eNewsletter Wegweiser Bürgergesellschaft 10/2024 (31.10.2024)
Inhalt
- Meldungen aus der Bürgergesellschaft
- Im Fokus: Demokratie und Digitalisierung
- Publikationen
- Veranstaltungen, Seminare, Tagungen
Meldungen aus der Bürgergesellschaft
Studie: Losbasierte Beteiligungsverfahren in Deutschland
Immer öfter setzen Kommunen, Länder und zuletzt auch der Bundestag auf losbasierte Bürgerräte. Das zeigt ein aktueller Bericht, den der Fachverband Mehr Demokratie und das Institut für Demokratie- und Partizipationsforschung der Universität Wuppertal (IDPF) Ende Oktober vorgestellt haben. Er basiert auf einer neuen Datenbank, die losbasierte Beteiligungsverfahren erfasst. Demnach erleben Bürgerräte seit den 2020er Jahren einen Aufschwung, knapp 300 haben bislang in Deutschland stattgefunden. Unter dem Label Bürgerrat fasst die Studie Verfahren mit unterschiedlichen Namen zusammen. Doch egal ob Bürgerrat, Bürgerforum, Planungszelle oder Bürgerdialog: allen gemeinsam sind vier Prinzipien. Die teilnehmenden Bürgerinnen und Bürger werden erstens nach dem Zufallsprinzip ausgelost, sie verhandeln zweitens ein politisches Thema, die Beratung findet drittens in Form von Gruppendiskussionen statt und viertens legen die beteiligten Bürgerinnen und Bürger inhaltliche Ergebnisse vor, in der Regel Empfehlungen, oft in Form eines Bürgergutachtens.
Die Studie im Wortlaut (PDF)
Gute Bürgerbeteiligung: Kommunen ausgezeichnet
Das Kompetenzzentrum Bürgerbeteiligung e.V. vergibt in Kooperation mit dem Berlin Institut für Partizipation seit 2023 die Auszeichnung »Gute Bürgerbeteiligung« an kommunale Akteure für qualitativ hochwertige Beteiligungsprozesse. Ausgezeichnet werden herausragende Projekte von Städten, Gemeinden und Kreisen, die als Beispiele für gute Bürgerbeteiligung dienen können. Die Gewinner der in diesem Jahr zum zweiten Mal verliehenen Anerkennung kommen aus Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg und Sachsen. Sie wurden aus mehr als 50 Bewerbungen ausgewählt.
Modellprojekt: Klima trifft Kommune
Als erste Kommune in Deutschland gibt die Gemeinde Osterburg in Sachsen-Anhalt der Bevölkerung in einem Bürgerrat mit anschließendem Bürgerentscheid die Möglichkeit, selbst über Klimaschutzmaßnahmen zu entscheiden. Im Rahmen des Modellprojekts »Klima trifft Kommune« wird die Radverkehrsplanung der Stadt zur Abstimmung gestellt – in einem Prozess, der Bürgerbeteiligung und direkte Demokratie miteinander verbindet. Anders als bei bisherigen Bürgerräten in Deutschland wird die zu erarbeitende Empfehlung nicht nur an den Gemeinderat weitergeleitet – die gesamte Kommune wird über einen Teil der Ergebnisse abstimmen. Weitere Pilotkommunen im Rahmen des Projekts sind Flensburg und Pinneberg.
Preis Soziale Stadt 2025
Der Wettbewerb »Preis Soziale Stadt« feiert sein 25-jähriges Jubiläum. Bis zum 31. Januar 2025 können sich Projekte bewerben, die im Sinne sozialer Quartiersentwicklung den nachbarschaftlichen Zusammenhalt stärken sowie Integration und ein gutes Miteinander fördern. Gemeinsam rufen der vhw – Bundesverband für Wohnen und Stadtentwicklung, der Deutsche Städtetag, der AWO Bundesverband, der Deutsche Mieterbund und der Bundesverband deutscher Wohnungs-und Immobilienunternehmen zur Teilnahme am bundesweiten Wettbewerb auf. Der Wettbewerb startet am 11. November 2025.
Arbeitsbuch: Kommunale Beteiligung mit neuen Zielgruppen
Im Projekt »Mehr Erreichen. Mit Beteiligung« haben die gemeinnützigen Organisationen Initiative Offene Gesellschaft und More in Common untersucht, was Bürgerbeteiligung leisten kann und wie Bevölkerungsgruppen für Partizipationsformate gewonnen werden können. Auf dem Weg zu mehr und zielgruppengerechter Beteiligung wurden 2023 fünf Kommunen in ganz Deutschland begleitet. Aus den Erkenntnissen von Forschung und Praxis wurde das vorliegende Arbeitsbuch für Beteiligungsakteure aus Politik, Verwaltung und Zivilgesellschaft entwickelt. Mit konkreten Hilfestellungen führt das Arbeitsbuch durch einen Beteiligungsprozess, von Vorbereitung, über Umsetzung bis Nachbereitung. Es gibt einen praxisnahen Einblick in die Beteiligungsbedarfe und beinhaltet konkrete Ideen für neue Wege der Beteiligung.
Das Buch im Wortlaut (PDF)
Studie: Ehrenamtliches Engagement und soziale Exklusion in der zweiten Lebenshälfte
Eine neue Studie des Deutschen Zentrums für Altersfragen (DZA) zeigt, dass ehrenamtlich engagierte Personen in der zweiten Lebenshälfte weniger über Gefühle sozialer Ausschließung berichten als Personen ohne Ehrenamt. Allerdings ist der Zugang zu ehrenamtlichem Engagement nach wie vor sozial ungleich verteilt. Mit Daten des Deutschen Alterssurveys wurde im Rahmen der Studie untersucht, wie die Anteile ehrenamtlich Engagierter über verschiedene Gruppen verteilt sind. Während in der Altersgruppe der 66- bis 75-Jährigen noch fast jede/r fünfte ein Ehrenamt ausübt, ist es in der höchsten Altersgruppe (ab 76 Jahre) nur noch knapp jede/r Zehnte. Zudem zeigen sich deutliche Geschlechterunterschiede: Während in der zweiten Lebenshälfte fast jede/r vierte Mann ein Ehrenamt innehat, sind es nur 16 Prozent der Frauen – ein Unterschied, der unter anderem damit erklärt werden kann, dass Frauen in stärkerem Maße Pflege- und Betreuungsarbeiten in der Familie übernehmen und dadurch weniger zeitliche Ressourcen für ein Ehrenamt haben. Ein weiteres Ergebnis: Menschen, die ein Ehrenamt ausüben, fühlen sich sozial stärker eingebunden. Auch wenn aufgrund der Analysen nicht eindeutig ist, ob die Ausübung eines Ehrenamts für die stärkere soziale Einbindung ursächlich ist, wird doch ein Zusammenhang sichtbar. Daher ist zu fragen, wie man für diejenigen in der zweiten Lebenshälfte, die sich bislang zu geringen Anteilen ehrenamtlich engagieren, mögliche Barrieren zu einer solchen Tätigkeit reduzieren kann.
Die Studie im Wortlaut (PDF)
Im Fokus: Demokratie und Digitalisierung
KoodiKo: Partizipative Entwicklung einer mobilen Beteiligungsanwendung mit 3D-Stadtmodellen
Nicht alle Erwartungen an eine Stärkung der Demokratie haben sich infolge der digitalen Revolution erfüllt. Auch die Beteiligung der Bürger/innen an politischen Entscheidungsprozessen über das Internet bildet keine Ausnahme. Vielfach mangelt es E-Partizipation an Resonanz, bleibt auf die »üblichen Verdächtigen« beschränkt und erzeugt keine zusätzliche Legitimität für politische Entscheidungen. An dieser häufig formulierten Diagnose dockt das partizipative Forschungsprojekt KoodiKo (»Kooperativ digitale Kommune durch innovative Kommunikations- und Interaktionsstrategien«) an. Es zielt darauf, Mobilisierung im Kontext von kommunalen Beteiligungsverfahren durch eine digitale Anwendung zu verbessern. Bei der Entwicklung der App arbeiten Universitäten und Kommunen mit Bevölkerungsgruppen zusammen, die selten mit digitalen Beteiligungsangeboten erreicht werden. Jonathan Seim stellt das Projekt und erste Erkenntnisse in seinem Gastbeitrag vor.

Code of Conduct: Einsatz von Künstlicher Intelligenz in der Zivilgesellschaft
Der Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) berührt alle Gesellschaftsbereiche und birgt immense Potenziale in der automatisierten Datenverarbeitung. Auch gemeinwohlorientierte Organisationen versprechen sich davon, Aufgaben schneller und effizienter zu bewältigen. Da KI-Anwendungen zugleich mit Risiken wie Datenmissbrauch, technologischer Abhängigkeit oder mangelnder Transparenz verbunden sind, ihr Einsatz mithin ethische Grundfragen aufwirft, braucht es eine Verständigung über Regeln zur gemeinwohlorientierten Nutzung der neuen Technologien. Zu diesem Zweck bringt D64 – Zentrum für digitalen Fortschritt über 30 zivilgesellschaftliche Organisationen im Projekt »Code of Conduct: Demokratische KI« zusammen. Ziel ist die Entwicklung einer Selbstverpflichtung für die verantwortungsvolle Verwendung von KI in der Zivilgesellschaft bis Herbst 2025. Anke Obendiek stellt das Projekt in ihrem Gastbeitrag vor.

Reallabore: Hybride Beteiligung für mehr Inklusion
Um sozial-ökologische Transformationsprozesse kooperativ und demokratisch voranzutreiben, kommt Reallaboren eine wichtige Schnittstellenfunktion zu. Als Räume, in denen Forschung, Praxis und die Zivilgesellschaft gemeinsam zukunftsfähige Lösungen entwickeln und neue Formen des Zusammenlebens erproben, können sie die Lücke zwischen der Wissensproduktion zu nachhaltiger Entwickung und dem konkreten Handeln schließen. Jedoch finden nicht alle gesellschaftlichen Gruppen gleichermaßen Zugang zur persönlichen Interaktion in Reallaborprozessen – ein Umstand, der den Blick auf digitale Werkzeuge lenkt, die eine Bereitstellung von Informationen ebenso wie eine aktive Beteiligung und Mitwirkung unabhängig von Zeit und Ort ermöglichen. Mert König und Pia Laborgne stellen das Projekt »Dual Mode Participation (DuPa)« vor, das – ausgehend von den Kontaktbeschränkungen in der Corona-Pandemie – mit hybriden Beteiligungsformate experimentiert und diese dokumentiert, um Reallabore inklusiver und breitenwirksamer zu gestalten.

Praxisleitfaden: Evaluationsmethoden wirkungsorientierter digitaler politischer Bildung
Die Wirkung von politischer Bildung zu messen, stellt Praktiker/innen nicht zuletzt aufgrund der schwer nachweisbaren Zusammenhänge vor Herausforderungen. Infolge der Digitalisierung von politischer Bildung müssen zusätzlich neue Wege in der Auswertung der Angebote beschritten werden. Die Frage, wie digitale politische Bildung ihre Ziele und Zielgruppen erreichen kann, war Gegenstand des auf zwei Jahre angelegten Förderprogramms »Demokratie im Netz« der Bundeszentrale für politische Bildung. Die Vernetzungsstelle gegen Hate Speech – das NETTZ – begleitete die Modellprojekte bei der inhaltlichen Konzeption, der digitalen Umsetzung und der wirkungsorientierten Selbstevaluation ihrer Bildungsangebote. Die Erkenntnisse der wissenschaftlichen Programmbegleitung flossen in einen Leitfaden für die Praxis ein, der im September vorgelegt wurde.
Der Leitfaden im Wortlaut (PDF)
Der digitale Alltag: Gesellschaft in der digitalen Transformation
Ob Mobilität, Kommunikation, Arbeitswelt oder Demokratie: Die fortschreitende Digitalisierung verändert unseren Alltag. Immer mehr Daten werden immer stärker miteinander verknüpft und mit immer leistungsfähigeren Algorithmen ausgewertet. So werden aus unserem Verhalten individuelle Profile erstellt, aus denen sich Schlussfolgerungen über unsere Vorlieben, unser Einkaufsverhalten, unsere Freizeitgewohnheiten, unsere Gesundheit oder unsere politischen Einstellungen ziehen lassen. Die Umwandlung von analogen Informationen in digitale Daten, ihre technisch kaum begrenzte Vervielfältigung und Verbreitung eröffnet viele Möglichkeiten und Vorteile für eine »smarte« Gestaltung unseres Alltagslebens. Chancen und Risiken der digitalen Zukunft liegen jedoch dicht beieinander. Der Beitrag erläutert einige Schlüsselbegriffe und wirft in kompakter Form einen praxisnahen Blick auf ausgewählte Aspekte unseres digitalen Alltags.

Bürgergutachten zum Umgang mit Desinformation
Das bundesweite Beteiligungsprojekt »Forum gegen Fakes – Gemeinsam für eine starke Demokratie« setzte sich mit Desinformation, verstanden als »gezielt manipulierte Informationen, die das Ziel verfolgen, Menschen zu beeinflussen und der Gesellschaft einen Schaden zuzufügen«, auseinander. Die zentralen Fragestellungen lauteten: Wie kann die illegitime Einflussnahme auf demokratische Willensbildung verhindert werden? Und wie lässt sich Desinformation effektiv bekämpfen, ohne die Meinungsfreiheit anzutasten? Von Januar bis Juli 2024 nahmen rund 424.000 Menschen an drei Online-Beteiligungen teil und brachten mehr als 3.300 Vorschläge ein. Ein Bürgerrat erarbeitete mit Unterstützung von Expert/innen auf dieser Grundlage 15 Empfehlungen mit 28 Maßnahmen zum Umgang mit Desinformation für Politik, Medien, Bildungseinrichtungen, Wirtschaft und Zivilgesellschaft. Die adressierten Themenfelder sind Bildung und Sensibilisierung, Medienpraxis und Journalismus, Soziale Netzwerke, Künstliche Intelligenz und Einfluss fremder Staaten. Die Ergebnisse wurde in einem Bürgergutachten dokumentiert, das im September veröffentlicht und an die Bundesregierung übergeben wurde.
Das Bürgergutachten im Wortlaut (PDF)
Publikationen
Publikation: Demokratie als Selbst-Regieren
Die Zukunft der Demokratie muss neu gestaltet werden – dieses Buch bietet dabei einen hilfreichen Ansatz. Die Autorin Brigitte Geißel argumentiert, dass Bürger/innen selbst entscheiden sollen, wie sie sich regieren wollen. Das Buch verknüpft theoretische Begründungen und empirische Erkenntnisse, die das Konzept von Demokratie als Selbst-Regieren untermauern. Für die praktische Umsetzung schlägt die Autorin Verfahren und Praktiken vor, die Bürger/innen und Communitys unterstützen, ihre eigenen Visionen von Demokratie zu entwickeln.
Brigitte Geißel: Demokratie als Selbst-Regieren. Demokratische Innovationen von und mit Bürgerinnen und Bürgern. Leverkusen 2024, 245 S., ISBN 978-3-8474-3040-7
Publikation: Macht voll verändern – Rang und Privilegien in hierarchiefreien Projekten
Auch in vermeintlich hierarchiefreien zivilgesellschaftlichen Projekten bilden sich nicht selten informelle Hierarchien, die häufig toxischer wirken als explizite Hierarchien. Davon ist die Autorin des vorliegenden Buchs überzeugt. Die Publikation richtet sich deshalb vor diesem Hintergrund an Menschen, die eine Gemeinschaft ohne Machtmissbrauch aufbauen wollen. Leitfragen des Buchs sind: Wie kann ein anderer Umgang mit Macht gefunden werden? Welche Gruppenkultur kann dabei helfen? Wie können alle in einer Gruppe gestärkt werden, ihr Potential voll zu entfalten? Und worauf müssen Menschen, die mit viel Gestaltungskraft beschenkt wurden, achten, um nicht unbewusst andere kleiner zu machen? Das Buch ist ab Oktober 2024 direkt bei der Autorin zu bestellen.
Eva Stützel: Macht voll verändern. Rang und Privilegien in »hierarchiefreien« Projekten. 2024, 203 S., 22,00 Euro
Veranstaltungen, Seminare, Tagungen
Online-Tagung: UPJ-Praxisforum gemeinnütziger Mittlerorganisationen für Unternehmenskooperationen
Am 15. November 2024 findet online das jährliche UPJ-Praxisforum gemeinnütziger Mittlerorganisationen für Unternehmenskooperationen statt. Dort treffen sich erfahrene Mittlerorganisationen, die Kooperationen zwischen Unternehmen, gemeinnützigen Organisationen und der öffentlichen Verwaltung auf den Weg bringen. Praxisforum bedeutet: Gute Ideen, Erfahrungen und Konzepte werden geteilt, es gibt kollegiale Unterstützung statt Konkurrenz. Was machen andere? Was kann ich daraus lernen? Welche Formate lassen sich übertragen? Was klappt und was klappt nicht? Wie lässt sich das alles finanzieren? Und: Was könnten wir gemeinsam tun? Das Praxisforum richtet sich an Interessierte an der Mittlertätigkeit sowie an Einsteiger und Fortgeschrittene, die schon aktiv sind. Dies sind insbesondere kommunale Stellen und gemeinnützige Organisationen wie Wohlfahrtsverbände, Freiwilligenagenturen, Bürgerstiftungen, regionale Stiftungen, Quartiersmanagements und Mehrgenerationenhäuser.
Tagung: Öffentlicher Raum als sozialer Raum
Die Landesarbeitsgemeinschaft für Soziale Stadtentwicklung und Gemeinwesenarbeit Baden-Württemberg e.V. widmet ihr diesjähriges Netzwerktreffen (22. November 2024 in Esslingen) dem Thema »Öffentlicher Raum als sozialer Raum – Bedeutung für die Quartiersentwicklung«. Die Tagung richtet sich an Interessierte aus Verwaltung, Politik, Zivilgesellschaft und Wohnungswirtschaft sowie an alle, die relevante Fachfragen gerne praxisnah diskutieren.