte mit Farbsystem, Stadtplan, Plangrundlagen, Ausleihlisten für die Medien (Medien: Kassettenrekorder, Fotoapparate, evtl. Videokamera, Laptop, Digitalkamera), Spielmaterialien, Ergebnistafeln mit Farbsystem-Umrandung.

Autor

Dieser Beitrag von Evelyn Knecht ist folgener Publikation entnommen:
Handbuch Aktivierende Befragung: Konzepte, Erfahrungen, Tipps für die Praxis (Bonn 2012)
Die Publikation finden Sie hier.