eNewsletter Wegweiser Bürgergesellschaft 11/2016 (16.11.2016)
Inhalt
- Meldungen aus der Bürgergesellschaft
- Im Fokus: Digitale Bürgerbeteiligung
- Publikationen und Veranstaltungen
Meldungen aus der Bürgergesellschaft
Impulspapier der Migrant*innenorganisationen zu Teilhabe
Kurz vor dem Integrationsgipfel am 14.11.2016 haben 50 Migrantenverbände ein Impulspapier zur Teilhabe in der Einwanderungsgesellschaft mit dem Titel »Wie interkulturelle Öffnung jetzt gelingen kann« vorgelegt. Die interkulturelle Öffnung von Organisationen, Institutionen wie auch der gesamten Gesellschaft ist aus ihrer Sicht ein wichtiger Schlüssel für die gleichberechtigte Teilhabe. Die Migrantenorganisationen formulieren vier Veränderungsziele: Vielfalt und Teilhabe als gelebte Grundüberzeugungen, Teilhabe bei der interkulturellen Öffnung, in Entscheidungsfunktionen und bei Leistungen. Zu diesen Zielen werden jeweils priorisierte Maßnahmen formuliert: beispielsweise die Aufnahme eines neuen Staatsziels ins Grundgesetz, die Bildung eines Nationalen Rates zur interkulturellen Öffnung, Maßnahmen zum Diskirimnierungsschutz oder die gezielte Förderung der Führungskräfteentwicklung mit Einwanderungsgeschichte. Das Impulspapier entstand in einem bisher einmaligen Beteiligungsprozess von Migrantenorganisationen. Diese möchten mit dem Impulspapier aktiv auf andere Organisationen aus Politik und Zivilgesellschaft zugehen. Sie schlagen zudem vor, analog zur Deutschen Islam Konferenz 2017 eine interministerielle Konferenz zu gründen, um die vorgeschlagenen Maßnahmen und Veränderungsziele zu prüfen und die Umsetzung voranzutreiben.
Das Impulspapier im Wortlaut
Charta für politische Teilhabe
Vor dem Hintergrund schrumpfender Handlungsspielräume der Zivilgesellschaft in zahlreichen Ländern weltweit haben das Civil Society Centre, die Heinrich-Böll-Stiftung und zahlreiche andere zivilgesellschaftliche Organisationen aus aller Welt in Berlin die »Charta für politische Teilhabe« vorgestellt. Die Charta wurde in umfassenden Beratungs- und Konsultationsprozessen gemeinsam von zivilgesellschaftlichen Akteur/innen aus unterschiedlichen Kontinenten und Ländern entwickelt und an unterschiedlichen Orten der Welt – von Neu-Delhi über Nairobi bis Berlin – im Oktober 2016 präsentiert. Die Charta betont die besondere Rolle und Bedeutung der Zivilgesellschaft in der Gestaltung gesellschaftlicher Wirklichkeit. Die Charta möchte einen Rahmen für die politische Teilhabe der Menschen schaffen. Sie soll zivilgesellschaftliche Organisationen wie Aktivist/innen auf der ganzen Welt dabei unterstützen, für ihre Rechte und Handlungsspielräume einzutreten und von den Regierungen Garantien einzufordern. Die »Charta für politische Teilhabe« liegt in zahlreichen Sprachen vor und kann im Netz auch weiterhin von Organisationen und Einzelpersonen unterzeichnet werden.
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Positionspapier: Globales Lernen in der Schule
Unter dem Titel »Die Schule macht`s – mit der Zivilgesellschaft« hat die Arbeitsgemeinschaft der Eine Welt Landesnetzwerke in Deutschland e.V. (agl) ein Positionspapier zum Globalen Lernen in der Schule veröffentlicht. In dem Papier stellt die agl die zentrale Bedeutung der zivilgesellschaftlichen Akteure im Globalen Lernen für eine zukunftsfähige Bildung in der Schule dar. Sie formuliert Leitsätze für eine gute Zusammenarbeit zwischen staatlichen und zivilgesellschaftlichen Akteuren, die für eine Förderung der Bildung für nachhaltige Entwicklung und des Globales Lernens in der formalen Bildung entscheidend sind. Zugrunde liegt die Einschätzung, dass Schulen zunehmend gefragt sind, Globales Lernen in ihre Einrichtungen zu integrieren, um Schülerinnen und Schüler in der komplexen (Welt-)Gesellschaft zu begleiten und sie auf die Zukunft vorzubereiten.
»SeeleFon«: Telefonische Hilfe auch für Geflüchtete
Flucht und Vertreibung hinterlassen seelische Spuren, die nicht jeder Mensch verarbeiten kann. Geflüchtete, die mit einem Trauma nicht zurechtkommen, haben jetzt die Möglichkeit, sich einfach und unbürokratisch telefonisch helfen zu lassen. Mit dem »SeeleFon« für Flüchtlinge schließt der Bundesverband der Angehörigen psychisch erkrankter Menschen (BApK) eine Lücke der gesundheitlichen Versorgung von Geflüchteten. Die Orientierungslosigkeit der Betroffenen im deutschen Gesundheitswesen ist oftmals groß, außerdem werden seelische Erkrankungen in anderen kulturellen Zusammenhängen oft stigmatisiert. Nun haben Betroffene die Möglichkeit, sich über ihr Smartphone anonym beraten oder einen konkreten Ansprechpartner vermitteln zu lassen. Die Hilfe wird dabei in deutscher, arabischer, englischer und französischer Sprache angeboten und soll so niedrigschwellig wie möglich gehalten werden. Unterstüzung kann auch über das Internet erbeten werden. Dem Bundesverband sind 15 Landesverbände der Angehörigen psychisch erkrankter Menschen mit mehr als 8.500 Mitgliedern angeschlossen. Sie organisieren die Arbeit der bundesweit über 500 regionalen Selbsthilfegruppen.
Gemeinnützigkeit: Erfolg vor Gericht
Das globalisierungskritische Netzwerk Attac ist gemeinnützig. Das hat das Hessische Finanzgericht in Kassel entschieden. Die Richter gaben damit der Klage der NGO gegen das Finanzamt Frankfurt statt. Dieses hatte dem Netzwerk im April 2014 die Gemeinnützigkeit mit der Begründung entzogen, es sei mit seiner Arbeit zu politisch. Eine Revision ließen die Richter nicht zu. Die Allianz »Rechtssicherheit für politische Willensbildung«, ein Zusammenschluss von mehr als 60 Vereinen und Stiftungen, begrüßt in einer aktuellen Stellungnahme das Urteil. Sie fordert zugleich, das Gemeinnützigkeitsrecht im Sinne der Entscheidung des Gerichts zu modernisieren. Dazu müsse die Bundesregierung den maßgeblichen Anwendungserlass zur Abgabenordnung in der Weise ändern, dass die politische Willensbildung durch zivilgesellschaftliche Organisationen den angemessenen Rechtsrahmen erhält und alle entsprechenden Ziele als gemeinnützig anerkannt werden.
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jugend.beteiligen.jetzt: Für die Praxis digitaler Partizipation
Obwohl die meisten Jugendlichen sich heute als »Digital Natives« sehen, gibt es weiterhin offene Fragen, wie die junge Generation im digitalen Zeitalter besser an Entscheidungsprozessen beteiligt werden kann. Wie lässt sich gesellschaftliche und politische Teilhabe von Jugendlichen durch digitale Partizipation fördern? Welche wirksamen Methoden und Werkzeuge gibt es? Und welche Unterstützung brauchen zum Beispiel Kommunen, um echte Jugendbeteiligung zu ermöglichen? Um diese Fragen zu beantworten wurde das Gemeinschaftsprojekt jugend.beteiligen.jetzt von der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung, dem Deutschen Bundesjugendring und IJAB – Fachstelle für Internationale Jugendarbeit der Bundesrepublik Deutschland gestartet. Es stellt verschiedene Tools und Know-How zum Thema Beteiligung auf einer kostenlosen Online-Plattform zur Verfügung. Zu den Werkzeugen gehören beispielsweise das Tool »Camper«, welches die Entwicklung und Durchführung von Barcamps vereinfacht oder das »ePartool«, das transparente Mitwirkung an Entscheidungsprozessen ermöglicht. Die Plattform richtet sich an motivierte Jugendliche, Fachkräfte aus der Jugendarbeit und bereits bestehende Netzwerke für Jugendbeteiligung.
Im Fokus: Digitale Bürgerbeteiligung
Perspektiven und Herausforderungen internetbasierter Partizipationsverfahren
Welche Möglichkeiten eröffnet internetbasierte Partizipation? Wie kann das Internet als Medium politische Beteiligung vereinfachen, zugänglicher und flexibler machen? Wo stößt Onlinebeteiligung an Grenzen, wo bringt sie neue Herausforderungen mit sich? Diese Leitfragen stehen im Mittelpunkt des Beitrags von Alma Kolleck. Demnach stellt sich der demokratische Mehrwert onlinebasierter Beteiligungsformate nicht von selbst ein, sondern ist unter anderem abhängig von den Zielen und den Zielgruppen des Verfahrens. Ihr Fazit: Die Gestaltung von Beteiligungsprozessen und -verfahren ist entscheidend, nicht das Medium.
E-Partizipation auf der lokalen Ebene: Das Beispiel NRW
Ob Bürgerhaushalt oder Mängelmelder: Onlinebasierte Bürgerbeteiligung hat gerade im kommunalen Bereich einen besonderen Stellenwert. Viele dieser rechtlich unverbindlichen Angebote werden von Politik und Verwaltung initiiert und zielen auf die Mitwirkung der Bürgerinnen und Bürger an politischen und administrativen Entscheidungsprozessen ab. Bislang hat sich die Forschung zu E-Partizipation vor allem einzelnen Städten bzw. Verfahren als Fallstudien oder ganz bestimmten Formaten wie etwa den Bürgerhaushalten gewidmet. Einen umfassenden Überblick darüber, wie viele Kommunen für welche Verfahren und Angebote tatsächlich Online-Kanäle zur Bürgerbeteiligung einsetzen, gab es dagegen bisher nicht. Diese Lücke schließt nun am Beispiel Nordrhein-Westfalens der DIID Monitor Online-Partizipation der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf. Mit der Untersuchung wird erstmals eine umfassende und flächendeckende Erhebung der E-Partizipationsverfahren für die kommunale Ebene des bevölkerungsreichsten Bundeslandes zur Verfügung gestellt. Demnach setzen ein Drittel aller Städte und Gemeinden in NRW elektronische Partizipationsverfahren ein. Nadja Wilker, Sabrina Schöttle, Theresa Witt, Malte Steinbach und Peter Gladitz stellen in ihrem Gastbeitrag die Ergebnisse des Monitors vor.
Jugendbeteiligung heute: »Elektronische Partizipation ist nicht alles«
In Baden-Württemberg ist mit der Änderung des § 41 der Gemeindeordnung die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen seit knapp einem Jahr verpflichtend. Doch wie beteiligt man die sog. Digital Natives, die sich im virtuellen Raum heimisch fühlen und die weder das lokale Wochenblatt studieren noch Gemeinderatssitzungen besuchen? Fest steht: Um Jugendliche für Beteiligungsprojekte zu gewinnen, bedarf es nicht nur besonderer Anstrengungen sondern vor allem auch der Kreativität seitens der Verwaltung. Ein Team der Kommunalberatung der Kommunalen Datenverarbeitung Region Stuttgart (KDRS) betreut aktuell ein Jugendbeteiligungsprojekt in der Gemeinde Tamm im Landkreis Ludwigsburg. Ann-Michelle Tröster und Bertil Kilian setzen sich in ihrem Gastbeitrag am Tammer Beispiel mit der Frage auseinander, wie die Beteiligung von Jugendlichen erfolgreich umgesetzt werden kann.
Digitale Bürgerbeteiligung in der Lärmaktionsplanung: Ein Beispiel aus Friedrichshafen
Lärmaktionspläne dienen im Allgemeinen der Regelung von Lärmauswirkungen und lokalen Lärmproblemen. Sie legen kommunale Ziele, Strategien und Maßnahmen zur Reduzierung der Lärmbelastung fest. Doch ab wann und wo wird Lärm zum Problem? Um diese Frage zu klären, hat sich die Stadt Friedrichshafen am Bodensee dazu entschlossen, ihre Einwohnerinnen und Einwohner im Rahmen einer Onlinebeteiligung unmittelbar in die Erstellung ihres Lärmaktionsplans einzubinden und mitreden zu lassen: »um nicht nur die ermittelten Kennwerte, sondern auch die Menschen sprechen zu lassen«. Theresa Steffens und Alexandra Eberhard skizzieren in ihrem Gastbeitrag das onlinebasierte Verfahren und stellen dessen Ergebnisse und Erkenntnisse vor.
Open Government Partnership: Chance auf einen Wandel der politischen Kultur
Offenes Regierungs- und Verwaltungshandeln hat zum Ziel, die Arbeit von Politik, Regierung, Verwaltung und Justiz transparenter, partizipativer und kooperativer zu gestalten. Dabei geht es um die konzeptionelle Weiterentwicklung des demokratischen Rechtsstaats unter Nutzung des Potenzials neuer technischer Kommunikations-, Analyse- und Beteiligungsmöglichkeiten. Im April diesen Jahres hat die Bundesregierung beschlossen, sich ab Dezember 2016 an der Open Government Partnership (OGP) zu beteiligen. Mit diesem Schritt verbinden sich viele Chancen zur Umsetzung von Open Government in Deutschland. Der zivilgesellschaftliche Arbeitskreis für einen Beitritt Deutschlands zur OGP hat in dem Zusammenhang einen ersten Entwurf für einen Nationalen Arbeitsplan zur Open Government Partnership vorgelegt. Er umfasst zahlreiche inhaltliche Vorschläge, u. a. zur Stärkung von offenen Daten, Transparenz und Bürgerbeteiligung. Julia Manske, Johanna zum Felde, Carolin Glandorf, Tobias Knobloch und Ole Wintermann stellen in einem gemeinsamen Gastbeitrag den Entwurf vor.
Publikationen und Veranstaltungen
Publikation: Pflege, Engagement und Qualifizierung
Dort wo Engagierte Qualifizierung und Möglichkeiten des Austauschs erhalten, fühlen sie sich in ihrem Ehrenamt gut vorbereitet und kompetent, ältere und pflegebedürftige Menschen zu begleiten. Dies ist eine zentrale Erkenntnis aus dem Projekt 'PEQ - Pflege, Engagement und Qualifizierung', das aus Mitteln des Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Projekt in Trägerschaft des Deutschen Vereins finanziert worden ist. Die Ergebnisse des Projektes wurden nun in einem Schulungshandbuch zusammengeführt. Anhand von Beispielen wird kompakt beschrieben, welche Handlungsfelder für Engagierte im Umfeld von Pflege in Betracht kommen. Das Handbuch skizziert das Aufgaben- und Kompetenzprofil von Ehrenamtlichen im Umfeld von Pflege, bietet ein modulares Curriculum für praxisrelevante Schulungen und gibt Tipps für die Begleitung von Ehrenamtlichen vor Ort. Das Buch kann kostenlos als Printversion bestellt werden und steht als Gesamt-Download sowie in Form von Handouts und einzelnen Materialien aus dem Handbuch zur Verfügung.
Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge (Hrsg): Pflege, Engagement und Qualifizierung. Ein Handbuch für Dozentinnen und Dozenten. Berlin 2016, 179 S.
Publikation: Soziale Bewegungen und ihr Einfluss auf die Politik
Die neuen progressiven sozialen Bewegungen sind immer wieder Impulsgeber für politische Veränderungen. Sie unterscheiden sich von politischen Parteien durch ihre zeitliche und/oder thematische Begrenztheit, ihren Anspruch auf Basisdemokratie, ihre transnationale bzw. internationale Verortung. Ihr Erfolg ist aber nach Ansicht der Autorin des vorliegenden Buchs zugleich auch ihr Scheitern: weder können sie Erfahrungen generieren noch längerfristige Konzepte gesamtgesellschaftlicher Emanzipation verfolgen. Im ersten Teil der Publikation wird in Erzählungen über die Frauen-, Umwelt-, Friedens- und die Antiglobalisierungsbewegungen versucht, ihre Spezifik als soziale Bewegungen darzustellen. Gleichzeitig werden die gegenseitige Beeinflussung zwischen den Bewegungen und der institutionellen Politik der Europäischen Union und der UNO aufgezeigt. Der zweite Teil des Buches widmet sich in europäischer Perspektive der Arbeit des Europäischen Gewerkschaftsbundes als der großen »alten« Schwester der neuen sozialen Bewegungen.
Daiber, Birgit: Und sie bewegt sich doch... Progressive soziale Bewegungen und ihr Einfluss auf die internationale institutionelle Politik. Ein Lesebuch. Neu-Ulm 2016, 252 S.,19 Euro, ISBN 978-3-945959-05-3
Veranstaltungshinweise
Zahlreiche Veranstaltungen sind im Veranstaltungskalender des Wegweisers Bürgergesellschaft zu finden. Besonders hinweisen möchten wir dieses Mal auf:
5.-12.12.2016 in Berlin: Wie geht´s? Wenig erreichte Zielgruppen der politischen Bildung
Jahrestagung der Transferstelle politische Bildung
25.-27.1.2017 in Rehburg-Loccum: Lernende Demokratie: Wie können Politik, Wirtschaft und Gesellschaft besser zusammenarbeiten?
9. Loccumer Procedere Werkstatttagung